Sexualethik

Teilbereich der Angewandten Ethik
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Die Sexualethik ist ein Teilbereich der Ethik, der sich mit dem Geschlechsverhalten des Menschen und dessen Beurteilung beschäftigt. Dabei erfolgt die Beurteilung anhand von sozialen Normen und Wertvorstellungen, die ebenso vom Volk und von der Kultur wie auch von der Gesellschaft und ihrer Epoche abhängig sind. Als Folge des vermehrten kulturellen Austauschs in der Neuzeit gibt es eine neue Vielfalt von Wertvorstellungen gegenüber der menschlichen Sexualität.

Wichtige Themen der Sexualethik sind Abtreibung, Leihmutter, Adoption und Konkubinat, sowie Auto- und Homosexualität.

Religiöse Sexualethik

Übersicht

Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über sexualethisch interessante Themen und wie sie von den verschiedenen Religionen und Sekten gehandhabt werden. Die Angaben sind als Durchschnittswerte zu verstehen. Die Anhänger der selben Glaubensrichtung können in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Ansichten vertreten.

V = verboten / U = unmoralisch / N = neutral / A = akzeptiert / B = befürwortet
Katholiken Buddhisten Juden Mormonen Muslime
Sex mit Jugendlichen V U U V U
Vorehelicher Verkehr V A A V V
Ehebruch V U V V V
Scheidung V A A U N
Masturbation U B N U A
Abtreibung V N A U N
Verhütungsmittel V B A B B
Homosexuelle Orientierung N A A U V
Homosexueller Verkehr V A V V V
Gleichgeschlechtliche Ehe V B U V V

Christlich-jüdisches Moralerbe

Die Ethik der westlichen Gesellschaft ist nachhaltig durch den jüdischen und christlichen Glauben geprägt. Man spricht in diesem Zusammenhang oft vom jüdisch-christlichen Moralerbe.

Die jüdische und christliche Religion ist ihrerseits durch viele alte Glaubensrichtungen beeinflusst worden. Außerdem wurden die Moralvorstellungen zu verschiedenen geschichtlichen Zeitpunkten unterschiedlich interpretiert. Im Zentrum der christlichen und jüdischen Sexualethik steht meist die Annahme, dass der einzige Zweck des Sexualaktes die Fortpflanzung ist.

Im altertümlichen Israel wurde zwar zur Fortpflanzung aufgerufen, jedoch war jeglicher sexuelle Kontakt außerhalb der Ehe ein Tabu. Auch der Geschlechtsakt während der Menstruation wurde als sündiges Verhalten erachtet. Die schlimmste aller Sünden waren Homosexualität und Verkehr mit Tieren. Diese Praktiken galten als Gräueltaten und Götzendienst. Die Praktizierenden wurden als Ketzer verurteilt und hingerichtet.

Das Christentum lehnte bei seiner Entstehung viele der jüdischen Auffassungen und Traditionen ab, orientierte sich aber im Bereich der Sexualität stark am Mosaischen Gesetz. Gewisse Bereiche und Anschauungen wurden sogar verschärft. So galt eine Zeit lang die Keuschheit als anstrebenswertes Ziel. Geschlechtsverkehr zur Zeugung von Nachkommen wurde akzeptiert, wurde aber moralisch nicht so hoch eingestuft wie Enthaltsamkeit.

Zur Zeit der protestantischen Reformation entwickelte sich die christliche Sexualethik kaum weiter. Die Gesetze des Alten Testaments gegen sexuelle Ketzerei gewannen wieder an Bedeutung und dienten schließlich sogar als Grundlage für die moderne Sexualgesetzgebung in England und Nordamerika.

Während auch in der Neuzeit noch viele Kirchenanhänger an alten Werten festhalten, gibt es auch viele Gläubige, die in den alten Dogmen unmoralische Auswirkungen sehen und sie durch eine neue, menschlichere Moral ersetzen wollen. Individualismus und Selbstbestimmung stehen dabei im Zentrum.

Sexualethik in der Bibel

Die Sexualethik des Alten Testaments ist außerordentlich hart.

3. Buch Mose, Kapitel 20,10ff: "Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand mit der Frau seines Vaters Umgang pflegt und damit seinen Vater schändet, so sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand mit seiner Schwiegertochter Umgang pflegt, so sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, uns sollen beide des Todes sterben [..]. Wenn jemand bei einem Tier liegt, der soll des Todes sterben, und auch das Tier soll man töten [..]. Wenn ein Mann bei einer Frau liegt zur Zeit ihrer Tage und mit ihr Umgang hat [..], so sollen beide aus ihrem Volk ausgerottet werden."

Doch im Neuen Testament stellte sich Jesus laut dem Johannes-Evangelium schützend vor eine Ehebrecherin und sagte: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" (Joh. 8.7). Anschließend sagt er: „Auch ich verurteile dich nicht", fügt aber an: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ (beides Joh 8,11).Im Matthäus-Evangelium heißt es ausdrücklich, dass man sich nicht von seinem Partner scheiden lassen darf (Matth. 19,9).

In den Paulus-Briefen findet sich sehr viel zum Thema Sexualethik. Die Aussagen von Paulus waren in Anlehnung an das Alte Testament wieder sehr restriktiv, waren aber bei weitem nicht so brutal. "wer Unzucht tut, der sündigt an seinem eigenen Leibe." / "Es ist dem Manne gut, dass er kein Weib berühre". Außerdem wird auch von Paulus die Homosexualität ausdrücklich als Sünde bezeichnet.

Die katholische Kirche stützt sich in ihrer Ethik vor allem auf die Briefe von Paulus, während die evangelisch-reformierte Kirche die Gewichtung viel stärker auf die vier Evangelien legt und somit weit weniger restriktiv ist.

Muslimische Sexualethik

Die Handhabung von Themen im Bereich der Sexualethik variiert im Islam sehr stark nach Geographie und Gesellschaftsschicht. Im Allgemeinen gilt die Ehe als Manifestation des Göttlichen Willens. Die Islamische Tradition bezeichnet sie als essenziell und erachtet Ehelosigkeit als eine üble Gegebenheit, die voll bösem ist. Trotz dieser bedingungslosen Befürwortung wurde die Sexualität von vielen muslimischen Moralisten immer wieder als etwas schlechtes bezeichnet.

Buddhistische Sexualethik

Im Gegensatz zu den meisten anderen Glaubensrichtungen, spielt die Sexualethik im Buddhismus keine so wichtige Rolle in der Vermittlung von Werten. Trotzdem gibt es auch hier klare moralische Vorstellungen. Sie ergeben sich aus den fünf Grundsätzen:

  1. Vermeide es, anderen Lebensformen zu schaden - sei liebevoll und freundlich
  2. Vermeide es, das nicht gegebene zu nehmen - praktiziere Großzügigkeit
  3. Vermeide es, sexuellen Ehebruch zu begehen - sei zufrieden
  4. Vermeide es, zu lügen - sei ehrlich
  5. Vermeide es, Dich zu berauschen - sei aufmerksam

Weit verbreitet ist die Ansicht, dass auch im Buddhismus die Homosexualität den ethischen Werten widerspricht. Zu diesem Thema traf sich am 11. Juni 1997 eine Gruppe von schwulen Buddhisten mit dem Dalai Lama. Der Dalai Lama hatte in seinem Buch "Jenseits des Dogmas" buddhistische Regeln zitiert, anhand derer homosexuelle Sexualpraktiken als unkorrektes Verhalten eingestuft werden. Obwohl Buddha lehrte, die sexuellen Begierden zu löschen, sehen viele homosexuelle Buddhisten ihre sexuelle Identifikation als zentrales Element für ihren spirituellen Weg. Die Grundlage dafür liegt im buddhistischen Mahayana-Weg, bei dem man sich für die Beendigung des Leids anderer verpflichtet. Dazu gehört auch das Beenden von Unterdrückung und Ungleichheit, was wiederum das Kernanliegen der Schwulen-Befreiung ist.

Für buddhistische Mönche und Nonnen wird durch die Vinaya jegliche Form von Oral- und Analverkehr untersagt.

Entwicklung der Sexualethik in Europa

Mittelalter

Im westeuropäischen Raum hat die Sexualethik der katholischen, später auch anderer christlicher Kirchen weite Bereiche des Zusammenlebens seit dem Beginn des Mittelalters über Jahrhunderte dominiert. Freude an der Sexualität galt als Sünde; lediglich Heterosexualität, ausgelebt zum Zwecke der Zeugung und Fortpflanzung und eingebunden in die Institution der christlichen Ehe, wurde moralisch befürwortet und gefördert. Die Menge an entsprechenden Predigten, Aufrufen, Schriften und so weiter legen allerdings nahe, dass die Praxis anders aussah.

Spätmittelalter

Bis ins 17. Jahrhundert herrschte in Mitteleuropa eine bejahende Einstellung zur Sexualität vor, erste große Einschnitte gab es durch die Pestepedemien und die Syphilis. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts veränderte sich die Wahrnehmung der Sexualität zum einen durch die sich immer stärker durchsetzende bürgerliche und protestantische Sexualmoral, und zum anderen die sich verändernde Einschätzung von verschiedenen Verhaltensweisen, auch sexueller Art, als krank im Gegensatz zu sündig. So setzte sich zum Beispiel in der Medizin die Ansicht durch, Selbstbefriedigung sei schädlich. Dieses Argument griffen die Kirchen wiederum auf, um diese Form der Sexualität (und andere) zu bekämpfen. Auch kindliche Sexualität wurde nicht mehr geduldet.

Neuzeit

Die fortschreitende Säkularisierung der westlichen Welt verdrängt die Kirche als Moralinstanz. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich auch in der Medizin zunehmend die Sichtweise durch, dass nicht jedes andere Ausleben von Sexualität, also alles, was nicht direkt zur Fortpflanzung beitrug, zwangsläufig schädlich sein müsse. Sexuelle Identitäten und Verhaltensweisen, die einst abgelehnt wurden, finden seither zunehmend Akzeptanz:

Derartige Veränderungen in der gesellschaftlichen Moral bis hin zur sexuellen Revolution lassen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Tabuisierung des Sexuellen oft noch bis heute wirksam geblieben ist. Ein Indiz hierfür ist der öffentlich "zelebrierte" sexuelle Tabubruch in westlichen Massenmedien, wie z.B. im Fernsehen. Ein weiteres typisches Phänomen des Umbruchs im Wertesystem ist die Doppelmoral, also das Auseinanderklaffen der allgemein eingeforderten Normen und Werte mit dem, was im nichtöffentlichen Raum toleriert wird.

Moderne Sexualethik

Die wissenschaftlichen Errungenschaften im Bereich der Verhütung (Kondom, Diaphragma, Spirale, Anti-Baby-Pille) ermutigte Menschen, bewusst Schwangerschaften zu verhindern. Aufgrund der Bevölkerungsexplosion und der drohenden Überbevölkerung wurde die gezielte Verhütung vielerorts gutgeheißen und gefördert.

John Stuart Mill formulierte 1859 einen Satz, der die modernen Sexualethik wesentlich mitgestaltet: "Der einzige Grund, aus dem Gewalt gegen eine Mitglied der Gesellschaft gegen dessen Willen und Recht ausgeübt werden kann, ist der Schutz anderer vor Schaden. Sein eigenes - körperliches oder moralisches - Wohlergehen ist keine hinreichende Rechtfertigung. Jeder Mensch ist treuer Hüter seiner eigenen - körperlichen, geistigen oder seelischen - Gesundheit." Dies stand in starkem Widerspruch zur damals geltenden, westlichen Moral, in der auch die Entscheidungen über das eigene Wohlergehen in die Hände religiöser und politischer Obrigkeiten gegeben worden waren.

Generell gibt es drei moralische 'Mindestregeln' für die Sexualität, die in weiten Bereichen westlicher Gesellschaften toleriert beziehungsweise akzeptiert sind:

  • Die sexuellen Handlungen werden von den Sexualpartnern einvernehmlich vorgenommen, das heißt jeder Partner stimmt diesen Handlungen in vollem Bewusstsein über die Konsequenzen und in freier Entscheidung (das heißt ohne Zwang) zu Konsensualität.
  • Durch die sexuelle Betätigung sollten keine bleibenden körperlichen oder seelischen Schäden hervorgerufen werden.
  • Durch die sexuelle Betätigung sollten nur dann Kinder gezeugt werden, wenn man für sie die Verantwortung bis zur Selbständigkeit zu übernehmen im Stande ist.

Sexualethik im Kulturvergleich

In einem Teil der Kulturen und Gesellschaften offeriert die allgemein anerkannte Sexualmoral einen offeneren Umgang mit Sexualität, in anderen ist sie dagegen noch deutlich strenger als im europäischen Raum.

So gibt es normative Unterschiede, beispielsweise zu folgenden Teilaspekten:

Universelle Normen, die für alle Gesellschaften und Kulturen gelten, gibt es nicht. Doch sind Normen bekannt, die kultur- und gesellschaftsübergreifend weitgehend übereinstimmend Geltung finden:

  • Geschlechtsverkehr geschieht im Privaten.
  • Vergewaltigung ist geächtet.
  • Inzest zwischen Eltern und Kindern sowie unter Geschwistern ist tabuisiert.

Diese Normen werden manchmal unter speziellen Riten (Religion) oder gegenüber Menschen, die nicht als Teil der Gesellschaft angesehen werden (Geächtete, Kriegsgegner), aufgehoben.

Weitgehende Übereinstimmung gibt es auch bei der Ablehnung von Pädophilie, Inzest, sowie Sadomasochismus, insbesondere nicht einverständlichem. Allerdings hat sich im Sadomasochismus eine Moral (SSC) weitgehend durchgesetzt, die Einverständnis fordert. Die Sexualformen sind oft gesellschaftlich geächtet, mit einem Tabu belegt und werden nicht als Teil einer akzeptierten Sexualität, sondern als Devianz betrachtet.

Strafrechtlich verfolgt werden in vielen Gesellschaften sexuelle Handlungen gegen den Willen eines Beteiligten, also Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Gleiches gilt für sexuelle Handlungen mit Partnern, wie Kindern (sexueller Missbrauch von Kindern) und Tieren (siehe Zoophilie, Sodomie), von denen man annimmt, dass sie nicht wissentlich einwilligen können. In Deutschland wurde das Verbot sexueller Handlungen mit Tieren 1969 durch die Große Strafrechtsreform aufgehoben.

Es gibt aber auch Gesellschaften, in denen derartige Verhaltensweisen, etwa die Vergewaltigung von Frauen aus niederen Schichten durch Männer aus höheren Schichten geduldet wird oder straflos erfolgen kann (vergleiche: "Das Recht der Ersten Nacht"). Auch die Akzeptanz von pädosexuellen Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen ist belegbar.

Siehe auch: Freie Liebe, Obszönität, Zensur, Heteronormativität

Literatur