Westerhüsen ist ein an der südlichen Stadtgrenze gelegener Stadtteil der Landeshauptstadt Magdeburg mit einer Fläche von 7,243 km² und 3.015 Einwohnern (Stand 31. Dezember 2009).


Geografie
Westerhüsen liegt am Westufer der Elbe und grenzt im Süden an den Salzlandkreis. Die benachbarten Stadtteile sind Beyendorf-Sohlen im Westen und Salbke im Norden, wo die Welsleber und Blumenberger Straße als Trennlinie verläuft.
Der im Nordosten gelegene bebaute Anteil des Stadtteils beträgt nur etwa 11 Prozent der Gesamtfläche. Im Wesentlichen konzentriert sich die Bebauung entlang der Durchgangsstraße Alt Westerhüsen und westlich des Bahnhofs Magdeburg-Südost der Bahnlinie Magdeburg - Leipzig. Die Bausubstanz besteht sowohl aus Einfamilienhäusern wie auch aus mehrgeschossigen Mietshäusern.
Das Gebiet des Stadtteils steigt von 49 Metern am Elbufer in westlicher Richtung zu den zu Salbke gehörenden Sohlener Bergen bis auf 97,8 Meter an. Südwestlich der Ortslage liegen die Wellenberge. Im Süden erreicht der Frohser Berg 115,5 Meter. Davor liegen landwirtschaftlich genutzte Flächen sowie das kleine Feuchtgebiet Pötritzer Sumpf. Am südlichen Ortsausgang befindet sich der etwa 20 Hektar große „Volkspark Westerhüsen“. Südlich hiervon verläuft der in die Elbe mündende Pfingstwiesengraben. Das ursprüngliche Kerngebiet des Dorfes liegt etwas erhöht über der Elbe, wobei der Siedlungsbereich durch die westlich gelegenen kleinen Höhenzüge gegen Westwinde geschützt war. Die Bodenverhältnisse sind für die Landwirtschaft etwas ungünstiger als dies in den westlich gelegenen Gebieten der Magdeburger Börde der Fall ist.
Infrastruktur
Westerhüsen dient heute vorwiegend Wohnzwecken, einige kleine Gewerbebetriebe sind hier angesiedelt. Hervorzuheben ist der Schulkomplex mit dem Europäischen Bildungswerkes für Beruf und Gesellschaft und dem Kaufmännischen Bildungszentrum. Der Stadtteil verfügt mit dem Bahnhof Magdeburg Südost über eine S-Bahn-Station und wird von einer Straßenbahnlinie erschlossen. Über die Straße Alt Westerhüsen führt die kürzeste Straßenverbindung zur Nachbarstadt Schönebeck. Die Fähre Westerhüsen verbindet Westerhüsen mit dem Ostufer der Elbe.
Geschichte
Vorzeit
Anhand von Ausgrabungen konnte festgestellt werden, dass im Bereich des heutigen Westerhüsens bereits in der frühen Jungsteinzeit (um 3000 v. Chr.) Menschen lebten. Entsprechende zur Linienbandkeramik und zur Walternienburg-Bernburger Kultur gehörige Funde wurden auf dem Grundstück Alt Westerhüsen 130 im südlichen Teil des Ortes gemacht. In die mittlere und späte Bronzezeit wurden gefundene Urnengräber datiert. Westlich des Straßenbahndepots wurden seltene Körpergräber festgestellt, die aus der frühen Eisenzeit stammen.[1]
Mittelalter
Die erste urkundliche Erwähnung fand in den „Corveyer Traditionen“ statt, in denen für den Zeitraum von 826 bis 853 unter anderem auch Schenkungen in Westeros angegeben. Danach schenkten die Brüder Ado und Odo die ihnen in Westerhüsen und benachbarten Dörfern zustehenden Lehnserträge an das Kloster Corvey, wobei diese Schenkungen vermutlich nicht das ganze Dorf sondern nur einige Naturaleinkünfte betraf.[2] Der Name Westerhüsen enthält das altsächsische Wort „hus“ für Haus, sodass damit vermutlich ein im Westen gelegener Einzelhof bezeichnet wurde. Es gibt Vermutungen, wonach sich die Bezeichnung Wester als Unterscheidung zu einem Osterhüsen ergab. Danach soll sich nordöstlich von Salzelmen, ebenfalls an der Post- und Heerstraße nach Calbe (Saale) gelegen, dieses Osterhüsen befunden haben.[3] Eine dort befindliche Esterhuser Straße könnte auf diesen ehemaligen Ort verweisen. Weitere Spekulationen gehen dahin, dass Westerhüsen eine unter Karl dem Großen zum Schutze der hier entlangführenden Heerstraße angelegte Befestigung sein könnte. Eine solche Befestigung könnte sich danach am südöstlichen Abhang der Wellenberge befunden haben.[4] Im 9. Jahrhundert missionierte der Halberstädter Bischof Hildegrim in der Gegend und weihte die von ihm gegründeten Kirchen dem Heiligen Stephanus. Da die Westerhüser Kirche ebenfalls Stephanus geweiht war, werden Vermutungen angestellt, dass ihr Ursprung bis in diese Zeit zurückreicht.[5] Die anfängliche Holzkirche wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts durch einen Steinbau ersetzt.
Am 13. September 936 wurden ein Teil der Einnahmen des Ortes Uuesterhuse durch König Otto I. dem Stift Quedlinburg übertragen. In einer Urkunde vom 28. Oktober 1272 wird im Rahmen einer Schenkung als Zeuge ein Herbord Miles (Ritter) de Westerhusen erwähnt. Hinweise auf ein Adelsgeschlecht in Westerhüsen gibt es jedoch im übrigen nicht.[6] Südlich des Dorfes befand sich im Mittelalter der später zur Wüstung gewordene Ort Pötritz sowie das Westerhüser Gehölz, ein heute nicht mehr bestehendes Waldgebiet.
Neuzeit
1523 wurde für die Kirche von dem Magdeburger Stückgut- und Glockengießermeister Claas Backmester eine 550 Kilogramm schwere Bronzeglocke gegossen, die heute noch vorhanden ist und zu den ältesten Kirchenglocken Magdeburgs zählt. Ab 1563 unterstand Westerhüsen dem Magdeburger Domkapitel und der Kirche des Klosters Berge. Schon für das 16. Jahrhundert wird eine Elbfähre in Westerhüsen erwähnt. Während der Belagerung und Zerstörung Magdeburgs im Jahr 1631 im Dreißigjährigen Krieg schlug der Feldherr General Tilly 1631 sein Hauptquartier im Weibezahlschen Hof in Westerhüsen auf und setzte an der Fähre seine Truppen über die Elbe. In die Fassade des noch heute bestehende Gehöfts wurde zur Erinnerung hieran eine Kanonenkugel eingemauert. In dieser Zeit sollen in der Umgebung Westerhüsens auch drei Schanzen angelegt worden sein.[7] Die westlich der Welsleber Straße bestehende Flurbezeichnung Das Sauerfeld nach der Schanze könnte auf eine solche Befestigungsanlage zurück gehen. Westerhüsen selbst wurde im Laufe des Krieges beinahe vollständig zerstört und entvölkert.
Im Zuge des Wiederaufbaus der Region nach dem Krieg verschwanden der bis dahin am Ufer der Elbe und auf den in der Umgebung befindlichen Höhenzügen bestehende Wald. Nach der Ansiedlung von pfälzischen und französischen Kolonisten in der Französischen Kolonie und der Pfälzer Kolonie in Magdeburg siedelten sich ab 1740 auch einige Kolonisten in Westerhüsen an. Zwischen 1715 und 1873 lag die Schiffsmühle Westerhüsen an einem kleinem Mühlenhafen vor Westerhüsen in der Elbe. Darüber hinaus bestanden mehrere Windmühlen im Ort so die Böckelmannsche Windmühle, die Bodenburgsche Windmühle, die Curiosche Windmühle und die Hossesche Windmühle, die jedoch allesamt nicht erhalten sind. Im Jahr 1750 wütete ein Großfeuer im Dorf. Auch während der französischen Besetzung der Festung Magdeburg wurde das Dorf 1812 in Mitleidenschaft gezogen. Die immer wiederkehrenden schweren Hochwasser der Elbe brachten das Dorf Westerhüsen aufgrund seiner hohen Lage über dem Fluss nicht in Bedrängnis. Im Februar 1876 war das Hochwasser so hoch, dass die Chaussee nach Schönebeck überschwemmt wurde. Der Fährbetrieb war eingestellt. Statt dessen fuhr man mit dem Kahn direkt bis zum weit entfernt liegenden Randauer Deich. Noch lange war unterhalb der Kirche eine Wasserstandsmarke zur Erinnerung an das Hochwasser angebracht.
Industrialisierung
Mit der Neuordnung der preußischen Kreisverwaltung kam Westerhüsen 1818 zum Kreis Wanzleben. 1835 zählte der Ort etwa 700 Einwohner. Lebten die Einwohner über die Jahrhunderte von der Landwirtschaft, der Fischerei und der Elbschifffahrt, trat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Wandel ein. Bis 1836 war der Bereich zwischen den Ortslagen von Westerhüsen und Salbke noch freies Feld. Im Zuge der Industrialisierung in Deutschland entstanden dann auch in Westerhüsen mehrere Fabriken. Neben der Lage an der Elbe und der Landstraße nach Magdeburg wurde die weitere Industrialisierung des Gebiets vor allem durch den 1838 begonnenen Bau der Bahnstrecke Magdeburg–Leipzig gefördert, die bereits 1839 im Teilstück nach Schönebeck eröffnet wurde. Die parallel zur Hauptstraße verlaufende Bahntrasse trennte jedoch auch die westlich hiervon gelegenen Gebiete von Westerhüsen ab, die seit dem nur noch über Bahnübergänge und später durch Brücken und Unterführungen mit dem Ortskern verbunden waren. Die Bahnstrecke wurde in der folgenden Zeit ausgebaut und nahm damit größere Flächen in Anspruch, so dass sogar der Friedhof Westerhüsen verlegt werden musste. 1894 war die Strecke schon viergleisig ausgebaut. Die Elektrifizierung erfolgte 1934.
Folgende Industrieunternehmen entstanden in Westerhüsen und prägten lange das Ortsbild.
Strohpappenfabrik
Zunächst entstand 1836 auf dem heutigen Grundstück Alt Westerhüsen 168 eine vom Magdeburger Kaufmann H. Schwarz errichtete Stärkefabrik. Hier wurde aus Kartoffeln Sirup hergestellt. Auch sogenanntes Neublau zum Färben der Wäsche wurde produziert. 1873 entstand aus dem Werk eine Papierfabrik, die ab 1892 jedoch nur noch Strohpappe herstellte. Das dazugehörige Wohnhaus war 1883 erweitert worden. 1905 und 1910 kam es zu größeren Bränden im Maschinenhaus, am 6. Oktober 1919 erfolgte eine Kesselexplosion, bei der der Werkmeister August Geserick verunglückte. 1922 wurde die Anlage von der Firma Henkel übernommen und modernisiert. Etwa 100 Mitarbeiter produzierten jährlich 7500 Tonnen Strohpappe, die als Verpackung für Persil, Ata und IMI diente. 1935 wurde ein Grundstück an der Thüringerstraße hinzu erworben und mit einem großen Schuppen bebaut, 1938 entstand ein 65 Meter hoher Schornstein. Nach dem 2. Weltkrieg gehörte das Werk zum Persil-Werk VEB bzw später dem VEB Waschmittelwerk Genthin. Nach Umstellung der Verpackungsmethode wurde das Werk 1967 stillgelegt und vom benachbarten Chemiewerk Fahlberg-List übernommen.
Zuckerfabrik und Metallhütte
Ab dem 13. Januar 1838 wurde nördlich der Strohpappenfabrik in Westerhüsen durch die Gebr. Schmidt & Coqui die erste Magdeburger Zuckerfabrik errichtet. Ab dem 11. Januar 1839 begann der Probebetrieb. Die Magdeburger Kaufleute Schmidt und Heinrich Coqui produzierten hier Rübenzucker. 1909 kam es zu einem Brand auf dem Werksgelände. Ab 1917 entstand an der Stelle der Zuckerfabrik eine Metallhütte. Markant war ein eigens errichteter 75 Meter hoher Schornstein. Bereits am 24. September 1921 übernahm das benachbarte Chemiewerk Fahlberg-List das Unternehmen. Die vom Schwefelkies nach der Gewinnung von Schwefel verbliebenen Abfälle wurden von der Metallhütte weiter verarbeitet. Das Kupfer wurde herausgelöst, das verbleibende Eisenoxyd an Eisenhütten abgegeben. Die Anlage erwies sich jedoch aufgrund zu geringer Größe als unwirtschaftlich und wurde bereits im Dezember 1928 wieder aufgegeben.
Darren
In Westerhüsen entstanden auch mehrere Darren, die die Trocknung von als Kaffeeersatz genutzter Zichorien betrieben. Zunächst baute der Magdeburger Fabrikant August Reckün eine solche Darre auf dem 1851 erworbenen Grundstück Hubertusstraße 1. 1873 wurde sie vom Magdeburger Kaufmann Guido Roch übernommen und an die Gebrüder Schmidt verpachtet. Sie war bis 1888 in Betrieb. 1889 bauten Fritz Bode und Gustav Fabel die Darre zur Speisesirupfabrik mit einem 32 Meter hohen Schornstein um. Pläne eines Dr. W. Wolters dort eine Düngemittelfabrik zu bauen scheiterten am Widerstand der Anwohner. Die Sirup- bzw. Saftfabrik wurde durch die Firma Röber und Rasehorn betrieben und brannte 1894 nieder. Der Schornstein wurde 1921 gesprengt. Später befand sich dort eine Baustoffhandlung.
Die Kossaten Gottlieb Linde und Ehrenfried Rieseberg erbauten 1861 auf dem Grundstück Alt Westerhüsen 59 eine Darre, die jedoch bereits 1867 durch Zwangsversteigerung an den Salbker Kaufmann Fritz Maaß ging. Maaß liess die Darre später abbrechen und baute 1876 in Salbke eine neue große Darre auf. Das Grundstück der Westerhüser Darre wurde später von der Familie Günther mit einem Gewächshaus bebaut.
1864 hatte Gottlieb Linde eine weitere Darre auf dem heutigen Grundstück Alt Westerhüsen 121 errichtet, die jedoch 1887 abbrannte. Der Gärtner Friedrich Goetze betrieb danach dort Gewächshäuser. Später wurde das Grundstück als Hamburger Hof gastronomisch genutzt. Die größte Darre befand sich neben der Zuckerfabrik und wurde 1888 von den Gebrüdern Schmidt gebaut, die die Darre in der Hubertusstraße schlossen. Sie blieb beim Brand des Jahres 1909 unbeschädigt und war noch bis 1917 in Betrieb.
Glashütte
1864 gründete der Salbker Maurer- und Zimmermeister Sigismund Schrader nördlich der Zuckerfabrik eine Glashütte. Zunächst wurde Tafelglas später Weißhohlglas hergestellt. Im Jahr 1872 übernahmen Karl Höfer, Adolph Kramer und Conrad Voges den Betrieb. 1873 wurde das Unternehmen Glasfabrik Westerhüsen AG in das Grundbuch eingetragen. Als Glasmacher waren zunächst Belgier beschäftigt. Für sie wurde auch an der Adresse Alt Westerhüsen 11 eine Mietskaserne errichtet. 1902 kam für die Arbeiter noch das dahinter liegende, über sechs Eingänge langgestreckt Gebäude Alt Westerhüsen 12 hinzu. Noch heute wird diese Anlage als Glasmacherhof bezeichnet. 1878 erwarb der aus Magdeburg-Neustadt stammende Kaufmann Adolf Grafe junior das Werk. Er stellte die Produktion auf grünes und halbweißes Glas um. Die Zuschlagstoffe kamen aus der Region Magdeburg aber auch aus dem Harz und Helmstedt. Produziert wurden einheitliche Flaschen und Säureballons. Prokurist war Wilhelm Laue, Werkleiter August Dörries, der später die weiter nördlich gelegene Salbker Glashütte übernahm. Anfangs wurde mit einem mit Steinkohle befeuerten Hafenofen produziert. 1886 wurde auf einen Siemens-Gasofen umgestellt, der kostengünstiger mit Braunkohle lief. Nach dem Tode Grafs 1890 betrieben seine Schwester Olga Krümmel und ihr Mann Otto Krümmel das Unternehmen als A. Grafe Nachfolger weiter. Ab 1901 führte deren Sohn Willi Krümmel den Betrieb. Durch Einrichtung einer großen Wanne aus der laufend flüssiges Material zur Herstellung floss, konnte 1902 die Produktion erheblich gesteigert werden. In Tag- und Nachtschichten konnten nun täglich 20.000 Flaschen, 10.000 Schraubgläser und 300 Säureballons hergestellt werden. Das Unternehmen beschäftigte 210 Menschen. Nach 1901 setzte ein starker Preisverfall bei Flaschen ein. Durch einen 1904 gegründeten Verband der Flaschenfabriken wurden die Produktionsmengen stark reguliert, so dass die Preise wieder deutlich anzogen. Um die Produktionskontigente zu erlangen, erwarb die Glashütte 1909 die Flaschenhütte Oranienbaum, die allerdings noch bis 1923 zur Herstellung von Tafelglas weiter betrieben wurde. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde die Produktion mangels Nachfrage deutlich gedrosselt. Die Anschaffung moderner Maschinen zur Flaschenproduktion unterblieb auch nach dem Krieg. 1926 erwarb schließlich die Aktiengesellschaft für Glasindustrie vorm. Fr. Siemens Dresden das Flaschenkontingent von sieben Millionen Flaschen. Das benachbarte Chemiewerk Fahlberg-List erwarb das Grundstück. Der Betrieb wurde am 1. August 1926 stillgelegt, die Mitarbeiter zum 11. August 1926 entlassen.
Schiffswerft Gerloff
Wilhelm Gerloff gründete auf dem Grundstück Kieler Straße 5 eine Stroh-, Holz- und Kohlehandlung die er laufend erweiterte. 1891 errichtete er dann nördlich der Fähre Westerhüsen eine Schiffswerft. Diese war über den 1905 erfolgten Tod Gerloffs hinaus in Betrieb, wurde jedoch noch vor Beginn des 1. Weltkriegs eingestellt, während die Kohlehandlung noch bis 1925 bestand. Von der Anlage blieb die Gerloffsche Villa erhalten.
Brauerei
Von eher geringerer wirtschaftlicher Bedeutung war die auf dem Grundstück Alt Westerhüsen 16 ansässige Brauerei. Es wurde ein leichtes Braunbier gebraut, welches vor allem bei den wenig weiter nördlich wohnenden Arbeitern der Glashütte konsumiert wurde. Begründet wurde die Brauerei durch den Böttcher Friedrich Lieber, dem das Grundstück seit 1852 gehörte. Lieber richtete auch eine Gaststube ein. Später wurden Brauerei und Gaststube vom Brauer Otto Bräutigam weiter geführt. Ein südlich des Hauses befindlicher Stall wurde von ihm zum Materialwarenladen umgebaut und unter Umbauung der alten Toreinfahrt in das Haus integriert. An Stelle des nördlich gelegenen Gartens baute Bräutigam 1890 den Gasthof „Zum Anker“. Anfang des 20. Jahrhunderts gab Bräutigam die Brauerei jedoch auf und gründete in Salzelmen eine Selterfabrik. Die Brauereigaststube wurde später als Fleischerei und Kolonialwarenhandlung genutzt. Heute dient das Haus Wohnzwecken.
Fahlberg-List
Im Jahr 1886 wurde durch die beiden Unternehmer Constantin Fahlberg und Adolf Moritz List das Unternehmen Fahlberg-List gegründet, die erste Saccharinfabrik der Welt, in der später Pharmaerzeugnisse und ab 1927 Superphosphat produziert wurden. Das Werk entwickelte sich zum größten Chemiebetrieb Magdeburgs. Nach dem Krieg wurde das Fahlberg-List-Werk enteignet und in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt. Die Zahl seiner Beschäftigten stieg auf 1.700, und die Superphosphatproduktion sowie die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln verschaffte dem Werk eine führende Stellung im ganzen damaligen Ostblock. Das Fahlberg-List-Werk wurde nach der Wende des Jahres 1989 zunächst privatisiert und als GmbH weitergeführt. Der pharmazeutische Zweig wurde kurz darauf von der Salutas Pharma GmbH übernommen und 1995 nach Barleben verlagert. Die in Salbke und Westerhüsen liegenden Betriebsteile wurden 1995 geschlossen.
Motoren- und Schraubenfabrik
1899 kaufte der Aachener Königliche Geheime Kommerzienrat Kesselkaul die 1892 vom Architekten Karl Fischer errichtete Fischersche Villa in der Holsteiner Straße. Er vergrößerte das Grundstück nach Westen und errichtete dort die Magdeburger Elektromotorenfabrik GmbH. Es entstanden unter anderem eine Montagewerkstatt, ein Magazin und eine Schlosserei. Bereits nach kurzer Zeit brannte die Montagewerkstatt jedoch nieder. Im Sommer 1903 erwarb der Schmiedemeister Otto Leinau das Anwesen. Er baute den zerstörten Teil wieder auf und fügte ein weiteres Wirtschaftsgebäude hinzu. Im Grundbuch wurde 1904 die offene Handelsgesellschaft Leinau & Becker, Magdeburger Eisenbau-Anstalt in Westerhüsen eingetragen. Produziert wurden Kessel und Apparate für Zuckerfabriken sowie eiserne Konstruktionen für Dächer und Brücken. Nach dem Tod seines ältesten Sohnes schied Leinau 1906 aus dem Unternehmen aus. Der Geschäftspartner Becker führte das Werk gemeinsam mit Wilhelm Häge weiter. 1910 übernahm Häge die Anlage in Alleineigentum, musste jedoch bereits am 19. Januar 1911 Konkurs anmelden. Nach dem kurzzeitig die Firma Georg von Kölln hier eine Eisenhandlung betrieb, erwarb 1913 Georg Rohde, Eigentümer der Firma Otto Mansfeld & Co. das Grundstück. Die Fabrik wurde als Präzisionszieherei für Drähte und Stangen und als Silberstahlwerk betrieben. Der Name lautete Meteorwerk. Es wurde ein 32 Meter hoher Schornstein errichtet. Bis 1916 wurden auch Schrauben produziert. Während des Ersten Weltkrieges dominierte vor allem die Granatendreherei. Das Werk beschäftigte bis zu 135 Mitarbeiter. Zum 30. September 1926 wurde die Fabrik von den Sächsischen Gußstahlwerken Döhlen AG aus Dresden gekauft, die bis dahin einer der Lieferanten waren. Am 30. Dezember schlossen die neuen Eigentümer den Betrieb. Das Gelände wurde von der Stadt Magdeburg erworben und bis auf die Villa und ein westlich gelegenes Arbeiterhaus abgerissen. Später entstand auf diesem Areal ein Teil der Siedlung Westerhüsen.
Drageefabrik
Am 12. April 1904 wurde die Produktion einer seit 1902 in Magdeburg-Wilhelmstadt ansässigen Drageefabrik nach Westerhüsen verlegt. Inhaber waren Max Oelze und Robert Hohmann. Im Süden Westerhüsens entstand an der späteren Adresse Alt Westerhüsen 50 ein drei Stockwerke umfassendes Fabrikgebäude. Oelze schied 1906 aus dem Unternehmen aus. Mit einer Erweiterung im Jahr 1908 wurde die Kapazität von 5 auf 60 Kessel erhöht. Jährlich wurden von bis zu 120 Mitarbeitern 18.000 Zentner Zucker verarbeitet. 1911/12 liess Hohmann in der Nähe des Werks die noch heute erhaltene Hohmannsche Villa errichten. Zum 1. Juli 1929 veräußerte Hohmann die Fabrik an die Firma Wittmeyer & Wesche, die die Drageefabrik schließlich am 1. Juli 1934 stilllegte. Auf dem Gelände war später die Brennerei und chemische Werke Tornesch GmbH ansässig. Das ab 1946 als Phawema firmierende Unternehmen gehörte dann ab 1948 als Betriebsteil zu Fahlberg-List. Das Chemiewerk brachte hier die pharmazeutische Abteilung des Werks unter.
Heute sind keine Industriebetriebe mehr in Westerhüsen ansässig.
Entwicklung vom Dorf zum Stadtteil
Der steigende Bedarf an Arbeitskräften führte zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einem intensiven Wohnungsbau, zunächst entlang der Durchgangsstraße mit mehrstöckigen Mietshäusern. Viele der historischen Bauernhäuser verschwanden zugunsten zwei- oder dreistöckiger Mietshäuser. Das Siedlungsgebiet dehnte sich weiter nach Westen auch auf den Bereich zwischen der Hauptstraße und der Bahnstrecke und letztlich auch westlich der Bahntrasse aus. Im Jahre 1885 hatte der Ort 2.293 Einwohner. Diese Zahl erhöhte sich binnen 15 Jahren auf 3.823. Im Sommer 1904 sank der Elbpegel so stark, dass die in der Elbe vor Westerhüsen befindlichen Hungersteine bei Westerhüsen an die Oberfläche traten.
Als 1910 mehrere Vororte Magdeburgs eingemeindet wurden, gehörte auch Westerhüsen dazu. 1912 wurden auf dem Hof des Gasthofs „Zum Anker“, Alt Westerhüsen 15, die Lichtspiele Südost eröffnete, die bis in die Zeit der DDR hinein als Kino in Nutzung waren.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Westerhüsen zum Standort städtebaulich interessanter Wohnsiedlungen.
Westlich der Bahnlinie entstand zwischen 1923 und 1925 inmitten der Feldflur die Siedlung Arnold-Knoblauch-Straße. Es wurden zweigeschossige Doppelhäuser errichtet, die kostengünstig unter Verwendung eines Kiesbeton-Schüttverfahrens hergestellt wurden, das der Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger entwickelt hatte. Die Häuser wurden einheitlich mit tonnengewölbten Dächern (Zollingerdach), die ebenfalls Zollinger entworfen hatte, versehen. Westlich des Bahnhofs entstand ab 1926 die Siedlung Welsleber Straße, in der zunächst auch die Zollingerhäuser mit ihren Tonnendächern gebaut wurden. Daneben entstanden Mehrfamilien- und Reihenhäuser im konservativen Stil mit Satteldach. Später wurden zweigeschossige flachgedeckte Häuserzeilen gebaut, deren Fassaden im Stil des Neuen Bauens gestaltet und durch vorspringende Klinkerbänder in einzelne Hausabschnitte unterteilt wurden. Hier wurden erstmals Stahlbetonbalken und ein Montagekran eingesetzt. Es gab Pläne den Ausbau noch deutlich stärker voranzutreiben. Vor dem Hintergrund von Erwartungen, dass sich die Einwohnerzahl Magdeburgs faktisch verdoppelt, war im Gebiet um Westerhüsen eine Stadterweiterung, bis hin zur Eingemeindung des deutlich weiter südlich gelegenen Schönebecks, angedacht. Ein Relikt aus dieser Zeit ist der Volkspark Westerhüsen der als neuer großer städtischer Südfriedhof für die Erweiterungsgebiete geplant war, jedoch zum Park gestaltet wurde, als die Planungen nicht eintrafen. Am 6. September 1926 wurde die Straßenbahnlinie Magdeburg - Schönebeck, die auch durch Westerhüsen führte, eingeweiht. Mit dem Bau des Mittellandkanals und der Autobahn im Norden Magdeburgs verschoben sich die Schwerpunkte der industriellen und städtebaulichen Entwicklung der Stadt dorthin. Mit Fahlberg-List blieb der Bereich zwischen Westerhüsen und Salbke zwar ein wichtiger Industriestandort, der zum Teil weiterhin ländliche Charakter Westerhüsens blieb jedoch erhalten.
Im Jahr 1925 entstand in der Elbe vor Westerhüsen, in der Nähe der Kirche, eine Flussbadeanstalt.
Trotz der Nähe zu großen Industriebetrieben wie dem Fahlberg-List-Werk im benachbarten Salbke, erlitt Westerhüsen während der Bombenangriffe auf Magdeburg in den Jahren 1944 und 1945 kaum Schäden. Lediglich das Schiff der Stephanuskirche wurde am 14. Februar 1945 von einer Bombe getroffen und zerstört. Am 11. April 1945 rückte eine amerikanische Panzerdivision aus westlicher Richtung kommend bis an das Elbeufer in Westerhüsen vor. Der Versuch, von dort aus am östlichen Ufer einen Brückenkopf zu bilden, scheiterte am Widerstand der deutschen Flakstellung.
Westerhüsen in der DDR
Ab 1951 entstand am südlichen Ende Westerhüsens der Komplex der Chemieschule. War zunächst nur die Betriebsberufsschule des VEB Fahlberg-List untergebracht, wurde das Gelände bald auch Sitz der Ingenieurschule für Chemie „Justus von Liebig“, die über vier Jahrzehnte hinweg einen wesentlichen Teil der mittleren Führungsebene der DDR-Chemieindustrie hervorbrachte.
1953 verloren auch die in Westerhüsen ansässigen 15 Landwirte ihre Selbständigkeit und wurden in die LPG „Freie Erde“ überführt. Diese errichtete von 1954 bis 1960 in der Welsleber Straße einen neuen Betriebshof. Von hier aus wurde mit 160 LPG-Mitglieder 950 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche bearbeitet. Die Flächen erstreckten sich nach dem 1969 erfolgten Beitritt der LPG Fermersleben/Salbke mit 35 Hektar und der LPG Beyendorf mit 85 Hektar auch auf die Gemarkungen dieser angrenzenden Stadtteile und Dörfer. Es wurden auch ostelbisch gelegene Wiesen und Weiden bewirtschaftet. Südlich der Ortslage Westerhüsen betrieb die LPG eine Gärtnerei und baute Gemüse im Treibhaus an.
Zu dieser Zeit entstanden in der Welsleber Straße auch einige neue mehrgeschossige Wohnblocks. 1964 wurde der Stephanikirchturm saniert und mit einer neuen achtkantigen Haube in Zwiebelform versehen. Am 19. Juli 1969 wurde der Straßenbahnverkehr nach Schönebeck eingestellt und Westerhüsen Endstation der Straßenbahn.
Entwicklung nach der politischen Wende von 1989
Nach der politischen Wende von 1989 zog sich die Landwirtschaft ganz aus Westerhüsen zurück. Für 40 Millionen Euro wurde die ehemalige Chemie-Ingenieurschule im Süden das Stadtteils in ein modernes Schulzentrum, der Berufsbildende Schulen IV „Dr. Otto Schlein“ umgebaut. Im Februar 1966 begannen die Magdeburger Verkehrsbetriebe am Ortsausgang mit dem Neubau eines Straßenbahndepots. Dieses wurde von 1996 bis 2001 komplett neu errichtet als Straßenbahnbetriebshof Südost.
Bauwerke
Bemerkenswert ist der von der Sankt-Stephanus-Kirche erhalten gebliebene Kirchturm. Direkt an der Hauptstraße befindet sich das mit einem kleinen Uhrenturm versehene aus dem 19. Jahrhundert stammende Gemeindehaus Westerhüsen. Ebenfalls an der Straße Alt Westerhüsen befindet sich mit der Hausnummer 132 die Hohmannsche Villa, eine zweigeschossige 1911 errichtete Jugendstilvilla. Der Weibezahlsche Hof (Alt Westerhüsen Nummer 153) vom Anfang des 17. Jahrhunderts trägt zur Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg eine Kanonenkugel in der Fassade. Gleichfalls unter Denkmalschutz stehen das Cafe Kies in der Holsteiner Straße, die ab 1885 entstande Grundschule Westerhüsen, der Gasthof „Zum Anker“, der Gasthof Westerhüsen, der Bischoffsche Hof und die Gerloffsche Villa in der Nähe der Elbe und der Bahnhof Magdeburg Südost.
Die Fähre Westerhüsen ist die einzige Gierfähre Magdeburgs und ermöglicht vor allem Fußgängern und Radfahrern ein Übersetzen über die Elbe.
Personen
In Westerhüsen geboren wurde 1886 der spätere Schönebecker Heimatforscher und Kommunalpolitiker Wilhelm Schulze (1886 - 1971).
Max Brauer, später Oberbürgermeister von Altona und dann Bürgermeister Hamburgs, schloss um 1900 seine Lehrausbildung als Glasbläser in Westerhüsen ab. Der spätere Präsident des Deutschen Handballverbandes der DDR Hermann Milius besuchte von 1909 bis 1917 in Westerhüsen die Volksschule und wohnte auch später noch im Stadtteil. Die spätere DDR-Sportlerin Karin Balzer und der Anatom und Neurobiologe Helmke Schierhorn besuchten in den 1950er Jahren die Betriebsberufsschule "Heinz Kapelle" von Fahlberg-List in Westerhüsen. Langjähriger Direktor der Chemie-Ingenieurschule war der damals auch in Westerhüsen lebende Rudolf Zernick. Der Chemiker und DDR-Nationalpreisträger Ernst Schmitz (1882-1960) lebte Anfang der 1950er Jahre ebenfalls in Westerhüsen.
Literatur
- Magdeburg und seine Umgebung, Akademie-Verlag Berlin, 1973
- Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Sachsen-Anhalt I, Regierungsbezirk Magdeburg, Deutscher Kunstverlag, 2002, ISBN 3-422-03069-7
- Magdeburg - Architektur und Städtebau, Verlag Janos Stekovics, 2001, ISBN 3-929330-33-4
- Magdeburg-Westerhüsen, Evangelische Gemeindeblätter 1924 bis 1942
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Herausgeber: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Geographisches Institut, Arbeitsgruppe Heimatforschung, Band 19, Magdeburg und seine Umgebung, Akademie-Verlag Berlin 1972, Seite 117
- ↑ Magdeburg-Westerhüsen, Evangelisches Gemeindeblatt, Allerlei aus elf Jahrhunderten, vermutlich 1942
- ↑ Marta Doehler, Iris Reuther, Siedlungsentwicklung in Westerhüsen Magdeburg Südost, Landeshauptstadt Magdeburg 1995, Seite 19
- ↑ Magdeburg-Westerhüsen, Evangelisches Gemeindeblatt, Allerlei aus elf Jahrhunderten, vermutlich 1942
- ↑ Herausgeber: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Geographisches Institut, Arbeitsgruppe Heimatforschung, Band 19, Magdeburg und seine Umgebung, Akademie-Verlag Berlin 1972, Seite 117
- ↑ Magdeburg-Westerhüsen, Evangelisches Gemeindeblatt, Allerlei aus elf Jahrhunderten, vermutlich 1942
- ↑ Marta Doehler, Iris Reuther, Siedlungsentwicklung in Westerhüsen Magdeburg Südost, Landeshauptstadt Magdeburg 1995, Seite 19
Koordinaten: 52° 4′ N, 11° 40′ O