„Diß Werk wird hoffentlich mir einst zum Ruhm gedeien, Du aber wirst den Wehrt zu keiner Zeit bereuen …“
So reimte G. P. Telemann 1733 über sein neustes Werk, das er in der modieusen Sprache der upper class seiner Zeit „Musique de table“ nannte.
Ja doch, es waren die besseren Kreise, die der in seinen frühen 50ern stehende Musikdirektor der Hansestadt Hamburg mit dieser Publikation ansprach. Acht Reichstaler kostete der in Kupfer gestochene Stimmsatz des umfangreichen Werks- ein exorbitanter Preis, wenn man in Betracht zieht, dass der Leipziger „Director Chori Musici“ Johann Sebastian Bach die gleiche Summe erhielt, um damit das gesamte Orchester, inklusive Pauken und Trompeten, für eine höfische Huldigungsmusik zu entlohnen.
Immerhin fanden sich mehr als 200 Pränumeranden, Käufer also, die bereit waren, den Kaufpreis im Voraus zu bezahlen, und deren Name, Stand und Wohnort in der Erstauflage mitveröffentlicht wurde. Die illustre Liste umfasste gekrönte Häupter, adelige Damen, Kaufleute aus Hamburg, Delft, Riga und Hagen/Westfalen - und natürlich musizierende und komponierende Kollegen aus beinahe aller Herren Länder: Händel aus London, Pisendel und Quantz aus Dresden, Blavet aus Paris …
Musikalisches Tafelkonfekt, Tafel- Dienst, Mensa sonora, Encaenia Musices, Mensa Harmonica, Musikalische Tafelbedienung, Musique pour les soupers du Roi, Musical Banquet, Banchetto Musicale – und wie die Sammlungen auch immer heißen mögen: Sie begleiten mit ihren meist ebenso unterwürfigen Dedikationen den Aufstieg der Fürsten zwischen 1600 und 1700. Dann wird es still – ganz plötzlich, eigentlich zu plötzlich.
Es ist als verabschiede sich eine Epoche: In dieser Spätzeit des höfischen Absolutismus – Rationalismus und Aufklärung haben bereits an die Flügeltüren der fürstlichen Speisezimmer geklopft, schon sind Frühformen des bürgerlichen Konzerts (immerhin noch in Kneipen und Kaffee- Häusern) und dann regelrechte „Akademien“ aufgekommen, Gesprächszirkel und Briefeschreiben, Empfindsamkeit und Mitteilsamkeit werden á la mode – hier nun, 1733, erlebt die höfische Gebrauchsmusik in ihrem absoluten Höhepunkt gleichermaßen auch ihren Endpunkt.
Witz und Ironie schwingen mit: Unter einem leichte Kost versprechenden Titel publiziert Telemann das „summum opus“ seiner Instrumentalmusik. Die „Musique de table“ ist der Sieg des Kunstwerks über die Stuckdekorationen, des Klanges über den Küchendunst, des Absoluten über das Funktionale – und man möchte einfach nicht glauben, dass sich zu ihren Klängen die Hofgesellschaft über Schwan mit Zimt und Bärentatzen mit Ingwer hermachte.
„Es erscheinet aller Orten gebräuchlich und üblich zu seyen, bey vorfallender Tafelaufwar- tungen mit geistlichen und anderen musicalischen Stucken (biß die heißhungrigen Mägen erfüllet) den Anfang zu machen, hernach aber bey Aufsetzung des Konfects, wenn die Geister durch den edlen Rebensaft schier ermuntert, solche wiederum mit lustigen und kurzweiligen Sachen zu beschließen« schreibt der Darmstädter Hofkapellmeister W. Briegel 1672 in der Vorrede zu seinem „Tafel-Confect“. Die ungeheure Menge der „moralischen, politischen“, aber auch erotischen Lieder, Arien und Madrigale des 17. Jahrhunderts scheint - und die Inventarien bestätigen das durch die Bezeichnung „Tafel-Stücke“ - bei Tisch erklungen zu sein. Empfahl das Oberhofmarschallamt Heinrich Schütz anlässlich des Kaiserbesuchs in Dresden 1617 „Wann die Kayserliche Majestät öffentliche Tafel halten will, soll er auf eine gute auserlesene Musicam bedacht seyn. Darzu nicht allzuviel, iedoch die besten von Seiner Churfürstlichen Gnaden Musicis . . . gebrauchen. Nicht viel großes Wesens sondern liebliche Music machen laßen uf unterschiedliche Manieren …“, so konnte es im 18. Jahrhundert auch lauter hergehen: “Unter der Tafel werden bei Solennitaeten schöne Musiquen gehört, bißweilen bestehen sie nur in Trompeten und Paucken, zuweilen aber auch in der schönsten Vocal- und Instru-mental-Music, es werden Castraten und Canta-tricen dabey gehört, die mehrenteils Italiänische Piecen dabey abzusingen pflegen“, so Julius Bernhard von Rohr in seiner „Ceremoniel- Wissenschaft der großen Herren“ 1733.
Abwechslung und Ohrenkitzel durch behutsamen Kontrast, „docere, movere & delectare“ durch unterschiedliche Manieren von Form und Inhalt, Stil und Besetzung: Telemann hat in der „Musique de table“ diese Forderungen mit Bravour erfüllt. Aus den drei „Produktionen“ (Teilen) des Gesamtwerks, die jeweils aus Ouverture á 7 - Quatuor - Concert á 7 - Trio - Solo und Conclusion bestehen, haben wir hier eine auch diesem Anspruch gerecht werdende neue Auswahl getroffen. „Die ungezwung'ne Munterkeit“ der Schäferidyllen Frankreichs, dargestellt in den deskriptiven Tanzsätzen der Ouverture B-dur, kontrastiert mit der gelehrten Strenge, dem „Teutschen Fleiß“ des folgenden Quatuors - beide Werke sind dem dritten Teil entnommen. Sodann „Welschlands Schmeichelndes“: Mit der viersätzigen Triosonate huldigt Telemann dem Genius Correlis. Vivaldi und Locatelli haben Pate gestanden für das formal vielleicht ein wenig altmodische, inhaltlich aber hochmoderne Konzert für drei Violinen - ein singuläres Werk im Oeuvre des Meisters -, das, wie das Solo, dem zweiten Teil entnommen ist. Am weitesten entfernt von der ergreifenden Größe des Es-dur- Trios - auch tonartlich - ist eben diese mal gespreizte, mal bedeutungsvoll seufzende, dann pathetisch aber sogleich auch wieder verspielt daher kommende Solo-Sonate ... wie die abschließende Conclusion halt „typisch Telemann“.
Titelverzeichnis:
I. Ouverture - Suite (B- Dur)
II. Quatuor (e-moll)
III. Concert (F-Dur)
IV. Trio (Es-Dur)
V. Solo (A- Dur)
VI. Conclusion (B-Dur)