Anblasen

Wikimedia-Begriffsklärungsseite
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 6. März 2004 um 03:03 Uhr durch 82.82.173.225 (Diskussion). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Sprachwissenschaftlich

Wortschatzanalyse

Bei Wortschatzuntersuchungen wird festgestellt, in welche Bedeutungsrichtungen ein Wort zielt. Dabei wird die Nähe zu anderen Begriffen statistisch erfasst (Signifikante Kollokationen). Für „anblasen“ bzw. „blasen“ werden folgende Begriffe häufig ermittelt:

  • Luft, Wind, Sturm, Atmosphäre, Hauch, Kohlendioxid
  • Feuer
  • Röhrchen
  • Fanfare, Trompete, Flöte, Horn, Mundharmonika, Orgel
  • Trompeter, Hornist, Flötist
  • Ins Gesicht, Feinde
  • Angriff, Attacke, Rückzug
  • Den Marsch
  • Halali, Jagd

Anwendungsbeispiele in der Literatur

Zur Klärung des Begriffs ist es sinnvoll, seine Anwendungen, seinen Gebrauch zu untersuchen. „Anblasen“ findet man z.B. in folgenden Zitaten:
„In der unmittelbaren Nähe haben die Grobschmiede ihre Werkstätten aufgeschlagen, indem sie zwei Schläuche als Bälge gebrauchen und das Feuer in einem Erdloch damit anblasen.“ (Quelle: Gerhard Rohlfs - Quer durch Afrika / 12. Kapitel: Die Hauptstadt Kuka, der Markt und das Reich Bornu)
„Sie kannten ja keinen Gott und fürchteten nur die bösen Wesen und Ungeheuer, die in der Sandwüste im Landesinneren hausen und denjenigen mit ihrem giftigen Atem anblasen, auf der der Zauber gelenkt worden ist.“ (Quelle: Friedrich Gerstäcker - Im Busch / 10. Kapitel)
" Eulenspiegel rief herab: "Vor dem Essen rufe oder tanze ich nicht gern." Der Graf rief ihm zu: "Willst du nicht die Feinde anblasen?“ (Quelle: Hermann Bote - 21. Historie)
„Ich will doch lieber im stärksten Taifun segeln, als mich von so einem Fremdwörterorkan anblasen lassen“. (Quelle: Karl May – Am Stillen Ozean / Im Zeichen des Drachen / 06)
„Ihr sollt Ruhe und Friede wiederherstellen, durch ein Mittel, das die Gemüter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an allen Enden anblasen wird.“ (Quelle: Johann Wolfgang Goethe - Egmont / I. Akt - Palast der Regentin)
„Aber ich kan sie mit meinem Athem wieder anblasen.“ (Quelle: William Shakespeare - Leben und Tod des Königs Johann - IV.1)

Statt „anblasen“ werden im gleichen Zusammenhang andere Worte gebraucht (Synonyme):

  • Anfahren, Anschnauzen, Anmachen
  • Ankurbeln, Anwerfen, Antreiben
  • Anzünden, Anfachen, Entfachen
  • Anstecken

In gegenteiligen Zusammenhängen angewandte Wörter tragen ebenfalls zur Klärung der Wortbedeutung bei (Antonyme):

  • Auslöschen
  • Loben
  • schöntun

Umgangssprachlich

Im alltäglichen, umgangssprachlichen Gebrauch erhielt „anblasen“ spezielle Bedeutungsrichtungen – sogar regional verschieden:

  • In der Redensart „Er kann nicht anblasen“ ist jemand gemeint, der bei einer Sache, die er gelernt haben will, die ersten Elemente nicht innehat – nicht anfangen kann.
  • In berlinischer Umgangssprache bedeutet „jemanden anblasen“: jemanden anmeckern, anfahren, zur Rede stellen.

Religiös / therapeutisch

In der Bibel, im Evangelium nach Johannes, Kapitel 20, Vers 19-22 vollzieht Jesus an seinen Jüngern mit Anblasen die Geistestaufe, damit sie in die Welt hinausziehen, um sein Werk fort zu führen.
„Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!“

„Anblasen“ wurde von kirchlichen Würdenträgern wie St. Antoninus, Kyrill von Jerusalem, Johannes Chrysostomos und Kirchenvater Origenes neben dem Kreuzzeichen, dem Anspucken, dem Handauflegen, dem Anschreien, dem Räuchern etc. als Mittel der Dämonenaustreibung (des Exorzismus) genannt. Es wird auch heute noch – in Amerika sogar live im Fernsehen übertragen – neben anderen Exorzismuspraktiken als rituelle Handlung vorgenommen.

Therapeutische Handlung

Bei den sogenannten Naturvölkern begann fast jede Heilungszeremonie mit dem rituellen Anblasen des Kranken mit Tabakrauch durch den Medizinmann. Damit wurden nicht nur die bösen Geister aus dem kranken Körper vertrieben, man erhoffte sich auch den Beistand der guten Mächte und des Großen Geistes.
Anblasen als heilende Handlung wird nicht selten mit Musikinstrumenten unterstützt. So wie bei den australischen Aborigines mit einem Didgeridoo, das beim Anblasen einen tiefen, durchdringenden und verhältnismäßig lauten Brummton von sich gibt. Dieser Klang erzeugt schon an sich im Abstand von einigen Metern ein mehr oder weniger deutlich wahrnehmbares Mitvibrieren des Körpers und dadurch einen therapeutischen Effekt. Dieser lässt sich steigern, indem man erkrankte Körperteile ,,bespielt", das heißt mit dem Instrument anbläst.
Die tiefe Verwurzelung des therapeutischen Anblasens in magischen bzw. religiösen Handlungen ist allmählich auf rein pragmatische Anwendungen beschränkt worden. So wenn beispielsweise eine Mutter die Wunde oder Beule ihres Kindes anbläst.
In der Therapie autistischer Kinder wird „Anblasen“ neben Kitzeln dafür eingesetzt, zum Kind Kontakt aufzubauen und zu erhalten. Das Blasen des Luftstroms über verschiedene Körperteile ermöglicht es, dem Kind Begriffe wie „kurz“, „lang“, „sachte“, “heftig“ etc. hautnah beizubringen.
Vollständig entritualisiert ist das Anblasen, wenn es Asthmatikern als eigentherapeutische Handlung empfohlen wird, die geschlossenen Lippen von innen anzublasen, damit ein genügend großer Kanal für die Atemluft in den verschleimten Bronchien entsteht.

Eröffnen einer gemeinsamen Aktion

Jagd

Das Anblasen eines Jagdhorns kündigt bei einer Treibjagd den Beginn der Jagd an. Auch das Ende eines Treibens wird durch ein Jagdhornsignal verkündet, was als „Abblasen“ bezeichnet wird.

In der Sexualität bezeichnet „Anblasen“ umgangssprachlich

  • die Stimulierung der äußeren Geschlechtsorgane der Frau durch massierende Bewegungen mit der Zunge und den Lippen
  • das Glied des Mannes mittels Mund und Zunge für den bevorstehenden Geschlechts- bzw. Analverkehr in Erektion zu bringen.

Technisch

Anblasen von Tauchzellen beim UBoot

Beim einem UBoot wird Pressluft aus Druckluftflaschen in die Tauchzellen gepresst, um das darin befindliche Wasser heraus zu drücken und dem Boot mehr Auftrieb zu geben, damit es „auftauchen“ kann. Dies wird kurz als „Anblasen“ bezeichnet.
Mit älteren UBooten war es möglich, "Aufzutauchen" ohne anzublasen: „Mit großer Fahrt, Tiefenruder "oben hart" die vordere Tauchzelle mit hohem Schwung und geöffnetem Flutventil über die Oberfläche bringen und am höchsten Stand die Entlüftung schnell schließen. So wird eine Luftblase geschnappt und das Schnorchelventil kommt mit Tiefenruder "unten hart" frei, Motor anwerfen und mit den Abgasen weiter "Ausblasen". Das "Anblasen" mit kostbarer Druckluft fällt damit weg und wird für Havarien auf dem Meeresgrund gespart.“

Technik beim Spielen von Blasinstrumenten

Bei Blasinstrumenten wird die Luftsäule in dem zylindrischen Instrumentenkorpus durch Anblasen zu harmonischen Schwingungen angeregt. Die wirksame Länge der Luftsäule wird durch Abdeckung und Öffnung von runden Löchern im Korpus verändert. So kommt es zu unterschiedlichen Schwingungslängen und damit zu verschiedenen Tonhöhen.
Je nach Anblastechnik und Form des Mundstücks kommt es zu ganz verschiedenen Toncharakteren. Nach dem Baumaterial und der Tonerzeugung unterscheidet man

Ein Ton lässt sich auch überblasen: durch scharfes Anblasen entsteht statt des Grundtones ein höherer Naturton.
Der Versuch, den Klang von Blasinstrumenten synthetisch, elektronisch zu erzeugen, scheitert an der komplexen individuellen Art der Anblasgeräusche.

  • Die verschiedenen Stellungen der Lippen beim Anblasen werden als „Ansatz“ bezeichnet.
  • Das mehr oder weniger schnelle, weiche oder harte Erscheinen eines Tones beim Anblasen wird als „Ansprache“ bezeichnet.