Milet (griechisch: Miletos oder Milatos, lateinisch: Miletus) auch Palatia (Mittelalter) und Balat (Neuzeit) genannt, war eine antike Stadtgründung an der Westküste Kleinasiens.
Geographische Situation
Milet liegt etwa 80 km südlich der heutigen Stadt Izmir in der Provinz Aydin.
Die antike Stadt Milet lag auf einer in die Einfahrt des Golfes von Milet hineinragenden Landzunge. Der Fluss Mäander, heute Büyük Menderes, der in diesen Golf mündete und große Mengen Sedimente mit sich führt, sorge für eine zunehmende Verlandung des Golfes, an dem neben Milet auch noch andere griechische Poleis, wie Magnesia, Herakleia und Priene lagen.
Einige Kilometer von Milet entfernt befand sich das von der Stadt verwaltete und international bedeutende Apollon-Heiligtum von Didyma.
Geschichte
Vor- und Frühgeschichte
Es ist bislang nur ein einziger gesicherter neolithischer Siedlungsplatz in der Nähe Milets bekannt, jedoch finden sich bei Ausgrabungen in Milet immer wieder isolierte steinzeitliche Funde.
Bronzezeit
Es existierte im Gebiet des Athenatempels eine bedeutende minoisch-mykenische Ansiedlung. Hinzu kommen einige reich ausgestattete Gräber auf dem Degirmen-Tepe. Eine aktuelle Forschungsmeinung setzt das in hethitischen Schriftquellen des 2. Jahrtausends v. Chr. erwähnte Milawanda mit dem späteren Milet gleich.
Antike
geometrische Zeit
Die Geschichte des griechischen Milet begann mit der Kolonisation durch Ionier um 1000 v. Chr.
archaische Zeit
Vom 8. Jh. v. Chr. an stieg Milet zu einer der bedeutendsten griechischen Poleis auf, übte zeitweise die Seeherrschaft über die Ägäis aus und gründete zahlreiche Kolonien, besonders am Schwarzen Meer, aber auch z. B. im ägyptischen Naukratis. Es kam zu Konflikten der griechischen Städte an der Westküste Kleinasiens mit den benachbarten Reichen der Lyder und später der Perser. Im 6. Jahrhundert v. Chr. wurde die Stadt erst vom Lyderkönig Kroisos, dann von den Persern unter Kyros II. unterworfen. Ein von Milet ausgehender Aufstand der ionischen Griechen gegen das Perserreich scheiterte, Milet wurde 494 v. Chr. erobert und zerstört. Herodot schreibt, dass die Einwohner verschleppt und umgesiedelt wurden, doch liegen substantielle Spuren der Wiederbesiedlung teilweise direkt auf der persischen Zerstörungsschicht, so dass zwischen diesen beiden Ereignissen nicht viel Zeit vergangen sein kann.
Die Zerstörung Milets durch die Perser 494 v. Chr. leitet die für die griechische Geschichte so wichtige Zeit der Perserkriege ein.
Klassische und Hellenistisch-römische Zeit
Nach dem Wiederaufbau erlangte die Polis nie wieder die Bedeutung, die sie in archaischer Zeit inne hatte.
Im 4. Jahrhundert, bis zum Alexanderfeldzug, stand die Stadt erneut unter persischer Oberherrschaft. In hellenistischer Zeit musste Milet sich zwischen den verschiedenen Mächten behaupten, die in Kleinasien herrschten, und wurde 133 v. Chr. zusammen mit dem Königreich Pergamon Teil der römischen Provinz Asia.
In der römischen Kaiserzeit blühte die Stadt noch einmal auf, wurde mit zahlreichen Bauten geschmückt, blieb jedoch von untergeordneter Bedeutung, da die Römer Ephesos als Provinzhauptstadt wählten.
Byzantinische Zeit
Ein starker Bevölkerungsrückgang ist seit der Spätantike zu verzeichnen. Die Besiedlung konzentrierte sich nunmehr auf das große Theater, in dessen Zuschauerraum Wohnhäuser errichtet wurden und das gegen feindliche Überfälle befestigt wurde. Zudem erbaute man in dieser Zeit auf der höchsten Stelle des Theaters ein Kastell, worauf der mittelalterliche Name Milets "Palatia" zurückzuführen ist. Als Bischofssitz kommt Milet in dieser Zeit eine überregionale Bedeutung zu.
Osmanische Zeit
Die Fürsten von Mentesche hatten zeitweise ihren Sitz in Milet. Diese erbauten zahlreiche representative Gebäude. Die hervorragend erhaltene Ilyas Bey Moschee ist ein Beispiel.
Neuzeit
Bis zu einem schweren Erdbeben 1955 bestand im Ruinengelände ein Dorf namens Balat. Nach dem Erdbeben verlegte man die Siedlung nach Süden, außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes.
Archäologie
Geschichte der Ausgrabungen
Erste archäologische Untersuchungen führte O. Rayet 1873 durch. Ab 1899 begannen dann großangelegte Ausgrabungen im Stadtgebiet des antiken Milet unter der Leitung Th. Wiegands. Diese Arbeiten wurden ohne Unterbrechung bis 1913 fortgeführt. Die beiden Weltkriege, sowie die Kleinasiatische Krise unterbrachen die regelmässige Forschungstätigkeit in Milet. 1938 konnte jedoch C. Weickert ein kurze Grabungskampagne durchführen. Regelmässige Forschungen vor Ort wurden erst wieder 1955 begonnen. Die Leitung der Nachkriegsgrabungen unterlagen zunächst wieder C. Weickert, dann G. Kleiner und W. Müller-Wiener. Seit 1989 führt V v. Graeve die Ausgrabung.
Forschungsschwerpunkte
Archaische Zeit
Die Ausgrabung in Milet war 1899 begonnen worden mit dem Ziel, das Wissen über diese Stadt in archaischer Zeit zu vermehren, da Milet gerade in dieser Zeit eine herausragende Bedeutung zukam. Etwa als Geburtstätte der ionischen Naturphilosophie oder aufgrund des Schicksals der Stadt am Vorabend der Perserfeldzüge.
Tatsächlich erbrachten die Vorkriegsgrabungen hauptsächlich Ergebnisse zu den späteren Epochen. Archaische Funde und Befunde wurden nur am Kalabak-Tepe und am Athenatempel, sowie an vereinzelten Stellen im Stadtgebiet ergraben. A. v. Gerkan bezweifelte aufgrund dieses eher spärlichen Befundes, dass das archaische Milet an derselben Stelle, wie die spätere Stadt gelegen hat.
Die Forschungen nach dem Krieg zielten daher vielfach darauf ab, die Thesen A. v. Gerkans zu entkräften. Verstärkt grub man daher am Athenatempel.
Die neueren Forschungen widmeten sich wiederum dem Stadtquartier auf dem Kalabak-Tepe, wo ein Teil der Stadtmauer bekannt war. Am südlichen Abhang des Hügels wurde ein Wohnviertel mit mehreren Töpferöfen freigelegt. Weiterhin konnte die Situation auf der Ostterrasse des Hügels geklärt werden, wo ein Heiligtum der Artemis Chitone lag. Auch Probleme der frühklassischen Wiederbesiedelung nach 494 v. Chr. wurden bei diesen Grabungen erhellt. Auch wurde ein bislang nur aus den Quellen bekanntes Heiligtum der Aphrodite von Oikous entdeckt.
Nach heutigem Forschungsstand kann es als gesichert gelten, dass das archaische Milet an der selben Stelle lag, wie die spätere Stadt.
Hellenistisch-römische Zeit
Th. Wiegand konnte durch großräumige Flächengrabungen wichtige Erkenntnisse zur hellenistisch-römischen Zeit gewinnen:
Die Stadt besass demnach ein orthogonales Straßensystem, dessen Erfinder Hippodamos von Milet gewesen sein soll. Der Verlauf der hellenistischen und späterer Stadtmauern wurde wiedergewonnen.
Wichtige Gebäude dieser Zeitstufe:
- Theater
- Bouleuterion, der Versammlungsort der Boule oder des Rates.
- Nordmarkt, eine Marktanlage.
- Südmarkt, dessen repräsentatives Eigangstor von Th. Wiegand nach Berlin überführt wurde, wo es heute im Pergamon-Museum aufbewahrt wird.
- Nymphäum, eine mehrgeschossige Brunnenanlage mit Skulpturenschmuck.
- Faustina-Thermen, ein römisches Bad.
- Westmarkt, Markt am Athenatempel.
- Stadion
- Delphinion, Heiligtm des Apollon Delphinios, des Hauptgottes der Milesier. Das Heiligtum ist durch eine sog. Heilige Strasse mit dem Orakelheiligtum von Didyma, dem heutigen Didim verbunden.
Persönlichkeiten
Aus Milet stammten u. a. folgende Personen:
- die Philosophen Thales, Anaximander und Anaximenes
- der Schriftsteller Hekataios
- der Architekt Hippodamos