Rudi Dutschke

deutscher Soziologe, politischer Aktivist und Redner
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Rudi Dutschke, eigentlich Alfred Willi Rudolf Dutschke (* 7. März 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde; † 24. Dezember 1979 in Århus, Dänemark), war ein marxistischer Soziologe. Er gilt als bekanntester Vertreter der westdeutschen Studentenbewegung in den 1960er Jahren, der so genannten „68er-Bewegung“. Später gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Partei "Die Grünen". Dutschke war mit Gretchen Klotz verheiratet und hatte drei Kinder: Polly, Hosea-Che und Rudi-Marek. Er starb an den Spätfolgen eines Attentats, bei dem er schwere Hirnverletzungen davongetragen hatte.

Leben

Jugend und Studium

Rudi Dutschke, vierter Sohn eines Postbeamten, verbrachte seine Jugendjahre in der DDR. Er war in der evangelischen Jugend von Luckenwalde aktiv, wo er seine "religiös sozialistische" Grundprägung erhielt. Als Leistungssportler (Zehnkampf) wollte er zunächst Sportreporter werden und trat deshalb 1956 in die FDJ ein.

 
Gedenktafel vor dem Luckenwalder Gymnasium

Durch den Volksaufstand in Ungarn 1956 wurde Dutschke politisiert. Er ergriff Partei für einen demokratischen Sozialismus, der sich sowohl von den USA als auch der Sowjetunion distanzierte. Der SED stand er ebenso zunehmend ablehnend gegenüber. Im Gegensatz zum antifaschistischen Anspruch ihrer Staatsideologie sah er die alten Strukturen und Mentalitäten im Osten ebenso fortdauern wie im Westen. 1957 trat er öffentlich gegen die Militarisierung der DDR-Gesellschaft und für Reisefreiheit ein. Er verweigerte den Militärdienst in der NVA und rief andere dazu auf. Nach seinem Abitur 1958 und seiner Ausbildung zum Industriekaufmann in einem Luckenwalder VEB verwehrten die DDR-Behörden ihm daher das gewünschte Sportstudium.

Daraufhin pendelte Dutschke regelmäßig nach Westberlin und wiederholte dort sein Abitur, um in der Bundesrepublik studieren zu können. Nebenher schrieb er Sportreportagen, unter anderem für die "B.Z." aus dem Axel-Springer-Verlag. 1961, kurz vor dem Mauerbau, siedelte er nach Westberlin über, um Soziologie, Ethnologie, Philosophie und Geschichte an der Freien Universität zu studieren. Ihr blieb er bis zu seiner Promotion 1973 verbunden.

Anfangs beschäftigte er sich mit dem Existentialismus Heideggers und Sartres, bald aber auch mit marxistischer Theorie. Er studierte die Frühschriften von Karl Marx, die marxistischen Geschichtsphilosophen Georg Lukács und Ernst Bloch, die "Kritische Theorie" (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse) und die Geschichte der Arbeiterbewegung. Angeregt durch die Begegnung mit der amerikanischen Theologie-Studentin Gretchen Klotz – seiner späteren Frau – las er auch Theologen der Weimarer Zeit wie Karl Barth und Paul Tillich. Aus seinem christlichen geprägten wurde nun ein marxistisch fundierter Sozialismus, der immer die Entscheidungsfreiheit des Individuums gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen betonte.

Das Theoriestudium verband Dutschke schon früh mit praktisch-politischem Engagement. Er gab u.a. die Zeitschrift "Anschlag" heraus, in der Kritik am Kapitalismus, die Probleme der "Dritten Welt" und neue politische Organisationsformen thematisiert wurden. Das Blatt galt wegen seiner "aktionistischen" Ausrichtung im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) damals als "anarchistisch". 1962 gründete Dutschke mit Bernd Rabehl eine Berliner Gruppe der Münchner "Subversiven Aktion", die einen Teil der Situationistische Internationale bilden wollte. 1964 nahm der SDS diese Gruppe auf. Im Jahr darauf wurde Dutschke in den politischen Beirat des Berliner SDS gewählt, dessen politische Richtung er fortan mit prägte.

Studentenbewegung

Ab 1966 organisierte Dutschke zusammen mit dem SDS zahlreiche Demonstrationen für die Demokratisierung der Hochschulen, gegen die "Große Koalition", die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg. Die wachsende Studentenbewegung verknüpfte diese Themen miteinander und verstand sich nun wie zuvor die Ostermarschbewegung als Teil einer "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) in der Bundesrepublik.

Am 23. März 1966 heirateten Rudi Dutschke und Gretchen Klotz. Dutschke wollte mit einer Arbeit über Georg Lukács bei Hans-Joachim Lieber, dem damaligen Rektor der FU, promovieren. Nach Auseinandersetzungen um das politische Mandat des Berliner AStA, die Verkürzung der Regelstudienzeit und Nutzung von Universitätsräumen für Aktionen gegen den Vietnamkrieg verlängerte Lieber Dutschkes Assistentenvertrag an der FU Berlin nicht. Eine akademische Laufbahn schied für ihn damit vorerst aus.

Im Mai des Jahres bereitete er den bundesweiten Vietnamkongress in Frankfurt a.M. mit vor. Hauptreferate dort hielten bekannte Professoren der "Neuen Linken" (u.a. Herbert Marcuse, Oskar Negt) und der eher "traditionalistischen" Linken außerhalb der SPD (Frank Deppe, Wolfgang Abendroth).

Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg im Verlauf einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien, Reza Pahlevi, von einem Polizisten erschossen. Dutschke und der SDS riefen bundesweit zu Sitzblockaden bis zur Aufklärung der Todesumstände Ohnesorgs auf, forderten den Rücktritt der Verantwortlichen für den Polizeieinsatz und die Enteignung des Verlegers Axel Springer. Die Studenten machten die kampagnenartige Berichterstattung der Zeitungen seines Verlags für Ohnesorgs Tod mitverantwortlich. Ihre Sicht wurde nun auch erstmals von etablierten Medien wie dem Spiegel, der Frankfurter Rundschau und der Zeit aufgegriffen. Jedoch solidarisierten sich weiterhin nur wenige Professoren mit den protestierenden Studenten, darunter Dutschkes Freund Helmut Gollwitzer.

Darum beteiligte sich Dutschke an der Vorbereitung der "Kritischen Universität", die mit 33 Arbeitskreisen zu verschiedensten Themen von etwa 400 Westberliner Studenten in Eigenregie im Wintersemester 1967/68 an der FU durchgeführt wurde. Sie sollte nach dem Vorbild ähnlicher Versuche in Berkeley und Paris demokratische Hochschulreformen und den Aufbau einer für Schüler und Arbeiter offenen "Gegenuniversität" experimentell vorwegnehmen.

Podiumsdiskussionen und Interviews, u.a. mit Rudolf Augstein, Ralf Dahrendorf und Günter Gaus, machten Dutschke nun bundesweit bekannt. Der Studentenführer erfuhr auch zunehmend Ablehnung und offenen Hass. Bei einem „Go-in“ zum Gottesdienst am Heiligabend 1967 in der Berliner Gedächtniskirche versuchte er über den Vietnamkrieg zu diskutieren und wurde daraufhin von einem Gottesdienstbesucher niedergeschlagen.

Am «Internationalen Vietnam-Kongress» an der Berliner TU am 17. und 18. Februar 1968 beteiligten sich mehrere tausend Studenten. Die Abschlussdemonstration wurde die bis dahin größte deutsche Protestveranstaltung gegen den Vietnamkrieg. Dabei rief Dutschke zur massenhaften Desertion amerikanischer Soldaten und «Zerschlagung der NATO» auf. Sein Plan, die polizeilich genehmigte Route zu verlassen und vor den amerikanischen Kasernen zu demonstrieren, wurde fallengelassen, da mit Schusswaffengebrauch der Wachsoldaten zu rechnen war.

Das aufgeheizte politische Klima zeigte sich auch am 21. Februar 1968 bei einer vom Berliner Senat organisierten Pro-Amerika-Demonstration: Teilnehmer trugen Plakate z.B. mit der Aufschrift "Volksfeind Nr. 1: Rudi Dutschke". Dort wurde ein Passant mit Dutschke verwechselt, von der aufgebrachten Menge verfolgt, angegriffen und schwer verletzt.

Attentat

 
Gedenktafel für Rudi Dutschke

Am 11. April 1968 wurde Dutschke vor dem SDS-Büro von dem jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann abgepasst, der drei Schüsse auf ihn abfeuerte. Er erlitt lebensgefährliche Gehirnverletzungen und überlebte knapp nach einer mehrstündigen Operation. Heute erinnert eine Gedenktafel am Tatort vor dem Haus Kurfürstendamm 141 an das Attentat.

Bachmanns Motivation konnte nie ganz aufgeklärt werden; man fand bei ihm die "Nationalzeitung" und vermutete daher rechtsextreme Hintergründe. Viele Studenten machten die Springerpresse für das Attentat verantwortlich, da diese die Bevölkerung zuvor monatelang gegen Dutschke und die demonstrierenden Studenten aufgewiegelt hatte. Die "Bildzeitung" z.B. hatte Tage zuvor zum "Ergreifen" der "Rädelsführer" des Studentenprotests aufgerufen. Bei den folgenden Protestkundgebungen kam es zu Ausschreitungen, bei denen auch Verlagsgebäude beschädigt und Auslieferungsfahrzeuge angezündet wurden.

Dutschke musste sich Sprache und Gedächtnis in monatelanger Therapie mühsam wieder aneignen. Zur Genesung hielt er sich ab 1969 in der Schweiz, in Italien und dann in Großbritannien auf. Von dort wurde er während eines Irland-Urlaubs vorübergehend, bald darauf wegen angeblicher "subversiver Tätigkeit" endgültig ausgewiesen. Daher musste er sein 1970 begonnenes Studium an der Universität Cambridge abbrechen. Daraufhin zog er nach Dänemark, wo er eine Anstellung als Dozent an der Universität von Aarhus erhielt.

Spätzeit

Ab 1972 bereiste Dutschke wieder die Bundesrepublik. Er suchte nun vermehrt Gespräche mit Gewerkschaftern und Sozialdemokraten, darunter Gustav Heinemann, dessen Ziel eines blockfreien entmilitarisierten Gesamtdeutschlands er teilte. 1973 hielt er auf einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg in Bonn erstmals nach dem Attentat wieder eine öffentliche Rede.

Auch seine wissenschaftliche Karriere kam voran. 1974 veröffentlichte er seine Dissertation und wurde ein Jahr darauf Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der FU Berlin. In dessen Rahmen reiste er auch in die DDR, wo er Kontakt mit Dissidenten wie Wolf Biermann, Robert Havemann und Rudolf Bahro aufnahm.

Ab 1977 war Dutschke freier Mitarbeiter verschiedener linksgerichteter Zeitungen und wurde Gastdozent an der Universität Groningen in den Niederlanden. Er unternahm Vortragsreisen über Menschenrechte und engagierte sich ab 1978 für die Gründung der Partei Die Grünen.

Am Heiligabend des Jahres 1979 ertrank Dutschke bei einem epileptischen Anfall als Spätfolge des Attentats in der heimischen Badewanne. Am 3. Januar 1980 fand die feierliche Beisetzung auf dem St.-Annen-Friedhof in Berlin-Dahlem unter großer öffentlicher Anteilnahme statt. Im gleichen Jahr wurde sein Sohn Rudi-Marek Dutschke geboren.

Denken

Grundposition

Dutschke verstand sich seit seiner Jugendzeit als antiautoritärer demokratischer Sozialist. In seiner Studienzeit entwickelte er sich zu einem überzeugten revolutionären Marxisten im Gefolge des ungarischen Philosophen Georg Lukacs. Ähnlich wie dieser betonte er die "libertären", oft vergessenen Traditionen der Arbeiterbewegung sowohl gegen den Reformismus wie auch den Stalinismus.

Dutschkes Ziel war die "totale Befreiung der Menschen von Krieg, Hunger, Unmenschlichkeit und Manipulation" durch eine von ihnen selbst herbeigeführte "Weltrevolution". Mit dieser radikalen Erlösungsutopie knüpfte er an den christlichen Sozialismus seiner Jugend an, auch wenn er nicht mehr an einen persönlichen, transzendenten Gott glaubte. Ausdruck der Verbindung beider Traditionen war die lebenslange Freundschaft zu Helmut Gollwitzer und der Doppelname seines ersten Sohnes "Hosea-Che", der auf den biblischen Propheten Hosea und den kubanischen Guerilla-Kämpfer Che Guevara anspielte.

Ökonomische Analyse

Dutschke versuchte, die Marxsche "Kritik der politischen Ökonomie" auf seine Gegenwart anzuwenden und weiterzuentwickeln. Er sah das Wirtschafts- und Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland als spezifischen Ausdruck eines weltweiten komplexen Kapitalismus, der alle Lebensbereiche durchdringe und die lohnabhängige Bevölkerung unterdrücke. Die soziale Marktwirtschaft beteilige das Proletariat zwar am relativen Wohlstand der fortgeschrittenen Industrieländer, binde es dadurch aber in den Kapitalismus ein und täusche es über die tatsächlichen Machtverhältnisse. Demgemäß kritisierte er repräsentative Demokratie und parlamentarische Entscheidungsprozesse als Ausdruck einer "repressiven Toleranz", die die Ausbeutung der Arbeiter und die Privilegien der Besitzenden verschleiere und schütze. Diese Strukturen sah er als nicht reformierbar, sondern nur durch einen langwierigen, international differenzierten Prozess revolutionierbar an.

In der Bundesrepublik erwartete Dutschke nach dem Ende des Wirtschaftswunders eine Periode der Stagnation: Die für sie typische Subventionierung unproduktiver Sektoren wie Landwirtschaft und Bergbau werde künftig nicht mehr finanzierbar sein. Der dadurch absehbare massive Abbau von Arbeitsplätzen würde in eine Strukturkrise münden, die den Staat zu immer weitergehenden Eingriffen in die Wirtschaft veranlasse. Dies werde in einen „integralen Etatismus“ münden: Der Staat würde die Wirtschaft lenken, aber das Privateigentum formal beibehalten. Dieser Zustand sei nur mit Gewalt gegen die aufbegehrenden Opfer der Strukturkrise zu stabilisieren.

Der technische Fortschritt bringe aber auch Ansatzpunkte für eine grundlegende Gesellschaftsveränderung hervor: Automatisierung; Computerisierung und die Nutzung der Atomkraft zu friedlichen Zwecken lasse die Notwendigkeit zu verdinglichender Lohnarbeit zunehmend wegfallen und setzte damit Arbeitszeit frei, die gegen das System aktiviert werden könne. Für den nötigen Umsturz fehle der Bundesrepublik jedoch ein "revolutionäres Subjekt": Das deutsche Proletariat sei verblendet und lebe im "falschen Bewusstsein". Es könne den abstrakten Gewaltzusammenhang des kapitalistischen Staates nicht mehr unmittelbar wahrnehmen. In der Nachfolge von Herbert Marcuses Analysen in „Der eindimensionale Mensch“ glaubte Dutschke, ein "gigantisches System von Manipulation" stelle "eine neue Qualität von Leiden der Massen her, die nicht mehr aus sich heraus fähig sind, sich zu empören." Die "Selbstorganisation ihrer Interessen, Bedürfnisse, Wünsche" sei damit "geschichtlich unmöglich geworden."

Antiimperialistische Gewalt und antiautoritäre Provokation

Der weltweite Kapitalismus war für Dutschke nur langfristig zu überwinden. Er unterschied die Bedingungen dafür in den reichen Industriestaaten von denen der sogenannten "Dritten Welt". Anders als Marx es erwartet hatte, werde die Revolution nicht im hochindustrialisierten Mitteleuropa beginnen, sondern von den verarmten und unterdrückten Völkern der "Peripherie" des Weltmarkts ausgehen.

Im Vietnamkrieg sah er den Beginn einer solchen revolutionären Entwicklung, die auch auf andere Dritte-Welt-Länder übergreifen könne. Er bejahte dazu ausdrücklich die Gewalt des Vietcong:

„Dieser revolutionäre Krieg ist furchtbar, aber furchtbarer würden die Leiden der Völker sein, wenn nicht durch den bewaffneten Kampf der Krieg überhaupt von den Menschen abgeschafft wird“.

Er teilte hier die antiimperialistische Theorie von Frantz Fanon und die entsprechende Praxis Che Guevaras, wonach der Befreiungskampf der Völker zuerst die "schwächsten Glieder" in der Kette des Imperialismus zerreißen sollte: „Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam“. 1968 antwortete er auf die Frage, ob er sich von Gewalt distanziere:

„Nein, aber die Höhe unserer Gegengewalt bestimmt sich durch das Maß der repressiven Gewalt der Herrschenden".

In den USA oder der Bundesrepublik hielt Dutschke einen solchen Bürger- oder Guerillakrieg allerdings damals nicht für angemessen. Entscheidend für den langfristigen Erfolg von Umsturzversuchen in der Dritten Welt war für ihn, dass sie den Massen in den Zentren des Kapitalismus ihre Unterdrückung bewusst machten. Er glaubte, dass der Zusammenhang von gewaltsamer Unterdrückung dort und hier zuerst an den Universitäten der "Metropolen" erkannt werde und von dort aus die Verblendung des "verbürgerlichten" Proletariats allmählich überwunden werden könne. Nur eine entschiedene Systemopposition, die das gegebene Regelwerk partiell durchbreche und damit seinen Repressionscharakter sinnlich wahrnehmbar mache, könne dies ermöglichen.

Die antiautoritäre Studentenbewegung sah Dutschke als Beginn einer solchen Opposition. „Agitation in der Aktion“ sollte ihre „Verweigerungen“ begleiten, um zunächst bei den Akteuren, dann auch bei deklassierten Arbeitern und Arbeitslosen ein revolutionäres Bewusstsein zu erzeugen. Die sinnliche Erfahrung staatlicher Gewalt, die diese Aktionen provozierten, sollten das "falsche Bewusstsein" aufheben und die tatsächliche Unfreiheit transparent machen. Der Revolutionär revolutioniere sich damit gleichsam selbst: Dies sei die "entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen".

Dazu suchte Dutschke zunehmend die gezielte Konfrontation mit den Machtzentren in Staat, Medien, Militär und Wirtschaft. Schon 1965 schrieb er: „Genehmigte Demonstrationen müssen in die Illegalität überführt werden. Die Konfrontation mit der Staatsgewalt ist zu suchen und unbedingt erforderlich“. Am 21. Oktober 1967 schrieb er zudem:

„Die Durchbrechung der Spielregeln der herrschenden kap. Ordnung führt nur dann zur manifesten Entlarvung des Sytems als `Diktatur der Gewalt´, wenn wir zentrale Nervenpunkte des Systems in mannigfaltiger Form (von gewaltlosen offenen Demonstrationen bis zu konspirativen Aktionsformen) angreifen (Parlament, Steuerämter, Gerichtsgebäude, Manipulationszentren wie Springer-Hochhaus oder SFB, Amerika-Haus, Botschaften der unterdrückten Nationen, Armeezentren, Polizeistationen u.a.m.).“

Die Protestformen der APO setzten dieses Konzept der "antiautoritären Provokation" zum Teil um. Man ließ sich vom Staat und etablierten Parteiensystem nicht erlauben, was man den Menschen nicht verbieten könne: die selbstbestimmte Inanspruchnahme der Öffentlichkeit zur Politisierung der Bevölkerung, gegen die Zwänge des normierten Konsum- und Arbeitsverhaltens. Dazu missachtete man z.B. Demonstrationsverbote und verließ vorgeschriebene Demonstrationsorte und -routen. Sitzstreiks, "Go-Ins", Tomatenwürfe und Pudding-Attacken auf Staatsbesucher und Herrschaftssymbole usw. sollten den bürgerlichen Staat zwingen, seine "liberale Maske" abzulegen und die Gewalt offen zu zeigen, die ihm strukturell inhärent sei.

Nach der Erschießung Benno Ohnesorgs schien die Methode der "Entlarvung" aufzugehen: Die zum Teil illegalen Proteste hatten die Staatsgewalt provoziert, deren brutale Reaktion viele Menschen entsetzte und zu verstärktem Engagement motivierte. Im Sommer 1968 schien das Ausmaß des Protestes eine Revolution in Mitteleuropa für viele der damals Beteiligten in greifbare Nähe zu rücken. Auch Dutschke glaubte damals:

„Vietnam kommt näher, in Griechenland beginnen die ersten Einheiten der revolutionären Befreiungsfront zu kämpfen (...) Es hängt primär von unserem Willen ab, wie diese Periode der Geschichte ausgeht (...) Es hängt von unseren schöpferischen Fähigkeiten ab, kühn und entschlossen die sichtbaren und unmittelbaren Widersprüche zu vertiefen und (..) kühn und allseitig die Initiative der Massen zu entfalten.“

Diese „voluntaristische“ Überzeugung, man könne Staat und Volk in einen zunehmend gewaltsam ausgetragenen Widerspruch treiben und so unabhängig von den ökonomischen Rahmenbedingungen eine Revolution herbeiführen, brachte ihm den Vorwurf eines "Linksfaschismus" ein: Diesen erhob Jürgen Habermas, prominenter Vertreter der Kritischen Theorie, am Abend des 9. Juni 1967. Er kritisierte Dutschkes Vorhaben, „die sublime Gewalt, die notwendig in den Institutionen enthalten ist, manifest werden“ zu lassen, als gewaltfördernd. Diese "Irregularität" werde staatliche Faschismustendenzen erst wecken statt verringern.

Dagegen erklärte Dutschke, sein Konzept solle zwar die Konfliktfähigkeit der Massen vergrößern, Staatsgewalt so aber zurückdrängen. Er befürwortete Illegalität und Gewalt zur Durchsetzung revolutionärer Ziele, forderte aber keinen bewaffneten Aufstand und bereitete diesen auch nicht vor. Sein Schwerpunkt lag auf weitgehend gewaltfreien demonstrativen Regelverletzungen zur Erweiterung von demokratischer Kritik, Aufklärung und Selbstbestimmung. Im Rückblick (Tagebuch 4. März 1974) sah er diese durchaus als wirksam an: "Nach dem Vietnam-Kongress war der Höhepunkt der faschistoiden Tendenz bald beseitigt."

Er unterschied Gewalt gegen Sachen oder Personen; letztere lehnte er zwar nicht prinzipiell, aber für die bundesdeutsche Situation ab. Auch Gewalt gegen Sachen propagierte er nicht aktiv, bereitete aber einen Sprengstoffanschlag auf den Sendemast des amerikanischen Soldatensenders AFN oder ein Schiff mit Versorgungsgütern für die US-Armee in Vietnam mit vor. Beide Anschläge blieben unausgeführt, teils wegen praktischer Probleme, teils weil Verletzung von Personen nicht ausgeschlossen werden konnte.

Auf die Frage: "Würden Sie für Ihre revolutionären Ziele notfalls auch mit der Waffe in der Hand eintreten?" antwortete er im Dezember 1967:

"Wäre ich in Lateinamerika, würde ich mit der Waffe in der Hand kämpfen. Ich bin nicht in Lateinamerika, ich bin in der Bundesrepublik. Wir kämpfen dafür, dass es nie dazu kommt, dass Waffen in die Hand genommen werden müssen. Aber das liegt nicht bei uns. Wir sind nicht an der Macht. Die Menschen sind sich ihres eigenen Schicksals nicht bewusst ... Wenn 1969 der NATO-Austritt nicht vollzogen wird, wenn wir reinkommen in den Prozess der internationalen Auseinandersetzung - es ist sicher, dass wir dann Waffen benutzen werden, wenn bundesrepublikanische Truppen in Vietnam oder anderswo kämpfen - dass wir dann im eigenen Lande auch kämpfen werden."

Verhältnis zum Terrorismus

Während Dutschke 1967/68 eine Zusammenarbeit mit Guerillakämpfern in der Dritten Welt und illegale Aktionen bejahte, grenzte er sich von "Kader"-Konzepten, die sich vom Volk isolierten und dessen Bewusstwerdung verhinderten - darunter seit dem Zerfall des SDS auch vom "Individualterror" der entstehenden RAF - stets ab. So bemerkte er schon im Juni 1970 kritisch zu einem SDS-Genossen, der die Haftbefreiung des damaligen Kaufhausbrandstifters Andreas Baader begrüßte: "Darüber muss bald etwas geschrieben werden; Entwicklung des Klassenkampfes/Terror/Aufstand...". Er sah Terror als Fehlorientierung, die er bei seinen Mitstreitern frühzeitig abwehren wollte.

Den RAF-Mord an Günther von Drenkmann am 10. November 1974 sah Dutschke als Rückschlag für sein Ziel der Massenaufklärung:

Die Erschießung des Kammergerichtspräsidenten hat der politischen Sache des halben oder dreiviertel-Mords an Holger Meins den Boden für eine erweiterte Öffentlichkeit entraubt. Golli (Helmut Gollwitzer) u.a. werden darunter besonders zu leiden haben."

Zum Hungerstreik von Baader und Ulrike Meinhof im Gefängnis nahm er wie folgt Stellung:

"Sie halten ihr richtiges Ziel konsequent durch, haben es im Knast aber völlig verlernt, proletarische Politik nicht mit existentialistischen Ambitionen und Gefühlen zu verwechseln."

Bei der Beerdigung des RAF-Mitglieds Holger Meins, der nach einem Hungerstreik im Gefängnis starb, zeigte Dutschke die linke Faust und sagte: "Holger, der Kampf geht weiter!" In einem Leserbrief an den Spiegel im November 1974 erklärte er diese Aussage wie folgt:

"'Holger, der Kampf geht weiter' - das heißt für mich, dass der Kampf der Ausgebeuteten und Beleidigten um ihre soziale Befreiung die alleinige Grundlage unseres politischen Handelns als revolutionäre Sozialisten und Kommunisten ausmacht. [...] Die Ermordung eines antifaschistischen und sozialdemokratischen Kammer-Präsidenten ist aber als Mord in der reaktionären deutschen Tradition zu begreifen. Der Klassenkampf ist ein Lernprozess. Der Terror aber behindert jeden Lernprozess der Unterdrückten und Beleidigten."

Dennoch wurde er u.a. von der Bildzeitung als "RAF-Apologet" angegriffen, verwahrte sich dagegen und nahm auch linksliberale Freunde wie den Berliner Bischof Kurt Scharf gegen Vorwürfe des "Sympathisantentums" in Schutz. Er sah darin eine geschürte Hysterie, um die SPD/FDP-Koalition innenpolitisch nach rechts zu drängen und "die Machtergreifung von Strauß" vorzubereiten. Er fühlte sich davon persönlich bedroht und trat daraufhin in das Sozialistische Büro - die einzige "undogmatische" linke Gruppe, die aus dem SDS hervorgegangen war - ein, um nicht als Terroristenfreund zu gelten und sich vor möglichen Folgen zu schützen. Hier wirkte das Trauma des Attentats auf ihn nach.

Am 1. Dezember 1974 stellte er empört fest:

"Die negativen Auswirkungen der RAF-Scheiße sind vielerorts erkennbar, CDU/CSU im besonderen...und RAF-Kacke scheinen verheiratet zu sein: um den politischen Klassenkampf zu hemmen!!!"

Im Rückblick auf seine eigene Entwicklung zog Dutschke 1978 nochmals das Fazit:

Individueller Terror [...] ist massenfeindlich und antihumanistisch. Jede kleine Bürgerinitiative, jede politisch-soziale Jugend-, Frauen-, Arbeitslosen-, Rentner- und Klassenkampfbewegung [...] ist hundertmal mehr wert und qualitativ anders als die spektakulärste Aktion des individuellen Terrors." (Aufsatz für Helmut Gollwitzer, siehe Werke).

Verhältnis zum "real existierenden" Staatskommunismus

Für Dutschke waren Demokratie und Sozialismus untrennbar miteinander verbunden. Die Verfügung der Arbeiter über die Produktionsmittel sollte das Erbe der französischen Revolution, die "bürgerlichen" Freiheitsrechte, bewahren und die freie Entfaltung des Individuums ermöglichen und erweitern.

Deshalb grenzte er sich seit 1956 gegen den Leninismus der Sowjetunion und der von ihr beherrschten Staaten ab. Er sah diesen als doktrinäre Entartung des genuinen Marxismus zu einer neuen "bürokratischen" Herrschaftsideologie. Er forderte und erwartete seit dem 17. Juni 1967 auch im Ostblock eine durchgreifende Revolution zu einem selbstbestimmten Sozialismus. Im SDS setzte er sich intensiv mit den DDR-Sympathisanten und "Traditionalisten" und ihrem an Lenins Konzept einer Kaderpartei angelehnten Revolutionsverständnis auseinander.

Anders als viele seiner Genossen dort begrüßte Dutschke den "Prager Frühling" vorbehaltlos. Nach dessen Niederschlagung stellte er die gemeinsame Opposition von SDS und SED gegen den Vietnamkrieg der USA nachträglich in Frage:

"Sind wir gar einem riesigen Fremd- und Eigenbetrug anheimgefallen? [...] Warum geht eine SU (ohne Sowjets), die sozialrevolutionäre Bewegungen in der Dritten Welt unterstützt, imperialistisch gegen ein Volk vor, welches selbständig unter Führung der kommunistischen Partei die demokratisch-sozialistische Initiative ergriff? [...] Ohne Klarheit an dieser Ecke ist ein sozialistischer Standpunkt der konkreten Wahrheit, Glaubwürdigkeit und Echtheit unmöglich, werden gerade die Unterdrückten, Ausgebeuteten und Beleidigten in der BRD und der DDR im besonderen nicht bereit sein, über Lohnkämpfe hinaus in den politischen Klassenkampf einzusteigen."

Eine Zeitlang begrüßte er Mao Zedongs Kulturrevolution wie auch die Roten Khmer unter Pol Pot als Beitrag zur erhofften Entbürokratisierung des Staatssozialismus und zur Überwindung der "asiatischen Produktionsweise", die er im Stalinismus misslungen fand. Doch schon 1968 distanzierte er sich unter dem Einfluss von Ernest Mandel von Mao. Von den nun entstehenden K-Gruppen, die sich kritiklos an China oder Albanien anlehnten, distanzierte er sich ebenfalls.

Dutschkes Dissertation (Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen, 1974) erklärte die Ursachen der sowjetisch-chinesischen Fehlentwicklung im Gefolge Karl August Wittfogels mit der marxistischen Gesellschaftsanalyse. Er vertrat hier die Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution in Russland nie bestanden hätten, und nahm stattdessen eine ungebrochene Kontinuität der "asiatischen Despotie" von Dschingis Khan bis zu Stalins Zwangskollektivierung und Zwangsindustrialisierung an. Während Lenin 1905 noch für die Entfaltung des Kapitalismus in Russland plädiert habe, damit dort eine echte Arbeiterklasse heranwachsen könne, sei schon sein "Oktoberputsch" von 1917 als Rückfall in die "allgemeine Staatssklaverei" anzusehen. Die Entwicklung von Lenin zu Stalin sei logische Folge des Parteien- und Fraktionsverbots gewesen. Stalins Versuch, die Produktivität der Sowjetunion durch brutale Zwangsindustrialisierung zu steigern, habe ihre Abhängigkeit vom kapitalistischen Weltmarkt nie beseitigen können. Er habe nur einen neuen Imperialismus hervorgebracht, so dass militärische Unterstützung von Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt und Unterdrückung von selbstbestimmten Sozialismusversuchen im Ostblock eine logische Einheit darstellten.

Selbstkritisch stellte Dutschke sich 1978 auch seinen eigenen Irrtümern:

"Nein, wie schmerzhaft auch immer es sein mag, die historische Wahrheit zu ihrem Recht kommen zu lassen, ich bin nicht Sozialist geworden, um das Unrecht und die Lüge zu verteidigen."(Warum ich Marxist bin, Hrgb. Fritz Raddatz).

So zeichnete er detailliert die Diskussionen der Komintern nach, die mit immer neuen ideologischen Wendungen den Grundfehler des sowjetischen Revolutionsversuchs bemäntelt habe. Auch Leo Trotzki, Bucharin, Karl Korsch, Rudolf Bahro, Jürgen Habermas und andere sozialistische Gegner des Stalinismus hätten dessen Wesen nicht durchschaut: Er sei manifester "Anti-Kommunismus", der der im deutschen Faschismus gipfelnden "Monopolbourgeoisie" eine nicht minder aggressive "Monopolbürokratie" an die Seite gestellt habe. Somit sei es kein Zufall, dass Stalins Gulags und KZs nach 1945 nicht verschwunden, sondern aufrecht erhalten worden seien.

Der isolierte "Sozialismus in einem Land" sei eine "antidynamische Sackgassenformation", die sich nur noch durch Kredite und Importe aus dem Westen am Leben erhalten könne. Alle ihre scheinbaren inneren Reformanläufe seit Chrustschow (20. Parteitag 1956) seien nur Mittel zum Überleben der ZK-Bürokratie gewesen:

"Von pseudo-linker, gutgemeinter moralisch-romantischer Position kann man es gutheißen, Produktionsweisen zu 'überspringen', mit einem sozialistischen Standpunkt hatte (und hat) die Moskauer Position desgleichen wie die Pekinger nie etwas zu tun."

Verhältnis zum Parlamentarismus

Wie Dutschke das Verhältnis von APO und antiautoritärer „Kulturrevolution“ zur parlamentarischen Gesetzgebung bestimmte und wie er sich die weiteren Phasen des revolutionären Prozesses vorstellte, ist in seinen verstreuten Aussagen dazu nur vage erkennbar.

Einerseits grenzte er sich von fast allen bestehenden Parteien ab und suchte ständig nach neuen, unmittelbar wirksamen Aktionsformen; andererseits fand er z.B. bei den italienischen Eurokommunisten Geistesverwandte und erwog schon früh die Gründung einer neuen Linkspartei. Er sah in der alten Streitfrage "Räte oder Arbeiterpartei" zwischen Anarchisten und Marxisten keinen ausschließlichen Gegensatz, sofern beide zur "Rekonstruktion des Klassenkampfes" beitrugen. Jedoch überwog seine Skepsis gegen die Verselbständigung einer "revisionistischen" Partei-Elite.

Nach dem 2. Juni 1967 schlug er politische "Aktionszentren" vor, die das studentische Milieu mit der Lebenswelt der Arbeiter vermitteln und andere Formen des Zusammenlebens nach Art einer "Kommune" ausprobieren sollten. Dies fand er später in den Bürgerinitiativen, der Alternativ- und Ökologiebewegung teilweise realisiert.

1968 bezeichnete er den Prozess der Gesellschaftsveränderung als ausgesprochen „langen Marsch durch die Institutionen“, in dem die Studenten das neue Bewusstsein in alle gesellschaftlichen Bereiche tragen sollten. Eine revolutionäre Alternative könne erst „in der ständigen Vermittlung von Reflexion und Aktion, von Theorie und Praxis erarbeitet“ werden.

Das Ausloten "herrschaftsfreier Räume" war ihm wichtiger als die direkte Bekämpfung staatlicher Gewalt. In verschiedenen Zeitschriften (u.a. dem "Kursbuch") entwarf er 1967 die Utopie einer Räterepublik West-Berlin, in der es keine Polizei, keine Justiz und keine Gefängnisse mehr geben sollte. Auch werde man nur fünf Stunden täglich arbeiten müssen. Er hoffte, dass dies auf Ostdeutschland ausstrahlen würde:

„Wenn sich Westberlin zu einem neuen Gemeinwesen entwickeln sollte, würde das die DDR vor eine Entscheidung stellen: entweder Verhärtung oder wirkliche Befreiung der sozialistischen Tendenzen in der DDR. Ich nehme eher das letztere an.“

Dieses damals kaum beachtete Modell einer "befreiten Räterepublik Berlin" sollte Vorbild eines basisdemokratischen Gesamtdeutschlands sein. In diesem Zusammenhang bejahte Dutschke die deutsche Wiedervereinigung (s.u.).

Seit 1976 engagierte er sich für den Aufbau der Grünen als parlamentarische Antiparteien-Partei. Dies kann als späte Hinwendung zum Parlamentarismus gedeutet werden, ohne dass Dutschke damit sein revolutionäres Ziel aufgegeben hätte.

Verhältnis zur Deutschen Einheit

Die deutsche Teilung war für Dutschke schon seit seiner DDR-Jugend ein Anachronismus, da beide deutsche Teilstaaten das Erbe des Faschismus erst noch zu überwinden hätten. Die Berliner Mauer versuchte er am 14. August 1961 mit Stricken einzureißen und wurde dafür in Westberlin inhaftiert. Er erklärte, sich regelrecht dafür zu schämen.

Am 18. Mai 1969 reagierte er auf Wahlerfolge der NPD mit der Tagebuchnotiz:

"Die 'Nationale Frage', das Problem der deutschen Wiedervereinigung als revolutionäres Kettenglied des Angriffs gegen Spätkapitalismus und Revisionismus muss endlich reflektiert werden, der Konterrevolution darf nicht der revolutionierende Boden der 'nationalen Befreiung' innerhalb eines globalen Sozialismus-Kontextes überlassen bleiben."

So wie er den Vietnamkrieg und andere Kämpfe in der Dritten Welt als "nationale Befreiung" vom Joch des US-Imperialismus, aber auch des Staatskommunismus leninistisch-stalinistischer Prägung begrüßte, so sah er die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs anzustrebende sozialistische Revolution als notwendige Stärkung des Selbstbewusstsein der Deutschen gegen die Fremdbestimmung von außen. Diese sollte den Rückfall in alten Nationalismus langfristig gerade verhindern.

Dutschkes ehemaliger Mitstreiter Bernd Rabehl hat mit einer eigenen, von der Fachwelt jedoch einhellig abgelehnten Dutschkebiografie neuerdings versucht, ihn gemäß seiner eigenen Hinwendung zu rechtsextremen Kreisen als Vertreter einer "nationalen Revolution" zu vereinnahmen. Dies findet den energischen Widerspruch seiner Frau Gretchen Klotz, die dagegen festhält:

"Rudi wollte die Unterwürfigkeit als Persönlichkeitsmerkmal einer deutschen Identität abschaffen. [...] Er kämpfte für ein antiautoritäres, demokratisches, vereintes Deutschland in einer antiautoritären, demokratischen und sozialistischen Welt. Er war kein 'Nationalrevolutionär', sondern ein internationalistischer Sozialist, der im Gegensatz zu anderen begriffen hatte, dass es politisch falsch ist, die nationale Frage zu ignorieren. [...] Er suchte etwas ganz Neues, das nicht anschloss an die autoritäre, nationalchauvinistische deutsche Vergangenheit. Wer Rudi anders interpretiert, verfälscht seine Ideen."

Aktuelle Diskussion

Dutschke polarisierte bereits zu Lebzeiten. Auch im Zusammenhang mit der der historischen Bewertung der "68er"-Bewegung sind Person und Wirkung nach wie vor stark umstritten. Anlass für eine neue Debatte war Dutschkes 25. Todestag. Die Berliner Tageszeitung (taz) schlug vor, die Kreuzberger Kochstraße in "Rudi-Dutschke-Straße" umzubenennen. PDS und Grüne unterstützen diesen Vorschlag, die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg hat jedoch noch nicht abschließend darüber entschieden.

Umstritten ist vor allem Dutschkes Verhältnis zu Gewalt und seine Rolle für die Wegbereitung des Terrorismus, wie ihn die RAF später ausübte. Wolfgang Kraushaar (siehe Literatur) vertritt anhand vieler Aussagen auch aus Dutschkes noch unveröffentlichtem Nachlass die These, er habe als erster Deutscher das auf Che Guevara gestützte Konzept der "Stadtguerilla" seit Februar 1966 theoretisch entwickelt. Dieses sei als fester Bestandteil und "nicht einfach als Verfalls- und Verzweiflungsprodukt der 68er-Bewegung" zu deuten. Kraushaar führt dazu auch das bekannte „Organisationsreferat“ an, das Dutschke mit Hans-Jürgen Krahl verfasst und am 5. September 1967 beim Bundeskongress des SDS in Frankfurt a. M. vorgetragen hatte. Darin heißt es:

„Die 'Propaganda der Schüsse' (Che Guevara) in der 'Dritten Welt' muss durch die 'Propaganda der Tat' in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit geschichtlich möglich macht. Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des Systems der repressiven Institutionen.“

Auch für die Frankfurter Rundschau besteht daher kein "Zweifel daran, dass Dutschke propagierte, was Baader und die RAF praktizierten."

Wie Dutschke das Konzept der "Stadtguerilla" verstand und welche Aktionsformen "Irregularität" für ihn umfasste, ist jedoch umstritten. Auch Kraushaar gesteht seine ausdrückliche Distanzierung vom Terrorismus der RAF zu, betont aber zugleich: Als revolutionärer Marxist erwartete Dutschke keine friedliche Überwindung der "spätkapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse". Für einzelne Länder der "Dritten Welt", unter Umständen auch für die Bundesrepublik, sah er den bewaffneten Kampf der Bevölkerung daher als Weg zur "Befreiung" an. Er übte bei Protestaktionen selbst keine Gewalt aus und rief auch nicht direkt dazu auf, rechtfertigte aber ihre Anwendung. Er argumentierte dabei nach dem klassischen Denkmuster des "gerechten" Kämpfers, der Gewalt nur als Gegengewalt anwende, um gewaltsame Verhältnisse insgesamt abzuschaffen. Hier wird Dutschke bis heute vorgeworfen, er habe damit eine Enttabuisierung und Eskalation von Gewalt gefördert.

Dutschkes eigener Weg führte vom Wortführer des SDS zum Mitgründer der damals pazifistischen "Grünen". Er kämpfte außer- wie innerparlamentarisch für eine Erweiterung demokratischer Selbstbestimmung, um damit langfristig das kapitalistische System zu überwinden. Sein Beispiel wirft für einige die grundsätzliche Frage auf, ob und wenn ja wie "revolutionäres" Handeln in einem parlamentarischen System möglich ist, ohne Gewaltanwendung zu steigern, statt sie zu vermindern.

Werke

  • Rudi Dutschke: Jeder hat sein Leben ganz zu leben - Die Tagebücher 1963-1979 (Hrsg. v. Gretchen Dutschke), Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. ISBN 3462032240
  • Rudi Dutschke: Zur Literatur des revolutionären Sozialismus von K. Marx bis in die Gegenwart. sds-korrespondenz sondernummer 1966. (diverse Reprints, im Internet [hier])
  • Rudi Dutschke: Mein langer Marsch. Reden, Schriften und Tagebücher aus zwanzig Jahren (Hrsg. von Gretchen Dutschke-Klotz, Helmut Gollwitzer und Jürgen Miermeister), Rowohlt 1980. ISBN 3499147181
  • Rudi Dutschke: Aufrecht gehen - Eine fragmentarische Autobiographie, Olle und Wolter, Berlin 1981. ISBN 3883954276
  • Rudi Dutschke: Lieber Genosse Bloch... - Briefe Rudi Dutschkes an Karola und Ernst Bloch (Hrsg. v. Karola Bloch und Welf Schröter), Talheimer Verlag 1988. ISBN 3893760016
  • Rudi Dutschke: Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasiatischen und den westeuropäischen Weg zum Sozialismus., Wagenbach, Berlin 1984
  • Uwe Bergmann/Rudi Dutschke/Wolfgang Lefèvre/Bernd Rabehl: Rebellion der Studenten oder die neue Opposition. Eine Analyse, Rowohlt, Reinbek b. Hamburg, 1968.
  • Frank Böckelmann/Herbert Nagel (Hrsg.): Subversive Aktion. Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern, Verlag Neue Kritik, Frankfurt a. M. 1976.
  • Fritz Raddatz (Hrsg.): Warum ich Marxist bin. (S. 95-135) Kindler Verlag, München 1978, ISBN 3463007185
  • Rudi Dutschke: Gekrümmt vor dem Herrn, aufrecht im politischen Klassenkampf: Helmut Gollwitzer und andere Christen. In: Andreas Baudis u.a. (Hrsg.): Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Für Helmut Gollwitzer zum 70. Geburtstag, Christian Kaiser Verlag 1978, S. 544-577, ISBN 3459011866

Literatur

Kurzbiographien:

Diskussion über die Gewaltfrage: