Differential (Mathematik)
Historisch war der Begriff des Differentials bzw. Differenzials der Kern der Entwicklung der Differentialrechnung. Unter einem Differential wurde eine unendlich kleine Änderung ("Differenz") verstanden. Aus den bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vergeblichen Versuchen, diese Idee mathematisch präzise zu fassen, entwickelten sich im Laufe der Zeit verschiedene exakte Begriffe:
- der Differentialquotient, auch Ableitung genannt, und sein höherdimensionales Analogon, das (totale) Differential einer Abbildung, auch Totalableitung genannt
- die Integralrechnung
- Differentialformen auf Mannigfaltigkeiten
- Kähler-Differentiale
Lediglich im Kontext der letzten beiden Begriffsbildungen hat die Schreibweise dx eine eigenständige Bedeutung.
Der Differentialquotient
Die Motivation für diese Begriffsbildung lag mit Sicherheit in der Physik, vermutlich im Begriff der Momentangeschwindigkeit: Wird beispielsweise ein fallender Körper immer schneller, so muss man zur Definition seiner momentanen Geschwindigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichst kleine Zeitintervalle dt betrachten und die entsprechend zurückgelegte Wegstrecke ds messen. Im Idealfall sind beide "unendlich klein", aber ihr "Quotient"
ist die Momentangeschwindigkeit.
Genau dasselbe Problem tritt auf, wenn man die Steigung der Tangente an einen Funktionsgraphen bestimmen will: sie ist der Quotient aus der "unendlich kleinen" Änderung df, die der Funktionswert erfährt, und der "unendlich kleinen" Änderung dx des Argumentes.
Die moderne, präzise Fassung dieses Begriffes ist der Grenzwert des Differenzenquotienten
für x → x0.
Differentiale in der Integralrechnung
Um den Flächeninhalt eines Bereiches zu berechnen, der von dem Graphen einer Funktion f, der x-Achse und zwei dazu senkrechten Geraden x = a und x = b eingeschlossen wird, unterteilte man die Fläche in "unendlich schmale" Rechtecke der Breite dx und der Höhe f(x). Ihr jeweiliger Flächeninhalt ist das "Produkt"
- ,
der gesamte Flächeninhalt also die Summe
- .
Das erste Symbol ist ein stilisiertes S für "Summe".
In der modernen Fassung dieses Zugangs zur Integralrechnung nach Bernhard Riemann ist das "Integral" ein Grenzwert der Flächeninhalte endlich vieler Rechtecke endlicher Breite für immer feinere Unterteilungen des "x-Bereichs".
Differentialformen
Differentialformen fassen die folgende Überlegung in eine mathematische Form: Wie schnell sich der Wert einer Funktion f ändert, hängt davon ab, wie schnell sich das Argument ändert. Eine Differentialform df ist also etwas, das ausgehend von einer Änderungsrate X des Arguments (einem Tangentialvektor) angibt, wie rasch sich die Werte von f ändern, wenn man sich so schnell und in die Richtung bewegt, wie X angibt.
In diesem Kontext ist beispielsweise auch die Gleichung
korrekt.
Formal gesehen ist dies nichts anderes als der Begriff der Totalableitung, aber die Sichtweise ist eine andere.
Kähler-Differentiale
Aus der Beobachtung der Differentialgeometrie heraus, dass Tangentialvektoren Derivationen des Raumes der differenzierbaren Funktionen auf einer Mannigfaltigkeit sind, entwickelte sich der Begriff der Kähler-Differentiale: Differentiale werden hier darüber definiert, "dual" zu den Derivationen zu sein.
Das Differential des Differentialquotienten
Für eine in einem Intervall differenzierbare Funktion ist die Differenz zwischen Differenzen- und Differentialquotient an der Stelle eine Funktion von .
Aus ergibt sich der Funktionszuwachs
- .
Er besteht aus einem in linearen Anteil , der von der gleichen Ordnung wie gegen Null konvergiert, und aus einem Anteil , der für von höherer Ordnung als gegen Null konvergiert. Den linearen Anteil des Zuwachses bezeichnet man als Differential der Funktion an der Stelle und schreibt dafür . Die Größe heißt Differential der unabhängigen Variablen.
Differential der Funktion an der Stelle : .
Das Differential des Integrals
Das Differential ist wesentlicher Bestandteil der symbolischen Notation von Integralen und heißt dort Integrationsvariable.
Das Differential hinter dem Integral
bezeichnet ein Intervall innerhalb einer Unterteilung von [a;b] (dem Integrationsintervall). Das Gesamtintervall [a;b] des Integrals muß nicht gleichmäßig unterteilt sein. Falls also die Differentiale an unterschiedlichen Unterteilungsstellen verschieden groß gewählt sind, so bietet sich manchmal beispielsweise eine geometrische Unterteilung des Integrationsintervalls an (Das hängt oft von der Art des Integrationsproblems ab, siehe zum Beispiel die Unterteilung des Archimedes, für das Flächenstück unter der Parabel in Streifen der Größe ). Zusammen mit dem Funktionswert innerhalb des "differentiellen" Intervalls (beziehungsweise dem Maximal- oder Minimalwert darinnen entsprechend Ober- und Untersumme) bildet sich eine Flächengröße, wie dann auch das Integral schließlich eine Definition für eine Fläche mit Begrenzung durch ein Kurvenstück ergibt, wenn man den Grenzwertübergang in dem Sinne macht, daß man die Unterteilung von[a;b] immer größer macht, die kleiner werden und sie alle gegen 0 strebende Größen sind.
Ordnung der Differentiale
Die Differentiale lassen sich auch einfach und übersichtlich in ihrer Ordnung darstellen, je nach ihrer Abhängigkeit. So steht für das Differential zweiter Ordnung (entsprechend zweiter Ableitung) der unabhängigen Variable und ist durchaus als gemeint und ( auch als und geschrieben) für das Differential zweiter Ordnung der abhängigen Variable, was etwas völlig anderes ist als das Quadrat des Differentials , weil es natürlich den von Leibniz in dieser Form aufgestellten Rechenregeln folgt.
Erklärung des Differentials zweiter Ordnung
Denkt man sich jetzt h = dx irgendwie gewählt, und zwar denselben Wert h für verschiedene x, so wird eine Funktion von x und man kann von ihr wieder ein Differential bilden.
Man kann für dann formal modern auch schreiben, dann ist dies auch haltbar: Für und h derselbe Wert für verschiedene x, ist diese Größe der lineare Anteil des Zuwachses , das heißt es wird . Für höhere Ableitungen respektive.
Begrifflicher Unterschied zwischen Integrieren und Differenzieren
Obwohl das "unbestimmte Integrieren" die Umkehrung des Differenzierens darstellt, ist zwischen beiden Operationen ein grundlegender begrifflicher Unterschied: Der Differentialquotient wird für ein festes definiert.
Man braucht dazu nur Eigenschaften der Funktion in beliebig kleiner Umgebung von , "im Kleinen" wie man sagt. Das unbestimmte Integral dagegen ist nicht ein Grenzwert, sondern eine in einem Intervall zu erklärende Funktion! Da aber jede für variables gültige Differentialformel auch eine Integralformel liefert, betrachten wir beide Prozesse nebeneinander.
Moral: In Leibniz' "bester aller Welten" sind beide dx in identisch, weshalb wir zwanglos kürzen können, und richtig erhalten. Begrifflich sind sie es aber nicht, und könnten wir nicht kürzen, erhielten wir kein Ergebnis. Also stellt diese Darstellungsform mathematisch eine Erleichterung dar, ja sogar eine Lösung. Sie ist natürlich auch nur mathematisch tragfähig nicht aber begrifflich. Vielleicht trägt diese Bemerkung zur Entwirrung bei auf die Frage (auch von Mathematikern gestellt): Was ist ein Differential?
Historisches
Das lateinische Original enthält einen Rechenfehler:
- G.G.L. Nova Methodus Pro Maximis & minimis, itemque tangentibus, ..., acta eruditorum, 1684, (pdf-Datei)
Hier kann sich jeder mit Lateinkenntnissen ein Bild machen, ob die Verwirrung nicht eher eine sprachliche als eine mathenatische ist. Differenz heißt auf Latein diferentia und differentiell diferentialis.
acta eruditorum
- Neue Methode der Maxima, Minima sowie der Tangenten, die sich weder an gebrochenen, noch an irrationalen Grössen stößt, und eine eigentümliche darauf bezügliche Rechnungsart. (acta eruditorum 1684)
Gegeben sei eine Achse AX und mehrere Kurven wie VV, WW, YY, ZZ. Ihre zur Achse senkrechten Ordinaten, VX, WX, YX, ZX mögen bezüglich v, w, y, z heißen. Der Abschnitt AX auf der Achse möge x heißen. VB, WC, YD, ZE seien die Tangenten und B, C, D, E ihre bezüglichen Schnittpunkte mit der Achse. Nun wähle man nach Belieben eine Strecke und nenne sie dx. Dann soll diejenige Strecke welche sich zu dx verhält wie v (oder w oder y oder z) zu XB (oder XC oder XD oder XE ) mit dv (oder dw oder dy oder dz) bezeichnet werden und Differenz der v (oder w oder y oder z) heißen. Nach diesen Festsetzungen werden die Rechenregeln folgende sein.
Wenn a eine gegebene konstante Größe ist, so wird da gleich 0 und d(ax) gleich adx. Wenn y gleich v ist (d.h .jede Ordinate der Kurve YY gleich der entsprechenden Ordinate der Kurve VV), so wird dy gleich dv. Nun Addition und Subtraktion: Wenn z - y + w + x gleich v ist, so wird d(z - y + w + x) oder dv gleich dz - dy + dw + dx. Multiplikation: d(xv) ist gleich xdv + vdx, das heißt wenn man y gleich xv setzt, so wird dy gleich xdv + vdx. Es ist nämlich gleichgültig, ob man den Ausdruck xv oder als Abkürzung dafür den Buchstaben y anwendet. Zu beachten ist, daß bei dieser Rechnung x und dx in derselben Weise behandelt werden wie y und dy oder ein anderer unbestimmter Buchstabe mit seinem Differential. Zu beachten ist auch, daß es nur mit einer gewissen Vorsicht eine Rückkehr von der Differentialgleichung gibt: darüber werden wir an einer anderen Stelle reden. Nun zur Division oder (wenn z gleich gesetzt wird) dz ist gleich . Was die Zeichen anbetrifft so ist folgendes wohl zu beachten. Wenn bei der Rechnung für einen Buchstaben einfach sein Differential eingesetzt wird, so werden dieselben Zeichen beibehalten, und für +z wird + dz, für - z wird - dz geschrieben, wie aus der eben vorhin behandelten Addition und Subtraktion erhellt. Schreitet man aber zur Entwicklung der Werte, das heißt betrachtet man die Beziehung von z zu x, dann kommt es zum Vorschein, ob der Wert von dz eine positive Größe ist oder kleiner als Null, das heißt negativ. Tritt der letztere Fall ein, dann wird die Tangente ZE vom Punkte Z aus nicht nach A hin gezogen, sondern in der entgegengesetzten Richtung, die von X nach unten weist; dies findet statt, wenn die Ordinaten z mit zunehmenden x abnehmen. Und da die Ordinaten v bald zunehmen, bald abnehmen, so wird dv bald positiv, bald negativ sein. Im ersten falle wird die Tangente V1B1 nach A hin, im zweiten V2B2 nach der entgegengesetzten Seite gezogen. Keins von beiden gilt aber an der Zwischenstelle M, in dem Augenblick, wo die v weder zunehmen noch abnehmen, sondern im Stillstand begriffen sind. dv wird alsdann gleich 0, und es kommt nicht darauf an, ob die Größe positiv oder negativ ist; denn + 0 ist gleich - 0. An dieser Stelle ist v, das heißt die Ordinate LM, ein Maximum (oder, wenn die konvexe Seite der Achse zugekehrt ist ein Minimum), und die Tangente der Kurve in M wird weder in der Richtung von X nach A hinauf gezogen, um sich der Achse zu nähern, noch auch in der entgegengesetzten Richtung, die von X nach unten weist; sie ist vielmehr parallel zur Achse. Wenn dv in bezug auf dx unendlich ist, dann steht die Tangente senkrecht auf der Achse, das heißt sie ist Ordinate. Wenn dv und dx gleich sind, so bildet die Tangente mit der Achse einen halben rechten Winkel. Wenn bei zunehmenden Ordinaten auch ihre Inkremente oder Differenzen dv zunehmen (d.h. wenn bei postiv gesetztem dv auch die ddv, die Differenzen der Differenzen, positiv sind oder bei negativ gesetztem dv auch die ddv negativ), so kehrt die Kurve der Achse ihre konvexe Seite, sonst ihre konkave Seite zu. Wo aber das Inkrement ein Maximum oder Minimum ist, also die Inkremente aus abnehmenden zunehmende werden oder umgekehrt, da ist ein Wendepunkt, und Konkavität und Konvexität vertauschen sich, vorausgesetzt, daß nicht auch die Ordinaten dort aus zunehmenden abnehmende werden oder umgekehrt; dann würde nämlich die Konkavität oder Konvexität bleiben. Daß aber die Inkremente fortfahren zuzunehmen oder abzunehmen, die Ordinaten jedoch aus zunehmenden abnehmende werden oder umgekehrt, das ist unmöglich. (hier irrt sich Leibniz) Ein Wendepunkt ist daher vorhanden, wenn weder v, noch dv gleich 0 ist, wohl aber ddv gleich 0. Deshalb hat auch das Problem d es Wendepunktes nicht wie das Problem des Maximums zwei, sondern gleich drei Wurzeln. Dies alles hängt vom richtigen Gebrauch der Zeichen ab.
Manchmal aber sind, wie vorhin bei der Division, zweideutige Zeichen anzuwenden, bevor es nämlich feststeht, wie sie entwickelt werden sollen. Und zwar müssen, wenn mit zunehmenden x die zunehmen (abnehmen), die zweideutigen Zeichen in, das heißt in so entwickelt werden, daß dieser Bruch eine positive (negative) Größe wird. Es bedeutet aber das Entgegengesetzte von , so daß, wenn dieses + ist, jenes – oder umgekehrt. Es können auch in derselben Rechnung mehrere Zweideutigkeiten vorkommen, die ich durch Klammern unterscheide. Wenn z. B.
wäre, so würde sein
sein, damit nicht die von den verschiedenen Gliedern herrührenden Zweideutigkeiten vermischt werden. Dabei ist zu beachten, daß ein zweideutiges Zeichen mit sich selbst + gibt, mit seinem entgegengesetzten -, während es mit anderen eine neue Zweideutigkeit bildet, die von beiden abhängt. Potenzen:
Z.B. ist
Z.B. wird, wenn
ist,
Wurzeln:
(Hieraus folgt
denn a ist in diesem Falle 1, und b ist 2, also
gleich
nun ist dasselbe wie nach der Natur der Exponenten einer geometrischen Reihe, und ist )
Es hätte aber die Regel der ganzen Potenz genügt, um sowohl die Brüche als auch die Wurzeln zu erledigen; denn eine Potenz wird ein Bruch, wenn der Exponent negativ ist, und sie verwandelt sich in eine Wurzel, wenn der Exponent gebrochen ist. Ich habe aber jene Folgerungen lieber selbst gezogen, als sie anderen zu ziehen überlassen, da sie sehr allgemein sind und häufig vorkommen. Auch ist es bei einer an sich verwickelten Sache besser, für Leichtigkeit zu sorgen. Kennt man, wenn ich so sagen soll, den obigen Algorithmus dieses Kalküls, den ich Differentialrechnung nenne, so lassen sich alle anderen Differentialgleichungen durch ein gemeinsames Rechnungsverfahren finden, es lassen sich die Maxima und Minima sowie die Tangenten erhalten, ohne daß es dabei nötig ist, Brüche oder Irrationalitäten oder andere Verwicklungen zu beseitigen, was nach den bisher bekannt gegebenen Methoden doch geschehen mußte, Der Beweis alles dessen wird für einen in diesen Dingen Erfahrenen leicht sein, wenn er nur den bisher nicht genug erwogenen Umstand beachtet, daß man dx, dy, dv, dw, dz als proportional zu den augenblicklichen Differenzen, das heißt Inkrementen oder Dekrementen der x, y, v, w, z (eines jeden in seiner Reihe) betrachten kann. So kommt es, daß man zu jeder vorgelegten Gleichung ihre Differentialgleichung aufschreiben kann. Dies geschieht indem man für jedes Glied (d.h. jeden Bestandteil, der durch bloße Addition oder Subtraktion zur Herstellung der Gleichung beiträgt) einfach das Differential des Gliedes einsetzt, für eine andere Größe jedoch (die nicht selbst ein Glied ist, sondern zur Bildung eines Gliedes beiträgt) ihr Differential anwendet, um das Differential des Gliedes selbst zu bilden, und zwar nicht ohne weiteres,sondern nach dem oben vorgeschriebenen Algorithmus. Die bisher bekannt gemachten Methoden haben aber einen solchen Übergang nicht. Sie wenden nämlich meistens eine Strecke wie DX oder eine andere von dieser Art an, nicht aber die Stecke dy, die die vierte Proportionale zu DX, DY, dx ist, und dadurch wird alles verwirrt. Daher schreiben sie vor, daß Brüche und Irrationalitäten (worin Unbestimmte vorkommen) zuvor beseitigt werden. Es ist auch klar, daß unsere Methode die transzendenten Linien beherrscht, die sich nicht auf die algebraische Rechnung zurückführen lassen oder von keinem bestimmten Grade sind, und zwar gilt das ganz allgemein, ohne besondere nicht immer zutreffende Voraussetzungen, Man muß nur ein für allemal festhalten, daß eine Tangente zu finden so viel ist wie eine Gerade zeichnen, die zwei Kurvenpunkte mit unendlich kleiner Entfernung verbindet, oder eine verlängerte Seite des undendlicheckigen Polygons, welches für uns mit der Kurve gleichbedeutend ist. Jene unendlich kleine Entfernung läßt sich aber immer durch irgendein bekanntes Differential, wie dv, oder durch eine Beziehung zu demselben ausdrücken, das heißt durch eine gewisse bekannte Tangente. Wäre insbesondere y eine transzendente Größe, zum Beispiel die Ordinate der Zykloide und käme sie in der Rechnung vor, mit deren Hilfe z, die Ordinate einer anderen Kurve bestimmt wäre, und verlangte man dz oder durch dessen Vermittlung die Tangente der zweiten Kurve, so wäre unter allen Umständen dz durch dy zu bestimmen, weil man die Tangente der Zykloide hat. Die Tangente der Zykloide selbst aber ließe sich, wenn wir annehmen, daß wir sie noch nicht hätten, in ähnlicher Weise durch Rechnung finden aus der gegebenen Eigenschaft der Kreistangenten...
Es folgen ein formales Beispiel, ein dioptrisches der Lichtbrechung, ein den Pythagoras ausführlich nutzendes und ein im Logarithmus endendes, die ich aber nicht mehr abschreibe, obwohl es sehr schöne Beispiele sind.
Notiz von Newton
Hier noch eine aufschlussreiche Notiz von Newton: (Abhandlung über die Quadratur der Kurven, 1704, 10. Absatz):
Die Grösse x möge gleichförmig fließen, und es sei die Fluxion (das Differential d f)der Größe zu finden. In der Zeit, in der x beim Fließen zu x + o wird, wird zu (o bedeutet bei Newton dx oder das infinitesimale oder in moderner Notation h, allerdings ist bei ihm durch den Begriff des Fließens das Zeitliche eingegangen und es ist die unabhängige Variable nicht x sondern t und so kommt sein Differential d t} zustande.) d.h. nach der Methode der unendlichen Reihen zu
Die Zunahmen
- und
verhalten sich zueinander wie:
- und
Nun mögen jene Zunahmen verschwinden. Dann wird ihr letztes Verhältnis sein. Es verhält sich daher die Fluxion der Größe x (das Differntial d x oder d t) zu der Fluxion der Größe wie 1 zu . Oder:
Bemerkungen:
- Hier findet eine Normierung von Fluxion( x) auf 1 statt.
- Dies geschieht unter Vernachläßigung der infinitesimalen Größen höherer Ordnung: Es wird gesetzt:
Cauchys Differentialbegriff
In den 1980er Jahren findet in Deutschland eine Auseinandersetzung um die Grundlegung der Analysis bei Cauchy, inwieweit sie logisch einwandfrei und wieweit sie es ist, statt. D. Laugwitz versucht Mithilfe einer historischen Lesart Cauchys, den Begriff unendlichkleiner Größen für seine Zahlen fruchtbar zu machen, findet aber daraus resultierend bei Cauchy Unstimmigkeiten. D. Spalt korrigiert den (ersten!) historischen Lesansatz der cauchyschen Arbeiten und fordert die Verwendung von Begriffen aus Cauchys Zeit und nicht heutigen Begriffen zum Nachweis seiner Sätze und kommt zu dem Ergebnis, daß Cauchys Grundlegung der Analysis logisch einwandfrei ist, jedoch bleiben weiterhin die Fragen nach der Behandlung unendlichkleiner Größen offen.
Die Differentiale bei Cauchy sind endlich und konstant (h endlich). Der Wert der Konstanten ist nicht näher bestimmt.
ist bei Cauchy unendlichklein und veränderlich .
Die Beziehung zu h ist , wobei h endlich und infinitesimal (unendlichklein) ist.
Ihr geometrisches Verhältnis ist als
bestimmt. Dieses Verhältnis unendlichkleiner Größen, oder genauer die Grenze geometrischer Differenzenverhältnisse abhängiger Zahlgrößen, einen Quotienten, kann Cauchy auf endliche Größen übertragen.
Differentiale sind endliche Zahlgrößen, deren geometrische Verhältnisse streng gleich den Grenzen der geometrischen Verhältnisse sind, welche aus den unendlichkleinen Zuwächsen der vorgelegten unabhängigen Veränderlichen oder der Veränderlichen der Funktionen gebildet sind. Cauchy hält es für wichtig Differentiale als endliche Zahlgrößen zu betrachten.
Der Rechner bedient sich der Unendlichkleinen als Vermittelnden, welche ihn zu der Kenntnis der Beziehung führen müssen, die zwischen den endlichen Zahlgrößen bestehen; und nach Cauchys Meinung dürfen die Unendlichekleinen in den Schlußgleichungen, wo ihre Anwesenheit sinnlos, zwecklos und nutzlos bliebe, nie zugelassen werden. Außerdem: Wenn man die Differentiale als beständig sehr kleine Zahlgrößen betrachtete, dann gäbe man dadurch den Vorteil auf, der darin besteht, daß man unter den Differentialen von mehreren Veränderlichen das eine als Einheit nehmen kann. Denn um eine klare Vorstellung einer beliebigen Zahlgröße auszubilden, ist es wichtig, sie auf die Einheit ihrer Gattung zu beziehen. Es ist also wichtig, unter den Differentialen eine Einheit auszuwählen.
Anmerkung 1: Leibniz macht das mit bzw. .
Anmerkung 2: Genauso wird, wenn man x mit der identischen Funktion identifiziert, das Differential von x die "Einheit".
- ist ein Differential als linerare Funktion für die Ableitung f'(x) der Funktion f an der Stelle x.
Für ist insbesondere weshalb die Schreibweise
oder
- und die Bezeichnung Differentialquotient berechtigt sind.
Insbesondere fällt für Cauchy die Schwierigkeit weg, höhere Differentiale zu definieren. Denn Cauchy setzt nachdem er die Rechenregeln der Differentiale durch Übergang zu den Grenzen erhalten hat. Und da das Differential einer Funktion der Veränderlichen x eine andere Funktion dieser Veränderlichen ist, kann er y mehrmals differenzierne und und erhält in dieser Weise die Differentiale verschiedener Ordnungen.
- ...
Anmerkung 3: Die Tatsache, dass bei jeder der zwei differentiellen Schreibweisen
dx stehenbleibt und erst verschwindet nachdem man explizit die Differentiation oder Integration (nach Definition und Grenzwertübergang) ausgeführt hat, legt den Gedanken des dx als einer Einheit nahe. Heute wird das gemacht indem man dx mit der identischen Funktion y=x identifiziert. Cauchys Auseinandersetzung mit Descartes, Leibniz, Euler, Lagrange führt ihn dazu dx mit der Einheit zu identifizieren, einer Einheit im differentiellen Formenkreis mit den Regeln der Differential- und Integralrechnung, den man erst nach Ausführen des Grenzwertübergangs nach den Definitionen der Ableitung oder des Integrals wieder verläßt.
Um den Gedanken der Einführung einer Einheit nachzuvollziehen: Siehe Kartesische Geometrie
Notation
Konstante und konstanter Faktor
- d(const.) = 0 und
- d(ax) = adx (d.i. eine Hälfte der Produktregel, s.u.)
Addition und Subtraktion
Wenn z - y + w + x gleich v ist, so wird d(z - y + w + x) oder dv gleich dz - dy + dw + dx.
Multiplikation
d(xv) ist gleich xdv + vdx, d.h. wenn man y gleich xv setzt,
Division
;-)
Also nach der Produktregel:
und somit
womit
Sehr schön, mit richtigem Zähler in Übereinstimmung mit meiner Regel:
(bei Leibniz auch erklärt, aber sehr dunkel.) und in der suggestiven Leibniz 'schen Bezeichnung
Die Ableitung
Verantwortlicher | 1. Ableitung | 2. Ableitung | n-te Ableitung | Bemerkung |
---|---|---|---|---|
Newton | heutzutage (2005) bezogen auf die Unabhängige t; physikalisch in der Bedeutung der Geschwindigkeit | |||
Leibniz | etc. | Die Klammern um werden weggelassen. | ||
Lagrange | Man sieht die funktionale Abhängigkeit. | |||
Cauchy | heißt Derivierte (besonders im englischsprachigen Raum) |
Literatur
- Gottfried Leibniz, Sir Isaac Newton: Über die Analysis des Unendlichen - Abhandlung über die Quadratur der Kurven. Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Band 162, Verlag Harri Deutsch, ISBN 3-8171-3162-3
- Oskar Becker: Grundlagen der Mathematik. Suhrkamp Verlag, ISBN 3-518-07714-7
- Detlef Spalt: Die Vernunft im Cauchy-Mythos. Verlag Harri Deutsch, ISBN 3-8171-1480-X (zu modernen Begriffsproblemen, und ob Cauchy es nun verstanden hat oder nicht, und einiges andere, unter anderem virtuelle Diskussionen mit verstorbenen Mathematikern Abel etc.)
- K. Popp, E. Stein (Hrsg.): Gottfried Wilhelm Leibniz, Philosoph, Mathematiker, Physiker, Techniker. Schlütersche GmbH & Co. KG, Verlag und Duckerei, Hannover 2000, ISBN 3-87706-609-7