Selektion (Evolution)

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Selektion (lat. selectio „Auswahl“, „Auslese“) ist definiert als ein von äußeren Faktoren hervorgerufenes (natürliche Selektion) oder menschlich gesteuertes (künstliche Selektion) Überleben oder Fortpflanzen von unterschiedlichen Phänotypen.

Der Begriff der natürlichen Selektion wurde erstmals von Charles Darwin vorgestellt und ist das zentrale Prinzip in Darwins Theorie des evolutionären Wandels. Selektion ist weiterhin der beherrschende Begriff in der modernen Evolutionsbiologie.

"Eine beträchtliche Menge Unsinn wurde unter dem Namen "natürliche Selektion" verbreitet (Futuyma,1990), die natürliche Selektion wurde als schicksalshaft, moralisch und unmoralisch dargestellt, sie wurde sogar so dargestellt, als enthielte sie ethische Gebote. Die "natürliche Selektion enthält jedoch keine dieser Qualitäten" (Futuyma, 1990), "sie ist schlicht ein statistisches Maß für den Unterschied im Überleben und in der Fortpflanzung von Entitäten, die sich in einem oder mehreren Merkmalen unterscheiden."

Natürliche Selektion

Als natürliche Selektion wird das unterschiedliche Überleben und/oder die unterschiedliche Fortpflanzung von Klassen von Einheiten bezeichnet, die sich in einem oder mehreren erblichen Merkmalen unterscheiden. Dabei ist der Unterschied im Überleben und/oder in der Fortpflanzung nicht zufällig, und muss als potentielle Folge die Veränderung der Anteile von den verschiendenen Einheiten haben. Man kann natürliche Selektion deshalb auch definieren als der deterministische Teil- oder Gesamtunterschied in dem Beitrag erblicher, unterschiedlicher Klassen von Einheiten für die folgenden Generationen. Die natürliche Selektion kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden, das heisst die oben angeführten Einheiten können Allele, Genotypen oder Teile von Genotypen, Populationen oder im weitesten Sinne Arten sein.

Genselektion

Die Genselektion findet auf der Ebene des Gens statt. Es handelt es sich um eine Form der natürliche Selektion, bei der die unterschiedliche Vermehrung der Allele innerhalb einer Population von den Eigenschaften der Allele und nicht vom Genotyp abhängig ist. Man bestimmt die Frequenz eines Allels durch die Fitness, wobei diese über eine Vielzahl von Genotypen gemittelt wird, in denen das Allel vorkommt.

Verwandtenselektion

Bei der Verwandtenselektion handelt es sich um eine Form der Genselektion: dabei unterscheiden sich die Allele in ihrer Vermehrungsrate, indem sie das Überleben von Individuen (Verwandten) beeinflussen, die aufgrund einer gemeinsamen Abstammung Kopien derselben Allele tragen.

Individualselektion

Die Individualselektion findet auf der Ebene des Individuums statt. Sie ist eine Form von natürlicher Selektion und beschreibt das unterschiedliche Überleben und die unterschiedliche Fortpflanzung von Individuen, die aufgrund von genetischen Unterschieden an einem oder mehreren Genorten einen verschiedenen Phänotyp haben. Natürliche Selektion setzt nur ein, wenn sich die Genoypen in ihrer individuellen Fitness unterscheiden. Im evolutionären Zusammenhang wird Fitness ausschließlich an der Vermehrungsrate eines Genotyps im Vergleich zu anderen Genotypen gemessen.

Gruppenselektion

Die Gruppenselektion findet auf der Populations- oder Artebene statt. Hier hängt die unterschiedliche Entstehungs- oder Aussterberate ganzer Populationen (oder Arten, wenn der Begriff sehr breit verwendet wird) von Unterschieden zwischen Populationen in einem oder mehreren Merkmalen ab.

Artenselektion

Die Artenselektion ist eine Form der Gruppenselektion. Arten, die unterschiedliche Merkmale aufweisen, nehmen aufgrund dieses Unterschiedes in ihren Merkmalen mit unterschiedlicher Rate in der Anzahl ab - dieser Vorgang wird als Aussterben bezeichnet - oder sie nehmen mit unterschiedlicher Rate durch Artbildung zu.

Interdemische Selektion

Die interdemische Selektion ist ebenfalls eine Form der Gruppenselektion und findet auf der Ebene der Population statt. Als Dem bezeichnet man eine kleine lokale Population, die gewöhnlich panmiktisch ist. Bei der interdemischen Selektion findet eine Selektion von Populationen innerhalb einer Art statt, wobei das Entstehen oder Aussterben von Populationen von Unterschieden abhängt, die Populationen in einem oder mehreren Merkmalen aufweisen.

Künstliche Selektion

Bei der künstlichen Selektion handelt es sich um die Selektion eines bewusst ausgewählten Merkmals oder einer Kombination von Merkmalen in einer Population, welche typischerweise im Labor oder in Gefangenschaft gehalten wird. Der Unterschied zur natürlichen Selektion besteht darin, dass das vom Menschen ausgewählte Merkmal Überlebens- und Fortpflanzungskriterium ist und nicht die Fitness, welche durch den gesamten Genotyp bestimmt wird.

Rezente Beispiele für künstliche Selektion

Ein wohl frappierendes Beispiel für künstliche Selektion stellt die industrielle Hochseefischerei dar. Durch die Überfischung von Speisefischopulationen wird ein starker negativer Selektionsdruck auf ausgeübt, wobei große und fortpflanzungsfähige Fische aus den Populationen entfernt werden. So wird künstlich das Überleben von kleineren und frühreiferen Fischen gefördert. Diese haben als einzige die Chance, durch die engmaschigen Netze zu entkommen und sich anschließend noch fortzupflanzen. Die Fische investieren mehr Energie in ihre Vermehrung als in das Wachstum. So waren Kabeljau aus dem Nordost-Alantik vor 60 Jahren, als die Jagd auf sie begann, im Schnitt noch 95 cm groß, heute erreichen sie nur noch eine Körpergröße von 65 cm. Ebenso setzt die Geschlechtsreife heute schon drei Jahre früher, nämlich mit einem Alter von sechs Jahren, ein. Mit Hilfe von Computermodellen, die von Ulf Dieckmann (Ökosystemforscher am Institut für Angewandte Systemanalyse IASA, Laxenburg in Österreich, http://www.iiasa.ac.at/~dieckman/) entwickelt wurden, lässt sich zeigen, dass sich Fischpopulationen unter dem Druck der Fangflotten innerhalb von 40 Jahren erheblich verändern können, indem beispielsweise die Durchschnittsgröße stark sinkt. Würde die Befischung heute gestoppt werden, so würde es Modellberechnungen zur Folge bis zu 250 Jahren dauern, bis die Fischbestände wieder die ursprüngliche Größenverteilung erreicht hätten. Dies hängt damit zusammem, dass die Natur keinen so starken Selektionsdruck ausübt wie die Fischerei.

Die Frühreife der Fische wird, so Dieckmann, durch das Fehlen von Konkurrenten begründet. Der Fisch findet mehr Nahrung, wächst schneller und wird früher geschlechtsreif. Man spricht hierbei auch von phänologischer Plastizität, das heißt der Anpassungsfähigkeit von Organismen an unterschiedliche Umweltbedingungen.

Die Modelle für das schnelle Wirken von Selektion und die damit resultierende Mikroevolution wurden in verschiedenen Labors mit Experimenten nachgestellt. Hierfür wurde mit Fischen wie Guppies und Ährenfischen experimentiert, die eine relativ kurze Generationsdauer haben. Siehe auch verschiedene Artikel von David Conover (State University of New York) und David Reznick (University of California). Beide Forscher konnten zeigen, dass bei selektiver Befischung der Populationen in den Aquarien - das heißt nur die größten Fische wurden entnommen - schon nach wenigen Generationen die Fische deutlich kleiner und weniger fruchtbar waren. Außerdem setzten sie bei gleichem Futterangebot wie die Kontrollfische weniger Fleisch an. "Rechnet man die Evolutionsrate bei den Guppies auf die Entwicklung kommerziell genutzter Fische um, so entspricht sie wenigen Jahrzehnten", fasst Reznick seine Ergebnisse zusammen. "Die Grossfischerei hat eine genetische Selektionswirkung auf die Bestände."

Evolutionstheorie nach Darwin

Diese beschreibt zwei Schritte:

Variation

Es findet eine Überproduktion von Nachkommen statt, die sich im Phänotyp (Aufbau, Stoffwechsel) von ihren Eltern geringfügig unterscheiden. Diese Variation ist durch Veränderungen des Genotyps, d. h. im Erbgut, bedingt. Darwin hat diese Variabilität bei den Nachkommen vielfach beobachtet, auch wenn er sie noch nicht letztendlich erklären konnte. Darwin ging wie allgemein im 19. Jahrhundert von der Pangenesistheorie aus, bei der man die Vererbung von Modifikationen annahm, da die Mendelschen Regeln noch nicht allgemein bekannt waren und Kenntnisse über Chromosomen und die DNA erst viel später gewonnen wurden. Nach heutiger Kenntnis verändert sich das Erbgut rein zufällig, etwa durch Mutation, also der Veränderung der Erbinformation selbst, durch Rekombination, also der individuellen Zusammenstellung der Geninformationen (z.B bei der sexuellen Vermehrung) und durch Gendrift.

Selektion

Folge der von Darwin beobachteten Überproduktion (selbst bei den sich sehr langsam vermehrenden Elefanten entstünde ein exponentielles Wachstum - bei Bakterien oder Pflanzen ist diese Überproduktion an Nachkommen gigantisch) ist - aufgrund der Begrenztheit eines jeden Lebensraumes - unausweichlich eine Konkurrenz zwischen den Lebewesen. In dieser Konkurrenz um Licht und Wasser (vor allem bei Pflanzen), die vorhandenen Nahrungsquellen (Nahrungsbiotope), Geschlechtspartner, Platz (Brutbiotope), gegen Fressfeinde oder Krankheitserreger steht jedes Lebewesen in einem stetigen Wettstreit:

Außerdem kommt es zu einer Auseinandersetzung mit der unbelebten Umwelt (z. B. Klima), d.h. die Individuen unterscheiden sich in ihrem Anpassungsgrad an klimatische Bedingungen wie Temperatur, Feuchtigkeit, Wind, Salzgehalt etc. .

Jede Population weist aufgrund der genannten Variation innerhalb gewisser Grenzen eine Vielfalt im Erbmaterial und damit auch im Erscheinungsbild der einzelnen Individuen auf - d.h. die "individual fitness" unterscheidet sich z.T. erheblich: Somit ist die Wahrscheinlichkeit der Individuen, in ihrer Umwelt erfolgreich zu überleben und die Zahl ihrer Nachkommen, nicht gleich verteilt. Manche Individuen besitzen aufgrund ihres Erbgutes eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich zu vermehren, oder eine höhere Nachkommenzahl und damit haben die Gene dieser Individuen eine erhöhte Überlebenswahrscheinlichkeit.

Dieses Ungleichgewicht bildet die Voraussetzung für den natürlichen Auslesevorgang. Dieser Auswahlschritt erfolgt zwangsläufig, d. h. ohne ein vorher geplantes Ziel, und ist dennoch in der Lage, besser angepasste Individuen hervorzubringen. Der überlebende Teil dieser Generation ist, statistisch gesehen, besser an die Umwelt angepasst gewesen, und kann sein Erbgut an die folgende Generation weitergeben. Durch diesen schrittweise stattfindenden Prozess werden Eigenschaften ausgewählt, die einer Population das erfolgreichere Überleben sichern. Individuen, die in diesem stetigen "Kampf ums Dasein" (survival of the fittest) mehr Nachkommen haben, setzen sich durch, und vermehren damit ihre Erbinformation. "Kampf" meint hier in den wenigsten Fällen eine individuelle - beschädigende - Auseinandersetzung, sondern eher die Fähigkeit, mit den Lebensbedingungen besser zurechtzukommen (z.B. Wassermangel) indem mehr Nachkommen produziert werden.

Im Verlauf von Generationen führt dieser Vorgang zu einer fortwährenden allmählichen Abänderung des Erbguts und infolge dessen des Erscheinungsbildes der Individuen einer Population. Dieser Vorgang wird dann als Makroevolution bezeichnet, und man erkennt nach genügend langer Zeit die Entstehung neuer Arten.

Die Selektion führt also zu einer Auswahl geeigneterer Individuen einer Population, die unter den bestimmten Lebensbedingungen eines Biotops mehr Nachkommen erzeugen können - dadurch wird der Genpool dieser Population in Richtung einer höheren Anpassung an das Biotop verändert.

Erweiterte Evolutionstheorie (Neo-Darwinismus)

Berücksichtigung der modernen Erkenntnisse der Genetik, der Populationen, Verhaltensbiologie und Ökologie. Siehe z. B. Hardy-Weinberg-Gleichgewicht

Man kennt fünf Arten der Selektion: stabilisierende Selektion, disruptive Selektion, gerichtete Selektion, sexuelle Selektion und künstliche Selektion.

Stabilisierende Selektion findet statt, wenn die Individuen einer Population über viele Generationen hinweg unter konstanten Umweltbedingungen leben. Individuen, die nahe am Mittelwert der Population liegen, zeigen eine höhere Fitness. Extreme bzw. vom Mittelwert abweichende Phänotypen werden "ausgemerzt". Somit führt stabilisierende Selektion zu einer geringeren phänotypischen Variabilität, bei der heterozygote Individuen gegenüber homozygoten Individuen einen Selektionsvorteil aufweisen.

Transformierende Selektion liegt vor, wenn sich die Individuen einer Population an neue Umweltfaktoren anpassen, und der Genpool somit in eine Richtung verändert wird.

Bei der disruptiven (aufspaltenden) Selektion werden die Formen, die am häufigsten vorkommen, z.B. aufgrund von Parasiten, Fressfreinden oder ansteckenden Krankheiten, zurückgedrängt. Individuen, die seltene Merkmale besitzen, haben dann einen Vorteil. Es kann daher eine Aufspaltung der Population stattfinden.

Verständnis

Der menschlichen Erfahrung sind reine Ursache-Wirkungsketten (Kausalität) leichter zugänglich als Zufallsprozesse oder, wie im Falle der Evolution, Prozesse in denen Zufall und Notwendigkeit zusammen wirken.

Da die Evolution auf intuitiv nicht leicht fassbaren Prozessen basiert, gibt es oft missverständliche Darstellungen oder Ansichten. Dies kann dann zu einer Ablehnung der Theorie führen.

Zitate

  • "Die natürliche Selektion stellt einen Prozeß dar, der ebenso einfach wie überzeugend ist, so daß es eigentlich ein Rätsel ist, warum es fast 80 Jahre dauerte, bis er von den Evolutionisten allgemein angenommen wurde.... Es ist für einige Biologen schwer zu verstehen, daß die natürliche Selektion streng genommen überhaupt kein Auswahlverfahren ist, sondern eher ein Eliminierungsverfahren. Es sind die am wenigsten gut angepaßten Individuen jeder Generation, die eliminiert werden, während diejenigen, die besser angepaßt sind, eine größere Überlebenschance haben." (Ernst Mayr)

Literatur

  • Futuyma, D. (1990): Evolutionsbiologie. Birkhäuser Verlag: Basel, Bostin, Berlin.
  • Charles Darwin: Die Entstehung der Arten
  • Richard Dawkins: Der Blinde Uhrmacher (evolutionstheoretische Erklärung der Existenz komplexer Lebewesen)
  • Linder Biologie (Verlag Metzler), 1998, ISBN: 3-507-10580-2

Siehe auch