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Allgemeines | ||||||||||
Name | Serotonin | |||||||||
Andere Namen |
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Summenformel |
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Kurzbeschreibung |
hygroskopische, lichtempfindliche Kristalle (Serotonin·Hydrochlorid)[1] | |||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | ||||||||||
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Eigenschaften | ||||||||||
Molare Masse | 176,22 g·mol−1 (Serotonin) | |||||||||
Aggregatzustand |
fest | |||||||||
Schmelzpunkt | ||||||||||
Löslichkeit |
löslich in Wasser (20 g·l−1 bei 27 °C) [2] und Ethanol (3 g·l−1 (Serotonin·Hydrochlorid)[3] | |||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||
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Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). |
Serotonin, auch 5-Hydroxytryptamin (5-HT) oder Enteramin, ist ein Gewebshormon und Neurotransmitter, das unter anderem im Zentralnervensystem, Darmnervensystem, Herz-Kreislauf-System und im Blut vorkommt. Der Name dieses biogenen Amins leitet sich von seiner Wirkung auf den Blutdruck ab: Serotonin ist eine Komponente des Serums, die den Tonus (Spannung) der Blutgefäße reguliert. Es wirkt außerdem auf die Magen-Darm-Tätigkeit und die Signalübertragung im Zentralnervensystem.
Geschichte
Das Vorkommen eines Stoffes im Blut, der die Blutgefäße kontrahiert, wurde bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von Carl Ludwig angenommen.[4] Vittorio Erspamer isolierte in den 1930er Jahren einen Stoff aus der Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts, der die glatte Muskulatur kontrahiert. Er nannte ihn „Enteramin“. 1948 isolierten Maurice Rapport, Arda Green und Irvine Page eine Blutgefäße kontrahierende Substanz und gaben ihr den Namen „Serotonin“.[5] Die Struktur dieser Substanz, die Maurice Rapport postulierte,[6] konnte 1951 durch Synthese bestätigt werden.[7]. Kurz darauf konnte Vittorio Erspamer zeigen, dass das von ihm gefundene Enteramin und Rapports Serotonin identisch sind.[8] Irvine Page und Betty Twarog gelang 1953 mit dem Nachweis von Serotonin im Gehirn eine weitere wichtige Entdeckung.[9]
Die für die Wirkung von Serotonin verantwortlichen Rezeptoren wurden in den folgenden Jahren intensiv untersucht. John Gaddum führte eine Unterscheidung in „D“- und „M“-Rezeptoren ein.[10] Doch erst mit der Etablierung molekularbiologischer Methoden in den 1990er Jahren wurde die große Anzahl verschiedener Serotonin-Rezeptoren des Menschen offensichtlich, die für seine vielfältigen Wirkungen verantwortlich sind.[11]
Vorkommen
Serotonin ist in der Natur weit verbreitet. Bereits einzellige Organismen wie Amöben können Serotonin produzieren.[13] Als Produzenten gelten ebenso Pflanzen und Höhere Pilze.[14][15] In den Brennhaaren der Brennnessel ist Serotonin für deren bekannte Wirkung mitverantwortlich. Zu den serotoninreichsten pflanzlichen Lebensmitteln zählen Walnüsse, die über 300 µg/g Serotonin enthalten können. Aber auch Kochbananen, Ananas, Bananen, Kiwis, Pflaumen, Tomaten, Kakao und davon abgeleitete Produkte, wie beispielsweise Schokolade, enthalten Serotonin im ppm-Bereich.[12][16] Der ungewöhnlich hohe Serotoningehalt, speziell bei Walnüssen, wird mit einem spezifischen Abbaumechanismus von entstehendem Ammoniak zu erklären versucht.[17] Für Abkömmlinge des Serotonins, wie Feruloylserotonin und 4-Cumaroylserotonin, wird eine Funktion als Phytoalexine angenommen.[18]
Im Tierreich ist Serotonin in nahezu allen Vertretern anzutreffen. Es ist hier einer der phylogenetisch ältesten Neurotransmitter und kommt, wie auch seine Rezeptoren, im Nervensystem bereits so einfacher Vertreter wie dem Fadenwurm C. elegans vor.[19]
Im menschlichen Organismus kommt die größte Menge an Serotonin im Magen-Darm-Trakt vor. Hier werden etwa 95% der gesamten Serotoninmenge des Körpers, die auf 10 mg geschätzt wird, gespeichert. Etwa 90% des Serotonins des Magen-Darm-Trakts werden in den enterochromaffinen Zellen gespeichert, die übrigen 10% sind in den Neuronen des Darmnervensystems zu finden.[20] Das Serotonin im Blut ist fast ausschließlich auf die Thrombozyten verteilt. Dieses Serotonin wird von den enterochromaffinen Zellen des Magen-Darm-Trakts produziert und von den Thrombozyten nach Abgabe in das Blut aufgenommen. Auch basophile Granulozyten und Mastzellen können, zumindest bei Nagetieren, Serotonin speichern und freisetzen.[21][22] Im Zentralnervensystem befindet sich Serotonin insbesondere in den Neuronen der Raphe-Kerne. Eine pathologisch vermehrte Produktion, Speicherung und Freisetzung von Serotonin kann häufig bei neuroendokrinen Tumoren des Magen-Darm-Trakts, den Karzinoiden, beobachtet werden und ist für deren charakteristische Begleitsymptomatik verantwortlich.
Biochemie
Biosynthese
Beim Menschen und bei Tieren wird Serotonin aus der Aminosäure L-Tryptophan in einer Zwei-Schritt-Reaktion unter Beteiligung der Enzyme Aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase aufgebaut. Im ersten Schritt entsteht als Zwischenprodukt die nicht-proteinogene Aminosäure 5-Hydroxytryptophan. Im zweiten Schritt erfolgt eine Decarboxylierung zum Endprodukt Serotonin. Wichtige Produktionsorte von Serotonin sind das Zentralnervensystem, die Leber, die Milz und die enterochromaffinen Zellen der Darmschleimhaut.
Die Biosynthese von Serotonin in Pflanzen weicht in der Reihenfolge ihrer Schritte von der in Tieren ab. Unter Beteiligung der Tryptophandecarboxylase wird im ersten Schritt L-Tryptophan zum Zwischenprodukt Tryptamin decarboxyliert. Im zweiten Schritt erfolgt eine Hydroxylierung mit Hilfe der Tryptamin-5-Hydroxylase zum Endprodukt Serotonin.[14]
Abbau
Neuronales Serotonin wird nach seiner Freisetzung in den synaptischen Spalt aktiv mit Hilfe des Serotonin-Transporters SERT, einem Transportprotein, rückresorbiert und wiederverwertet. Der Abbau von Serotonin erfolgt vorrangig über das Enzym Monoaminooxidase (MAO) vom Typ A und in einem deutlich geringeren Maß über MAO Typ B. Das Produkt 5-Hydroxy-Indolyl-Acetaldehyd wird von der Aldehyd-Dehydrogenase weiter zu 5-Hydroxyindolylessigsäure (5-HIAA) abgebaut. 5-Hydroxyindolylessigsäure, die im Urin nachgewiesen werden kann, ist das Hauptausscheidungsprodukt von Serotonin.
Funktionen
Im menschlichen Organismus besitzt Serotonin vielfältige Funktionen insbesondere auf das Herz-Kreislauf-System, den Magen-Darm-Trakt und das Nervensystem. Auf molekularer Ebene werden die Funktionen des Serotonins über die mindestens 14 verschiedenen Serotonin-Rezeptoren (5-HT-Rezeptoren) vermittelt, die in 7 Familien zusammengefasst werden: 5-HT1 bis 5-HT7. Die 5-HT3-Rezeptoren bestehen aus Ionenkanälen, alle übrigen bekannten 5-HT-Rezeptoren sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren.[23] Dank dieser Vielzahl an Serotonin-Rezeptoren, die zudem gewebe-, zelltyp- und konditionsabhängig verteilt sind, ist der Organismus in der Lage, auf unterschiedliche Serotonin-Konzentrationen zu reagieren und verschiedenartige Signaltransduktionswege zu starten. Diese sind die Hauptursache für die oft gegensätzlichen Funktionen von Serotonin im Organismus. Darüber hinaus vermag Serotonin intrazellulär über eine als Serotonylierung bezeichnete Modifikation von Proteinen Signaltransduktionsprozesse zu steuern.[24]
Herz-Kreislauf-System
Die Wirkungen von Serotonin auf das Herz-Kreislauf-System sind komplex und umfassen sowohl die Kontraktion als auch die Relaxation von Blutgefäßen. Während in der Lunge und in den Nieren des Menschen die blutgefäßverengende Wirkung im Vordergrund steht, dominiert in der Skelettmuskulatur die blutgefäßerweiternde Wirkung. Eine intravaskuläre Serotonin-Injektion verursacht eine triphasische Veränderung des Blutdrucks. Nach einem initialen Blutdruckabfall kommt es nach wenigen Sekunden zu einem Blutdruckanstieg um letztendlich in einer langanhaltenden Hypotonie zu enden.[25]
Für diese Effekte sind die Rezeptoren 5-HT1B, 5-HT2A, 5-HT2B und 5-HT7 hauptverantwortlich.[26] Je nach Blutgefäß führen sie zu einer direkten Kontraktion (über 5-HT1B, 5-HT2A und 5-HT2B) oder Relaxation der Blutgefäße (über 5-HT7). Alternativ können Blutgefäße indirekt über die Beteiligung des Endothels (über 5-HT1B und 5-HT2B) relaxiert werden.[27]
Neben diesen direkten Effekten auf die Blutgefäße vermag Serotonin über das Zentralnervensystem den Blutdruck und den Blutgefäßtonus auf komplexe Weise zu steuern.[28]
Blutgerinnung
Serotonin hat sowohl mittelbare als auch unmittelbare Auswirkungen auf die Blutgerinnung. Die Thrombozyten, auch Blutplättchen genannt, deren Aggregation ein wichtiger Bestandteil der Blutgerinnung ist, dienen nicht nur der Speicherung und Freisetzung von Serotonin, sondern tragen selbst Serotoninrezeptoren vom Typ 5-HT2A. Dank dieser führt Serotonin zu einer Entleerung der Granula der Thrombozyten und verstärkt die durch andere Botenstoffe, wie Adenosindiphosphat oder Thrombin, hervorgerufene Thrombozytenaggregation. In kleineren Blutgefäßen trägt es zudem durch Vasokonstriktion zur Wundheilung bei.[29]
Magen-Darm-System
Serotonin regt die Darmperistaltik an. Sein Normalspiegel im Darmgewebe liegt bei 1-5 ppb. Wesentlich erhöhte Werte liegen vor bei einem Tumor enterochromaffiner Zellen, also bei einem Dünndarm-Karzinoid. Dieser Umstand wird diagnostisch genutzt. Cisaprid als Serotonin-Agonist wird als Prokinetikum genutzt, also die Förderung der Propulsivmotorik des Magens, Dünndarms bzw. Dickdarms. Erst kürzlich wurde entdeckt, dass enterochromaffine Zellen Aromastoffe in der Nahrung detektieren und daraufhin Serotonin freisetzen.[30]
Im Magen-Darm-Trakt besitzen die Rezeptoren 5-HT3 und 5-HT4 eine besondere Rolle bei der Regulation der gastrointestinalen Motilität.
Zentralnervensystem
Serotonin, das sich im Zentralnervensystem in den Somata (Zellkörper) serotoninerger Nervenbahnen in Raphe-Kernen befindet, deren Axone in alle Teile des Gehirns ausstrahlen, beeinflusst unmittelbar oder mittelbar fast alle Gehirnfunktionen. Zu den wichtigsten Funktionen des Serotonins im Gehirn, das die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann und daher vor Ort gebildet werden muss, zählen die Steuerung oder Beeinflussung der Wahrnehmung, des Schlafs, der Temperaturregulation, der Sensorik, der Schmerzempfindung- und verarbeitung, des Appetits, des Sexualverhaltens und der Hormonsekretion. Serotonin fungiert dabei einerseits als Neurotransmitter im synaptischen Spalt und wird andererseits diffus über freie Nervenendigungen ausgeschüttet.[31]
Stimmung
Zu den bekanntesten Wirkungen des Serotonins auf das Zentralnervensystem zählen seine Auswirkungen auf die Stimmungslage. Ein erhöhter Serotoninspiegel im Gehirn, beispielsweise bedingt durch eine Überdosierung selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, führt zu Unruhe, Euphorie und Halluzination. Depressive Verstimmungen lassen sich neurochemisch häufig auf einen Mangel an Serotonin oder seiner Vorstufe, der Aminosäure Tryptophan, zurückführen. Auch Angst und impulsive Aggressionen können auf einen Serotoninmangel zurückgeführt werden.
Serotonin führt über eine Stimulation bestimmter Regionen der Großhirnrinde, die für die emotionale Regulation verantwortlich sind, im Wesentlichen zu einer Hemmung der Impulsivität und des aggressiven Verhaltens. Hieran sind insbesondere Serotoninrezeptoren vom Typ 5-HT1A und 5-HT1B beteiligt.[32] Für die stimmungsaufhellende Wirkung von Serotonin und die halluzinogene Wirkung von Serotoninagonisten wie beispielsweise LSD ist eine Aktivierung von 5-HT2A-Rezeptoren verantwortlich.[33]
Serotonin wird auf Grund seiner Wirkungen auf die Stimmungslage im Volksmund oft als „Glückshormon“ bezeichnet. Ein Konsum serotoninreicher Genussmittel, wie beispielsweise Schokolade oder Bananen, führt jedoch nicht wegen des enthaltenen Serotonins zu einer stimmungsaufhellenden Wirkung, da Serotonin nicht die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Vielmehr bewirken die aufgenommenen Kohlenhydrate eine vermehrte Produktion und Ausschüttung von Neurotransmittern im Gehirn, die zu dieser Wirkung führen.
Schlaf-Wach-Rhythmus
Die Wirkungen des Serotonins auf den Schlaf sind teilweise widersprüchlich und hängen entscheidend vom Gehirnteil und von den beteiligten Rezeptoren ab.[34] Die Rolle von Serotonin als Gegenspieler der Catecholamine bei der Schlafeinleitung ist seit den 1950er Jahren bekannt. Eine Serotoninausschüttung wurde demnach mit dem paradoxen Schlaf (REM-Schlaf) assoziiert. Eine operative Entfernung der serotoninhaltigen Raphe-Kerne und Hemmstoffe der Serotoninsynthese, wie p-Chlorphenylalanin, führen bei Versuchstieren zu einer Schlaflosigkeit, die durch Mikroinjektion von Serotonin oder 5-Hydroxytryptophan in die hypnogenen Zonen erfolgreich behandelt werden kann. Auch eine vermehrte Einnahme der Aminosäure Tryptophan, aus der im Gehirn Serotonin gebildet werden kann, zeigt schlaffördernden Wirkung. Dem gegenüber kann eine vermehrte Aktivität der Raphe-Kerne und eine vermehrte Serotoninausschüttung während der Aufwachphase beobachtet werden.
Appetit
Serotonin ist ein Neurotransmitter, dessen Ausschüttung im Gehirn indirekt mit der Nahrung in Verbindung steht. Ein Faktor ist die Konzentration an freiem Tryptophan im Blutplasma. Kohlenhydratreiche Kost führt über eine Insulinausschüttung zu einer Steigerung der Tryptophanaufnahme ins Gehirn, welche mit einer gesteigerten Serotoninsynthese assoziiert wird.[35]
Serotonin wird insbesondere mit einer appetithemmenden Wirkung in Verbindung gebracht. Bei übergewichtigen Menschen sind der Tryptophanspiegel im Blutplasma und der Serotoninspiegel im Gehirn verringert. Arzneistoffe, welche, wie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die Serotoninkonzentration im Gehirn erhöhen, führen zu einer Appetitlosigkeit als Nebenwirkung. Eine selektive Aktivierung von Serotoninrezeptoren des Subtyps 5-HT1A, die vorrangig als Autorezeptoren die Serotoninfreisetzung kontrollieren, führt über eine Hemmung der Serotoninausschüttung aus den Nervenenden zu einer Appetitsteigerung. Die eigentliche appetitsenkende Wirkung des Serotonins ist insbesondere auf die Serotoninrezeptoren 5-HT1B oder 5-HT2C zurückzuführen.[36]
Schmerz
Serotonin, das beispielsweise aus verletzten Nervenzellen freigesetzt wird, ist ein direkter Aktivator eines Schmerzreizes. Von größerer Bedeutung ist die Wirkung von Serotonin, über absteigende serotoninerge Neurone in das Hinterhorn des Rückenmarks Schmerzreize zu verstärken oder abzuschwächen.
Sexualverhalten
Serotonin, das unter anderem zum Zeitpunkt der Ejakulation in den Hypothalamus ausgeschüttet wird, zeigt primär eine hemmende Wirkung auf das Sexualverhalten und die Sexualfunktionen. Serotonin fungiert dabei als Gegenspieler des Dopamins.[37] Arzneistoffe, welche wie die Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer die Serotoninkonzentration im Gehirn erhöhen, können neben einer Reduktion des Sexualbedürfnisses beim Mann insbesondere zu einer eingeschränkten Fähigkeit zur Erektion oder zu einer Hemmung der Ejakulation führen.[38]
Temperaturregulation
Serotonin ist im Zentralnervensystem an der Regulation der Körpertemperatur beteiligt. Je nach involvierten Gehirnareal und je nach beteiligten Rezeptoren führt Serotonin zu einem Anstieg (Hyperthermie) oder einer Absenkung der Körpertemperatur (Hypothermie).[39] Die hypotherme Wirkung des Serotonins wird insbesondere mit einer Aktivierung von Serotoninrezeptoren des Subtyps 5-HT7 in Verbindung gebracht.[40]
Pharmakologie
Arzneistoffe, welche die Freisetzung, die Wirkung, die Wiederaufnahme und den Abbau von Serotonin beeinflussen, werden in vielfältiger Weise in der Therapie eingesetzt. Das mengenmäßig größte Einsatzgebiet von Arzneistoffen mit einer Wirkung auf das Serotonin-System sind psychische Erkrankungen.
Antidepressiva
In der Behandlung von Depressionen besitzen Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), wie beispielsweise Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin und Citalopram, einen hohen Stellenwert. Sie sind Hemmstoffe des Serotonintransporters und führen zu einer erhöhten Konzentration und einem verlängerten Verbleib von Serotonin im synaptischen Spalt. Auch die Wirkung der älteren trizyklischen Antidepressiva beruht, zumindest zum Teil, auf einer Hemmung des Serotonintransporters. Die ebenfalls als Antidepressiva genutzten MAO-Hemmer, wie Tranylcypromin und Moclobemid, verdanken ihre Wirksamkeit einer Hemmung des Serotonin-abbauenden Enzyms Monoaminooxidase.
Neuroleptika
Die von den klassischen Neuroleptika abweichenden klinischen Eigenschaften zahlreicher atypischer Neuroleptika werden mit einer über eine Hemmung von Dopaminrezeptoren hinausgehenden zusätzlichen Hemmung von Serotoninrezeptoren des Subtyps 5-HT2A erklärt. Atypische Neuroleptika, wie beispielsweise Clozapin, Olanzapin und Risperidon, haben eine im Wesentlichen verbesserte Wirkung auf die Negativsymptome der Schizophrenie und eine reduzierte Häufigkeit extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen und Spätdyskinesien. Das Verhältnis aus der Affinität eines Neuroleptikum zu 5-HT2A-Rezeptoren zu seiner Affinität zu D2-Rezeptoren, auch Meltzer-Index genannt, dient in diesem Zusammenhang der Vorhersage atypisch-neuroleptischer Eigenschaften.[41]
Tranquillanzien
Auch Buspiron, ein Partialagonist des 5-HT1A-Rezeptors, findet als Psychopharmakon zur Behandlung generalisierter Angststörungen Anwendung.
Appetitzügler
Die appetithemmende Wirkung des Serotonins wurde auf verschiedene Weise durch Appetitzügler ausgenutzt. Viele dieser Arzneistoffe, wie beispielsweise Lorcaserin und Fenfluramin, zeigen eine direkte stimulierende Wirkung auf den 5-HT2C-Rezeptor, die mit einem appetithemmenden Effekt assoziiert wird.[42][43] Auch die schweren Nebenwirkungen der früher verwendeten Appetitzügler Aminorex und Fenfluramin, welche Herzklappenschäden und pulmonale Hypertonie einschließen, werden mit einer Wirkung auf das Serotonin-System, insbesondere der Aktivierung von 5-HT2B-Rezeptoren, in Verbindung gebracht.
Ein weiterer Wirkmechanismus einiger Appetitzügler, wie beispielsweise Sibutramin, ist die Konzentrationserhöhung von Serotonin an seinen Rezeptoren durch Hemmung des Serotonintransporters.
Migränetherapeutika
In der Therapie akuter Migräneattacken finden insbesondere 5-HT1B/1D-Rezeptoragonisten aus der Gruppe der Triptane, wie beispielsweise Sumatriptan, Anwendung. In der Migräneprophylaxe wurden hingegen, zumindest bis zum Siegeszug der Betablocker, Serotoninantagonisten wie Methysergid und Pizotifen genutzt.
Antihypertensiva (Blutdrucksenker)
Als Antihypertensiva finden der 5-HT2A-Antagonist Ketanserin und der 5-HT1A-Agonist Urapidil zur Behandlung erhöhten Blutdrucks Anwendung. Ihre blutdrucksenkende Wirkung wird jedoch nicht vorrangig mit einer Interaktion mit Serotoninrezeptoren, sondern vielmehr mit einer zusätzlichen Wechselwirkung mit Adrenozeptoren erklärt.[44]
Blutgerinnungshemmer
Der 5-HT2A-Antagonist Sarpogrelat wird als Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt.[45]
Antiemetika
Als Antiemetika zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen, insbesondere im Zusammenhang mit einer Chemotherapie, werden Setrone, wie Ondansetron und Tropisetron, eingesetzt. Alosetron und Tegaserod finden in der Behandlung des Reizdarmsyndroms Anwendung.
Einzelnachweise
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- ↑ a b c d e f Eintrag in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar ) .
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Siehe auch
Weblinks
- Serotonin Catabolism
- Die Biochemie der Angst. In: taz - die tageszeitung vom 23. Mai 2008. Informativer Artikel zu neuer Studie, abgerufen am 10. April 2010.