Agent Orange
Agent Orange war der militärische Codename eines Entlaubungsmittels (CAS 39277-47-9), das im Vietnamkrieg zur Entlaubung von Wäldern und zum Zerstören von Nutzpflanzen verwendet wurde. Die US-Streitkräfte setzten es im Januar 1965 erstmals im Rahmen der Operation „Ranch Hand“ ein. Da das Herbizid mit 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin verunreinigt war, erkrankten in Folge viele Bewohner der betroffenen Gebiete, aber auch US-Soldaten. Dioxine wirken fetotoxisch und fruchtschädigend (teratogen), zudem sind sie sehr persistent. Die Belastung der vietnamesischen Bevölkerung mit Dioxin wird in Zusammenhang mit dem Auftreten von Behinderungen bei ihren Kindern gebracht.


Der Name stammt von den orangefarbenen Streifen, mit denen die entsprechenden Fässer gekennzeichnet waren.[1] Das englische Wort agent bedeutet hier „Mittel“ oder „Wirkstoff“. Weitere, weniger bekannte Herbizide sind Agent Blue, Agent Purple, Agent Green, Agent Pink und Agent White.
Einsatz und Hersteller
Zwischen 1962 bis 1971 wurden im Vietnamkrieg von der US-Luftwaffe bei der Operation „Ranch Hand“ („Ranch-Arbeiter“), die im Jahre 1961 von John F. Kennedy autorisiert wurde, mehr als 6.000 Einsätze durchgeführt. Deren Ziel war die Entlaubung der Wälder, um einerseits Verstecke und Versorgungswege des Gegners aufzudecken (Ho-Chi-Minh-Pfad) und andererseits eigene Militärbasen und Flugplätze im dichten Dschungel erweitern zu können. Darüber hinaus wurden auch Ackerflächen besprüht, um dem Feind die Nahrungsgrundlage zu entziehen.
Die Herbizidmischung Agent Orange wurde unter anderen von den US-Firmen Dow Chemical und Monsanto hergestellt und geliefert. Wegen des enormen Bedarfs kam es bald zu Lieferschwierigkeiten. Zwischenprodukte für die Herstellung von Agent Orange wurden auch von der deutschen Firma Boehringer Ingelheim und sogar vom tschechischen Unternehmen Spolana in Neratovice bezogen. Laut eines Artikels des Nachrichtenmagazins Der Spiegel von 1991 lieferte Boehringer Ingelheim 1967 eine Menge von 720 Tonnen Trichlorphenolatlauge an Dow Chemical.[2] Der Einsatz von Agent Orange erreichte seinen Höhepunkt in der intensivsten Phase des Krieges in den Jahren 1967 und 1968.
Zwischen 1965 und 1970 bestand die Hauptmenge des verwendeten Agent Orange aus einer Mischung der n-Butyl Ester der 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure (2,4,5-T) und 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure (2,4-D) zu gleichen Teilen. Der Wirkstoffgehalt lag bei 1033 Gramm pro Liter, angegeben als esterfreie 2,4,5-T und 2,4-D. Vermutlich ab 1968 wurde auch „Agent Orange II“ verwendet, das aus einer 50:50-Mischung des iso-octyl-Esters von 2,4,5-T und des n-Butyl-Esters von 2,4-D bestand. Es hatte einen Wirkstoffgehalt von 910 Gramm pro Liter. Von „Agent Orange II“ wurden 3.591.000 Liter nach Vietnam geliefert. Die US-Streitkräfte versprühten während des Krieges insgesamt 45.677.937 Liter Agent Orange. Eine „Modified Orange“ genannte Mischung, die zusätzlich den Wirkstoff Picloram enthielt, wurde nur testweise verwendet.[3]
Das letzte Sprühflugzeug mit Agent Orange startete am 7. Januar 1971. Nach Ende des Vietnamkriegs hatte die U.S. Air Force noch einen Vorrat von 2.338.900 Gallonen (8.853.672 Liter), die einem Anschaffungswert von 16.540.000 $ entsprachen. In den USA war 1970 eine Anwendungsbeschränkung für 2,4,5-T ergangen, die von der EPA 1971 bestätigt wurde. Es gab Überlegungen, das überschüssige Agent Orange als Herbizid nach Südamerika zu verkaufen.[4] Die Vorräte an Agent Orange wurden auf Johnston Island und beim Naval Construction Battalion Center in Gulfport (Mississippi) gelagert. Erst jetzt begann man, Dioxingehalte zu bestimmen. Es stellte sich heraus, dass die Dioxinkonzentrationen von Fass zu Fass stark unterschiedlich sein konnten. In Gulfport fand man bei einer Untersuchung von 28 Proben TCDD-Konzentrationen zwischen 6,2 und 14,3 ppm, der Mittelwert lag bei 13,25 ppm. Bei einer weiteren Untersuchung lagen die TCDD-Gehalte zwischen 0,05 und 13,3 ppm, daraus wurde ein Mittelwert von 2,99 ppm (mgL-1) abgeleitet. Bei 200 Stichproben aus dem Lager auf Johnston Island ergab sich für Agent Orange ein Mittelwert von 1,91 ppm ± 20% TCDD. Dabei hatte man die vier Proben mit den höchsten Gehalten (17, 22, 33 und 47 ppm) aus der Auswertung genommen, weil es sich dabei möglicherweise um Agent Purple handelte. Die verbliebenen Bestände wurden schließlich 1977 an Bord des Verbrennungsschiffs Vulcanus auf hoher See verbrannt.[3]
Probleme und Schäden bis zum heutigen Tag
Da Agent Orange mit TCDD verunreinigt war, führt es bis heute zu erheblichen irreversiblen gesundheitlichen Problemen bei der Bevölkerung der ehemaligen Einsatzgebiete. Insgesamt [5], wurde in Vietnam in Verbindung mit den eingesetzten Herbiziden eine Menge Dioxin freigesetzt, die über 300 kg Reinstoff entspricht. Zum Vergleich: In Seveso kamen insgesamt 1,5 kg TCDD frei.
Laut Angaben des Vietnamesischen Roten Kreuzes leiden zirka 500.000 Vietnamesen an den Spätfolgen von Agent Orange. Diese sind: Missbildungen (insbesondere Lippen-Kiefer-Gaumenspalten) und Immunschwächen. Viele vietnamesische Neugeborene kommen auch drei Generationen nach dem Einsatz von Agent Orange noch mit schweren Missbildungen zur Welt. Auch Krebs zählt zu den Spätfolgen. Es gibt zwar bis heute keine Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen der Exposition mit Agent Orange und der Tumorentstehung bestätigen, jedoch ist Dioxin als krebserregend bekannt.
Nach neuesten Forschungen versprühte die US-Armee während des Vietnamkrieges 80 Millionen Liter toxischer Chemikalien. Weil der vietnamesischen Regierung das Geld für großflächige Bodenversiegelungen fehlt, ist das Gift auch 30 Jahre nach Kriegsende noch im Nahrungskreislauf. Schätzungsweise zwei bis vier Millionen Menschen sind von den Spätfolgen betroffen.[1]
Noch immer werden auf schwerste Weise verkrüppelte und kranke Kinder geboren. Die meisten Opfer können gar nicht oder nicht angemessen medizinisch versorgt werden. Die vietnamesische Regierung investiert zur Zeit vorwiegend in die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Einzelne bauen mit Hilfe selbst gesammelter Spenden Heime und Gesundheitsstationen für die Opfer von Agent Orange. 1998 wurde das unter Mithilfe amerikanischer Kriegsveteranen aufgebaute Dorf der Freundschaft eröffnet, ein Behandlungszentrum für Opfer des Entlaubungsmittels. Dennoch sind auch dies Einzelaktionen, die nur einer Minderheit der Betroffenen zugute kommen.
Juristische Aufarbeitung
Auch im Vietnamkrieg eingesetzte US-Soldaten waren durch Schäden in Folge von Agent Orange betroffen. Als der Zusammenhang zwischen den Gesundheitsschädigungen und dem Dioxin anerkannt wurde, reichten betroffene Soldaten Sammelklagen gegen mehrere Herstellerfirmen ein. Am 7. Mai 1984 kam es zu einem vorläufigen außergerichtlichen Vergleich; im folgenden Jahr wurde von sieben Firmen ein Fonds über 180 Millionen Dollar für Entschädigungszahlungen eingerichtet, was bis dahin die höchste jemals in einem Vergleich gezahlte Summe war. Bis 1994 wurden an 52.000 Veteranen und Hinterbliebene 197 Millionen Dollar ausgezahlt.[6]
Eine Gruppe vietnamesischer Opfer hat gegen die amerikanischen Hersteller Klage eingereicht, die jedoch im März 2005 abgewiesen wurde. Nach Ansicht des Richters war der Einsatz von Agent Orange keine chemische Kriegführung und deshalb kein Verstoß gegen internationales Recht.[7]
Sonstiges
In Vietnam ist seit 2009 der Orange Day (10. August) offizieller Gedenktag für die Opfer von Agent Orange.[8]
Agent Orange war immer wieder Thema von Liedern in der Pop- und Rockmusik. Eine kalifornische Punkband nennt sich Agent Orange. Auch die schwedische Melodic Death Metal Band Dimension Zero trug vor ihrer Umbenennung den Bandnamen Agent Orange.
Weblinks
- agentorange.reflection.org - Buch und Fotoausstellung zu den Folgen von Agent Orange
- „Stichwort Asien“ zu Agent Orange aus der Zeitschrift „in Asien!“ (Ausgabe 6/2004)
- „Nertovice - Zeitbombe an der Elbe“
- Fund for Reconciliation and Development
- AG Friedensforschung an der Universität Kassel
- Artikel von André Bouny: in englisch und in französisch – April 2006
- Marina Mai: Todesregen, Prozessflut und ein Tropfen Hoffnung Spiegel Online, 14. Juni 2007
Einzelnachweise
- ↑ a b James Pastouna: Regen der Vernichtung – Das Erbe des Vietnamkrieges, Fernsehdokumentation, ausgestrahlt bei Phoenix am 7. Dezember 2007, 22:15
- ↑ Cordt Schnibben: [Der Tod aus Ingelheim. In: Der Spiegel. (online). Der Tod aus Ingelheim - Akte Boehringer.] DER SPIEGEL, Hamburg 31/1991, S.102ff
- ↑ a b Jeanne Mager Stellman, Steven D. Stellman, Richard Christian, Tracy Weber, Carrie Tomasallo: The extent and patterns of usage of Agent Orange and other herbicides in Vietnam. In: Nature. Band 422, Nr. 6933, 17. März 2003, S. 681–687, doi:10.1038/nature01537.
- ↑ Deborah Shapley: Herbicides: Agent Orange Stockpile may go to the South Americans. Science 180 (1973), S. 43–45
- ↑ AG Friedensforschung an der Universität Kassel
- ↑ US Department of Veterans Affairs - What is the Agent Orange Class Action Lawsuit? (englisch)
- ↑ Agent Orange Lawsuit filed by Vietnamese Victims (englisch)
- ↑ derStandard.at: Gedenktag für "Agent Orange"-Opfer. Meldung vom 10. August 2009, abgerufen am 14. Februar 2010