Magischer Realismus

Kunstbewegung in den 1920er Jahren
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Der magische Realismus (spanisch: realismo mágico) ist eine künstlerische Strömung, die seit den 1920er Jahren vor allem im Gebiet der Malerei und der Literatur in einigen Ländern Europas, sowie Nord- und Südamerikas vertreten ist. Aufgegriffen und weitergeführt wurde der magische Realismus später auch in den Bereichen Filmkunst und Fotografie.

Magischer Realismus in der Malerei

Der magische Realismus stellt die Verschmelzung von realer Wirklichkeit (greifbar, sichtbar, rational) und magischer Realität (Halluzinationen, Träume) dar. Er ist eine „dritte Realität“, eine Synthese aus den uns geläufigen Wirklichkeiten.

Der Begriff wurde im Jahre 1927 erstmals in einem Artikel des Kunstkritikers Franz Roh in der Zeitschrift Revista de Occidente verwendet. Roh bezeichnete damit den Malstil der Bilder einer Kunstausstellung in Mannheim 1924. Der Begriff beschrieb ursprünglich nur postexpressionistische Gemälde, aber er fand bald Einzug in die Intellektuellenkreise von Buenos Aires und wurde nach heftigen Diskussionen (1960er bis 1990er Jahre) dann auch auf Teile der lateinamerikanischen Literatur angewandt.

Vertreter der Malerei

Deutschland:

Niederlande (zu besichtigen u.a. in den Museen von Arnheim und Opmeer):

Österreich:

Belgien:

USA:

Italien:

Schweiz:

Magischer Realismus in der Literatur

Der magische Realismus als literarische Form taucht Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Italien und im Flämischen auf und hat mit dem Umweg über Paris und Spanien schnell einen großen Einfluss auf die Literatur in Lateinamerika. Angewendet auf die lateinamerikanische Literatur wurde der Begriff erstmals 1948 von dem Venezolaner Arturo Uslar Pietri. Als eigentlicher Vater des magisch-realistischen Stils in Lateinamerika wird Miguel Ángel Asturias mit seinem Roman Hombres de maíz (Die Maismenschen) aus dem Jahre 1949 angesehen. In diesem Werk werden indigene Mythen (hier der Maya) mit der Wirklichkeit, Kultur und Geschichte Lateinamerikas aus der Sicht der indigenen Bevölkerung erzählt. Diese magische Wirklichkeitsauffassung führt dazu, dass die Legende die Begründung des Geschehenen als Reaktion auf die Unterdrückung der Indigenen durch die Weißen darstellt.

Mit dem Vorwort zu seinem Roman El reino de este mundo verfasste Alejo Carpentier sozusagen ein Manifest des magischen Realismus. Er grenzt dabei Lateinamerika stark von Europa ab. Nach ihm ist „dem Europäer“ die Fähigkeit des Erlebens des wunderbar Wirklichen durch die Aufklärung verloren gegangen, während Mythen- und Geisterglaube in Lateinamerika noch immer natürlich im Alltag integriert sind. Laut Carpentier ist der magische Realismus natürlich, nicht erzwungen; er ist die Einbettung des Wunderbaren in den Alltag.

Der magische Realismus vermischt die Grenzen zwischen Realität und Phantasie. Volkskultur, Mythologie, Religion, Geschichte und Geographie verschmelzen in den Texten und sind immer erkennbar. Er kombiniert zwei Konzepte, die in den Industrienationen als gegensätzlich gelten: Realität und Mythologie/Phantasie/Magie – doch der Gedanke ist, dass diese beiden im Sinne eines Balanceakts sehr wohl nebeneinander existieren können und nicht zwangsweise im Konflikt stehen. Gegenstück des magischen Realismus ist der realismo social oder soziale Realismus.

Abgrenzung zu anderen Stilen

In Abgrenzung zur fantastischen Literatur will der magisch-realistische Autor vorrangig nicht, dass der Leser Angst, Zweifel oder andere Emotionen nur oberflächlich fühlt. Angestrebt wird ein spannungsvoller Ausgleich zwischen unbewusst Erlebtem, d.h. Empfundenem und mit betont distanzierten Mitteln dargestelltem Realem. Dabei wird im Kunstwerk eine Welt erschaffen, in der der Betrachter oder Leser keine strikte Trennung mehr zwischen Intellekt und Empfindung erleben soll. Die „magische“ Note kann je nach Intention des Künstlers sehr stark variieren. Je stärker sie ist, desto eher kann es zur Verwechslung mit der fantastischen Literatur kommen.

Einige Autoren sehen enge Übereinstimmungen zwischen magischem Realismus und Fantasy. In einem Interview definierte Gene Wolfe den magischen Realismus folgendermaßen: "Magic realism is fantasy written by people who speak Spanish."[1] Laut Terry Pratchett ist es "a polite way of saying you write fantasy" und "more acceptable to certain people", sich als Autor dem magischen Realismus anstelle der Fantasy zuzuordnen.[2] Heutige Fantasy-Autoren, die bewusst die Nähe zum magisch-realistischen Stil suchen, sind z.B. Liliana Bodoc in Lateinamerika und Kai Meyer in Deutschland.

Alejo Carpentier sieht einen Gegensatz des magischen Realismus zu europäischen Stilen wie dem Surrealismus, der nach Carpentier das Wunderbare künstlich erzeugen muss. Dagegen sei der magische Realismus in Lateinamerika Alltag und zeige sich in spezieller Weise in der Integration des Wunders im täglichen Leben (z.B. Göttermythen).

Vertreter der Literatur

Im deutschsprachigen Raum:

Im sonstigen Europa:

In den USA:

In Lateinamerika:

In China:

In Japan:

Siehe auch

Literatur

  • Franz Roh: Nach-Expressionismus. Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei. Klinkhardt & Biermann, Leipzig 1925.
  • Franz Roh: Realismo Mágico. Post Espressionismo. Problemas de la pintura europea más reciente. Übersetzt aus dem Deutschen von Fernando Vela. In: Revista de Occidente, Madrid 1927 (Repr. Alianza, Madrid 1997).
  • Franz Roh: Geschichte der deutschen Kunst von 1900 bis zur Gegenwart. F. Bruckmann, München 1958.
  • Franz Roh: Junge spanische Malerei. In: Das Kunstwerk. Kohlhammer, Baden-Baden/Stuttgart 1960, ISSN 0023-561X.
  • Andreas Fluck: Magischer Realismus. Lang, Frankfurt am Main/Berlin 1994, ISBN 3-631-47100-9.
  • Michael Scheffel: Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Bestimmung. Stauffenburg, Tübingen 1990, ISBN 3-923721-46-3.

Einzelnachweise

  1. Gene Wolfe, Brendan Barber: Gene Wolfe Interview. In: Peter Wright (Hrsg.): Shadows of the New Sun. Wolfe on Writing, Writers on Wolfe. Liverpool University Press, Liverpool 2007, S. 132 (online).
  2. Linda Richards: January Interview: Terry Pratchett. In: January Magazine, 2002. Abgerufen am 24. Juni 2010.