Odenwaldschule

ehemaliges Schulinternat der Reformpädagogik in Deutschland
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Die Odenwaldschule (kurz OSO) ist ein 1910 von Paul und Edith Geheeb gegründetes Landerziehungsheim. Die in Ober-Hambach im Odenwald gelegene Schule befindet sich in freier Trägerschaft.

Odenwaldschule

Geschichte

Pädagogisches Konzept

 
Goethehaus

Die Odenwaldschule entstand in engem Zusammenhang mit der reformpädagogischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gegründet wurde sie am 14. April 1910 von Paul Geheeb, der sich vom Leitsatz Werde, der du bist ([[Liste griechischer Phrasen/Gamma#Γένοιο οἷος ἔσσι.|Vorlage:Polytonisch]]) des griechischen Dichters Pindar inspirieren ließ. Demnach soll sie die Gemeinschaft, die Persönlichkeit und das selbstbestimmte Handeln fördern. Zu der Zeit gab es nur 14 Schüler, die alle im Goethehaus untergebracht waren. Ihr Konzept war anfänglich geprägt durch die Grundsätze der Arbeitsschule, beispielsweise in der Einführung eines Kurssystems und dem Verzicht auf Jahrgangsklassen. Alle Schüler sollen mitgestalten, mitbestimmen und mitverantworten können. Die Odenwaldschule ist eine freie Gemeinschaft, in der die verschiedenen Generationen unbefangen miteinander umgehen und voneinander lernen können, heißt es in der Schulordnung. Kinder und Jugendliche sollen möglichst individuelle Lernanregungen bekommen - intellektuelle, handwerklich-praktische, musisch-künstlerische. Das Lernen ist mit einer Berufsausbildung verbunden. Gelebt wird in altersgemischten Wohngruppen, den Familien, deren Oberhaupt der Lehrer ist und die jedes Jahr neu zusammengestellt werden. Zu den weiteren Merkmalen des pädagogischen Konzepts der Schule gehörte – lange vor dem Aufkommen der antiautoritären Erziehung – das Duzen der Lehrer. Im Sportunterricht turnten Jungen und Mädchen bis zu einem gewissen Alter gemeinsam und immer nackt.

Finanzierung

Geländekauf und Bauten finanzierte der Vater Edith Geheebs, der Berliner Stadtrat Max Cassirer, der die Odenwaldschule auch weiterhin förderte. Die Schule war in den 1920er Jahren international angesehen, bis 1938 waren auch ausländische Lehrer aus England und den USA dort tätig. Von 1924 bis 1932 war der Reformpädagoge Martin Wagenschein Mitarbeiter an der Odenwaldschule. 1934 emigrierten Paul und Edith Geheeb mit ca. 25 Schülern und einigen Mitarbeitern in die Schweiz und gründeten dort die Ecole d’Humanité. 1939 beantragte der Reichsarbeitsdienst die Übernahme der Odenwaldschule, da sie dem „Sinn der nationalsozialistischen Erziehungsgemeinschaft widerspricht“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unterrichtssystem der Schule mehrfach reformiert. 1963 wurde sie UNESCO-Projektschule.

Missbrauchsfälle

Ende der 1990er Jahre wurden Vorwürfe ehemaliger Schüler bekannt, denen zufolge es in den 1970ern bis in die 1980er Jahre zu sexuellem Missbrauch von Schülern durch den damaligen Direktor Gerold Becker gekommen sei.[1] Die Schule selbst erklärte 1998, der vormalige Direktor habe „gegenüber dem Vorstand den Vorwürfen nicht widersprochen und seine Funktionen und Aufgaben im Trägerverein und im Förderkreis der Odenwaldschule niedergelegt“. Eine strafrechtliche Aufarbeitung des Falles wurde 1999 von der Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen Verjährung eingestellt. Die heutige Schulleiterin Margarita Kaufmann hat inzwischen eine erneute Untersuchung der Fälle begonnen und spricht von acht Lehrern, die sich von 1966 bis 1991 sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben sollen, und von 33 ihr bekannten Opfern.[2] Die Tageszeitung Frankfurter Rundschau berichtete in einem Schwerpunktbeitrag am 6. März 2010[3], dass in ehemalige Missbrauchsopfer von 50 bis 100 Fällen ausgehen. Margarita Kaufmann, seit 2007 Direktorin der Schule, reagierte auf die neuerlichen Erkenntnisse über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule mit einer Erklärung, in der sie die Vorfälle bedauert und den Opfern seitens der Schule ihr Mitgefühl und ihre Solidarität ausspricht [4]. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt seit März 2010 gegen einen namentlich bekannten und weitere unbekannte ehemalige Lehrkräfte wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch.[5] Die deutsche Schriftstellerin Amelie Fried, Schülerin der Odenwaldschule in den siebziger Jahren, forderte in einem Gastbeitrag in der FAZ eine vollständige Aufarbeitung der Geschehnisse zur Rettung der Schule sowie eine persönliche Entschuldigung des Hauptverantwortlichen Gerold Becker bei den Opfern.[6] Becker bat kurz darauf in einem Brief an die Odenwaldschule seine Opfer, sowie alle Personen und Institutionen, mit denen er zusammengearbeitet hat, um Entschuldigung und erneuerte ein bereits nach den Vorwürfen 1999 geäußertes Gesprächsangebot.[7]

Integrierte Gesamtschule

Die Odenwaldschule ist eine integrierte Gesamtschule. Es ist möglich, eine Schreiner- oder Schlosserausbildung mit staatlichen Abschlüssen neben dem Fachabitur oder Vollabitur zu durchlaufen; auch die Ausbildung zum Informationstechnischen Assistenten (ITA) oder zum Chemisch-Technischen Assistenten (CTA) sind neben dem Abitur möglich.

Es gibt 250 Schulplätze, wobei zur Zeit etwa 220 Schüler die Odenwaldschule besuchen. Etwa die Hälfte der Schüler stammt aus Hessen, ein Fünftel direkt aus dem Kreis Bergstraße. Die meisten leben im Internat in familienähnlichen Wohngruppen von 6–10 Personen. Die Klassenstärke liegt bei 17 Schülern. Von den rund 120 Mitarbeitern unterrichtet ungefähr jeder zweite. Von 1999 bis 2007 war Whitney Sterling Leiterin der Odenwaldschule; am 1. Oktober 2007 übernahm Margarita Kaufmann diese Stellung.

Die monatlichen Kosten betragen derzeit 2220 € für einen Internatsplatz, für Externe 690 €.[8][9]

Ehemalige Lehrer (Auswahl)

  • Gerold Becker (* 1936), Pädagoge, Mitarbeiter und Lehrer von 1969 bis 1985
  • Reinhard Buchwald (1884–1983), Literatur- und Kunsthistoriker, Reformpädagoge, Lehrer ab 1932
  • Bernhard Bueb (* 1938), Lehrer und Erzieher von 1972 bis 1974
  • Edith Geheeb (1885–1982), Reformpädagogin, Gründerin der Schule
  • Paul Geheeb (1870–1961), Reformpädagoge, Gründer der Schule
  • Rodolfo Olgiati (1905–1986), Schweizer Pädagoge; Lehrer von 1929 bis 1932
  • Martin Wagenschein (1896–1988), Pädagoge; Lehrer von 1924 bis 1933

Ehemalige Schüler (Auswahl)

Einzelnachweise

  1. Jörg Schindler: Der Lack ist ab - Der frühere Leiter des Unesco-Modellprojekts Odenwaldschule hat offenbar jahrelang Schüler missbraucht. (PDF) In: Frankfurter Rundschau. 17. November 1999, abgerufen am 28. März 2010.
  2. Birger Menke: Diskret ins Desaster. In: Spiegel Online vom 1. März 2010.
  3. J. Schindler: Missbrauch an der Odenwaldschule – Gemobbt, geschlagen, vergewaltigt. In: Frankfurter Rundschau Online vom 6. März 2010
  4. Aus aktuellem Anlass. Erklärung der Odenwaldschule vom 5. März 2010.
  5. K. H. Schlitt: Ermittlungsverfahren gegen Lehrkräfte. In: Bergsträßer Anzeiger vom 9. März 2010
  6. Amelie Fried: Amelie Fried über die Odenwaldschule:"Die rettende Hölle". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (faz.net). Abgerufen am 14. März 2010.
  7. Früherer Schulleiter entschuldigt sich. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (faz.net). Abgerufen am 19. März 2010.
  8. internat-vergleich.de: Odenwaldschule. Abgerufen am 16. März 2010
  9. Orientierung und Ordnung. In: Bergsträßer Anzeiger vom 2. März 2010]

Koordinaten: 49° 39′ 58,3″ N, 8° 41′ 11,8″ O