Ship-to-Gaza-Zwischenfall
Der Ship-to-Gaza-Zwischenfall war die Enterung eines vom Free Gaza Movement und anderen internationalen Gruppen organisierten Konvois von sechs Schiffen, beladen mit rund 10.000 Tonnen Hilfsgütern und 700 Aktivisten an Bord, am 31. Mai 2010 in internationalen Gewässern durch die Israelische Marine.[1] Während die Aktion bei den fünf anderen zum Konvoi gehörenden Schiffen ohne Zwischenfall verlief, wurden beim Entern der MV Mavi Marmara mindestens neun Menschen getötet und mehrere Dutzend verletzt.[2] Der Konvoi wollte die Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen, welche seit der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr 2007 und den daraufhin ansteigenden Raketenangriffen auf Israel aufrechterhalten wird.[3][4][5][6][7]

Vorgeschichte
Entwicklung im Gazastreifen
Nach dem vollständigen Abzug Israels aus dem Gazastreifen und der Räumung jüdischer Siedlungen nach 38 Jahren der Besatzung im Jahr 2005 etablierte sich die Hamas als stärkste Kraft. Während des Kampfs um Gaza gegen die verfeindete Fatah erlangte die Hamas im Jahr 2007 die vollständige Kontrolle über den Gazastreifen. In der Folge erhöhten sich die Anzahl palästinensischer Angriffe auf Israel vom Gazastreifen aus. Als Reaktion auf die anhaltenden Raketenangriffe auf die israelische Stadt Sderot mit Qassam-Raketen durch die Hamas aus dem nördlichen Gazastreifen sperrte Israel zunächst am 18. Januar 2008 die Grenzübergänge zum Gazastreifen und stellte die Treibstoff-Lieferungen ein. Nachdem das einzige Ölkraftwerk bei Gaza-Stadt seine Stromproduktion am 20. Januar 2008 einstellen musste, kam es zunächst zu einem großen Stromausfall im Gazastreifen. Israel und die Hamas-Regierung unter Ismail Haniyya machten sich gegenseitig für den Stromausfall verantwortlich.[8] Israel kontrolliert weiterhin mit seiner Armee den gesamten Zugang über die Luft und zur See. Der Flughafen Gaza wurde von Israel teilweise zerstört und eine Wiederaufnahme von Flugverbindungen ist ohne Zustimmung Israels nicht möglich. Auch der Bau eines Hochseehafens und die Aufnahme entsprechender Schiffsverbindungen werden von Israel verhindert. Israel begründet seine Haltung damit, dass Waffenlieferungen in den Gazastreifen unterbunden werden sollten.
Free Gaza Movement
Das Free Gaza Movement ist eine internationale, in Nikosia registrierte Organisation. In ihr arbeiten Hilfsorganisationen und politische Aktivisten zusammen, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Gemeinsam ist ihnen nach Eigendarstellung die „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“.[9] Eigenen Angaben zufolge hat die Bewegung das Ziel, die Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen bzw. auf sie aufmerksam zu machen.[10] Die Bewegung hat mehr als 70 prominente Unterstützer, unter anderem Desmond Tutu und Noam Chomsky. In Deutschland wird sie unterstützt von der Friedensorganisation Pax Christi und dem Verein Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges.
Gilad Schalit
Im Vorlauf der Aktion hatte die Familie des von der Hamas entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit Free Gaza angeboten, deren Anliegen bei der israelischen Regierung zu unterstützen, falls die Organisation sich bei Hamas dafür einsetzte, dass Schalit ein Paket mit Lebensmitteln und Briefen übergeben werden dürfe.[11] Laut dem Anwalt der Schalits sei dies aber abgelehnt worden, was deutlich mache, dass es den Organisatoren nicht um Menschenrechte, sondern nur um Provokation gehe.[12] Free Gaza widerspricht dieser Schilderung und bezeichnet die vorgebliche Ablehnung als „glatte Lüge“ und Teil einer israelischen Desinformation. Der Anwalt habe erst kurz vor Auslauf der Flotte in Griechenland Kontakt aufgenommen. Der irische Senator Mark Daly, einer von 35 europäischen Parlamentariern an Bord der Flotte, habe angeboten, falls möglich eine Postsendung („any letter“) an Schalit zu übergeben. Nach diesem Angebot habe der Anwalt nicht mehr reagiert.[13]
Hergang
Nach Angaben der Organisatoren haben die israelischen Soldaten beim oder bereits vor dem Betreten des unter komorischer Flagge fahrenden Passagierschiffs Mavi Marmara das Feuer auf schlafende Zivilisten eröffnet.[14][15] Nach israelischen Angaben sind hingegen die israelischen Soldaten bei der Enterung des Schiffes Mavi Marmara mit Messern, Eisenstangen und Schusswaffen angegriffen worden und haben erst daraufhin das Feuer eröffnet.[16][17] Israel gab bekannt, sieben Soldaten seien verletzt worden, zwei davon schwer.[18]
Israel erklärte, an Bord des Schiffes seien Waffen gewesen. Die türkische Organisation İnsan Hak ve Hürriyetleri İnsani Yardım Vakfı (IHH), die den Konvoi maßgeblich mitgeplant habe, unterhalte Verbindungen zur Hamas, zu al-Qaida und zu anderen islamistischen Organisationen in Algerien, Libyen und der Türkei.[19] Dem widersprach die IHH: Die Schiffe seien vor der Abfahrt vom türkischen Zoll umfassend kontrolliert und versiegelt worden, eine Nähe zur Hamas oder zu al-Qaida bestehe nicht.[20] Die israelische Regierung hatte zuvor angeboten, die Ladung der Hilfsflotte in Aschdod löschen zu lassen und die Güter dann nach einer Sicherheitskontrolle in den Gaza-Streifen zu transportieren.[21] Die Organisatoren der Flotte wiesen dieses Angebot jedoch als „lächerlich und beleidigend“ zurück, da Israel für die Blockade verantwortlich sei.[22]
In den Tagen nach dem Zwischenfall schob Israel die in Gewahrsam genommenen Aktivisten in ihre Heimatländer ab. Außerdem wurde damit begonnen, die Hilfsgüter des Konvois an die Grenzübergänge des Gazastreifens zu transportieren.[23] Die Hamas lehnte den Weitertransport in den Gazastreifen ab und begründete dies mit der Forderung nach der Freilassung aller Gefangenen der Hilfsflotte und damit, sie wolle entweder alle beschlagnahmten Güter haben oder keine.[24][25] Teile der konfiszierten Hilfslieferung wie etwa Baumaterial hat Israel an internationale Hilfsorganisationen übergeben, um, eigenen Angaben zufolge, "einen Missbrauch durch die Hamas zu verhindern".[26]
Passagiere und Organisationen
An Bord waren unter anderem zwei deutsche Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Annette Groth und Inge Höger,[27] und der ehemalige außenpolitische Sprecher der Linkspartei Norman Paech[28]. Außerdem begleiteten der schwedische Kriminalbuchautor Henning Mankell[29], die irische Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan, der stellvertretende Chef der Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges in Deutschland, Matthias Jochheim, sowie die 85 Jahre alte Holocaust-Überlebende Hedy Epstein den Konvoi.[30] Insgesamt waren 663 Passagiere aus 37 Staaten an Bord der Flotte.[31]
Bereits aus israelischer Gefangenschaft freigelassene Aktivisten erhoben gegen das israelische Militär Vorwürfe des Einsatzes von Elektroschockern und sprachen von Schlägen während der Zeit der Festnahme.[32] Außerdem seien Mobiltelefone, Laptops und Kameras der Aktivisten konfisziert worden.[33] Annette Groth kommentierte: „Sie hatten Schusswaffen, Taserwaffen, verschiedene Sorten von Tränengas und weitere Waffen, verglichen mit den zweieinhalb Holzknüppeln die wir gehabt hatten. [Wenn die IDF] von Selbstverteidigung spricht, ist dies absurd.“[34] Inge Höger berichtete, sie seien, noch bevor israelische Soldaten das Schiff betreten hätten, von den türkischen Aktivisten unter Deck eingeschlossen worden. Dies sei offenbar zu ihrem Schutz geschehen. Männer und Frauen seien getrennt worden.[35]
Medienberichten zufolge wollten mindestens drei der türkischen Todesopfer an Bord des Konvois als Märtyrer sterben. Dies hätten sie vor ihrer Abreise Verwandten oder Freunden berichtet. Sie sollen zudem aus islamistischen Kreisen stammen.[36][37]
Weiterhin beteiligten sich die türkische IHH, das internationale Free Gaza Movement und die griechische Organisation Boat for Gaza an dem Konvoi.
IHH
Die türkische IHH, die die Aktion maßgeblich mitplante und durchführte, brachte Medienberichten zufolge offenbar zur Gewalt entschlossene Provokateure mit an Bord des Konvois. Videoaufnahmen würden beweisen, dass die Gewalttäter mit selbstgebauten Waffen eine Konfrontation vorbereiteten.[38][39] Die taz sieht Norman Paechs Beobachtung, dass verletzte israelische Soldaten in die Hände von Aktivisten fielen, als Stärkung der „Version der israelischen Armee, die Soldaten seien entgegen aller Erwartung massiv angegriffen worden, nachdem sie sich aufs Deck der Mavi Marmara abgeseilt hatten.“ Während die israelische Seite allerdings berichtet, die Soldaten seien mit Eisenstangen, Messern und Äxten attackiert worden, gab Paech an, lediglich ein paar Holzknüppel gesehen zu haben.[40]
Die IHH gilt bei westlichen Nachrichtendiensten als islamistische Organisation mit Nähe zur Hamas, zu al-Qaida und zu den Taliban. Der britische Telegraph bezeichnet sie als eine „radikale islamistische Gruppe im Gewand einer humanitären Organisation“[41]. Die IHH soll islamistische Terroristen mit Waffen unterstützt haben.[42]
Bei der IHH wurden durch türkische Behörden im Jahre 1997 Waffen, Sprengstoff, Anleitungen zum Bombenbau sowie eine Dschihad-Flagge sichergestellt. Laut der Behörden sollten festgenommene Mitglieder der Organisation als Kämpfer nach Afghanistan, Bosnien und Tschetschenien gesandt werden. Der französische Geheimdienst sah Mitte der 1990er Jahre Verbindungen zu al-Qaida und warf der Organisation Unterstützung für den Dschihad vor.[43]
Laut der eng mit der israelischen Armee verbundenen Nichtregierungsorganisation Intelligence and Terrorism Information Center hat der IHH-Vorsitzende Bülent Yildirim bereits am 7. April 2010 angekündigt, dass der Konvoi ein „Test“ für Israel sein werde und dass israelischer Widerstand eine „Kriegserklärung” an jene Länder sei, aus denen sich Aktivisten an Bord der Schiffe befinden.[44] Er sagte, der Zweck der Aktion sei es nicht, der Hamas zu helfen, sondern der Bevölkerung von Gaza.[45] Anlässlich des Auslaufens der Schiffe in Istanbul kündigte Yildirim an, dass Israel in der Welt isoliert sein werde und sich selber schade, wenn es verhindere, dass die Schiffe den Gazastreifen erreichen.[44] Am 21. Mai kündigte der lokale Vertreter der IHH im Gazastreifen an, dass jeden Monat Schiffe in den Gazastreifen entsandt werden sollen.[44]
Die IHH rief nach dem Vorfall zu Demonstrationen in der Türkei auf. Dem Spiegel und der Welt zufolge zeigte sich dabei die Nähe der Organisation zur islamisch-fundamentalistischen Muslimbruderschaft und anderen radikalen Gruppen.[46][47] Bei der Verabschiedung eines der Schiffe in Istanbul sollen hochrangige Vertreter der Terrororganisation Hamas und der Muslimbruderschaft anwesend gewesen sein.[12]
Der türkischen Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan wurde in deutschen Medien vorgeworfen, sie würde dem Vorgehen der türkischen Organisation IHH und ihren Verbindungen zu radikalen Islamisten unkritisch gegenüberstehen. Es wecke Bedenken, ob die Türkei unter Erdoğan ein „verlässlicher Partner im Kampf gegen Extremismus“ sei.[48][49]
Reaktionen
Israel
Die israelische Regierung erklärte, sie bedauere, dass Menschen bei der Aktion umgekommen seien, betonte jedoch, Soldaten der Israelischen Streitkräfte seien von bewaffneten Aktivisten bei der Enterung angegriffen worden. Israel hatte im Vorfeld mehrmals erklärt, eine direkte Durchfahrt in den Hafen von Gaza nicht zu gestatten und die Schiffe notfalls gewaltsam zu stoppen.
Zwei Tage nach dem Zwischenfall schob Israel einen Großteil der in Gewahrsam genommenen Aktivisten in ihre Heimatländer ab. Außerdem wurde damit begonnen, die Hilfsgüter des Konvois in die Palästinensergebiete zu transportieren.[50]
Türkei
Offizielle der Türkei kritisierten Israels Vorgehen heftig. Israel habe „auf unschuldige Zivilisten gezielt“. Das Entern der Schiffe sei in internationalen Gewässern erfolgt und somit ein „Akt der Piraterie“. Die Türkei zog als Reaktion ihren Botschafter aus Israel ab. Der Konvoi war von dem türkisch besetzten Teil Zyperns aus aufgebrochen. Der größte Teil der Aktivisten soll türkischer Herkunft sein. Eines der Schiffe fuhr zudem unter türkischer Flagge.[51] Die Türkei forderte eine Bestrafung Israels.[52]
USA
US-Präsident Barack Obama bedauerte, dass es zu Todesfällen kam, und hofft auf eine schnelle Aufklärung.[53] US-Vizepräsident Joe Biden verteidigte die Enterung des Konvois. Israel habe das Recht, die Gaza-Flottille auf mögliche Waffen und andere unerlaubte Güter zu überprüfen.[54]
International
Mehrere EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich zeigten sich betroffen von den Vorkommnissen und verlangten umfangreiche Aufklärung über den Fall. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft bezeichnete die Tatsache, dass Menschen umgekommen sind, als „äußerst schwerwiegend und inakzeptabel“. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek nannte den Zwischenfall "einen ungerechtfertigten Angriff" und "eine klare und nicht hinnehmbare Verletzung des Völkerrechts, insbesondere der 4. Genfer Konvention". Andere Mitglieder des Europäischen Parlaments beschrieben Israels Aktionen mit Worten wie "Terrorismus" und "Entführung".[55] EU-Außenpolitikerin Catherine Ashton verlangte israelischen Behörden um eine "umfassende Untersuchung" der Todesfälle auf der Flottille.[56] Sie appelierte auch für die Öffnung der Grenze, so dass humanitäre Hilfe ihr Ziel erreichen kann. Die Botschafter der 27 EU-Mitglieder sagten: "Die EU verurteilt den Einsatz von Gewalt, die eine hohe Zahl von Opfern unter den Mitgliedern der Flottille hervorrief und fordert eine sofortige, umfassende und unparteiische Untersuchung der Ereignisse und deren Umstände."[57]
Zwei Schiffe der Flotte fuhren unter griechischer Flagge. Griechenland bestellte den israelischen Botschafter ins Außenministerium. Außerdem wurde das gemeinsame griechisch-israelische Militärmanöver von griechischer Seite beendet.[58]
Der irische Außenminister Micheál Martin bezeichnete das Festhalten der überlebenden Angehörigen der Hilfsflotte, unter denen sich auch irische Staatsbürger befinden, als „kidnapping“.[59]
Nicaragua brach wegen des Überfalls die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab und forderte ein Ende der Blockade gegen den Gazastreifen.[60][61]
Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR), Navanethem Pillay, sagte, der erschreckende Ausgang der Operation könne durch nichts gerechtfertigt werden. Sie sprach von unverhältnismäßigem Einsatz von Gewalt, die zur Tötung und Verwundung von Leuten geführt habe, die versucht hätten, der Bevölkerung von Gaza dringend benötigte Hilfe zu bringen.[62]
Der UN-Sicherheitsrat kam bezüglich der Hilfslieferungen zu folgendem Schluss: The security council requests the immediate release of the ships as well as the civilians held by Israel. The council urges Israel to permit full consular access, to allow the countries concerned to retrieve their deceased and wounded immediately, and to ensure the delivery of humanitarian assistance from the convoy to its destination. (Unübersetzt, da offizieller UN-Beschluss)[63].
Richard Falk zufolge „ist Israel eines schockierenden Verhaltens schuldig, indem es tödliche Waffen gegen unbewaffnete Zivilisten auf Schiffen einsetzt, die sich auf hoher See befanden, wo dem Seerecht zufolge Bewegungsfreiheit besteht“.[64] Falk ist Spezialberichterstatter des umstrittenen UN-Menschenrechtsrates.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte schließlich als Konsequenz aus dem Zwischenfall ein Ende der Blockade des Gazastreifens, da die unschuldige Zivilisten bestrafe. Er unterstützte die Forderung des UN-Menschenrechtsrates nach einer unabhängigen Untersuchung der Vorkommnisse.[65]
Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Musa, erklärte, der Vorfall sei ein Zeichen dafür, dass Friedensverhandlungen mit Israel nichts bringen würden. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bezeichnete den Vorfall als „Massaker“ und „abscheuliches Verbrechen“.[66] Ägypten öffnete einen Tag nach dem Zwischenfall den Grenzübergang Rafah, um den Palästinensern im Gazastreifen vorübergehend den Zugang zur Sinai-Halbinsel zu ermöglichen.[67]
Demonstrationen
In Istanbul demonstrierten mehr als 10.000 Menschen und in Paris etwa 1.200 gegen das israelische Vorgehen. Auch in London, Straßburg und weiteren europäischen Großstädten kam es zu Demonstrationen.[68] In Israel fanden sowohl Demonstrationen für das israelische Vorgehen als auch dagegen statt.[69]
Internationales Recht
Nach dem Seerechtsübereinkommen erstreckt sich das Hoheitsgebiet eines Staates zwölf Seemeilen von der Basislinie der Küste, das sogenannte Küstenmeer. Israel beansprucht zwar Hoheitsgewässer in diesem Ausmaß, hat jedoch das Seerechtsabkommen nicht unterzeichnet.[70] Außerhalb der Hoheitsgewässer dürfen zivile Schiffe nur unter bestimmten Bedingungen angehalten und durchsucht werden. Diese Grenzen legt Artikel 110 des Abkommens fest; es betrifft dies Sklavenhandel, Piraterie, illegale Rundfunksendungen, Schiffe ohne Staatsangehörigkeit und Schiffe des Flaggenstaates, die keine oder eine fremde Flagge zeigen. Ein begründeter Verdacht ist hierbei ausreichend.[71]
Das beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Genf hinterlegte, aber völkerrechtlich nicht bindende,[72] San Remo Manual on International Law Applicable to Armed Conflicts at Sea,[73] verbietet in Absatz 67(a) das Anhalten und Durchsuchen von zivilen Schiffen und auch den Angriff auf solche Schiffe, es sei denn, es besteht der begründete Verdacht, dass das Schiff eine Blockade durchbrechen soll oder konfliktrelevante Schmuggelgüter transportiert. Absatz 98 ermöglicht die Kaperung von blockadebrechenden Schiffen. Schiffe, die sich der Kaperung widersetzen, dürfen angegriffen werden. Eine solche Blockade muss erklärt sein, und die zivilen Schiffe, die diese zu brechen versuchen, müssen vor dem Angriff gewarnt werden. Ist die von der Blockade betroffene Zivilbevölkerung unzureichend mit Lebensmitteln und anderen grundlegenden Gütern versorgt, muss nach Absatz 103 der die Blockade verhängende Staat die Versorgung von außen zulassen; er kann allerdings die Art und Weise der Versorgung vorschreiben und Kontrollen vornehmen.[74]
Der Völkerrechtsprofessor Daniel-Erasmus Khan kritisierte den israelischen Einsatz als unverhältnismäßig.[75] Zwar sei die Durchsetzung einer Seeblockade auch in internationalen Gewässern rechtmäßig, wenn zwischen Israel und der Hamas ein bewaffneter Konflikt bestehe; im Falle eines bewaffneten Konflikts könne Israel sich jedoch nicht zugleich auf seinen Status als Besatzungsmacht berufen, aus dem es Hoheitsrechte über den Gaza-Streifen geltend mache.[75] Nur wenn kein bewaffneter Konflikt vorliege, könne sich Israel auf das Hoheitsrecht über den Gazastreifen berufen und den Weg bestimmen, den eine Lieferung nehmen solle. In diesem Fall sei eine Kaperung in internationalen Gewässern aber rechtswidrig.[75]
Der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Nešković (Die Linke) hält den Anfangsverdacht eines Kriegsverbrechens für gegeben. Seiner Auffassung nach müsse die Bundesanwaltschaft Ermittlungen einleiten.[76]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Angriff auf Gaza-Konvoi. sueddeutsche.de
- ↑ Mindestens neun Tote bei israelischer Militäraktion. tagesschau.de
- ↑ http://www.welt.de/die-welt/politik/article7895034/Ist-die-Gaza-Blockade-rechtmaessig.html
- ↑ http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/7545636.stm
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- ↑ http://www.hrw.org/en/news/2008/01/25/israelgaza-israeli-blockade-unlawful-despite-gaza-border-breach
- ↑ http://www.n24.de/news/newsitem_6098535.html
- ↑ tagesschau.de: Blackout im Gaza-Streifen – Inszenierung oder humanitäre Krise?, 21. Januar 2008
- ↑ Die Free Gaza-Bewegung. In: FAZ vom 1. Juni 2010. Online
- ↑ http://www.freegaza.org/de/unser-ziel-
- ↑ Haaretz, 27. Mai 2010: Gaza aid convoy refuses to deliver package to Gilad Shalit
- ↑ a b Michael Borgstede: "Solidaritätsflotte“ als Provokation gegen Israel. Die Welt
- ↑ http://palsolidarity.org/2010/05/12531/
- ↑ Civilians Under Attack by Israel
- ↑ http://www.guardian.co.uk/world/2010/jun/01/gaza-flotilla-eyewitness-accounts-gunfire
- ↑ FAZ, 31. Mai 2010: Israelische Streitkräfte entern „Solidaritätsflotte“
- ↑ Die Welt, 31. Mai 2010: Israelisches Kommando stürmt gewaltsam Flottille
- ↑ http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/israel-navy-commandos-gaza-flotilla-activists-tried-to-lynch-us-1.293089
- ↑ http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/IHH-Hilfsorganisation-oder-Terrorhelfer/story/25586983
- ↑ http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/gaza-Stiftung
- ↑ Israel invites the international flotilla to unload its cargo in Ashdod port. Mitteilung des israelischen Außenministeriums, 27. Mai 2010
- ↑ Defying Blockade, Cargo and Passenger Vessels Head for Gaza. The New York Times, 27. Mai 2010
- ↑ http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,698180,00.html
- ↑ http://oe1.orf.at/artikel/246097
- ↑ http://www.orf.at/100603-51981/index.html
- ↑ http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/medien/hamas_verweigert_annahme_der_hilfsgueter_1.5868582.html
- ↑ Friedensfreunde wollen Gaza-Blockade durchbrechen Die Linke Rheinland-Pfalz
- ↑ http://www.tagesschau.de/ausland/israelangriff102.html
- ↑ ”Vi har inte hört av honom” Aftonbladet
- ↑ Financial Times Deutschland, 31. Mai 2010: Deutsche Abgeordnete überstehen Militäraktion unbeschadet
- ↑ Israel transfers hundreds of Gaza flotilla activists to airport for deportation
- ↑ Israel will sich nicht entschuldigen. orf.at, 1. Juni 2010, abgerufen am 1. Juni 2010.
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- ↑ Euronews 31.Mai 2010, 19:00
- ↑ Chronological lists of ratifications of, accessions and successions to the Convention and the related Agreements as at 01 March 2010. United Nations, 1. März 2010, abgerufen am 1. Juni 2010 (englisch).
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- ↑ International Review of the Red Cross no 309, p.583-94 by Louise Doswald-Beck. San Remo Manual on International Law Applicable to Armed Conflict at Sea. "The Manual is not a binding document."
- ↑ http://www.abc.net.au/lateline/content/2010/s2914517.htm
- ↑ San Remo Manual on International Law Applicable to Armed Conflicts at Sea. Abgerufen am 1. Juni 2010 (englisch).
- ↑ a b c Dietmar Hipp: "Zu einem solchen Blutbad hätte es niemals kommen dürfen". Spiegel Online
- ↑ http://www.neues-deutschland.de/artikel/172036.anfangsverdacht-fuer-ein-kriegsverbrechen.html