Moraltheologie (lat. theologia moralis bzw. theologia morum) ist in der gegenwärtigen Struktur katholisch-theologischer Fakultäten die übliche Bezeichnung für diejenige wissenschaftliche Disziplin, die nach der Bedeutung des christlichen Glaubens für die praktische Lebensführung des Einzelnen fragt.[1]

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Begriffsgeschichte
Seit Mitte des 12. Jh. ist der Ausdruck theologia moralis die gebräuchliche Bezeichnung für die Reflexion des Sittlichen aus theologischer Perspektive. Dem entspricht auch die Verwendung des deutschen Ausdrucks „Moraltheologie“ in der katholischen Theologie über lange Zeit. Die Ausgliederung der Moraltheologie als eigenständige Disziplin erfolgt allerdings nur allmählich.[2] In der protestantischen Theologie wurde dagegen eher von „Theologischer Ethik“ gesprochen. Dies war oftmals dezidiert abgrenzend zur katholisch-theologischen Moralreflexion gemeint, so etwa bei Rothe, Hofmann, Ritschl, Luthardt. Bereits anfangshaft im 18., v.a. aber im 19. Jahrhundert gliedert sich in der katholischen Theologie eine eigene Disziplin aus, die soziale Fragen thematisiert und als Sozialmoral, Sozialethik oder Christliche Gesellschaftslehre bezeichnet wird. Ein erster Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre entsteht 1893. Die Sonderstellung der Sozialethik wird insb. im 20. Jh. von einigen Theologen insofern für problematisch gehalten, als sowohl in Fragen der Moralbegründung und Fundamentalmoral im allgemeinen wie auch in vielen Anwendungsfragen der Speziellen Moral ein Einbezug individualethischer wie auch sozialethischer Gesichtspunkte für nötig gehalten wird. Auf derartige Methodenfragen reagiert die Tendenz, Moraltheologie und Sozialethik einer beide Perspektiven integrierenden Disziplin einzuordnen, die üblicherweise „Theologische Ethik“ genannt wird und sich dabei üblicherweise dezidiert nicht mehr von der protestantisch-theologischen Diskussion der Moral abgrenzt. Daraus resultiert, dass im gegenwärtigen Wortgebrauch v.a. zwei unterschiedliche Verwendungsweisen vorherrschen:
- „Moraltheologie“ als individualethische (vom Individuum ausgehender und darauf bezogener) Teildisziplin theologischer Ethik, die daneben auch die Sozialethik einschließt und sich insb. von der philosophischen Ethik abgrenzt
- „Moraltheologie“ als zusammenfassender Oberbegriff für die Moralreflexion in der Theologie
Während letztere Redeweise die traditionellere ist, wird derzeit vielfach für erstere plädiert.[3]
Abgrenzungen und Methodendiskussion
Im Unterschied zu einer allgemeinen philosophischen Ethik setzt die Moraltheologie ein dezidiert christliches Menschenbild und Weltverständnis voraus. Ob dieses auch Grundlage für die Begründung bestimmter sittlicher Normen sein sollte, wird kontrovers beurteilt, siehe hierzu den Hauptartikel Theologische Ethik.
Teilgebiete
Generell lässt sich die Moraltheologie in zwei Teilgebiete einteilen, eines ist die sogenannte Fundamentalmoral. Sie reflektiert auf die Grundbegriffe und Methoden von Moralbegründungen und der theologischen Ethik bzw. Individualethik überhaupt. Die sog. Spezielle Moral(theologie) diskutiert den Anspruch des Sittlichen auf den verschiedenen konkreten Handlungsfeldern (etwa von Biomedizin, Wirtschaft, Politik, Medien, Umweltschutz, Friedenssicherung etc.).
Probabilismus
Der Probabilismus (von lat. Probabilis: annehmbar, wahrscheinlich) bedeutet in der katholischen Moraltheologie, dass eine Handlung, die gegen bestehende Normen verstößt, dann zulässig ist, wenn dies aus annehmbaren Gründen erfolgt. Als annehmbar gelten Gründe, wenn sie stark die subjektiven Handlungsmotive des einzelnen Gewissens berücksichtigt. Handelt man gegen ein moralisches Gesetz (z. B. die 10 Gebote), bringt dafür aber „glaubwürdige“ (probabilis) Gewissensgründe vor, so kann ein Vertreter des Probabilismus dies als vor Gott gerechtfertigt ansehen. Im Zweifelsfall entscheidet man sich dafür, das Handeln der Person als erlaubt zu bezeichnen, wenn dafür positive subjektive Gründe sprechen. Man hält somit den guten Willen des Menschen in Bezug auf Gott für das Entscheidende, selbst wenn sich dieser Mensch vielleicht objektiv gesehen irrt. Hintergrund ist eine optimistische humanistische Sicht auf den Menschen, der im Grunde gut ist.
Der Probabilismus bezieht sich unter anderem auf den Römerbrief: „Wer aber zweifelt […], der ist gerichtet, denn es [das Handeln] kommt nicht aus seiner Überzeugung.“ (Röm. 14, 23)
Anders ausgedrückt, ist in Zweifelsfällen eine Handlung erlaubt, wenn gute Gründe dafür vorliegen. Den praktischen Probabilismus in ähnlicher Form vertreten z. B. die Jesuiten.
Einzelnachweise
- ↑ Nach Franz-Josef Bormann: Lehrstuhlbeschreibung, Universität Tübingen.
- ↑ Vgl. J. Theiner: Die Entwicklung der Moraltheologie zur eigenständigen Disziplin, Regensburg 1970.
- ↑ Vgl. z. B. Wolfang Kluxen: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Hamburg: Meiner 3. A. 1998, ISBN 3-7873-1379-6, S. xxii: „... die heutige Moraltheologie, die sich jetzt lieber „theologische Ethik“ nennen läßt...“. Konrad Hilpert: Art. Moraltheologie, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. A., Bd. 7, 462-467, hier 466 formuliert, dass „'Moraltheologie' in der Fachdiskussion seit einigen Jahrzehnten weithin als spez[ieller] Begriff für das trad[itionelle] Paradigma reserviert und als Disziplin-Bez[eichnung] durch 'theologische Ethik' [...] ersetzt wurde. Dieser Wechsel der Benennung erwies sich zusätzlich desh[alb] als sinnvoll, weil er geeignet war, sowohl die in der Zwischenzeit bewußt gewordene konfessionelle Besonderheit der Bez[eichnung] als auch die Vermutung einer völlig unterschiedl[ichen] Methodologie gegenüber der als eigenständige Disziplin der Theol[ogie] ausgegliederten Sozialethik zu korrigieren.“ Herbert Schlögel: Kirche und theologische Ethik: mehr als Lehramt und Moraltheologie, in: Wilhelm Guggenberger / Gertraud Ladner (Hgg.): Christlicher Glaube, Theologie und Ethik, Münster 2002, 175-186, hier 175, et passim plädiert für „Theologische Ethik“. Andreas Lienkamp: Systematische Einführung in die christliche Sozialethik, in: Franz Furger, Karl-Wilhelm Dahm, Andreas Lienkamp (Hgg.): Einführung in die Sozialethik, LIT Verlag, Berlin-Hamburg Münster 1996, ISBN 3-8258-2267-2, 29-88, hier 44f et passim. Dort werden „personal-zwischenmenschliche Ethik“, „Individualethik“ und „Fundamentalmoral“ der „Moraltheologie“ subsumiert und diese von der „Sozialethik“ abgegrenzt. Ebenfalls angeführt wird nachfolgend der - seltene, u. a. von Franz Furger vorgeschlagene - erweiterte Gebrauch von „Moraltheologie“ als Oberbegriff synonym zu „theologischer Ethik“, welcher dann die Sozialethik als eine „spezielle Moraltheologie“ subsumierbar ist. Ähnlich wie Lienkamp z. B. Arno Anzenbacher: Christliche Sozialethik, München-Wien-Zürich 1998, 17-19 und Marianne Heimbach-Steins: Unterscheidung der Geister - Strukturmomente christlicher Sozialethik, Münster-Hamburg 1994, 10-12 („Zugehörigkeit der Sozialethik zur Moraltheologie“). Allen dreien (Anzenbacher, Lienkamp und Heimbach-Steins) schließt sich z. B. explizit an: Christoph Giersch: Zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökonomischer Effizienz, LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster 2003, ISBN 3-8258-6684-X, 11: „Die Moraltheologie befaßt sich mit den personal-zwischenmenschlichen und individualethischen Fragen, die christliche Sozialethik dagegen mit der ethischen Analyse von Gesellschaft in ihrer institutionellen und strukturellen Verfaßtheit.“
Literatur
- Vgl. auch die Auswahlbibliographie im Hauptartikel Theologische Ethik.
- Geschichte des Faches
- Bernhard Häring: Ursprung der römisch-katholischen Moraltheologie – Erneuerung der Moraltheologie im 19. Jh., in: Ders. (Hg.): Frei in Christus. Moraltheologie für die Praxis des christlichen Lebens, Bd. 1, Freiburg i. Br. 1989, 61-70.
- Ernst Hirschbrich: Die Entwicklung der Moraltheologie im deutschen Sprachgebiet seit der Jahrhundertwende, Klosterneuburg 1959.
- Michael Müller: Ethik und Recht in der Lehre von der Verantwortlichkeit : ein Längsschnitt durch die Geschichte der katholischen Moraltheologie, Regensburg : Habbel 1932.
- Karl-Heinz Kleber: Historia docet: Zur Geschichte der Moraltheologie, Berlin-Hamburg-Münster : LIT Verlag 2005, ISBN 3-8258-9145-3.
- Ders.: Prolegomena zu einer Geschichte der Moraltheologie, Passau : Stephanus-Verlag 1994.
- Ders.: Einführung in die Geschichte der Moraltheologie, Passau : Passavia-Universitätsverlag 1985.
- Wolfgang Nethöfel: Moraltheologie nach dem Konzil: Personen, Programme, Positionen, Vandenhoeck & Ruprecht 1987, ISBN 3-525-56529-1. (bietet ausführliche Darstellungen zu Bernhard Häring, Alfons Auer, Franz Böckle, Dietmar Mieth und verortet diese gegenüber alternativen zeitgenössischen Forschungsprogrammen)
- Johann Theiner: Die Entwicklung der Moraltheologie zur eigenständigen Disziplin, Pustet, Regensburg 1970.
- Günter Virt: Art. Moraltheologie, 1. Zur Geschichte der Moraltheologie, in: H. Rotter / G. Virt (Hgg.): Neues Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck 1990, 522-531.
- Joseph G. Ziegler: Art. Geschichte der Moraltheologie, in: LThK 2. A., Bd. 7 (1962), 618- 623.
- Systematische Darstellungen, Einführungen und allgemeine Überblickswerke
-
- einschließlich forschungsgeschichtlich wichtiger klassischer Abhandlungen
- Klaus Demmer: Moraltheologische Methodenlehre, Freiburg 1989.
- Klaus Demmer: Art. Moraltheologie, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 23, 297-302.
- Wilhelm Ernst (Hg.): Grundlagen und Probleme der heutigen Moraltheologie, Würzburg 1989.
- Franz Furger: Einführung in die Moraltheologie, Darmstadt 2. A. 1997.
- Bernhard Häring: Das Gesetz Christi, Freiburg i. Br. 4. A. 1954.
- Bernhard Häring: Frei in Christus, Moraltheologie für die Praxis des christlichen Lebens, 3 Bände (Band 1: Das Fundament aus Schrift und Tradition, Band 2: Der Weg des Menschen zur Wahrheit und Liebe, Band 3: Die Verantwortung des Menschen für das Leben), Herder, Freiburg i. Br. 2. A. 1989, ISBN 3451216043.
- Franz X. Linsenmann: Lehrbuch der Moraltheologie, Freiburg i. Br. 1878.
- Joseph Mausbach: Katholische Moraltheologie, 3. Bde., Münster 9. A. 1953-1955.
- Karl-Heinz Peschke: Christliche Ethik, Grundlegungen der Moraltheologie, Trier 1997.
- Karl-Heinz Peschke: Christliche Ethik, Spezielle Moraltheologie, Trier 1995.
- Johannes Reiter: Art. Moraltheologie, katholische, in: RGG 4. A. 2002, Bd. 5, Sp. 1495-1497.
- Josef Römelt: Handbuch der Moraltheologie (Band 1: Vom Sinn moralischer Verantwortung. Zu den Grundlagen christlicher Ethik in komplexer Gesellschaft, Bd. 2: Freiheit, die mehr als Willkür ist. Christliche Ethik in zwischenmenschlicher Beziehung, Lebensgestaltung, Krankheit und Tod, Band 3: Jenseits von Pragmatismus und Resignation. Perspektiven christlicher Verantwortung für Umwelt, Frieden und soziale Gerechtigkeit), Regensburg 1996-1999.
- Otto Schilling: Grundriss der Moraltheologie, Freiburg i. Br. 2. A. 1949.
- Otto Schilling: Handbuch der Moraltheologie, Stuttgart 2. A. 1952.
- Bruno Schüller: Die Begründung sittlicher Urteile. Typen ethischer Argumentation in der Moraltheologie, Düsseldorf 1973.
- J. Stelzenberger: Lehrbuch der Moraltheologie, Die Sittlichkeitslehre der Königsherrschaft Gottes, Paderborn 2. A. 1965.
- Bernhard Stoeckle: Handeln aus dem Glauben, Moraltheologie konkret, Herder, Freiburg im Breisgau 1977.
- Helmut Weber: Allgemeine Moraltheologie, Ruf und Antwort, Graz-Wien-Köln 1991.
- Helmut Weber: Spezielle Moraltheologie, Grundfragen des christlichen Lebens, Graz-Wien-Köln 1999