Alberto Giacometti (* 10. Oktober 1901 in Borgonovo, Gemeinde Stampa, seit 2010 Gemeinde Bregaglia; † 11. Januar 1966 in Chur) war ein Schweizer Bildhauer, Maler und Grafiker. Er gehört zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Sein Werk ist vom Kubismus, Surrealismus und den philosophischen Fragen um die condition humaine sowie vom Existentialismus und von der Phänomenologie beeinflusst.[1] Giacomettis extrem lange, sich zu Linien im Raum verschmälernde Skulpturen spiegeln sein besonderes Kunstverständnis wider, das der Philosoph und Existentialist Jean Paul Sartre als ein unermüdliches Suchen zum Zeitpunkt eines Neubeginns beschreibt[2].

Leben
Herkunft und Ausbildung
Alberto Giacometti kam in Borgonovo, einem Bergdorf im Bergell, nahe Stampa im Kanton Graubünden, als erstes von vier Kindern des post-impressionistischen Malers Giovanni Giacometti und dessen Frau Annetta Stampa Giacometti zur Welt. Es folgten Diego, Ottilia (1904–1937) und Bruno. Augusto wurde Mitglied einer Künstlerfamile. Sein Vater brachte ihm das Zeichnen und Modellieren bei. Sein Onkel Augusto Giacometti war mit abstrakten Kompositionen am Zürcher Dada-Kreis beteiligt; sein Bruder Diego wurde ebenfalls Bildhauer sowie Möbel- und Objektgestalter und Bruno wurde Architekt.[3][4] Giacomettis Patenonkel war der Schweizer Maler Cuno Amiet, ein enger Freund seines Vaters.[5] Neben seiner Muttersprache Italienisch sprach Alberto Giacometti deutsch, französisch und englisch.
Im Jahr 1904 zog die Familie nach Stampa und bezog ein eigenes Haus, wo sie in den folgenden sechzig Jahren lebte. Familie Giacometti hatte ab 1910 durch eine Erbschaft in Capolago, Maloja, ein Sommerhaus mit Atelier, das ihnen zur zweiten Heimat wurde. Bereits 1913 entstand Giacomettis erste exakt ausgeführte Zeichnung nach Albrecht Dürers Kupferstich Ritter, Tod und Teufel und im folgenden Jahr seine erste Plastik, eine Büste des Bruders Diego.[6]
Nach vier Jahren brach Giacometti seine 1915 begonnene Schulausbildung an der Evangelischen Mittelschule in Schiers vor der Matura ab und begann ab 1919 in Genf mit einem Kunststudium. An der École des Beaux-Arts lernte er die Malerei und an der École des Arts et Métiers die Bildhauerei und das Zeichnen.
Im Jahr 1920 begleitete Giacometti seinem Vater, der Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission an der Biennale in Venedig war, nach Venedig, wo ihn die Werke von Alexander Archipenko und Paul Cézanne beeindruckten. In der Lagunenstadt faszinierten ihn die Werke von Tintoretto und in Padua Giottos Fresken in der Cappella degli Scrovegni. 1921 machte er eine Studienreise durch Italien, hielt sich dort zunächst in Rom bei Verwandten seiner Familie auf und besuchte ab Anfang April Neapel, Paestum und Pompeji. In Madonna di Campiglio starb im September der 61-jährige Reisebegleiter Pieter van Meurs pötzlich an Herzversagen. Giacometti saß an seinem Sterbebett; dieser Todesfall erschütterte ihn tief und führte dazu, dass er sein Leben lang nie mehr ohne Licht schlief. Über Venedig kehrte er daraufhin nach Stampa zurück.[7]
1922 zog Giacometti nach Paris, wo er ab 1923 im Atelier von Archipenko arbeitete und bis 1925 Kurse bei Émile-Antoine Bourdelle an der Académie de la Grande Chaumière im Montparnasse-Quartier belegte. Im Februar 1925 folgte sein Bruder Diego ihm in das im Januar des Jahres bezogene Atelier an der rue Froidevaux 37.[8][3]
Leben und Arbeiten in Paris
In Paris lernte er 1927 Henri Laurens kennen, setzte sich mit dem Kubismus auseinander und bezog mit seinem Bruder ein kleines Atelier in der Rue Hippolyte-Maindrom 46, das Giacometti bis zu seinem Tod beibehielt. Zunächst teilten er und Diego Giacometti sich den einen Raum, hatten jedoch später zwei getrennte, aber angrenzende Ateliers.[8] Im gleichen Jahr hatte er eine erste Ausstellung im Salon des Tuileries in Paris.[9] 1928 machte er Bekanntschaft mit André Breton, Louis Aragon und Salvador Dalí und nahm an diversen Aktionen der Surrealisten teil, denen er sich 1930 anschloss, jedoch 1935 wieder von der Gruppe ausgeschlossen wurde. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, fertigten er und sein Bruder dekorative Objekte für den Pariser Möbeldesigner Jean-Michel Frank und Schmuck für die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli an. Zusammen mit Joan Miró, den er 1928 kennenlernte[10], und Jean Arp war Giacometti in diesem Jahr, 1935, an der Gruppenausstellung in der Galerie Pierre, Paris, vertreten.[11][9]
Pablo Picasso hatte er bereits im Surrealistenkreis getroffen, aber eine Freundschaft zwischen ihnen bahnte sich erst an, als dieser 1937 an seinem Monumentalgemälde Guernica arbeitete, Giacometti, der sich nach dem Bruch mit den Surrealisten in einer Schaffenskrise befunden hatte, malte in diesem Jahr zwei Gemälde, die zu seinen Meisterwerken gehören: ein Porträt seiner Mutter und ein Stillleben, Stillleben mit Apfel. Es gleicht keinem Gemälde von Cézanne, der mehr als 100 Gemälde mit diesem Motiv gemalt hat, doch ist die Erinnerung an die Vaterfigur Cézanne offensichtlich.[12]
Im Jahr 1938 erlitt Giacometti einen schweren Verkehrsunfall. Als er nachts in Paris unterwegs war, verlor eine Autofahrerin die Kontrolle über ihr Fahrzeug und erfasste ihn auf der Place des Pyramides, direkt unter der Reiterstatue der Jeanne d’Arc. Er wurde am Fuss verletzt – sein rechter Mittelfuss war an zwei Stellen gebrochen – und hatte seitdem einen Gehfehler.[13]
Seit Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre pflegte Giacometti Kontakte mit Schriftstellern, wie zum Beispiel Georges Bataille, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, den er im Jahr 1939 kennengelernt hatte.[14] Von 1942 bis 1945 verbrachte Giacometti die Kriegszeit in Maloja[15] und Genf, wo er auf den Verleger Albert Skira traf, für den Giacometti 1946 den autobiografischen Text Le rêve, le sphinx et la mort de T. (Der Traum, das Sphinx und der Tod T.) für das Magazin Labyrinthe verfasste.[16]
Internationaler Erfolg
Ab 1946 lebte Giacometti wieder in Paris, zusammen mit der langjährigen Freundin Isabel Nicholas, von der er wiederholt Zeichnungen anfertigte. Plastiken von Isabel gestaltete er zunehmend gestreckter mit überlangen Beinen. Den Erfolg brachte eine erste Einzelausstellung in der Galerie von Pierre Matisse in New York im Jahre 1948, die den Bildhauer in der Folgezeit in den Vereinigten Staaten vertrat.[17] Diese Ausstellung begründete seinen Ruhm im angelsächsischen Raum, Sammler wurden auf ihn aufmerksam. Bedingt durch Sartres fast zehnseitigen Essay La Recherche de l’absolu (Die Suche nach dem Absoluten), den er für den Ausstellungskatalog verfasst hatte, galt er dort als Bildhauer des französischen Existentialismus.[18]
Im Jahr 1949 heiratete Giacometti die damals 20-jährige Annette Arm, die er 1943 in Genf kennengelernt hatte und mit der er drei Jahre später zusammenzog. In der Folge der Ehe mit Annette Arm als Modell entstanden eine grosse Anzahl von Zeichnungen, Radierungen, Gemälden und Skulpturen; letztere wurden nunmehr länger und dünner. Sie wurden erstmals 1951 in der Galerie Maeght in Paris gezeigt, zahlreiche Ausstellungen in Europa folgten.[19] Renommierte Kunsthändler, wie zum Beispiel Pierre Loeb, wurden aufmerksam. Giacometti erhielt Aufträge, Radierungen zu Publikationen für Bücher von Georges Bataille und Tristan Tzara anzufertigen. 1955 lernte Giacometti den japanischen Philosophieprofessor Isaku Yanaihara, der einen Artikel über den Bildhauer in einer japanischen Zeitschrift verfassen sollte, im Café Les Deux Magots kennen.[7] Yanaihara wurde ihm zum Freund und diente ihm ab 1956 als Modell, woraufhin bis 1961 mehrere Gemälde und Skulpturen von ihm entstanden. Seine andersartige Erscheinung führte zu einer Schaffenskrise und einer neuen Bildauffassung. Der japanische Professor gab 1958 die erste Biografie über Giacometti in Tokio heraus.[20] 1957 begegnete der Künstler dem Komponisten Igor Strawinsky, den er mehrfach zeichnete. In dieser Zeit traf er ebenfalls den französischen Autor Jean Genet und schuf drei Ölporträts und mehrere Zeichnungen von ihm. Genet wiederum schrieb 1957 über den Künstler einen Essay, L’Atelier d’Alberto Giacometti, der Giacometti, da er sich darin verstanden sah, viel bedeutet haben soll.[21] 1959 waren Werke Giacomettis auf der der documenta II in Kassel zu sehen.
Späte Jahre
Giacomettis Freund Samuel Beckett, den er seit 1937 kannte, bat ihn zu einer neuen Aufführung von Warten auf Godot unter der Regie von Jean-Louis Barrault im Pariser Théâtre de l’Odéon im Mai 1961 um Mitwirkung bei der Bühnendekoration. Der Künstler schuf einen Baum als einzige Dekoration für das Drama menschlicher Isolation.[22] Im folgenden Jahr erhielt Alberto Giacometti den Großen Preis der Biennale in Venedig für Bildhauerei, der ihn weltweit berühmt machte. 1964 war Giacometti ein weiteres Mal auf der documenta in Kassel vertreten. Im selben Jahr kam es zum Bruch der Freundschaft mit Sartre, als dessen autobiografisches Buch Les mots veröffentlicht wurde. Giacometti sah seinen Unfall und die Deutung der Folgen falsch dargestellt; eine Versöhnung lehnte er ab. [23] 1965 reiste er trotz angegriffener Gesundheit in die Vereinigten Staaten zu einer Ausstellung seiner Werke im Museum of Modern Art in New York.
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz starb er 1966 im Kantonsspital Graubünden in Chur an den Folgen einer Perikarditis und wurde in Borgonovo beerdigt. Sein Bruder Diego stellte die letzte Skulptur Giacomettis – die dritte Skulptur des französischen Fotografen Eli Lotar – auf sein Grab sowie einen kleinen, von ihm gefertigten Bronzevogel.[24] An der Beerdigung nahmen ausser den Angehörigen und vielen Freunden und Kollegen aus der Schweiz und Paris auch Museumsdirektoren und Kunsthändler aus der ganzen Welt teil, ebenso die Vertreter der französischen Regierung und der eidgenössischen Behörden. Als letztes Werk hatte er den Text für ein Buch, Paris sans fin, mit 150 Lithographien vorbereitet, mit denen er an die Orte in Paris erinnerte, an denen er gelebt hatte. Paris sans fin wurde 1969 postum von Tériade veröffentlicht.
Werk
Frühwerk und surrealistische Phase
Alberto Giacometti
Femme égorée, 1932
Bronze
23,2 × × 57 × 89 cm
National Gallery of Scotland, Edinburgh
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Giacometti Frühphase begann 1922 und reichte bis circa 1927, als er die Afrikanische Kunst, unter anderem den bildlichen Ausdruck, die Metapher, der Zeremonien-Löffel der westafrikanischen Dan-Kultur erforschte, bei dem die Höhlung des Utensils Löffel den Mutterleib symbolisiert. Aus dem Jahr 1926 stammt die Skulptur Femme-cuillère (Löffelfrau), die als eines der Hauptwerke Giacomettis jener Zeit gilt. Giacomettis Interesse für diese Kunst erlangte er unter anderem durch eine Privatkollektion eines Gönners, neuen Publikationen, die sich mit dem Thema befassten und einer Ausstellung im Winter 1923/24 im Musée des arts décoratifs in Paris. Die als surrealistisch bezeichnete Frühphase reichte von 1930 bis 1933, die 1935, nach dem Ausschluss der Surrealisten, aufhörte. Aus diese Zeit stammt die Bronzeskulptur Femme égorée (Frau mit durchschnittener Kehle), 1932, die 1940 gegossen wurde, und eine Zeichnung gleichen Titels.[14]
Die schlanken Bronzen
Alberto Giacometti
Quatre figurines sur base, 1950
Bronze, bemalt
162 × 42 × 32 cm
Tate Modern, London
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1935 nahm Giacometti die Naturstudien und die Arbeit am Modell wieder auf, was auch der Grund war, dass er in diesem Jahr von den Surrealisten ausgestossen wurde. Bis in das Jahr 1945 fand eine rege Auseinandersetzung und Experimentierfreudigkeit mit dem Modell statt und bewirkte schliesslich, „daß die Figuren und Köpfe sich […] immer mehr zusammenzogen, sich reduzierten und immer dünner wurden.“[25] Die Büste seines Bruders Diego, der ihm in diesen Jahren ununterbrochen Modell stand, „ließ sich endlich samt dem Sockel in eine kleine Streichholzschachtel packen!“[25] Ab 1946 reduzierte sich das körperliche Volumen seiner Figuren so stark, dass sie ganz schmal und fadendünn wurden. Die Oberflächenstruktur und Streckung der Figuren Giacomettis zeigt eine „Verwandtschaft“ mit den Figuren Germaine Richiers[26], die wie Giacometti an der Académie de la Grande Chaumière im Atelier von Émile-Antoine Bourdelle studiert hatte.[27]
1950 entstand die im Jahr 1965/66 gegossene autobiographische Bronze Quatre figurines sur base (Vier Figuren auf einer Basis), bei der Giacometti vier je 12 cm hohe Figuren, vier Tänzerinnen des Pariser Nachtlokals „Le Sphinx“, auf einen trapezförmigen Sockel positionierte, und diesen wiederum auf einen hochbeinigen Modelliertisch stellte. Die Skulptur spielt an in Erinnerung an die Ereignisse von 1946, als Giacometti wegen der bevorstehenden Schließung der öffentlichen Nachtlokale noch einmal das oft von ihm besuchte Bordell aufsuchte und im Anschluss daran sein bedeutender Text Le rêve, le sphinx et la mort de T.[28] (Der Traum, die Sphinx und der Tod von T.) entstand.[29]
Rezeption
Zeugnisse von Zeitgenossen
Ein Freund aus Giacomettis surrealistischer Zeit, der französische Schriftsteller Michel Leiris, veröffentlichte in Documents 1929 den ersten Text über das bildhauerische Werk des Künstlers. er schrieb: „Es gibt Augenblicke, die man Krisen nennt, und diese sind die einzigen, die im Leben zählen. Solche Momente widerfahren uns, wenn etwas Äußerliches urplötzlich unserem inneren Rufen danach antwortet, wenn sich die äußere Welt so öffnet, daß sich zwischen ihr und unserem Herzen eine plötzliche Veränderung ergibt. […] Giacomettis Skulpturen bedeuten mir etwas, weil alles, was unter seiner Hand entsteht, wie die Versteinerung einer solchen Krise ist.“ Leiris erkannte früh, welch schöpferischer Ansporn für Giacometti von dem immer wiederkehrenden Gefühl einer Krise ausgehen sollte.[30]
Jean-Paul Sartre schilderte Giacometti 1947 in seinen Essays zur bildenden Kunst, Die Suche nach dem Absoluten, als faszinierenden Gesprächspartner und als Bildhauer mit einem festen „Endziel, das es zu erreichen gilt, ein einziges Problem, das gelöst werden muß: wie kann man aus Stein einen Menschen machen, ohne ihn zu versteinern?“ Solange dies nicht gelöst sei, durch den Bildhauer oder die Bildhauerkunst, „solange gibt es lediglich Entwürfe, die Giacometti nur insofern interessieren, als sie ihn seinem Ziel näherbringen. Er zerstört sie alle wieder und fängt noch einmal von vorne an. Manchmal gelingt es allerdings seinen Freunden, eine Büste oder die Plastik einer jungen Frau oder eines Jünglings vor dem Untergang zu bewahren. Er läßt es geschehen und macht sich aufs neue an die Arbeit. […] Die wunderbare Einheit dieses Lebens liegt in der Unbeirrbarkeit bei der Suche nach dem Absoluten.“[31]
Jean Genet beschrieb Giacometti und sein Werk in dem Essay aus dem Jahr 1957, L’Atelier d’Alberto Giacometti, im Gegensatz zu Sartres intellektuellen Thesen über den gemeinsamen Freund aus dem Gefühl heraus. „Seine Statuen machen mir den Eindruck, daß sie sich letztlich in ich weiß nicht welche geheimliche Gebrechlichkeit flüchten, die ihnen Einsamkeit gewährt. […] Da im Augenblick die Statuen sehr hoch sind – in braunem Ton – wandern seine Finger, wenn er vor ihnen steht, auf und ab wie die eines Gärtners, der ein Rosenspalier schneidet oder pfröpft. Die Finger spielen an der Statue entlang. und das ganze Atelier vibriert, lebt.“[32]
Einfluss der altägyptischen Kunst
Eine Ausstellung im Ägyptisches Museum Berlin, Giacometti, der Ägypter, die ab Ende 2008 in Berlin und ab Februar 2009 im Kunsthaus Zürich gezeigt wurde, machte den Einfluss altägyptischer Kunst auf das Werk Giacomettis geltend. Die Begegnung mit der ägyptischen Skulptur hatte Giacometti bereits in Florenz während seines ersten Aufenthalts in Italien in den Jahren 1920/21. Er schrieb der Familie: „die schönste Statue für ihn sei weder eine griechische noch eine römische und noch weniger eine aus der Renaissance, sondern eine ägyptische“. Der berühmte Porträtkopf von Echnaton (1340 v. Chr.) ähnelt dem Selbstporträt von 1921. Mit diesem Selbstbildnis beendete er die Ausbildung bei seinem Vater. Die Pariser Jahre mit der Annäherung an die Avantgarde und die Suche nach einer Stilisierung der menschlichen Form sind zusammengefasst in der Konfrontation zwischen den Bronzewerken Giacomettis wie Cube (1933/34), die als Anlehnung an ägyptische Würfelfiguren gesehen werden können, und der Würfelstatue des Senemut (1470 v. Chr.) in Granit, von der er um 1937 eine Bleistiftzeichnung anfertigte.[33] Die Arbeiten der Nachkriegszeit orientieren sich ebenfalls an ägyptischen Werken. Der Rückgriff auf ägyptische Kniefiguren erfolgte in den Skulpturen Diego assis (Diego sitzend) und Lotar III, seiner letzten Skulptur.[34]
Film über Giacometti
Heinz Bütler drehte 2001 einen Dokumentarfilm mit dem Titel Alberto Giacometti – Die Augen am Horizont. Er beruht auf dem Buch Écrits von Giacometti, und in Interviews mit Weggefährten und Zeitzeugen wie Balthus, Ernst Beyeler und Werner Spies wird der Künstler in knapp einer Stunde skizzenhaft beschrieben. In weiteren 25 Minuten erzählt der Giacometti-Biograf James Lord aus dem Leben des Künstlers. Er wurde 2007 als Kinofilm gezeigt und ist als DVD erhältlich, herausgegeben von NZZ Television.[35]
Sammlungen
Die umfangreichsten Sammlungen seiner Werke sind heute im Kunsthaus Zürich und in der Fondation Beyeler in Basel als Leihgabe der Alberto Giacometti Foundation ausgestellt. Weitere bedeutende Sammlungen befinden sich im Museum of Modern Art in New York und in der Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence.
Giacometti auf dem Kunstmarkt
Alberto Giacometti
L’homme qui marche, 1961
Bronze
Höhe: 89 cm
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- Siehe Hauptartikel L’Homme qui marche I
Das Œuvre Giacomettis erzielt auf dem Kunstmarkt hohe Preise und ist daher auch vor Fälschungen nicht gefeit. Das Kunstmagazin art berichtete im August 2009 von 1000 Fälschungen, die in Frankfurt entdeckt worden seien.[36] Ein Rekordergebnis erzielte die Skulptur L’Homme qui marche I, die zudem auf der 100-Franken-Banknote betrachtet werden kann. L’Homme qui marche I ist eine Skulptur aus dem Jahr 1961, die auf einen Entwurf von 1960 zurückgeht. Die Auktion bei Sotheby’s im Februar 2010 brachte einen Erlös von umgerechnet rund 74 Millionen Euro und wurde damit zum teuersten Kunstwerk, das je in einer Auktion verkauft wurde.[37]
Auszeichnungen und Ehrungen
- 1961: Prize for sculpture auf der International Exhibition of Contemporary Painting and Sculpture, Carnegie Institute, Pittsburgh
- 1962: Grosser Preis für Skulptur auf der Biennale von Venedig
- 1962: Guggenheim International Award for painting
- 1965: Ehrendoktorwürde der Universität Bern, Bern
Ausstellungen und Retrospektiven
- 1930: Galerie Pierre, Paris
- 1932: Galerie Pierre Colle, Paris
- 1934: Julien Levy Gallery, New York
- 1948: Pierre Matisse Gallery, New York
- 1951: Galerie Maeght, Paris
- 1955: Solomon R. Guggenheim Museum, New York (Retrospektive)
- 1956: Biennale di Venezia, Venedig
- 1956: Kunsthalle Bern, Bern
- 1959: documenta II, Kassel
- 1964: documenta III, Kassel
- 1965: Museum of Modern Art, New York (Retrospektive)
- 2008/09: Giacometti, der Ägypter, Ägyptisches Museum Berlin, Kunsthaus Zürich
- 2009/10: Von Rodin bis Giacometti – Plastik der Moderne, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
- 2010: Alberto Giacometti: Die Frau auf dem Wagen. Triumph und Tod, Lehmbruck-Museum, Duisburg (31. Januar bis 18. April 2010)
Werkauswahl
Skulpturen
- 1927/1960: Mann und Frau – Liegendes Paar, Bronze, 39 × 47,5 × 5 cm, Bern (E.W.K.)
- um 1940: Kleiner Mann auf einem Sockel (Petit homme sur socle), Bronze, 8,1 × 7 × 4,8 cm), Alberto Giacometti-Stiftung, Zürich Abb.
- 1942/43: Femme au chariot (Frau auf dem Wagen), bemalter Gips. Figur 153,5 × 33,5 × 35, Wagen 10 ×40 × 35 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Eine Hommage an Giacomettis Freundin Isabel Nicholas Abb.
- 1947/48: Stehender Akt, Bronze, 29 × 9 cm, Sammlung Batliner, Albertina, Wien (Inv. Nr. SK8DL)
- 1948−49: La Piazza (Die Piazza), Bronze, 21 × 62,5 × 42,8 cm, Peggy Guggenheim Collection, Venedig
- 1950: Quatre figurines sur base (Vier Figuren auf einer Basis), Bronze, bemalt, 162 × 42 × 32 cm, Tate Modern, London
- um 1950: Diego, Bronze, 26,8 × 21,5 × 10,5 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Abb.
- 1952: Figurine sur grand socle (Figur auf großem Sockel), Bronze, 38,5 × 9 × 20,5 cm, Alberto Giacometti-Stiftung, Zürich. Ein Beispiel für den Einfluss altägyptischer Kunst auf Giacometti Abb.
- 1954/55: Schmale Büste auf Sockel – Amenophis, Bronze, 38,5 × 32 cm, Sammlung Batliner, Albertina, Wien (Inv. Nr. SK10DL)
- 1955: Sitzende Figur im Atelier, Kunstmuseum Winterthur, Winterthur
- 1960: Büste von Isaku Yanaihara, Bronze, 43 cm hoch
- 1961: L’Homme qui marche I (Der schreitende Mann), Version I, Bronze, 183 cm hoch, der Entwurf stammt von 1960 Abb.
Gemälde und Zeichnungen
- 1937: Stillleben mit Apfel, Öl auf Leinwand, 71,8 × 74,9 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York Abb.
- 1951: Der Mann im Atelier, Bleistift, 50 × 33,3 cm, Albertina, Wien (Inv. Nr. 32473)
- 1954: Büste, Lithographie, 50,1 × 65,6 cm, Albertina, Wien (Inv. Nr. DG1955/21)
- 1954/55: Jean Genet, Öl auf Leinwand, 65,3 × 543 cm, Tate Gallery, London Abb.
- 1958: Porträt von Annette, Öl auf Leinwand, 65 × 54 cm, Sammlung Batliner, Albertina, Wien (Inv. Nr. GE44DL)
- 1960: Zwei stehende Frauen und Männerkopf, Bleistift, 21,5 × 16,5 cm, Sammlung Batliner, Albertina, Wien (Inv. Nr. DL308)
Illustrierte Schriften
- 1946: Le rêve, le sphinx et la mort de T. Labyrinthe, Paris; dt. Der Traum, die Sphinx und der Tod von T. Faksimile, hrsg. und übers. von Donat Rütimann. Scheidegger & Spiess, Zürich 2005, ISBN 978-3-85881-170-7
- 1969: Paris sans fin, 150 Lithografien, postum veröffentlicht bei Tériade, Paris
- 2007: Écrits. Hermann, Paris, ISBN 978-2-70566-703-0
Literatur
- Axel Matthes (Hrsg.), Louis Aragon (Mitverf.): Wege zu Giacometti. Matthes und Seitz, München 1987, ISBN 3-88221-234-9
- Felix Baumann (Hrsg.), Roland Frischknecht: Bruno Giacometti erinnert sich. Mit einem Werkverzeichnis der Bauten von Roland Frischknecht. Scheidegger & Spiess, Zürich 2009, ISBN 978-3-858-81248-3
- Agnès de la Beaumelle: Alberto Giacometti. Le dessin à l’oeuvre. Centre Georges Pompidou, Musée national d’art moderne, Paris, 2001.
- Peter Beye, Dieter Honisch: Alberto Giacometti, Prestel-Verlag 1987 und Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, ISBN 3-7913-0846-7
- Yves Bonnefoy: Alberto Giacometti. Biographie d’une oeuvre. Flammarion, Paris 1991
- Jacques Dupin: Alberto Giacometti, Maeght, Paris 1962
- Jean Genet: L’Atelier d’Alberto Giacometti, 1957; dt. Alberto Giacometti, Scheidegger & Spiess, Zürich 2004 (Neuausgabe), ISBN 3-858-81051-7
- Alberto Giacometti. Zeichnungen, Katalog zur Gedächtnisausstellung in der Kestner-Gesellschaft, Hannover 1966, mit einleitenden Notizen von Wieland Schmied
- Alberto Giacometti: Skulpturen – Gemälde – Zeichnungen. Prestel Verlag, München 2008, ISBN 978-3-791-33870-5
- Reinhold Hohl: Alberto Giacometti. Gerd Hatje, Stuttgart 1971
- Christian Klemm, Die Sammlung der Alberto Giacometti-Stiftung, Zürcher Kunstgesellschaft, Zürich 1990
- Christian Klemm, Carolyn Lanchner, Tobia Bezzola, Anne Umland: Alberto Giacometti. Kunsthaus Zürich, 2001 und The Museum of Modern Art, New York, 2001-2002
- James Lord: Alberto Giacometti Drawings. A Paul Bianchini Book, New York/ Graphic Society Ltd./ Greenwich, Conneticut, 1971
- James Lord: Alberto Giacometti. Scheidegger und Spiess, Zürich 2004, ISBN 3-85881-157-2
- Suzanne Pagé: Alberto Giacometti. Sculptures. peintures. dessins. Musée d’art moderne de la Ville de Paris, Paris 1991-1992
- Jean-Paul Sartre: Die Suche nach dem Absoluten: Texte zur bildenden Kunst. Aus dem Französischen von Vincent von Wroblewsky. Rowohlt, Reinbek 1999, ISBN 978-3-499-22636-6
- Ernst Scheidegger: Alberto Giacometti. Spuren einer Freundschaft, Zürich 1990
- Emil Schwarz: Körper ist Körper ist Körper im unendlichen Raum, Hommage à Alberto Giacometti, Eine dichterische Annäherung mit dem Essay Im Raum wächst die Zeit. 164 S., englische Broschur. NAP Verlag, Zürich 2009. ISBN 978-3-9521434-9-0
- Jean Soldini: Alberto Giacometti. La somiglianza introvabile, Jaca Book, Mailand 1998
- Toni Stooss, Patrick Elliott, Christoph Doswald: Alberto Giacometti 1901–1966. Kunsthalle Wien, Wien 1996
Neue Medien
- Alberto Giacometti (ARTE EDITION/absolut MEDIEN), zwei Dokumentarfilme von Jean-Marie Drot und Michel van Zele, Frankreich 1963/2001, DVD (Farbe und s/w)
Weblinks
- Giacometti, Alberto. In: Sikart
- {{{Autor}}}: Giacometti, Alberto. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Literatur von und über Alberto Giacometti im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- A Man Among Men: Alberto Giacometti (Jean-Marie Drot, 1963) (ubu.com)
- artcyclopedia über Alberto Giacometti
- Kunsthaus Zürich: Werke Giacommetis
- Museum of Modern Art: Ausführliche Biografie Giacomettis (englisch)
- Fondation Alberto et Annette Giacometti
Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ {{internetquelle|autor=|hrsg=cosmopolis.ch|url=http://www.cosmopolis.ch/cosmo29/alberto_giacometti.htm%7Ctitel=Alberto Giacometti|zugriff=13. April 2010}
- ↑ Skulptur Diego. nrw-museum.de.de, abgerufen am 14. April 2010.
- ↑ a b Diether Rudloff: Unvollendete Schöpfung. Künstler im zwanzigsten Jahrhundert. Urachhaus, Stuttgart 1982, S. 101
- ↑ Über Diego Giacometti
- ↑ Kindlers Literatur Lexikon
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti. Der Mensch und sein Lebenswerk. Knaur 1991, ISBN 3-426-02385-7, S. 26 ff
- ↑ a b Museum of Modern Art: Alberto Gicometti Chronology (englisch)
- ↑ a b James Lord: Alberto Giacometti Drawings. A Paul Bianchini Book, New York/ Graphic Society Ltd./ Greenwich, Conneticut, 1971, S. 247
- ↑ a b Thomas Krens (Vorwort): Rendezvous. Masterpieces from the Centre Georges Pompidou and the Guggenheim Museums. Guggenheim Museum Publications, New York 1998, S. 634
- ↑ Evelyn Bennesch/Ingried Brugger (Hrsg.): Miró. Später Rebell, S. 186
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti Drawings, New York/ Graphic Society Ltd./ Greenwich, Conneticut, 1971, S. 247 f.
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti, Knaur 1991, S. 165 ff
- ↑ James Lord, Alberto Giacometti, Scheidegger & Spiess Zürich, 2001, Seite 166-170
- ↑ a b Thomas Krens (Vorwort): Rendezvous. Masterpieces from the Centre Georges Pompidou and the Guggenheim Museums, New York 1998, S. 635
- ↑ Alberto Giacometti: Die Frau auf dem Wagen. Triumph und Tod www.artefacti.de
- ↑ Caroline Kesser: Ein fester Platz für Giacometti. In: Neue Zürcher Zeitung. nextroom architektur datenbank, 1. Juni 2002, abgerufen am 29. März 2010.
- ↑ Kunsthalle Nürnberg (Hrsg.): Graphik der Welt. Internationale Druckgraphik der letzten 25 Jahre, Ausstellung Kunsthalle Nürnberg 18. August bis 28. November 1971. Erker Verlag St. Gallen, Nürnberg 1971, S. 18
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti, Knaur 1991, S. 257
- ↑ Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (Hrsg.): Einblicke. Das 20. Jahrhundert in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Hatje Cantz, Ostfildern 2000, S. 463
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti, S. 330 ff, 473
- ↑ James Lord: Albert Giacometti, S. 311
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti. Der Mensch und sein Lebenswerk. Knaur 1991, S. 378 f
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti. Der Mensch und sein Lebenswerk. Knaur 1991, S. 410 ff
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti, S. 456
- ↑ a b Diether Rudloff: Unvollendete Schöpfung. Künstler im zwanzigsten Jahrhundert. Urachhaus, Stuttgart 1982, S. 102
- ↑ In: Lexikon der Kunst, Bd. IV, S. 125. Seemann Leipzig 1968-1978; zitiert nach dem Nachdruck Westberlin 1981
- ↑ Karina Türr: Tradition und Moderne im Menschenbild des 20. Jahrhunderts. In: Theodora Vischer (Kat.): Skulptur im 20. Jahrhundert. Merian-Park Basel, 3. Juni bis 30. September 1984, Basel 1984, S. 26
- ↑ In: Labyrinthe, Nr. 22-23, Dezember 1946
- ↑ Gottlieb Leinz: Kunst und Askese, in: Christoph Brockhaus (Hrsg.): Museum und Kirche. Religiöse Aspekte moderner Kunst, Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg, 15. April bis 20. Mai 1991, S. 35, ISBN 3-923576-78-1; Leinz übernimmt die deutsche Übersetzung Der Traum, das Sphinx und der Tod von T. aus: Axel Matthes (Hrsg.), Louis Aragon (Mitverf.): Wege zu Giacometti. Matthes und Seitz, München 1987, S. 118–126, die auf das Pariser Bordell Le Sphinx anspielt.
- ↑ Jaes Lord: Alberto Giacometti, Knaur 1991, S. 109 f
- ↑ Jean Paul Sartre: Über Giacometti. In: Laszlo Glozer: Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939. DuMont Buchverlag, Köln 1981, S. 144 f.
- ↑ James Lord: Alberto Giacometti, Knaur 1991, S. 311 f
- ↑ Paola Beltrame, aus dem Italienischen übersetzt von Jean-Michel Berthoud: Giacometti und die ägyptische Skulptur. swissinfo.ch, abgerufen am 16. April 2010.
- ↑ Giacometti, der Ägypter. kultur-online.net, abgerufen am 16. April 2010.
- ↑ Alberto Giacometti. cosmopolis.ch, abgerufen am 13. April 2010.
- ↑ 1000 Giacometti-Fälschungen entdeckt. Abgerufen am 16. April 2010.
- ↑ Sotheby's – Dünner Bronzemann für 74 Millionen Euro
Personendaten | |
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NAME | Giacometti, Alberto |
KURZBESCHREIBUNG | Schweizer Künstler und Plastiker |
GEBURTSDATUM | 10. Oktober 1901 |
GEBURTSORT | Borgonovo, Gemeinde Stampa |
STERBEDATUM | 11. Januar 1966 |
STERBEORT | Chur |