Sonnō jōi

Parole einer neokonfuzianischen japanischen politischen Philosophie
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Sonnō jōi (jap. 尊皇攘夷 oder 尊王攘夷) war die Parole einer neokonfuzianischen japanischen politischen Philosophie und sozialen Bewegung. In den 1850er und 1860er Jahren wurde sie zum politischem Slogan einer von niederen Samurai und nichtadligen Bevölkerungsteilen[1] getragenen Bewegung, die das auch als Bakufu bezeichnete Tokugawa-Shōgunat beseitigen wollte. Sonnō jōi kann mit „Verehrt den Kaiser, vertreibt die Barbaren.[2] oder mit „Respektiert den Kaiser, vertreibt die Barbaren.[3] übersetzt werden.

Samurai unter dem Banner „Sonnō jōi“ (rechts) während der Mito-Rebellion (Tsukuba, 17. Juni 1864)

Herkunft

Ursprünglich war die Parole bereits seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. in China bekannt. Herzog Qí Huán Gōng verwendete den Slogan (chinesisch 尊王攘夷, Pinyin zunwáng rǎngyí) in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen. Während dieser Epoche verloren die chinesischen Könige der Zhou-Dynastie die Kontrolle über die anderen Feudalstaaten des chinesischen Reiches. Herzog Huan benutzte den Slogan, um die anderen Feudalstaaten davon zu überzeugen, den Zhou-Hof zu respektieren. Durch Vergünstigungen die Qí Huán Gōng daraufhin von König Zhou Xiangwang erhielt, wurde er aber tatsächlich zum ersten der Fünf Hegemonen über andere Feudalstaaten. Der Slogan hatte zu dieser Zeit bei weitem nicht die tiefergehende Bedeutung, die er viel später in Japan erhalten sollte.

Der Ursprung einer auf Qí Huán Gōngs Parole basierenden Philosophie kann zu den Werken der japanischen neokonfuzianischen Gelehrten Yamazaki Anzai und Yamaga Sokō zurückgeführt werden, die die Unantastbarkeit des japanischen Kaiserhauses und dessen Überlegenheit über die Herrschaftshäuser anderer Staaten behandelten. Diese im 17. Jahrhundert entstandenen Ideen wurden von den Kokugaku-Gelehrten Motoori Norinaga und Takenouchi Shikibu in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Theorie des absoluten Gehorsams gegenüber dem Tennō (尊皇論, Sonnōron) weiterentwickelt. Die beiden Gelehrten implizierten, dass dem herrschenden Tokugawa-Shogunat weniger Loyalität entgegenzubringen sei als dem Tennō.

Der Mitogaku-Gelehrte Aizawa Seishisai (会沢 正志斎) popularisierte im Jahr 1825 sonnō jōi mit seinem polemischen Werk Shinron (新論, „Neue Thesen“).[4] Sonnō bedeutete nach Aizawa die Verehrung des Kaisers durch das Tokugawa-Shōgunat und mit jōi war die Beseitigung barbarischer (d.h. westlicher) kultureller Einflüsse in Japan gemeint, zu denen insbesondere das Christentum zählte.[5] Eine nationalistische, auf den Lehren Aizawas basierende Bewegung entstand erstmals in den 1830er Jahren in der Han Mito während des Daimiats von Tokugawa Nariaki.[6]

Während des Bakumatsu

Mit dem Erscheinen einer US-amerikanischen Flotte unter dem Kommando von Matthew Calbraith Perry am 8. Juli 1853 und dem Abschluss des Vertrages von Kanagawa durch das Shōgunat am 31. März 1854 wurde die Abschließung des Landes komplett in Frage gestellt. Jōi konkretisierte sich zur Gegenreaktion auf die von der Mehrzahl der Samurai als Demütigung empfundenen Nötigung Japans durch die westlichen Mächte. Außerhalb von Mito bildeten sich in Chōshū, Satsuma und Tosa starke Bewegungen, deren Leitsatz Sonnō jōi wurde. Die Tatsache, dass das Shōgunat trotz der Befürwortung von Gegenmaßnahmen durch den Kaiserhof den Fremden keinen nennenswerten Widerstand leistete, wurde von Yoshida Shoin und anderen Führern der Anti-Tokugawa-Bewegung als Beweis dafür angesehen, dass das Shōgunat durch eine Regierung ersetzt werden müsse, die den Willen des Kaisers besser durchsetzen konnte.

Doch erst mit der Unterzeichnung des ungleichen Amerikanisch-Japanischen Freundschafts- und Handelsvertrags am 29. Juli 1858 radikalisierten sich die „Sonnō jōi“-Bewegungen. Hatte Yoshida Shoin in Satsuma bis dahin jeglichen bewaffneten Widerstand gegen das Shōgunat abgelehnt, befürwortete er ab diesem Zeitpunkt einen gewaltsamen Umsturz zur Wiederherstellung der Macht des japanischen Kaisers. Der Slogan wurde damit zum Kampfschrei der gegen die Macht des Shōgunats rebellierenden Han Chōshū, Satsuma, Mito und Tosa. In der Folge begannen Samurai aus diesen Han Attentate auf hohe Würdenträger des Bakufu und Ausländer auszuführen. Die bekanntesten Attentäter waren die in der japanischen Geschichtsschreibung als „die vier Hitokiri des Bakumatsu“ (幕末四大人斬り, Bakumatsu Shidai Hitokiri) bekannten Samurai Kawakami Gensai (河上 彦斎), Kirino Toshiaki (桐野 利秋), Tanaka Shimbē (田中 新兵衛) und Okada Izō (岡田 以蔵).

Das Bakufu reagierte zunächst mit Härte gegen die abtrünnigen Samurai. Den von Tairō Ii Naosuke initiierten Ansei-Säuberungen von 1858 bis 1859 fielen neben Yoshida Shoin etwa 100 weitere Führungspersönlichkeiten der „Sonnō jōi“-Bewegung zum Opfer. Da das Shōgunat in den rebellierenden Han de facto keinen Einfluss mehr hatte, blieben die Repressionsmaßnahmen letzlich wirkungslos und wurden nach Ii Naosukes Ermordung am 24. März 1860 eingestellt. Die Fremdenfeindlichkeit der rebellierenden Samurai erreichte in der Folgezeit mit dem Namamugi-Zwischenfall einen ersten Höhepunkt, als der britische Händler Charles Lennox Richardson durch den Daimyō von Satsuma Shimazu Hisamitsu getötet wurde.

Nicht überraschend sympathisierte der Kaiserliche Hof in Kyōto mit den abtrünnigen Samurai. Kaiser Kōmei unterstützte persönlich die Bewegungen und brach dadurch mit der jahrhundertelangen kaiserlichen Tradition, keine aktive Rolle in Staatsangelegenheiten zu spielen. Er kritisierte die durch das Shōgunat abgeschlossenen Verträge scharf und versuchte durch die Verheiratung der Prinzessin Kazunomiya Chikako Einfluss auf die Politik zu nehmen. Sein Wirken gipfelte in dem im März 1863 erlassenen „Kaiserlichen Befehl zur Vertreibung der Barbaren“ (攘夷勅命, jōi chokumei).

Das Shōgunat ignorierte diesen kaiserlichen Befehl, nicht jedoch die rebellierenden Han. In Chōshū wurden ausländische Schiffe bei Shimonoseki beschossen. Samurai ermordeten immer häufiger Shōgunatsbeamte und und weitere Ausländer. Die westlichen Staaten antworteten mit horrenden Reparationsforderungen, dem Beschuss von Kagoshima und dem Bombardement von Shimonoseki. Im Mai 1864 brach in dem Han Mito ein offener Aufstand gegen das Bakufu aus, der bis zum Januar 1865 durch Truppen des Shogunats niedergeschlagen wurde.

Die militärischen Auseinandersetzungen machten die Unterlegenheit der „Sonnō jōi“-Rebellen gegenüber den westlichen Mächten und dem Bakufu deutlich. Deshalb begannen die rebellierenden Han von ihrer fremdenfeindlichen Position abzurücken und mit den ausländischen Mächten zu kooperieren. Ab 1864 wurde Sonnō jōi zum alleinigen Schlagwort für die Ablösung des Bakufu.[7] Von Satsuma, Chōshū und Tosa wurden umfangreiche Handelskontakte zu England hergestellt. Diese wurden zum Aufbau von schlagkräftigen Armeen genutzt, mit deren Hilfe schließlich das Shōgunat gestürzt werden sollte. Das Shōgunat selbst erhielt umfangreiche Militärhilfe aus Frankreich, konnte sich aber nur noch bis zum Ausbruch des Boshin-Krieges an der Macht halten.

Kaiser Kōmei wurde von Iwakura Tomomi vergiftet, weil er 1866 auf Annäherungsversuche des Shōgunats eingegangen war.[8] Sein Nachfolger wurde Mutsuhito, der fest hinter der „Sonnō jōi“-Bewegung stand und dessen Regentschaft das imperialistische Zeitalter in der japanischen Geschichte einleitete.

Nach der Meiji-Restauration

Nach der Wiederherstellung der Macht von Kaiser Mutsuhito in der Meiji-Restauration wurde der Slogan stillschweigend fallen gelassen und durch einen anderen ersetzt. Fukoku kyōhei (富国強兵, dt. „reiches Land, starkes Militär“) wurde die Parole der Meiji-Zeit und war Ausdruck für Japans imperialistische Expansionspolitik, die mit der Besetzung der Ryūkyū-Inseln im Jahr 1879 ihren Anfang nahm.

Literatur

Wissenschaftliche Literatur

  • Paul Akamatsu: Meiji 1868 - Revolution and Counter-Revolution in Japan Harper & Row, New York 1972 (Original: Meiji 1868 - Révolution et contre-révolution au Japon Calmann-Lévy, Paris 1968)
  • W. G. Beasley: The Meiji Restoration Stanford University Press, Stanford 1972
  • David Bergamini: Japans Imperial Conspiracy, Verlag Heinemann London 1971
  • Albert M. Craig: Chōshū in the Meiji Restoration; Lexington Books, 2000; ISBN 0739101935 (ursprünglich bei Harvard University Press 1961 erschienen)
  • Peter Kleinen: Im Tode ein Buddha: buddhistisch-nationale Identitätsbildung in Japan am Beispiel der Traktate Gesshôs; LIT Verlag Münster 2002; ISBN 3825858278
  • Marius B. Jansen, Gilbert Rozman (Hrsg.): Japan in Transition - From Tokugawa to Meiji; Princeton University Press, Princeton 1986, ISBN 0-691-05459-2
  • Marius B. Jansen: The Making of Modern Japan; The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-674-00334-9
  • Franklin Ng (Hrsg.): The Asian American encyclopedia, Band 5; Verlag Marshall Cavendish 1995; ISBN 1854356844
  • Ryotaro Shiba: The Last Shogun - The Life of Tokugawa Yoshinobu; Kodansha, New York 1998, ISBN 1568362463
  • Bob Tadashi Wakabayashi: Anti-Foreignism and Western Learning in Early-Modern Japan: The New Theses of 1825; Harvard University Press 1986; ISBN 0-674-04037-6

Romane

Einzelnachweise

  1. Kleinen: Im Tode ein Buddha, S. 60
  2. Ng: The Asian American encyclopedia, Bd. 5; S. 1362
  3. Craig: Chōshū in the Meiji restoration, S. 144
  4. Wakabayashi: Anti-foreignism and Western learning in early-modern Japan, S. 3
  5. Wakabayashi: Anti-foreignism and Western learning in early-modern Japan, S. 21
  6. Craig: Chōshū in the Meiji restoration, S. 153
  7. Wakabayashi: Anti-foreignism and Western learning in early-modern Japan, S. 4
  8. Bergamini: Japans Imperial Conspiracy, S. 433

Siehe auch

  • wakon yōsai („japanischer Geist und westliche Technik“)