Das Streichquartett Nr. 13 B-Dur op. 130 ist ein Streichquartett von Ludwig van Beethoven.

Das im Auftrag des russischen Fürsten Nikolaj Borisowitsch Galitzin, einem begeisterten Cellisten, in Auftrag gegebene und ihm auch gewidmete Quartett enthielt in seiner ursprünglichen Fassung als Finalsatz die „Große Fuge B-Dur“, die später als unter der Opus-Nummer 133 als eigenständiges Werk herausgegeben wurde.
Entstehung
Das Streichquartett entstand im Auftrag des russischen Fürsten Nikolaj Borisowitsch Galitzin aus Sankt Petersburg, der drei Quartette bei Beethoven bestellte. Der Auftrag erreichte Beethoven in einer Zeit, in der er ohnehin den Wunsch hegte, wieder für die Gattung des Streichquartetts zu komponieren. So entstand das Quartett op. 130 im Januar 1826 als letztes der drei vom Fürsten in Auftrag gegebenen Quartette; die beiden zuerst entstandenen Quartette waren das Streichquartett Nr. 12 Es Dur op. 127 (Januar 1825) sowie das Streichquartett Nr. 15 in a-Moll op. 132 (Juli 1825).
Beethoven hatte er soviel Eifer für die Komposition von Streichquartetten entwickelt, dass er nach Vollendung der drei Galitzin-Quartette noch zwei weitere komponierte, nämlich das Streichquartett Nr. 14 (cis-Moll) op. 131 (Juli 1826) und das Nr. 16 (F-Dur) op. 135 (Oktober 1826), wobei letzteres zugleich Beethovens letzte abgeschlossene Komposition wurde, da er wenige Monate nach der Vollendung starb.
Laut einer eigenen Notiz plante Beethoven sein „letztes quartett“ (gemeint war das letzte für den Fürsten Galitzin bestimmte Quartett) »mit einer ernsthaftigen und schwergängigen Einleitung«[1] zu versehen. Dies belegt, dass Beethoven mit der Komposition des ersten Satzes sowie des Finales begann, um für das Quartett einen Rahmen zu schaffen.
Satzbezeichnungen
- Adagio ma non troppo - Allegro
- Presto
- Andante con moto, ma non troppo
- Alla danza tedesca. Allegro assai
- Cavatina. Adagio molto espressivo - attacca
- Finale. Allegro
Zur Musik
Erster Satz
Der erste Satz beinhaltet drei Themen: Eine Figur in Sechzehntelfigurationen, einen kontrapunktierenden Ruf von Art einer Fanfare, während das dritte Thema von elegisch-lyrischer Art ist.
Der Sonatensatzcharakter des Satzes ist nur angedeutet, da sein Allegro mehrfach von dem den Satz einleitenden Adagio unterbrochen wird. Der Satz enthält insgesamt 15 Wechsel vom 3/4-Takt des Adagios zum 4/4-Takt des Allegros. Anders als das Andante dieses Satzes, ist das Allegro von indifferentem Charakter, da seine Motivsubstanz unscheinbar und konventionell erscheint und erst durch die intellektuelle Satzgestaltung aufgewertet wird.[2] Letzteres lässt sich mit dem Kopfsatz von Beethovens Streichquartett Nr. 9 C-Dur op. 59,3 vergleichen.
Zweiter Satz
Der zweite Satz, ein Presto, hat die Funktion eines Scherzo. Der mit zweimal acht Takten extrem kurze Scherzoteil enthält ein einfaches, viertöniges Motiv von der Art eines Gassenhauers. Dieses Thema wird einem aus Sforzati bestehenden Thema gegenübergestellt.
Dritter Satz
Trotz der Tempobezeichung „Andante“ hat der dritte Satz nicht die selbe ernste, feierliche Tiefe wie die Andante-Sätze der ersten beiden Galitzin-Quartette, wie Beethoven mit der Tempobezeichnung „scherzoso“ betont.
Der aus drei Teilen bestehende Satz kombiniert Variationen- und Sonatensatz. Wie Beethoven gegenüber seinem Freund Karl Holz, der auch im Beethoven nahe stehenden Schuppanzigh-Quartett als zweiter Violinist spielte, äußerte, ist dieser Satz im »durchbrochenen Stil« geschrieben. Karl Holz meint, es sei »die Vertheilung der Rollen gemeint«[3], als Beethoven ihm sagte: »Sie werden eine neue Art der Stimmführung bemerken.«[3]
Im ersten Teil des Satzes geht ein melancholisches Motiv der direkt danach einsetzenden Scherzando-Stimmung voraus. Der zweite Teil des Satzes steht in Des-Dur und ist eine variierte Reprise des ersten Teils. Der dritte Teil ist eine Coda mit Elementen einer Durchführung und wechselt zwischen Heiterkeit und Melancholie. Das Einleitungsmotiv des Satzes erklingt erneut und wird von Tritonus-Intervallen und kleinen melancholischen Sekunden gefolgt, bevor der Satz heiter endet.
Vierter Satz
Der vierte Satz war ursprünglich für das Streichquartett Nr. 15 in a-Moll op. 132 gedacht. Er ist im Stil des »Teutschen«, einer Vorform des Walzers, geschrieben. Die volkstümliche schlichte Stimmung des Satzes wird zum Beispiel durch eine unruhige Dynamik sowie Crescendi mit einem Subitopiano-Ende gestört. Dies äußert sich auch in der einem Zerfallsprozess unterliegenden Coda, bis erst am Ende des Satzes die Idylle mühsam zurückkehrt
Fünfter Satz
Der fünfte Satz ist eine lyrische, ausdrucksstarke und vokal angelegte Cavatine. Karl Holz berichtete, dass dieser Satz für Beethoven die »Krone aller Quartettsätze und sein Lieblingsstück« war: »Er hat sie wirklicher unter Thränen der Wehmuth komponirt, und gestand mir, daß noch nie seine eigene Musik einen solchen Eindruck auf ihn hervorgebracht habe, und daß selbst das Zurückempfinden dieses Stückes, ihm immer neue Thränen koste«.[3]
Wie auch in den vorangegangenen Quartetten üblich, setzte Beethoven auch hier, wie in seinem Spätwerk üblich, vokale Techniken ein, um einen direkten und schlichten Ausdruck zu erreichen. Dies zeigt sich darin, dass die 1. Violine den ganzen Satz über innerhalb des Tonumfanges der menschlichen Stimme bleibt.
Der Satz ist in drei Teile geteilt: Der Hauptteil wird von einem, wie Beethoven es nannte, »beklemmten« Mittelteil gefolgt, bevor in der Wiederholung des Hauptteils das Cantabile des Satzanfanges wieder zurückkehrt.
Der Hauptteil besteht aus zwei Abschnitten, die beide wiederholt werden. Dabei ist die Wiederholung des ersten Hauptteilabschnittes, des A-Teils, sehr viel freier als die Wiederholung des zweiten Hauptteilabschnittes, des B-Teils. Der Mittelteil des Satzes ist rezitativisch und steht im pianissimo. Pausen und übergebundene Noten in der ersten Violine führen dazu, dass nur viermal eine Note und eine Begleittriole zusammenfallen. Es folgt die Wiederholung des Hauptteils, die Hauptteil-Reprise. In dieser Reprise wird der A-Teil fast unverändert wiederholt. Ihm folgt ein Coda, die noch freier ausgearbeitet ist als die Wiederholung des B-Teil im ersten Hauptteil des Satzes.
Sechster Satz
Das ursprüngliche, den sechsten Satz des Quartetts bildende, Finale veröffentlichte Beethoven ein halbes Jahr nach Komposition des Quartetts als »Große Fuge op. 133 B-Dur« (für weitergehende Informationen zur »Großen Fuge« siehe dort). Ersetzt wurde die »Große Fuge« durch ein Rondo-Finale in volkstümlichem Gassenhauer-Charakter.
Das im Gassenhauer-Stil gehaltene Hauptthema der Exposition wird von einfachen Murkybässen begleitet. Im Verlauf der Exposition sind viele kleine Scherzando-Elemente isoliert aneinander gereiht. In der Durchführung bricht mitten in die Verarbeitung des Hauptthemas ein kantables As-Dur-Thema herein. Die Reprise unterscheidet sich von der Exposition in einigen Details, z. B. den vertauschten Stimmen. In der Coda wird das Thema intensiver verarbeitet als in der Durchführung, so dass die Coda den Schwerpunkt des Satzes bildet.
Wirkung
Das Streichquartett wurde durch das Schuppanzigh-Quartett am 21. März 1826 in Wien uraufgeführt. Erfolg hatten nur der 2. und der 4. Satz des Quartetts, die sogleich wiederholt werden mussten. Karl Holz berichtet von der verärgerten Reaktion des bei der Uraufführung nicht anwesende Beethovenn: »Beethoven erwartete mich nach der Aufführung im nächstgelegenen gasthaus. Ich erzählte ihm, daß die beiden [Mittel-]Stücke wiederholt werden müssen. ›Ja!‹, sagte er hierauf ärgerlich, diese Leckerbissen! Warum nicht die Fuge?‹ «.[4]
Diese Fuge, die ursprünglich das Finale des Quartetts bildete, stieß jedoch sofort auf einstimmige Ablehnung. Dementsprechend schrieb die „Allgemeine Musikalische Zeitung“:
„Der erste, dritte und fünfte Satz sind ernst, düster, mystisch, wohl auch mitunter bizarr schroff und capriciös; der zweyte und vierte voll von Muthwillen, Frohsinn und Schalkhaftigkeit [...] Mit stürmischem Beifall wurde die Wiederholung beyder Sätze verlangt. Aber den Sinn des fugirten Finale wagt Ref. nicht zu deuten: Für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch“
Verleger Mathias Artaria - der in keiner Beziehung zur Firma Artaria & Comp. stand - hatte es sich zum Ziel gesetzt, eine besonders beeindruckende Ausgabe des Quartetts mit elegeant gestochenem Notentext und im Großformat herzustellen; auch zur Erstellung des Titelblattes wurde der Kupferstecher sorgfältig ausgesucht. Karl Holz initiierte und pflegte den Kontakt zwischen Beethoven und dem Verleger und kümmerte sich um die Fehlerkorrektur, in dem er korrekturlas und das Quartett gemeinsam mit seinen Kollegen aus dem Schuppanzigh-Quartett mehrmals durchspielte.
So veröffentlichte Beethoven ein halbes Jahr später das ursprüngliche Finale als »Große Fuge B-Dur« und komponierte ein neues Finale für op. 130. Beethovens Sekretär und späterer Biograph Anton Schindler, der die Fuge hasste, hielt das neue Finale, das seiner Meinung nach »in Bezug auf Stylistisches und Klarheit vielen andern der in früherer Periode geschriebenen Quartett-Sätze« ähnele, für viel eingänglicher.[6]
Seitdem wurde über die Jahre vehement diskutiert, ob Beethovens Entscheidung, das ursprüngliche Finale separat zu veröffentlichen und durch eine neue Finalkomposition zu ersetzen, als definitiv anzusehen ist.
Die Gegenseite dieses Disputs, zu der u. a. Arnold Schönberg und seine Kollegen im Kolisch-Quartett gehörten, vertritt die Ansicht, Beethovens Entscheidung sei nicht künstlerischer, sondern vermarktungstechnischer Natur gewesen; er wäre von Verleger und Freunden dazu gedrängt worden. In diesem Sinne schrieb der Beethoven-Experte Erwin Ratz:
„Daß Beethoven sich bewegen ließ, ein neues Finale zu komponieren, war ein Akt der Resignation [...]. Bei aller Genialität, die auch dem neuen Finale nicht abzusprechen ist, müssen wir doch mit äußerster Entschiedenheit feststellen, daß dieser Satz keinerlei innere Beziehung zum übrigen Quartett besitzt. In jedem empfindsamen Musiker wird das Einsetzen des leichten Rondofinales nach dem Verklingen der überirdischen Cavatine immer einen unerträglichen Schock auslösen“
Dem Musikwissenschaftler Gerd Indorf zufolge wurde Beethoven zu seiner Entscheidung nicht gezwungen. [7]
Beethoven war in der Vergangenheit bereits ähnlich verfahren. So stammt der Finalsatz der „Kreutzer-Sonate“ ursprünglich aus der Violinsonate op. 30,1, die nun von einem Variationssatz beendet wird.[8] Eine Anekdote weiß zu berichten, dass Beethoven angeblich sogar erwog, das Chorfinale der „Neunten Sinfonie“ durch einen Instrumentalsatz zu ersetzen.[9]
Literatur
Belege
- Matthias Moosdorf: Ludwig van Beethoven. Die Streichquartette Bärenreiter; 1. Aufl. 26. Juni 2007, ISBN 978-3-7618-2108-4.
- Harenberg Kulturführer Kammermusik, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008, ISBN 978-3-411-07093-0
Weiterführende Literatur
- Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette: Kulturgeschichtliche Aspekte und Werkinterpretation Rombach; 2. Auflage 31. Mai 2007, ISBN 978-3793094913.
Weblinks
- Streichquartett Nr. 13 op. 130: Noten und Audiodateien im International Music Score Library Project
Einzelnachweise
- ↑ Klaus Kropfinger: Das gespaltene Werk. Beethovens Streichquartett Op. 130/133, in: Beiträge zu Bethovens Kammermusik, hrsg. von Sieghard Brandenburg und Helmut Loos, München 1987 (S. 296 - 335), S. 305
- ↑ Matthias Moosdorf: Ludwig van Beethoven. Die Streichquartette. Bärenreiter; 1., Aufl. 26. Juni 2007, S. 102
- ↑ a b c Wilhelm von Lenz: Beethoven. Eine Kunststudie, 5 Bände, Kassel 1855 (Bd. 1-2), Hamburg (Bd. 3-5), Band 5, S. 217
- ↑ Wilhelm von Lenz: Beethoven. Eine Kunststudie, 5 Bände, Kassel 1855 (Bd. 1-2), Hamburg (Bd. 3-5), Band 5, S. 218f.
- ↑ „Allgemeine Musikalische Zeitung“, 28 [1826], S. 310; zitiert nach Konzertberichte, S. 559f.
- ↑ Anton Schindler: Biographie von Ludwig van Beethoven, 2 Bände, Münster, 1871, Reprint Hildesheim etc. 1994, Band 2, Seite 115
- ↑ Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette: Kulturgeschichtliche Aspekte und Werkinterpretation Rombach; 2. Auflage 31. Mai 2007, S. 425ff.
- ↑ Lewis Lockwood: Beethoven: Seine Musik - Sein Leben. Metzler, 2009, S. 361
- ↑ Alexander Wheelock Thayer: Thayer's Life of Beethoven, revidiert und hrsg. von Elliot Forbes, Princeton, N. J. 1964, S. 895