Biodiversität

Variabilität unter lebenden Organismen
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Biodiversität (Produktionsökolgie) oder biologische Vielfalt bezeichnet gemäß dem Übereinkommen über biologische Vielfalt (CBD) die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören. Dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten (Artenvielfalt) und zwischen den Arten und die Vielfalt von Ökosystemen.[1] Sie bezieht sich entsprechend auf alle Aspekte der Vielfalt in der lebendigen Welt.[2]

Die Biodiversität ist eine Lebensgrundlage für das menschliche Wohlergehen, weshalb ihre Erhaltung von besonderem Interesse ist. Dabei treffen die Folgen einer abnehmenden Biodiversität oft als erstes die Armen der Welt, da diese häufig auf die aus der Natur gewonnenen Erzeugnisse angewiesen sind.[3]

Ausstellungsvitrine zur Biodiversität im Berliner Naturkundemuseum

Zur Entwicklung des Begriffs

Der Begriff Biodiversität wurde 1985 in die wissenschaftliche und politische Diskussion eingeführt und insbesondere durch das 1988 vom Evolutionsbiologen E.O. Wilson herausgegebene Buch Biodiversity geprägt. Biodiversität ist die Kurzform des Begriffs biologische Vielfalt (engl.: biological diversity oder biodiversity) und hat sich im wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Gebrauch durchgesetzt. Manchmal wird fälschlicherweise der Begriff Artenvielfalt synonym für Biodiversität verwendet. Artenvielfalt ist jedoch nur ein Teil der Biodiversität (siehe unten).

Biodiversität ist auch ein zentraler politischer Begriff geworden, insbesondere seit der Konvention zur Biologischen Vielfalt, die 1992 auf dem Erdgipfel ausgehandelt wurde und mittlerweile von 190 Staaten und der Europäischen Union ratifiziert worden ist. Die Vereinten Nationen haben den Internationalen Tag der biologischen Vielfalt seit dem Jahr 2000 auf den 22. Mai festgesetzt, den Tag der Verabschiedung der Konvention (zuvor war seit 1994 der 29. Dezember dafür benannt, der Tag ihres Inkrafttretens). Das Jahr 2010 wurde von der UNO zum Internationales Jahr der biologischen Vielfalt ausgerufen.

Hierarchische Ebenen und Indikatoren der Biodiversität

Die Biodiversität einer Region umfasst verschiedene Ebenen (Stufen) der Vielfalt, die wie folgt (vereinfacht) gegliedert werden können:

  1. genetische Diversität – einerseits die genetische Vielfalt aller Gene innerhalb einer Art (= Genetische Variabilität), andererseits die gesamte genetische Vielfalt einer Biozönose oder eines Ökosystems;
  2. Artendiversität – die Vielzahl an Arten in einem Ökosystem;
  3. Ökosystem-Diversität – die Vielfalt an Lebensräumen und Ökosystemen;
  4. Funktionale Biodiversität – die Vielfalt realisierter ökologischer Funktionen und Prozesse im Ökosystem (zum Beispiel Stoffabbau-Kapazitäten).

Eine Charakterisierung der Biodiversität sollte alle vier Ebenen einbeziehen, was allerdings theoretisch und praktisch schwierig umzusetzen ist. Am leichtesten konzeptionell zugänglich ist die Artenvielfalt einer Biozönose, insbesondere die jeweilige Artenzahl.

Die Biodiversitäts-Konvention (CBD) hat eine Reihe von messbaren direkten und vor allem indirekten Indikatoren für Biodiversität und deren Entwicklung zusammengestellt.[4] Dazu zählen:

Maße für Biodiversitätsabschätzungen

Um die Diversität der Gene, Genotypen, Arten oder ganzer Lebensgemeinschaften zu charakterisieren und zu vergleichen, sind verschiedene Verfahren und Maßzahlen eingeführt worden.

Nach Robert H. Whittaker (1960, 1977) wird Artendiversität häufig in Alpha-, Beta-, Gamma-, Delta- und Epsilon-Diversität eingeteilt. Diese Einteilungen beschreiben Diversitätsmuster in Abhängigkeit von der beobachteten Fläche bzw. Flächenverteilungsmustern.[5][6]

Näheres zur Diversität der Arten vergleiche unter Artenvielfalt und unter Shannon-Index.

Biodiversität und ökologische Stabilität

Die biologische Vielfalt wird in der Öffentlichkeit als eine der Grundvoraussetzungen für die Stabilität der weltweiten Ökosysteme gegenüber Störeinflüssen betrachtet, obwohl diese Ansicht keine entsprechende wissenschaftliche Grundlage hat. Biologische Vielfalt sorgt weder für ökologische Stabilität, noch für höhere Resilienz („ökologische Elastizität“). Ein Beispiel sind die relativ artenarmen borealen Fichtenwälder, die Waldbrandschäden gegenüber sehr tolerant sind, während artenreiche tropische Regenwälder nach Brandrodung eine meist geringe Erholungsfähigkeit zeigen. Ein Hauptgrund hierfür liegt darin, dass die dünne Humusschicht des Regenwalds rasch verlorengeht, da das verbrannte feine organische Material vom Regen leicht weggespült wird und sich dadurch die Nährstoffreserve des Ökosystems erschöpft. Fichtenwälder andererseits entwickeln sehr dicke Streuschichten, die schwer verrotten. Sie halten pflanzliche Konkurrenten zurück und schützen letztendlich die darunterliegende Humusschicht.

Bei der Diskussion der Stabilität von Ökosystemen ist generell zu beachten, dass die Stabilität der Artenzusammensetzung anderen Einflüssen unterliegt und anders zu bewerten ist als die funktionale Stabilität von Ökosystemen, das heißt die Stabilität von Prozessen wie der Netto-Primärproduktion oder des Wasser- und Energiehaushalts. Ende der 1960er Jahre hatte der Lehrsatz vom positiven Einfluss der (Arten-) Vielfalt auf die ökologische Stabilität dogmatischen Status erreicht. Skeptischen empirischen Befunden verhalfen schließlich Simulationsexperimente von Robert May Mitte der 1970er Jahre zum Durchbruch. Ausgehend von experimentalen Ergebnissen zur Stabilisierung ökologischer Prozesse durch die Artenvielfalt von Grasland-Ökosystemen von David Tilman wird der Zusammenhang seit Mitte der 1980er Jahre intensiv untersucht, was die populäre und auch in der Biodiversitäts-Konvention wiedergegebene Sichtweise widerlegte.

Ökonomische Aspekte der Biodiversität und Eigentumsrechte

Es gibt verschiedene Ansätze, den ökonomischen Wert der biologischen Vielfalt abzuschätzen. Nach einer fachwissenschaftlich stark kritisierten, aber für die Wahrnehmung des Problems wichtigen Studie von Robert Costanza und Kollegen liegt die umgerechnete monetäre Leistung der irdischen Ökosysteme 30 Billionen Euro pro Jahr; dies ist ein Mehrfaches des weltweit in der Geldwirtschaft erarbeiteten Sozialprodukts.

Bedeutsam ist der Versicherungswert der biologischen Vielfalt (Optionswert), da dieser durch die funktionale Vielfältigkeit der Arten die Anpassung der Ökosysteme an sich ändernde Umweltbedingungen erleichtern kann (vgl. Ecological Insurance Hypothesis; Yachi & Loreau 1999). Wirtschaftliche Bedeutung hat die Biodiversität Sicht der Umweltökonomie außerdem als Reservoir von potenziellen Arznei-Wirkstoffen und von Genen für die landwirtschaftliche Sortenzüchtung, für biotechnologische Prozesse oder für bionische Entwicklungen (Optionswert). Während sich interessierte Wissenschaftler und Firmen-Vertreter in der Vergangenheit frei an der Biodiversität fremder Länder bedienen konnten (Biopiraterie), führte die Biodiversitäts-Konvention Eigentumsrechte eines Staates an seinen genetischen Ressourcen ein. Über einen Access and Benefit Sharing (ABS) genannten Mechanismus wird versucht, die Nutzung der genetischen Ressourcen zu erleichtern, gleichzeitig die Quellen-Ländern der Biodiversität an deren wirtschaftlicher Nutzung teilhaben zu lassen.

Hotspots der Biodiversität

 
Fast ein Drittel der Arten der Amphibien sind vom Aussterben bedroht

Die global tätige Umweltschutzorganisation Conservation International nennt eine Zone (geografisches Gebiet), in der die Biodiversität besonders groß ist, Biodiversitätshotspot. Eine klassische wissenschaftliche Referenz ist ein Artikel von Myers et al. (2000) in Nature 403:853-858.

Conservation International hat 34 Gebiete als Biodiversitäts-Hotspots ausgewählt. Sie wurden nach folgenden Kriterien ausgewählt:

  • Das Gebiet beherbergt mindestens 1500 einzigartige oder endemische und Pflanzenspezies,
  • 70 Prozent der ursprünglichen Flora und Fauna sind in diesem Gebiet durch Rodung oder invasive Arten verloren gegangen.

Auf nur 2,3 Prozent der globalen Landfläche, die die Hotspots ausmachen, leben drei Viertel aller bedrohten Säugetiere, Vögel und Amphibien, 42 Prozent der Landwirbeltiere und etwa die Hälfte der weltweiten Pflanzenarten.

Siehe auch

Literatur

  • Bruno Baur: Biodiversität. Stuttgart: UTB 2010, ISBN 978-3-8252-3325-9
  • Forum Biodiversität Schweiz: Biodiversität in der Schweiz – Zustand, Erhaltung, Perspektiven. Haupt Verlag, Bern 2004.
  • Gaston, K.J., Spicer, J.I.: Biodiversity: An Introcution. 2nd ed., Blackwell 2005.
  • Hobohm, C.: Biodiversität. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2000.
  • Lovejoy, T.E. Hannah, L.: Climate Change and Biodiversity. Yale University Press, 2006.
  • Streit, B.: Was ist Biodiversität? Erforschung, Schutz und Wert biologischer Vielfalt. C.H. Beck, 2007.
  • Wilson, E.O.: Ende der biologischen Vielfalt? : Der Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen und die Chancen für eine Umkehr. Spektrum, Heidelberg, Berlin, New York, 1992, ISBN 3-89330-661-7
Wiktionary: Biodiversität – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. United Nations: Multilateral Convention on biological diversity (with annexes). Concluded at Rio de Janeiro on 5 June 1992. In: United Nations Treaty Series Vol. 1760, S.146 (Article 2. Use of Terms). (PDF). Deutsche Übersetzung unter: Begriffsbestimmungen, Art. 2 der SR 0.451.43 Übereinkommen über die Biologische Vielfalt. Stand vom 20. März 2007.
  2. C.R. Townsend, J.L. Harper, M.E. Begon: Ökologie. 2. Auflage, Springer-Verlag Berlin 2003; S. 707. ISBN 3-540-00674-5.
  3. Vgl. den UN Biodiversitätsbericht Punkt 5 und 7.
  4. Die vollständige Liste findet man unter www.twentyten.net.
  5. [1]
  6. [2]