Stare decisis

Rechtsprinzip des Common Law
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Stare decisis, simpel ausgedrückt "bei früheren Entscheidungen bleiben", ist ein wichtiges Konzept in der Justiz, insbesondere im sogenannten case law. Ein Richter darf ein früheres Präzedenzurteil nur dann umstossen, wenn signifikante Unterschiede zu diesem auftreten. Richter sind vom Gesetz her nicht verpflichtet, sich an frühere Prinzipien und Überlegungen zu binden (freie Interpretation des Gesetzes), doch stare decisis wird als wichtiger Grundsatz erachtet, weil es die Entscheidungen von Richtern verlässlich und voraussagbar machen soll.

Horizontale stare decisis

Die horizontale stare decisis besagt, dass ein Gericht im Sinn und Geist seiner früheren Urteile handeln muss. Zum Beispiel ist ein Dieb, der 20'000 Euro gestohlen hat, in einem, fünf oder zehn Jahren immer noch zu einer gleich langen Gefängnisstrafe zu verurteilen, außer es treten signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Diebstählen auf, wie zum Beispiel unterschiedliche Arglistigkeit oder Gewaltanwendung des Täters.

Vertikale stare decisis

Diese Variante sagt, dass ein Gericht tieferen Ranges (z.b. ein Kreisgericht) den Sinn der Präzedenzurteile eines höheren Gerichts (also etwa ein Bundesgericht oder Verfassungsgericht) befolgen muss, weil bei einem Verstoss gegen das stare-decisis-Prinzip das Urteil häufig angefochten wird. So hat dann das höherrangige Gericht in horizontaler stare decisis zu entscheiden.

Grenzen des stare decisis

Es treten zwei grössere Probleme auf bei der Umsetzung des stare decisis. Erstens können Richter - und auch Anwälte - kleine Differenzen zu einem Präzedenzfall als signifikant erachten. Dies resultiert dann in einer Fülle von gleichberechtigten "Präzedenzurteilen", die dann die Prognose eines Gerichtsfalles erschweren.

Ein zweites Problem sind sozusagen "historische" Präzedenzfälle. Im stare decisis haben sich Gerichte an Grundsätze zu halten, die sie vor mehr als hundert Jahren erstellt haben - aber gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel ändert - rein theoretisch - nichts am Wortlaut einer Urteilsbegründung oder eines Gesetzes. Ein klassisches Beispiel ist, vereinfacht dargestellt, das Second Amendment der amerikanischen Verfassung und seine Auslegung in Gerichtsfällen: Sie gibt dem Volk bzw. den damaligen Milizen das Recht auf Besitz und Tragen von Waffen. Ein damaliger Waffenbesitzer konnte sicher nicht wegen unerlaubtem Besitz einer Waffe verurteilt werden, da es dazumals nur primitive Vorderlader-Gewehre gab. Die Frage ist nun: Stellt heute eine automatische Maschinenpistole ein signifikanter Unterschied zur damaligen Lage dar, oder sind alle Waffen gemäss dem wortwörtlichen Sinn des Second Amendment gleich zu behandeln?