Kompensation (Uhr)

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Als Kompensation bezeichnet man in der Uhrmacherei eine spezielle Konstruktion oder Materialauswahl, die störende physikalische Einflüsse auf den Gang einer Uhr ausgleichen soll. Ziel einer Kompensation ist die möglichst isochrone Schwingung des Taktgebers.

Störende Einflüsse auf den Uhrgang, die einer Kompensation bedürfen, entstehen erst bei häufiger Änderung der äußeren Umstände, z. B. bei täglichen Temperaturschwankungen. Statische Umweltbedingungen, z. B. der Aufstellort einer Uhr, können bereits durch Feinregulierung ausgeglichen werden.

Die Betrachtungen hier beziehen sich auf Räderuhren, die heute jedoch weitgehend von Quarzuhren, ggf. mit Funksteuerung, abgelöst sind. Allerdings werden noch immer (tragbare) Räderuhren im Hochpreissektor gefertigt (z. B. Lange, Nomos, Glashütte Original, Girard-Perregaux, Breguet, Rolex).

Behandelt werden Mechanismen zur Reduzierung von Einflüssen auf die Schwingungskonstanz der Taktgeber von Räderuhren. Diese Taktgeber sind entweder Pendel oder Unruh (Drehschwinger). Dieser Artikel bezieht sich auf Uhren, wie sie als Gebrauchsuhren (wenn auch in früheren Zeiten zuweilen als Prunkuhren) Verwendung fanden und teilweise noch heute in Gebrauch sind. Unberücksichtigt bleiben frühe Uhren mit der „Waag“ als Schwinger und Sonderkonstruktionen für Chronometer und wissenschaftliche Präzisionsuhren.

Definitionen

Als „Stand“ bezeichnet man die Anzeige einer Uhr, die von der wahren Zeit abweichen kann. Der Stand wird durch Stellen der Zeiger korrigiert, er ist kein Qualitätskriterium.

Der „Gang“ ist die Änderung des Standes in Abhängigkeit von der Zeit; die Uhr geht ggf. vor oder nach. Der Gang lässt sich korrigieren (z. B. durch Veränderung der Pendellänge oder durch Veränderung der freien Spiralfederlänge mittels des Rückers an Uhren mit Unruh); er ist ebenfalls kein Qualitätskriterium.

 
Anordnung von Schnecke und Kette in einem Spindeluhrwerk

Problematisch ist erst die Änderung des Ganges in Abhängigkeit von der Zeit. Ursachen sind entweder äußere Einflüsse (Temperatur) oder werksinterne (bevorzugt die sich ändernde Zugkraft der Antriebsfeder).

Spindeluhren

Diese ortsfesten oder tragbaren Uhren (bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gefertigt) waren noch recht ungenau; wesentliche Störgröße ist der Einfluss der Federkraft und fehlende Entkopplung der Hemmung vom Räderwerk.

Schnecke und Kette bzw. Darmsaite

Die älteste, elegante, aber auch konstruktiv aufwändige Lösung war die Kraftübertragung vom Federhaus mittels Schnecke und zunächst durch eine Darmsaite (um 1430), ab 1539 durch eine Kette zum Gangwerk. Bei vollem Federaufzug war die Kette auf der Schnecke bis zu deren Spitze aufgewickelt. Die Federkraft war zwar groß, doch das auf die Schnecke wirkende Drehmoment durch den kleinen Hebelarm reduziert. Mit ablaufender Feder wickelte sich die Kette von der Schnecke auf das Federhaus. Die abnehmende Federkraft wurde dabei durch den zwangsläufig größer werdenden Hebelarm der Schnecke kompensiert.

Bemühungen, den optimalen Querschnitt der Schnecke zu berechnen (erste Versuche von Varignon, 1702) schlugen wegen falscher Randbedingungen fehl, erst vor wenigen Jahrzehnten konnte das Problem schlüssig gelöst werden (Peter S. Honig). In der Praxis versuchten die Uhrmacher, die günstigste Form empirisch zu finden; deshalb wurden früher auch häufig Holzschnecken verwendet.

Die Kettenglieder waren äußerst fein und wurden deshalb oft in Kinderarbeit hergestellt: Auf 12 cm Kettenlänge gingen bis zu 800 Glieder.
Bei Nachbauten älterer Uhren (z.B. Congreve-Uhren) (Englisch) ist die Kette häufig durch ein reißfestes Stahlband ersetzt.

Stackfreed

Das Stackfreed, irreführend auch Federbremse genannt, ist ein einfacherer Mechanismus, der die variierende Kraft der Zugfeder einer Uhr auszugleichen vermag, indem es bei voll aufgezogenem Uhrwerk bremsend und bei Nachlassen der Federkraft unterstützend wirkt. Denn je mehr eine Zugfeder gespannt ist, umso größer ist das vom Antriebsrad gelieferte Drehmoment. Das Stackfreed besteht aus einer mit dem Antriebsrad (im Bild Stopprad genannt) fest verbundenen Kurvenscheibe und einer Blattfeder, die mit einer Rolle auf den äußeren Rand der Kurvenscheibe drückt. Der Drehmomentausgleich ist dann optimal, wenn das Drehmoment aus der Summe der von der Zugfeder und vom Stackfreed bewirkten Drehmomente über den gesamten Ablauf konstant bleibt, was durch eine entsprechende Gestaltung von Kurvenscheibe und Blattfeder erreicht werden kann.

 
Stackfreed: A=Blattfeder B=Rolle C=Aufzugstrieb D=Kurvenscheibe E=Stopprad

Die meisten Kurvenscheiben sind mehr oder weniger schnecken- oder nierenförmig ausgelegt. Beim Stackfreed wirken gleichzeitig zwei unterschiedliche mechanische Effekte, nämlich Reibungs- und Drehmomenteinflüsse. Die zwischen Blattfeder und Kurvenscheibe sowie im Lager des Antriebsrades bestehende Reibung reduziert das Drehmoment, der Druck der Blattfeder auf die Kontur der Kurvenscheibe kann es aber sowohl reduzieren als auch verstärken (vergl. Funktion der Herzscheibe zur Nullstellung der Zeiger in Chronographen). Theoretische Überlegungen von Nuttall[1] und praktische Versuche von Pavel[2] zeigen, dass das vom Stackfreed erzeugte Drehmoment ausreicht, um den Drehmomentausgleich zu erzielen. Demnach beruht die Funktion des Stackfreeds weniger auf Reibung (Federbremse), als auf dem vom Stackfreed erzeugten Drehmoment.

Das Stackfreed fand hauptsächlich im süddeutschen Raum von ca. 1510 bis ca. 1650 Verwendung, also nach der Erfindung des „besseren“ Ausgleichsmechanismus Kette/Schnecke. Der Grund dafür war, dass das Stackfreed einfacher zu konstruieren sowie zu reparieren war und den Bau flacherer Uhren erlaubte.

Herkunft und Bedeutung der Bezeichnung Stackfreed sind ungeklärt. In der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert (Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers) wird der Mechanismus Stackfreed unter der Bezeichnung „stochfred“ beschrieben.

Pendeluhren

Pendeluhren sind ortsfeste Uhren, sie werden durch Gewichte oder Federkraft angetrieben. Wesentliche Störeinflüsse:

  • Temperaturänderungen, die zu schwankender Pendellänge, mithin zum unregelmäßigem Gang der Uhren, führen
  • Bei Uhren mit Federwerk der Einfluss der sich mit dem Ablauf ändernden Federkraft.

Eine weitere Quelle des Gangfehlers war die Amplitudenabhängigkeit der Schwingungsfrequenz. Chr. Huygens (1629–1695) zeigte, dass dieser Fehler vermieden wird, wenn das Pendelgewicht sich auf der Bahn einer Zykloide bewegt. Für ein physikalisches (Faden-) Pendel erreicht man das, wenn der Faden sich an der oberen Pendelaufhängung an zykloidenartige seitlichen Begrenzungen anschmiegt. Technische Probleme bei der Realisierung der Kurvenformen verhinderten jedoch zufriedenstellende Ergebnisse.

Maßnahmen zur Temperaturkompensation, also mit dem Ziel einer möglichst konstanten Pendellänge

Materialien mit geringer Temperaturabhängigkeit

Schon früher lieferte ausgewähltes, präpariertes Holz recht brauchbare Resultate. Die Ausdehnungskoeffizienten in Faserrichtung liegen bereits deutlich unter denen der meisten Metalle. Gegen den quellenden Einfluss der Luftfeuchtigkeit werden Pendelstangen aus Holz gut imprägniert, indem man sie mit Leinöl behandelt und meist noch zusätzlich lackiert.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts verbreiteten sich vor allem im Bereich der Präzisionspendeluhren Werkstoffe mit möglichst geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten. Hier hat sich das Standard-Invar FeNi36, die zuerst entdeckte Invar-Legierung aus ca. 36% Nickel und 64% Eisen, gegenüber dem noch ausdehnungsärmeren Quarzglas durchgesetzt. Neben der bestehenden Sprödigkeit erweist sich bei Glas-Stangen auch die Verbindung mit Pendelaufhängung und Pendelmasse kritischer.
Invar-Stangen werden vor ihrem Einsatz in Präzisionsuhren einer künstlichen Alterung in Form von wechselnder mechanischer und thermischer Beanspruchung unterzogen. Dies dient dem Abbau innerer Spannungen, die zu unvorhersehbaren Längenänderungen führen würden.

Heute wäre auch ausdehnungsfreie Glaskeramik als Material für Pendelstangen denkbar.

Rostpendel

Hier benutzte man die unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten von Stahl und Messing (oder anderen Legierungen) derart, dass mehrere Stangen aus diesen Metallen an einem unteren und einem oberen Steg nebeneinander so befestigt waren, dass die Gesamtlänge dieser Anordnung bei Temperaturänderungen weitgehend konstant blieb (ca. 1725, John Harrison bzw. 1753, John Ellicott d. J. (1706-1772)). Diese Rostpendel waren bei den so genannten Regulatoren sehr beliebt, doch hatten sie häufig nur einen dekorativen Wert, weil die Roststangen alle fest miteinander verbunden waren.

 
Aufbau eines einfachen Rostpendels

Quecksilberpendel

Als Pendelgewicht wurde eine oben offene, mit Quecksilber gefüllte Röhre benutzt (1726, George Graham, 1673 - 1751). Die Ausdehnung von Pendelstange und Quecksilber kompensierten sich bei wechselnder Temperatur.

siehe auch: Quecksilberkompensation

Maßnahmen zur Kompensation der vom Aufzug abhängigen Federkraft

Schnecke und Kette

Siehe die Ausführungen unter Spindeluhren.

Uhren mit Unruh (Drehschwinger)

Maßnahmen zur Temperaturkompensation

Sehr wirkungsvoll sind doppelt geschlitzte Reife der Unruh aus Bimetall . Bei einer Längenänderung der Speiche bei wechselnden Temperaturen, wird das Trägheitsmoment der Unruh durch entsprechende Krümmung der beiden Reifsegmente konstant gehalten.

 
Aufbau einer Unruh mit Bimetallreif
In der Mitte bei erniedrigter, rechts bei erhöhter Temperatur

Maßnahmen zur Kompensation der vom Aufzug abhängigen Federkraft

Hier wurden nach dem letzten Weltkrieg durch die Entwicklung neuer Legierungen für die Aufzugfedern (Beryllium, Titan, Molybdän, Wolfram) große Fortschritte erzielt. Solche Federn („Nivaflex“) sind nicht nur bruchsicher, sondern geben ihre Kraft weitaus gleichmäßiger in Abhängigkeit vom Aufzuggrad ab.

Andere Störgrößen:
Der Einfluss der bei der Unruhschwingung sich exzentrisch verlagernden Spiralfeder wurde reduziert durch Aufbiegen der Spiralenden aus der Ebene („Bréguet-Spirale“, A. L. Bréguet, 1747 – 1823).

Weitere Störungen treten bei tragbaren Uhren durch Stöße und durch Veränderungen der Uhrenposition (Lage) auf. Stöße werden durch elastische Aufhängung der Zapfenlagerung, besonders der hoch beanspruchten Unruhwelle, abgefangen („Inca-bloc“, „Shock-resist“ ). Die Lageempfindlichkeit lässt sich durch Auswuchten der Unruh mittels kleiner Schrauben auf dem Reif und durch erhöhte Fertigungsgenauigkeit reduzieren (bei Chronometern ein Prüfmerkmal). Eine Konstruktion für höchste Ansprüche ist der Tourbillon, eine bewegte Vorrichtung der Unruh-Anordnung (Bréguet).

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. J. E. Nuttall, How did the Stackfreed really work? Horological Journal, Mai 1997
  2. H. Pavel, Anmerkungen zum Stackfreed in: Deutsche Gesellschaft für Chronometrie, Jahresschrift 2003, Band 42

Literatur

  • Bassermann-Jordan, Ernst von, Uhren, Verlag Klinkhardt und Biermann, Braunschweig 1969, (ohne ISBN)
  • Ebrich, Klaus, Präzisionspendeluhren, Verlag Callwey, München 1978, (ISBN 3-7667-0429-X)
  • Dr. E. Gschwind, Stackfreed 1540–1640, Basel 1979
  • Guye, Samuel und Michel; Henri, Uhren und Messinstrumente, Orell Füssli Verlag, Zürich 1971, (ohne ISBN)
  • Koch, Rudi (Hsg.), Uhren und Zeitmessung (BI-Lexikon, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1986, (ISBN 3-323-00100-1)
  • Lübke, Anton, Die Uhr, VDI-Verlag, Düsseldorf 1958, (ohne ISBN)
  • H. Tait, P. G. Coole: Catalogue of Watches in the British Museum Bd. I, Stackfreed, Published for the Trustees of the British Museum, 1987 (ISBN 0-7141-0550-3)