Kinderlosigkeit

Zustand, keine Kinder zu haben
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Unter Kinderlosigkeit versteht man den freiwilligen oder unfreiwilligen Verzicht auf Kinder in der Lebensplanung. Der unfreiwillige Verzicht wird auch als unerfüllter Kinderwunsch bezeichnet.

Situation in Deutschland

Statistische Situation

Im Gegensatz zu der weithin als normal empfundenen Familie mit durchschnittlich zwei Kindern liegt die Geburtenrate in Deutschland derzeit bei 1,29 Kindern pro Frau; für den Fortbestand der Bevölkerungsgröße wären hingegen 2,1 Kinder pro Frau erforderlich. Dadurch zählt Deutschlands Geburtenrate zu den niedrigsten der Welt, was demografische Probleme mit sich bringt, da die Gesellschaft zunehmend überaltert und dadurch die Kosten für Sozialausgaben und Krankenkassenbeiträge steigen, während Nachwuchskräfte in der Wirtschaft zunehmend fehlen.

Ursachen

Wandel in Lebensplanung und Familienverständnis

Zunehmende Individualisierungstendenzen sowie flexiblere Erwerbstätigkeit, berufliche Karrieren oder konsumorientierte Lebensstile lösen seit den 1960er-Jahren zunehmend tradierte Familienvorstellungen ab. Hierbei könnte die häufig durch Werbung und Medien vermittelte Leitvorstellung von Erfolg und Karriere eine Rolle spielen.

Auch der spätere Berufseinstieg und fehlende Befassung mit Familienplanung spielen eine Rolle. Der Begriff "Familienplanung" wurde lange Zeit fast synonym mit dem Begriff "Empfängnisverhütung" gleichgesetzt. Die überwältigende Akzeptanz der Anti-Baby-Pille seit ihrem Erscheinen in den 1960er-Jahren zeigt, dass von weiten Teilen der Bevölkerung erwünscht war, die Kinderzahlen zu reduzieren.

Hielt früher auch aus ökonomischer Notwendigkeit eine Ehe das Leben lang, so hat die Bedeutung der Ehe stark abgenommen. Der Wechsel des Lebenspartners ist zur Realität geworden. Frauen können sich nicht mehr auf eine lebenslange finanzielle Absicherung verlassen, wenn sie als Hausfrau ihren Lebensschwerpunkt auf die Kindererziehung setzen. Sie sind mit der Möglichkeit einer Scheidung im Hinterkopf häufig dazu gewillt, für ihren Lebensunterhalt eine eigene Versorgungsgrundlage zu schaffen.

Schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Lange Ausbildungszeiten und zu geringe Akzeptanz berufstätiger Mütter durch Betriebe in Deutschland verhindern häufig eine frühe Mutterschaft. Heute sind insbesondere akademisch gebildete Bevölkerungsgruppen freiwillig kinderlos.

Die zunehmend geforderte Mobilität und Bereitschaft zum Wohnortwechsel führt häufig zum Getrenntleben oder erschwert die Partnersuche.

Als weiterer Grund für Kinderlosigkeit wird die unzureichende Kinderbetreuung in Deutschland, insbesondere in den alten Bundesländern, angesehen. Es ist oftmals nicht möglich, einen ganztägigen Betreuungsplatz für Kinder zu finden, so dass eine Vollzeitberufstätigkeit beider Elternteile, wie sie beispielsweise in Dänemark allgemein üblich ist, für diese nicht oder nur schwerlich realisierbar ist. Dies führt ebenfalls zu einem Einkommensverlust, der Familien im Vergleich zu Singles finanziell schlechter stellt.

Dazu kommt die zum Teil berechtigte Angst, nach einer Familiengründung nicht mehr in den Beruf zurück zu finden.

Finanzielle Belastung

Nach einer Ansicht wird als ein weiterer Grund angesehen, nach der die finanziellen Belastungen durch Kinder in Deutschland einseitig auf Familien und Mütter mit Kindern abgewälzt werden, Stichwort "Kinder sind privates Luxusvergnügen". In der Tat ist unbestritten, dass Kinder sehr hohe Kosten verursachen (man rechnet mit 800.000€ Kosten für 2 Kinder von der Geburt bis zum Abschluss der Ausbildung, von denen in Deutschland 25% mittels u.a. Kindergeld sowie Steuerfreibeträgen durch den Staat übernommen werden, während diese Quote in anderen Ländern zum Teil deutlich höher liegt). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in einer Entscheidung angemahnt, dass Familien mit Kindern in Deutschland durch Sozialleistungen im Verhältnis zu Singles überproportional belastet werden, ohne dass ihr Beitrag für den zukünftigen Erhalt des Sozialsystems ("Generationenvertrag") angemessen bei der Beitragserhebung berücksichtigt wird. Zur Abhilfe hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, Familien mit Kindern zu entlasten. Ob dies in hinreichendem Maße geschehen ist, ist umstritten, da eine Förderung einerseits mit hohen Kosten verbunden ist und die Mittel hierfür daher sehr schwer aufzubringen sind und da andererseits die Meinungen über das "wie" der Förderung sehr weit auseinandergehen.

Da die Kosten für ein Kind, besonders in einem Industrieland wie Deutschland, hoch sind, wäre zu erwarten, dass die Zahl der Kinder mit dem Einkommen der Eltern steigt, jedoch ist das Gegenteil der Fall: Menschen mit mit hohem Einkommen haben weniger Kinder. Man spricht hier vom demo-ökonomischen Paradox. Ein Grund dafür sind die höheren Opportunitätskosten, also das Einkommen, das während der Kinderbetreuung nicht verdient wird.

Pessimismus

Indessen dürfte auch ein allgemeines Misstrauen der Menschen in die Zukunft dazu beitragen, dass die individuellen Chancen, Kindern einen Weg in ein angemessenes Leben gewährleisten zu können, immer pessimistischer beurteilt werden. Bezog sich der Satz "In diese Welt will ich keine Kinder setzen" in den 1980er-Jahren vor allem auf die damals globalen Ängste vor atomarer Bedrohung und Umweltzerstörung, so ist heute Unlust an einer einseitig auf individuellen Wohlstand ausgerichteten Gesellschaft hinzugekommen. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und das Misstrauen in das dahinter stehende Wirtschaftssystem ist ein weiterer Faktor in einer negativen Beurteilung der Zukunftsperspektiven für sich und eventuellen eigenen Nachwuchs, hinzu kommt die Furcht vor einer zunehmenden individuellen Existzenzgefährdung im Rahmen der Globalisierung. Dieser These widerspricht vermutlich, dass gerade arme Familien in Deutschland eher mehr Kinder haben und in weit ärmeren Volkswirtschaften weit mehr Kinder pro Frau entstehen.

Vor diesem Hintergrund erlebt dieser Pessimismus derzeit in Deutschland seinen Höhepunkt. Eine Umfrage ergab 2005, dass die Deutschen im Mittel die pessimistischsten Menschen weltweit sind.

Biologische Ursachen

Oft führen medizinische Ursachen zu Kinderlosigkeit. Ursachen dafür sind zum Beispiel Unfruchtbarkeit bei Mann oder Frau, Unverträglichkeit von Erbanlagen (bestimmte Blutgruppenunverträglichkeiten), Unfälle, frühere chirurgische Eingriffe oder Behandlungen mit Medikamenten, die zur Abstoßung des Embryos führen (z.B. bestimmte Bluttransfussionen), Überlastung, Erwartungsangst und andere.

Ursache für Kinderlosigkeit kann auch ein zu später Beginn des Kinderwunsches sein.

Zusätzlich können dazu Faktoren in der Lebensumwelt und Ernährung auftreten (chemische oder andere Belastungen, Hormonbelastungen)

Trivia

Das Wort Kinderlose war im Juli 2004 eines der Worte der Woche - ausgelöst durch durch die Steuerreformen in Deutschland und in Österreich sowie die Diskussion über Familien- und Rentenpolitik.

Siehe auch