Margot Käßmann
Margot Käßmann (geborene Schulze; * 3. Juni 1958 in Marburg an der Lahn) ist eine deutsche evangelisch-lutherische Theologin und Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Seit Oktober 2009 bekleidet Käßmann das Amt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).[1] Seit 2002 ist Margot Käßmann Präsidentin der Zentralstelle KDV.

Familie
Margot Käßmann wurde als jüngste von drei Töchtern eines Kraftfahrzeugschlossers und einer Krankenschwester geboren. 1981 heiratete sie den Pfarrer Eckhard Käßmann. Mit ihm teilte sie anfangs eine Pfarrstelle in der kurhessisch-waldeck'schen Landeskirche[2] und wurde Mutter von vier Töchtern (* 1982, * 1986, * 1986, * 1991). 2007 wurde die Ehe geschieden.[3] Käßmann lebt mit ihrer jüngsten Tochter in Hannover.
Bildungsweg
Nach dem Abitur 1977 an der Elisabethschule in Marburg studierte Schulze evangelische Theologie in Tübingen, Edinburgh, Göttingen und Marburg mit einem Stipendium des Evangelischen Studienwerks Villigst. Während des Studiums nahm sie unter anderem 1978 an mehrwöchigen archäologischen Ausgrabungen in Akko (Israel) teil.
Kirchliche Ämter
Als Jugenddelegierte nahm Käßmann 1983 in Vancouver an der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) teil, auf der sie als jüngstes Mitglied in den Zentralausschuss gewählt wurde. 1983 wurde sie Vikarin in Wolfhagen bei Kassel.
1985 erfolgte ihre Ordination zur Pfarrerin. Zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Eckhard Käßmann war sie von 1985 bis 1990 Gemeindepfarrerin in Frielendorf-Spieskappel im Schwalm-Eder-Kreis. 1989 promovierte sie bei Konrad Raiser an der Ruhr-Universität Bochum über das Thema „Armut und Reichtum als Anfrage an die Einheit der Kirche“. Anschließend wurde sie 1990 Beauftragte für den Kirchlichen Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und 1992 bis 1994 Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Hofgeismar. Von 1991 bis 1998 war sie Mitglied des Exekutivausschusses des ÖRK. In den Jahren von 1994 bis 1999 war sie Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages. 1999 erfolgte ihre Wahl zur Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, nach Maria Jepsen ist sie die zweite Bischöfin der EKD.
2002 trat sie wegen der Aufgabe Ökumenischer Gottesdienste im ÖRK aus dem Zentralausschuss des Ökumenischen Rates aus.[4] Käßmann wurde am 28. Oktober 2009 als Nachfolgerin von Wolfgang Huber zur neuen Ratsvorsitzenden der EKD gewählt. [5]
Margot Käßmann engagierte sich als Botschafterin für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 der Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland.
Ihrer Wahl zur ersten weiblichen Ratsvorsitzenden der EKD folgte eine kritische Reaktion russisch-orthodoxer Theologen, die die Fortsetzung des Dialoges ihrer Kirche mit der EKD (seit 1959) in Frage stellte.[6]
Ansichten und Meinungen
Käßmann tritt für eine größere Betonung des Christentums in der evangelischen Kirche ein, als dies in den vergangenen Jahrzehnten üblich gewesen sei. Im Konfirmandenunterricht habe man ihrer Meinung nach mehr über Sekten und Drogen gesprochen als über die Bibel. Sie plädiert für ein klares geistliches Profil kirchlicher Einrichtungen, in evangelischen Kindertagesstätten könne man nicht nur fröhliche Herbstlieder singen, sondern es müssten die biblischen Geschichten erzählt werden. Kinder und Erwachsene sollten wieder mehr beten und Kirchen sollten wie Kirchen aussehen und nicht wie unverbindliche Gemeindezentren.[7]
Kontroversen
Käßmann setzt sich auch kritisch mit einzelnen Positionen der römisch-katholischen Kirche auseinander. So kritisiert Käßmann unter anderem bestimmte sexualethische Vorbehalte der katholischen Kirche gegenüber Homosexualität und der Verbreitung von Kondomen zur Verhinderung von AIDS, fordert die Zulassung von Frauen zum Priesteramt und die Aufhebung des Zölibats.[8]
Käßmann brüskierte im Januar 2009 Muslime in Deutschland mit ihrer Ansicht, ehemalige und ungenutzte Kirchen sollten besser verfallen oder abgerissen werden als sie Muslimen zur Umnutzung als Moscheen zu überlassen. Positiv sei hingegen eine Umwidmung zu einer Synagoge. Erst nach Protesten relativierte sie ihre Aussagen leicht, stellte nun allerdings die Friedensfähigkeit des Islam infrage: „Wenn eine Kirchengemeinde sagt, sie sei überzeugt, dass eine Nutzung als Moschee in tiefstem Frieden geschehen kann, bin ich einverstanden“, sagte Käßmann. „Im Moment sehe ich aber nicht, dass das möglich ist.“ [9]
Wichtig ist für Käßmann auch der Kampf gegen Rechtsextremismus. Die Kirche dürfe nicht wieder wie 1933 wegsehen. So tritt Käßmann auch für ein Verbot der NPD ein. Sie argumentiert: „Wie wollen wir jungen Menschen vermitteln, dass sie diese Partei nicht wählen sollten, wenn sie doch offiziell zugelassen ist?“
Käßmann fährt ferner gerner mit 1,36 Promille durch Hannover.
Predigten zur Jahreswende 2009/2010
Heiligabend 2009 ging Margot Käßmann in der Predigt in der Marktkirche Hannover von einer Weihnachtskartenserie mit dem Motto „Alles wird gut!“ aus. Darin stellte sie fest:
„Nichts ist gut in Sachen Klima, wenn weiter die Gesinnung vorherrscht: Nach uns die Sintflut! Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. ... Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. ... Nein, es ist nicht alles gut, ... wenn wir realisieren, dass das Armutsrisiko von Kindern unter 15 Jahren in den vergangenen Jahren überproportional angestiegen ist. ... Nichts ist gut, wenn es in einer Gemeinschaft so schwer, so beschämend ist, Hilfe anzunehmen. Es ist nicht gut, nein, es ist entsetzlich traurig, dass Robert Enke Angst hatte, seine Depression offiziell behandeln zu lassen. ... Nichts ist gut, wenn bei uns durchgängig eine Atmosphäre der Gnadenlosigkeit herrscht und alle immer stark sein müssen - wie unmenschlich! ... "Alles wird gut" ist viel zu banal. Als Christinnen und Christen sagen wir stattdessen: Alles ist aufgehoben bei Gott. Ich kann darauf vertrauen, dass ich nie tiefer fallen werde als in Gottes Hand.“
Die Tagespresse verbreitete, Käßmann fordere einen raschen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Als Begründung wurde ein Zitat Käßmanns angeführt: „Auch nach den weitesten Maßstäben der Evangelischen Kirche in Deutschland ist dieser Krieg so nicht zu rechtfertigen, deshalb muss die gewalttätige Auseinandersetzung möglichst rasch beendet werden“.[11] Aufgrund dieser Aussage wurde sie von verschiedenen Seiten heftig kritisiert. Sie selbst betonte, dass sie nicht naiv den sofortigen Abzug fordere.
„Die hannoversche Landesbischöfin sagte, ein Einsatz wie in Afghanistan sei nur zu rechtfertigen, wenn die zivile Komponente klar dominiere. "Der Vorrang des Zivilen aber ist doch beim Bundeswehreinsatz längst infrage gestellt. Und er wird vollends zerstört, wenn Deutschland weitere Einsatztruppen nach Afghanistan schickt", sagte sie.“
In ihrer Neujahrspredigt 2010 [13] (in der Dresdner Frauenkirche) wiederholte Käßmann die meisten der Äußerungen der Weihnachtspredigt 2009. Diese Äußerungen bewirkten ein kontroverses Echo in der Öffentlichkeit und führten zu einer Einladung der Bischöfin in das Verteidigungsministerium durch Minister zu Guttenberg. Käßmann war schon vorher durch die Militärseelsorge zu einem Gottesdienst in Afghanistan eingeladen worden. Die Bischöfin äußerte nach dem Gespräch mit zu Guttenberg, dass sie möglicherweise zusammen mit dem Verteidigungsminister fahren werde.
Am 15. Januar 2010 lobte Bundespräsident Horst Köhler Käßmann beim Festakt zur 1.000-Jahrfeier der Michaeliskirche Hildesheim:
„Mit Ihrer Neujahrspredigt in Dresden haben Sie uns allen einen Dienst erwiesen. ... Ich mache mir nicht alle Ihre Worte zu eigen, aber unser Land braucht solche Beiträge. Das ist eine überfällige Debatte.“
Hans-Ulrich Klose (SPD) warnte allerdings in der BILD-Zeitung noch einmal: "Für die Soldaten dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sie keine Christen seien, weil sie unter Umständen töten müssten."[15]
Kirchenwort zu Afghanistan
In einem Kirchenwort zu Afghanistan warnt die EKD wenige Tage vor der Londoner Afghanistankonferenz und der Regierungserklärung vor dem Bundestag zu Afghanistan vor "Weiter so"[16][17]. Am 25. Januar 2010 forderten die Ratsvorsitzende Margot Käßmann, ihr Stellvertreter Nikolaus Schneider, Militärbischof Martin Dutzmann und der Friedensbeauftragte Renke Brahms: "Nach mehr als acht Jahren ist es Zeit, Bilanz zu ziehen und, wo erforderlich, Kurskorrekturen vorzunehmen." Die bisherigen Ergebnisse seien "zwiespältig und ernüchternd". Es sei wichtig, "dass nicht die militärische Logik das Denken, Planen und Organisieren für Afghanistan beherrscht, sondern dass den zivilen Anstrengungen der Vorrang zukommt, der ihnen in friedensethischer Hinsicht gebührt." Deshalb empfiehlt die EKD dem Bundestag, "zugleich mit dem Mandat für den Bundeswehreinsatz auch einen Beschluss zum Einsatz ziviler Kräfte zu fassen".
Ehrungen
Im Jahre 2001 wurde Margot Käßmann der Predigtpreis des Verlags für die Deutsche Wirtschaft für vorbildliche Leistungen auf dem Gebiet der evangelischen Verkündigung verliehen. 2002 erhielt sie die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Erziehungswissenschaften von der Universität Hannover. 2008 wurde sie mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Schriften
- Meine Füße auf weitem Raum. Reihe "Texte für die Seele", Hansisches Druck- und Verlagshaus/edition chrismon, Frankfurt/Main 2009, ISBN 978-3-86921-014-8
- Die eucharistische Vision. Gütersloh 1992, ISBN 3-579-02071-4
- mit Rüdiger Runge (Hrsgg.): Kirche in Bewegung. 50 Jahre Deutscher Evangelischer Kirchentag. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1999
- Gewalt überwinden. Eine Dekade des Ökumenischen Rates der Kirchen. Hannover 2000, ISBN 3-7859-0803-2
- Erziehen als Herausforderung. Freiburg 2002, ISBN 978-3-451-05197-5
- Auf gutem Grund. Standpunkte und Predigten. Hannover 2002, ISBN 978-3-7859-0877-8
- Kirche in gesellschaftlichen Konflikten. Kirchenleitende Predigten. Stuttgart 2003, ISBN 978-3-17-017901-1
- Was können wir hoffen – was können wir tun? Antworten und Orientierung. Freiburg 2003, ISBN 978-3-451-05385-6
- Ökumene am Scheideweg. Hannover 2003, ISBN 978-3-7859-0878-5
- Wenn das Leben voller Fragen ist. Briefe der Zuwendung. Freiburg 2004, ISBN 978-3-451-05460-0
- Gut zu leben. Gedanken für jeden Tag. Freiburg 2004, ISBN 978-3-451-05552-2
- In der Welt habt ihr Angst... Mit Beiträgen von Angelika Beer, Dorothea Bobzin, Horst Hirschler, Wolfgang Schäuble u. a. Hannover 2004, ISBN 978-3-7859-0905-8
- Wurzeln, die uns Flügel schenken. Gütersloh 2005, ISBN 978-3-579-06908-1
- mit Wolfgang Huber, Manfred Kock: Wenn eure Kinder morgen fragen. Zur Zukunft der evangelischen Kirche. Im Gespräch mit Wilfried Köpke. Freiburg 2005, ISBN 978-3-451-28600-1
- Wie ist es so im Himmel? Kinderfragen fordern uns heraus. Freiburg 2006, ISBN 978-3-451-29035-0
- (Hrsg.): Ökumene bewegt. Die Kirchen auf dem Weg zueinander. Stuttgart 2006, ISBN 978-3-7831-2530-6
- Mehr als fromme Wünsche. Was mich bewegt. Freiburg 2007, ISBN 978-3-451-05852-3
- Gesät ist die Hoffnung. 14 Begegnungen auf dem Kreuzweg Jesu. Freiburg 2007, ISBN 978-3-451-29356-6
- Matthias Micheel (Hrsg.): Ein Engel möge dich begleiten. Texte von Hermann Multhaupt, Anselm Grün, Margot Käßmann, Norbert Blüm u. a. Leipzig 2007, ISBN 978-3-7462-2310-0 (Neuauflage)
- Mit Herzen, Mund und Händen. Spiritualität im Alltag leben. Gütersloh 2007, ISBN 978-3-579-06442-0
- Mit Leib und Seele auf dem Weg. Handbuch des Pilgerns in der hannoverschen Landeskirche. Hannover 2007, ISBN 978-3-7859-0946-1
- Was im Leben trägt, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008, ISBN 978-3-5790-7010-0
- In der Mitte des Lebens, Herder, Freiburg 2008, ISBN 978-3-4513-0201-2
- Mütter der Bibel, 20 Porträts für unsere Zeit, Herder, Freiburg, 2009, ISBN 978-3-4512-9855-4
Weblinks
- Biografie der Landesbischöfin auf den Seiten der Landeskirche
- Globalisierung – Christsein in der einen Welt – Vortrag von Dr. Margot Käßmann im Rahmen der Reihe Wissenschaft, Technik und Ethik an der TU Clausthal
- FemBiographie Margot Käßmann
- Wenn eine evangelische Bischöfin sich scheiden lässt – Artikel von Prof. Wilfried Härle, Welt, 20. Mai 2007
- Homepage der Landesbischöfin
Fußnoten
- ↑ EKD: Erstmals Frau an der Spitze der EKD
- ↑ http://www.sueddeutsche.de/panorama/564/373375/text/
- ↑ Bischöfin Käßmann erläutert Pastoren ihre Scheidung – Ehemann wird nicht von seiner Kasseler Stelle versetzt
- ↑ Stimmungsumschwung in der Ökumene?
- ↑ Spiegel Online: Margot Käßmann ist neue Chefin der deutschen Protestanten vom 28. Oktober 2009.
- ↑ Spiegel: Russisch-Orthodoxe beenden Dialog mit evangelischer Kirche, 12. November 2009
- ↑ Über ein Interview mit Der Spiegel berichten sowohl Kath.net: Als Karl Barth demonstrativ eine Zigarre in einer Kirche rauchte 21. Mai 2007, als auch die evangelikale IDEA: Bischöfin gesteht kirchliche Fehler ein. Der Urtext des Interviews ist im Archiv DER SPIEGEL abrufbar, ein erneuter Bericht über die Äußerungen Frau Käßmanns bei SPIEGEL online 28. Oktober 2009
- ↑ Der Spiegel: Spiegel:Neidisch bin ich nur auf seine roten Schuhe 7. September 2007
- ↑ Muslime verärgert über Bischöfin Margot Käßmann
- ↑ Predigt am Heiligen Abend 2009 in der Marktkirche Hannover (abgerufen am 14. Januar 2010)
- ↑ tagesschau.de: Käßmann für baldigen Abzug aus Afghanistan (Abgerufen am 24. Dezember 2009)
- ↑ RP-Online, 4. Januar 2010
- ↑ Neujahrespredigt 2010 (Abgerufen am 11. Januar 2010)
- ↑ Pressemitteilung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
- ↑ Pressemitteilung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
- ↑ Pressemitteilung (epd) über das Kirchenwort der EKD zu Afghanistan
- ↑ Text des Kirchenwortes der EKD zu Afghanistan
Personendaten | |
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NAME | Käßmann, Margot |
ALTERNATIVNAMEN | Schulze, Margot (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers |
GEBURTSDATUM | 3. Juni 1958 |
GEBURTSORT | Marburg |