August Kirch

deutscher Politiker (SPD)
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August Kirch (* 25. November 1879 in Ottensen-Neumühlen; † 16. November 1959 in Hamburg-Altona)[1] war ein sozialdemokratischer Politiker, der bis 1933 Senator der selbständigen Stadt Altona/Elbe und ab 1945 Orts- bzw. Bezirksamtsleiter seines 1889 nach Altona und 1938 nach Hamburg eingemeindeten Geburtsortes war.

Biographie

Bis 1945

August Kirch entstammte einer kinderreichen Zigarrenarbeiterfamilie; als Schüler übernahm er im elterlichen Haus die Rolle des Vorlesers bei der Heimarbeit.[2] Er erlernte den Beruf des Schriftsetzers, trat während der Lehre in Gewerkschaft und SPD ein[3] und wanderte als Geselle anschließend durch Mitteleuropa, ehe er nach Norddeutschland zurückkehrte. 1899 wurde er eines der ersten Mitglieder der hamburgischen Produktionsgenossenschaft (Mitgliedsnummer 9);[4] 1907 nahm er eine Stelle als Geschäftsleitungssekretär bei der sozialdemokratischen Auer Druck und Verlag GmbH an, die u.a. das Hamburger Echo druckte.[5] Diese Stellung hatte er bis 1919 inne.[6] Von 1909 bis 1914 leitete er die Volksschauspiele in Hamburg,[7] ab 1922 die Freie Volksbühne in Altona;[8] in dieser Zeit entwickelte sich eine enge Freundschaft mit Leopold Jessner, dem Oberspielleiter des Thalia-Theaters.[9] 1913 wurde August Kirch für die SPD ins Altonaer Stadtverordnetenkollegium gewählt. Im Zuge der deutschen Revolution erhielt er im November 1918 die Berufung zum kommissarischen Senator Altonas. Bei den Magistratswahlen am 28. September 1919 wurde er als Nachfolger des nach Rostock abgewanderten Ernst Heydemann zum besoldeten Senator – dem zweitjüngsten im Magistrat unter Oberbürgermeister Bernhard Schnackenburg – gewählt;[10] zuständig war er für Kultur und Erziehung.[11] Dieses Amt hatte Kirch auch unter Schnackenburgs Nachfolger, seinem Parteigenossen Max Brauer, weiter inne und füllte es laut den Lebenserinnerungen des Stadtarchivars Paul Theodor Hoffmann mit „Mutterwitz, Schlagfertigkeit und freundliche[m] Wesen [sowie] gründliche[r] Sachkenntnis“ aus:[12]

„… der sich besonders erfolgreich für alle kulturellen und volksbildnerischen Aufgaben einsetzte. Das Theater war ihm Herzensangelegenheit. Kirch war bestrebt, die Altonaer Städtische Bühne zu einem vorbildlichen Kulturtheater mit echten volksbildnerischen Zielen zu machen. Nachhaltig nahm er sich auch der Künstler an …“

Die Ehepaare Kirch und Brauer waren auch privat eng befreundet;[13] so hieß August Kirch bei Brauers Kindern meist „Onkel August“.[14] Schon als Brauer das erste Mal bei der Ottenser SPD-Parteileitung vorsprach (1909), war Kirch verblüfft über „den jungen Dachs, … der gleich in den Vorstand [wollte]“.[15] August Kirch blieb bis zu seiner Amtsenthebung am Ende der Weimarer Republik Senator, war zeitweise auch für das Garten-, das Arbeits- und das Wohlfahrtsamt[16] sowie von 1929 bis 1931 für die Polizei verantwortlich. Um 1930 unterstützte er Brauers rigide Politik[17] gegen wilde Ansiedlungen („Fischkistendörfer“) von sogenannten „Zigeunern“, die „die Stadt überschwemmen“ (Zitat Kirch) – tatsächlich überwiegend Wohlfahrtsempfänger und infolge der Weltwirtschaftskrise verarmte Familien, die sich auf Brachland in Osdorf und Flottbek ärmlichste Behausungen errichtet hatten.[18] Diese Haltung des Magistrats wurde im Winter 1931/32 allerdings von einer städtischen Förderung des „Schlichtwohnungsbaues in Selbsthilfe“, bspw. in Osdorf und Lurup, abgelöst.[19]
Daneben betätigte Kirch sich in einer Reihe von sozialen und Ehrenämtern, so im Vorstand des Altonaer Kinderkrankenhauses[20] und ab 1929 als Mitglied im Kulturbeirat der NORAG[21]. Für eine 1928 erschienene Monographie über Altona verfasste er das Kapitel „Das Bühnenwesen“.[22]

Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, die in Altona in der Nacht vom 10. auf den 11. März 1933 vollzogen wurde,[23] blieb auch Kirch nicht von Verfolgung verschont.[24] Er war neben Max Brauer schon länger die Zielscheibe einer Kampagne, in der die NSDAP-Parteizeitung Hamburger Tageblatt ihm vorwarf, von dem Intendanten Max Ellen ab 1927 Geld – laut Ellen 8.000 RM, die Kirch 1931 aber zurückgegeben habe – und Geschenke angenommen und dafür das Altonaer Schillertheater mit hohen Zahlungen aus dem städtischen Haushalt subventioniert zu haben. Kirch war deswegen am 28. Februar 1933 bereits staatsanwaltlich vernommen worden und hatte zugegeben, er habe 4.000 RM davon an notleidende Künstler verteilt, konnte dies aber nicht vollständig nachweisen. Gegen ihn wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, und der schleswig-holsteinische Regierungspräsident Wallroth enthob ihn am 1. März seines Amtes;[25] zudem wurde er später zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.[26] Im August 1934 kam Kirch, vermutlich aufgrund der Amnestie nach Hindenburgs Tod, vorzeitig wieder frei.[27] Anscheinend hat August Kirch, der schon in seiner Kindheit eine „zarte Konstitution“ aufwies,[28] anschließend zurückgezogen in Altona gelebt. Dafür spricht auch Brauers rückblickende Andeutung,[29] ...

„Es ist heute noch … ein Wunder, daß August Kirch lebend durch diese Zeit hindurchkam. Wohl aber haben die gegen ihn geschleuderten Verleumdungen sein Leben durch viele Jahre hindurch verdüstert. … [Altona] zu verlassen, wäre für ihn eine Verbannung und eine Entwurzelung gewesen.“

Die These, Kirch sei nach London emigriert, ist hingegen unbelegt.[30]

Ab 1945

Bald nach Kriegsende setzte ihn die britische Besatzungsmacht als Ortsleiter, also als Kopf der kommunalen Verwaltung, des inzwischen nach Hamburg eingemeindeten Altona ein. Parallel nahm er seine Tätigkeit in der SPD wieder auf; 1945 wurde er Mitglied einer Parteikommission unter Friedrich Frank, die die kommunalpolitische Arbeit in Hamburg koordinieren sollte. Über die Frage einer größeren Selbständigkeit der Bezirke, insbesondere der bis 1938 selbständigen Städte Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek, geriet er mit dem inzwischen nach Deutschland zurückgekehrten und 1946 zum Ersten Bürgermeister Hamburgs gewählten Max Brauer aneinander, dem gegenüber er beispielsweise im Sommer 1947 „die Notwendigkeit einer dezentralen Verwaltung“ unterstrich.[31] 1949 wurde er Bezirks(amts)leiter, zunächst kommissarisch, und blieb dies bis April 1954.[32] In dieser Funktion schlug er um den Jahreswechsel 1949/50 vor und wurde darin vom Bezirksausschuss – so hießen die Bezirksversammlungen anfangs – unterstützt, wenigstens Altonas Grenzen im Umfang von Anfang 1937 wiederherzustellen, also auch unter Einbeziehung von Eidelstedt und Stellingen. Damit scheiterte er jedoch im sog. Landesausschuss, in dem Vertreter aller neugeschaffenen Bezirke saßen, und auch von Brauer erntete er dafür erneut keine Unterstützung.[33] Zum Schwerpunkt seiner Verwaltungstätigkeit wurde der Wiederaufbau der schwer kriegszerstörten Stadt.[34] Auch in dieser Zeit engagierte Kirch sich weiter im kulturellen Bereich. Als Leiter des hamburgischen Volkskulturbundes war er einer der Gründer des Union Verlags (ab 1949: Hammonia-Verlag) und blieb bis 1951 einer von dessen Gesellschaftern.[35]

Wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag starb August Kirch. Die Gedenkrede bei seiner Beisetzung auf dem Altonaer Hauptfriedhof am Volkspark hielt sein langjähriger politischer Weggefährte Max Brauer. 1974 wurde eine Straße im Stadtteil Bahrenfeld nach ihm benannt.[36] Bereits seit 1954 existiert aus dem Legat einer in die USA emigrierten Altonaerin die Senator-Kirch-Stiftung, deren ausschließlicher Zweck es ist, „bedürftigen Kindern und alten Leuten im Bezirk Altona … Hilfe zu leisten“, und deren Vorstand sich bis in die Gegenwart aus vier (ehemaligen) Bezirkspolitikern und einem Mitglied der Familie Kirch zusammensetzt.[37]

Literatur

  • Bezirksversammlung Altona (Hg.): Chronik der Bezirksversammlung Altona. Aus den Niederschriften 1949-2009. Selbstverlag, HH-Altona 2009
  • Max Brauer: August Kirch zum Gedächtnis. Gedenkrede vom 21. November 1959 anlässlich der Beisetzung August Kirchs, herausgegeben vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Staatliche Pressestelle (ohne Seitennummerierung)
  • Christa Fladhammer/Michael Wildt: Max Brauer im Exil. Briefe und Reden 1933-1946. Christians, Hamburg 1994 ISBN 3-7672-1219-6
  • Paul Th. Hoffmann: Neues Altona 1919-1929. Zehn Jahre Aufbau einer deutschen Großstadt. 2 Bde., E. Diederichs, Jena 1929
  • Paul Th. Hoffmann: Mit dem Zeiger der Weltenuhr. Bilder und Erinnerungen. A. Springer, Hamburg 1949
  • Anthony McElligott: Contested City. Municipal Politics and the Rise of Nazism in Altona 1917-1937. University of Michigan Press, Ann Arbor 1998 ISBN 0-472-10929-4
  • Axel Schildt: Max Brauer. Ellert & Richter, Hamburg 2002 ISBN 3-8319-0093-0
  • Wolfgang Vacano/Kurt Dohrmann (Hg.): Altona. Hamburgs historisches Kleinod mit Zukunft. Selbstverlag, HH-Altona 1989

Anmerkungen

  1. Daten nach Hamburger Abendblatt vom 16. Dezember 1969
  2. Brauer, 2. Seite
  3. Brauer, 3. Seite
  4. Brauer, 3. Seite
  5. Hoffmann (1929), Band 1, S. 44
  6. Fladhammer/Wildt, S. 84
  7. Hamburger Abendblatt vom 16. Dezember 1969
  8. Wolfgang Vacano: Theatergeschichte in Altona. in: Vacano/Dohrmann, S. 135
  9. Brauer, 3. Seite
  10. McElligott, S. 21; Fladhammer/Wildt, S. 18
  11. Hoffmann (1929), Band 1, S. 626
  12. Hoffmann (1949), S. 258
  13. Brauer, 1. Seite
  14. Fladhammer/Wildt, S. 235
  15. Die Welt vom 2. September 1952, zit. bei Fladhammer/Wildt, S. 16
  16. Bezirksversammlung Altona, S. 13
  17. Zu dieser Politik des Brauer-Magistrats in der Krise vergleiche auch Schildt, S. 38f.
  18. McElligott, S. 76f.
  19. Christoph Timm: Eine Art Wildwest. Die Altonaer Erwerbslosensiedlungen in Lurup und Osdorf von 1932. in: Arnold Sywottek (Hg.): Das andere Altona. Beiträge zur Alltagsgeschichte. ergebnisse, Hamburg 1984, S. 159ff.
  20. Dietrich Schacht: Das Altonaer Kinderkrankenhaus und sein Wirken. in: Vacano/Dohrmann, S. 112; auch auf der Seite des Kinderkrankenhauses
  21. nach dieser PDF von der Seite des Deutschen Rundfunkarchivs
  22. Matthäus Becker (Hg.): Die Stadt Altona. Deutscher Kommunal-Verlag, Berlin 1928 (Reihe „Monographien deutscher Städte“), S. 76ff.
  23. Details dazu siehe in diesem Artikel.
  24. Nach den Redeauszügen von Hamburgs Zweitem Bürgermeister Edgar Engelhard bei Kirchs offizieller Verabschiedung 1954, abgedruckt in Bezirksversammlung Altona, S. 13, folgten sogar mehrere KZ-Aufenthalte – Kirchs Gefährdung ab 1933 findet sich, allerdings nur in allgemeinen Formulierungen, auch bei McElligott, S. 204, und Hoffmann (1949), S. 309.
  25. Fladhammer/Wildt, S. 24–27; zur Kampagne des Hamburger Tageblattes auch Schildt, S. 44
  26. nach einem Brief Brauers vom 16. Mai 1934 aus dem chinesischen Exil an einen in Los Angeles lebenden ehemaligen Altonaer Verwaltungsmitarbeiter – Fladhammer/Wildt, S. 196
  27. nach einem Brief von Max Brauers Sohn Werner an seinen Vater, datiert 23. August 1934 (Fladhammer/Wildt, S. 235), sowie einem Briefwechsel Max Brauers mit Rudolf Katz von Anfang September des gleichen Jahres (Fladhammer/Wildt, S. 238f.)
  28. Brauer, 3. Seite
  29. Brauer, 4. Seite
  30. So hält bspw. die Autorin Christa Fladhammer (siehe Literatur) ein Exil Kirchs für höchst unwahrscheinlich (Gespräch mit dem Hauptautor dieses Artikels am 9. Februar 2010). Leider ist die Quellenlage bezüglich Kirchs für die Zeit zwischen 1934 und 1945 nahezu ein „blinder Fleck“; auch Anfragen bei der Altonaer SPD und dem Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung brachten keine weiteren Fakten zutage. Im regionalen Personenarchiv der FES fehlt Kirch.
  31. Holger Martens: Hamburgs Weg zur Metropole. Von der Groß-Hamburg-Frage zum Bezirksverwaltungsgesetz. Verein für Hamburgische Geschichte, Hamburg 2004 ISBN 3-935413-08-4, S. 178 und 220f.
  32. Bezirksversammlung Altona, S. 8ff.
  33. Hans-Peter Strenge: Altona - 50 Jahre Stadtteil Hamburgs. in: Hartmut Hohlbein (Hg.): Vom Vier-Städte-Gebiet zur Einheitsgemeinde. Altona Harburg-Wilhelmsburg Wandsbek gehen in Groß-Hamburg auf. Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 1988, S. 64f.
  34. Bezirksversammlung Altona, S. 8–13; auf S. 8 findet sich auch ein Foto Kirchs.
  35. nach der Seite des Hammonia-Verlags
  36. Horst Beckershaus: Die Hamburger Straßennamen. Woher sie kommen und was sie bedeuten. Kabel/Hamburger Abendblatt, Hamburg 1997, ISBN 3-8225-0421-1, S. 33
  37. Stiftungssatzung vom 24. April 1954, §§ 3.1 und 5.2