KZ Mittelbau-Dora
Das KZ Mittelbau-Dora wurde am 28. August 1943 als Außenlager des KZ Buchenwald mit der Bezeichnung Arbeitslager Dora am Südhang des Kohnsteins bei Nordhausen in Thüringen gegründet. Die KZ-Häftlinge waren hauptsächlich im Stollenvortrieb und den untertage gelegenen Werksanlagen der Mittelwerk GmbH eingesetzt, wo vor allem die „Vergeltungswaffe 2” (V2) sowie die Flugbombe V1 produziert wurde. Ab Oktober 1944 firmierte das Arbeitslager Dora unter der Bezeichnung Konzentrationslager Mittelbau als eigenständiges Konzentrationslager. Der Lagerkomplex des KZ Mittelbau umfasste schließlich fast 40 Lager. Das Konzentrationslager wird auch Dora-Mittelbau genannt und als Gedenkstätte Mittelbau-Dora bezeichnet. Während der 18 Monate, die das Lager existierte, durchliefen etwa 60.000 Häftlinge aus 21 Nationen den Lagerkomplex Mittelbau; 20.000 von ihnen verstarben aufgrund der inhumanen Arbeits- und Lebensbedingungen.

Vorgeschichte
Ursprünglich lagen Forschung und anfängliche Produktion der Rakete auf Usedom bei der dortigen Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Nach deren Bombardierung („Operation Hydra”) durch britische Bomber in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 sollte die eigentliche Produktion der V2 unter die Erde verlegt werden, um sie vor weiteren Bombenangriffen zu schützen und möglichst geheim zu halten. Daraufhin erhielt das KZ Buchenwald ein neues Außenlager: das „Arbeitslager Dora“, wie es bei der SS hieß.
Bau der Anlage
Als Produktionsort für die V2 wählte man den Kohnstein bei Nordhausen, wo bereits im Jahre 1936 eine unterirdische Anlage im Auftrag der Wifo (Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft) angelegt worden war; ursprünglich sollte hier ein unterirdisches Treibstofflager entstehen. Die bereits existierenden Stollen wurden dann ab 1943 zum Produktionsort für die V2 umgebaut. Während der gesamten Nutzungsdauer wurden Stollen von insgesamt etwa 20 Kilometern Länge in den Berg getrieben.
Der erste Häftlingstransport mit 107 Häftlingen erreichte den Kohnstein am 28. August 1943, nur zehn Tage nach der Zerstörung der Anlagen in Peenemünde. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Unterkünfte für die Häftlinge. Es existierte lediglich der Stollen, in dem vier Seitenkammern als „Schlafstollen“ für die Häftlinge eingerichtet wurden. Es wurde nicht sofort mit der Produktion begonnen, zunächst wurden die Böden in den Stollen betoniert, Straßen gebaut, Gleise verlegt, weitere Kammern angelegt und die großen Produktionsmaschinen eingebaut. Sämtliche Arbeiten wurden durch die Häftlinge ausgeführt, meist ohne besondere Transport- oder Hilfsmittel.
Von Anfang an waren die Lebensbedingungen für Häftlinge extrem schlecht. In den ersten Monaten starben bereits tausende von ihnen an Entkräftung, Unterernährung, wegen der katastrophalen sanitären Bedingungen sowie an Lungenkrankheiten, hervorgerufen durch den Staub der Sprengungen. Diese erfolgten tags und nachts, so dass nicht einmal ein geregelter Schlaf in den Stollen möglich war. In dieser ersten Phase war auch die medizinische Versorgung für die Häftlinge unzureichend. Eine Kammer war als Ambulanz eingerichtet worden, was jedoch nicht ausreichte, um die Kranken zu behandeln. Erst nach Anlaufen der V2-Produktion zum Anfang 1944 wurden die Häftlinge schrittweise in ein entstehendes oberirdisches Barackenlager verlegt; die letzten verließen die Schlafstollen Anfang Juni 1944 – falls sie bis dahin überlebt hatten. Auf dem Lagergelände befanden sich 70 Baracken für Zwangsarbeiter, der Häftlingskrankenbau sowie das lagereigene Krematorium. Auch die Unterkünfte für die SS-Wachmannschaften sowie die Wirtschafts- und Verwaltungseinrichtungen befanden sich im Lagerbereich. Das Lagergelände war mit einem elektrisch geladenen Zaun und Wachtürmen umgeben.
Die Häftlinge mussten zwei parallel laufende Stollen (genannt Tunnel A und B) in den Kohnstein treiben. In den Stollen waren Eisenbahnschienen verlegt, um die für die Produktion benötigten Teile in den Berg sowie die fertiggestellten Raketen hinauszutransportieren. Tunnel A und B waren jeweils etwa 1,8 Kilometer lang und hatten eine Höhe von etwa 30 Metern. Untereinander verbunden wurden sie von insgesamt 46 quer laufenden Tunneln. Die Gesamtlänge aller Tunnel betrug im Mai 1945 etwa 20 Kilometer, die Gesamtfläche lag bei über 250.000 m². Damit zählt der Dora-Mittelbau auch heute noch zu den größten unterirdischen Anlagen der Welt.
Produktion
→ Hauptartikel: Mittelwerk GmbH
Die eigentliche Produktion der V2 begann erst ein halbes Jahr nach der Gründung des Lagers, im Januar 1944. Der Raketeningenieur Arthur Rudolph setzte die Zwangsarbeiter des KZ zum Bau der V2 im Mittelwerk ein. Das Mittelwerk im Kohnstein war die größte untertage gelegene Rüstungsfabrik des Zweiten Weltkrieges. Als Verwaltungsgebäude der Mittelwerk GmbH wurden von Sommer 1943 bis 1944 die Schulgebäude der Klosterschule Ilfeld , seit 1934 von der NAPOLA Ilfeld genutzt, sukzessive leergezogen und von der Mittelwerk GmbH übernommen.
Im Sommer 1944 kam zusätzlich noch die Produktion der Flügelbombe V1 hinzu. Des Weiteren produzierten die Firmen Heinkel und Junkers in den unterirdischen Stollen Flugzeuge bzw. Flugzeugmotoren.
Konzentrationslager Mittelbau
Ab dem Frühjahr 1944 bildete sich mit der Gründung neuer Außenlager allmählich der Lagerkomplex Mittelbau heraus, dessen Verwaltung in Etappen vom KZ Buchenwald verselbstständigt wurde. Ab dem 8. Juni 1944 wurde das Arbeitslager Dora offiziell als Arbeitslager Mittelbau I bezeichnet und die Außenlager Harzungen und Ellrich-Juliushütte zusammen als Mittelbau II. Bereits am 10. September 1944 erfolgte erneut eine Umstrukturierung des Mittelbauer Lagerkomplexes. Die Bezeichnung des Arbeitslagers Dora als Mittelbau I blieb bestehen, während Ellrich-Juliushütte nun als Mittelbau II und Harzungen als Mittelbau III fungierte. Am 28. Oktober 1944 wurde das Außenlager Dora organisatorisch schließlich vom Stammlager Buchenwald abgetrennt und gemeinsam mit diversen kleineren Lagern zum „Konzentrationslager Mittelbau” verselbständigt.[1]
Außenlager
→ Hauptartikel: Liste der Außenlager des KZ Mittelbau
Bis zum April 1945 wurde in der umgebenden Region ein dichtes Netz von insgesamt etwa 40 Außenlagern aufgebaut. Jedes dieser Lager hatte in dem Komplex seine Funktion, wobei Mittelbau als Zentrale funktionierte. Hierbei gab es drei verschiedene Arten von Lagern: Produktions-, Bau- und Sterbelager. Häftlinge, die in Produktionskommandos (z.B. Außenlager Rottleberode, Außenlager Kleinbodungen, usw.) „abgearbeitet” waren, wurden in die Baulager (z. B. Außenlager Ellrich-Juliushütte, Außenlager Harzungen, usw.) verlegt und mussten dort Schwerstarbeit auf den einzelnen Baustellen leisten, z. B. beim unvollendeten Bau der Helmetalbahn, mit der der überregionale Verkehr der Südharzstrecke um den Bereich des KZ herum geführt werden sollte. Aufgrund der schweren körperlichen Arbeit wurden die Häftlinge auch hier sehr schnell arbeitsunfähig und wurden anschließend in sogenannte Sterbelager (z. B. das KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne) abgeschoben, wo sie zum größten Teil ohne medizinische Betreuung sich selbst überlassen wurden.
Häftlinge
Aus fast allen Ländern Europas wurden Menschen aus unterschiedlichsten Gründen in das KZ Mittelbau-Dora deportiert. Mehr als 60.000 Häftlinge waren während des Lagerbestehens in Mittelbau-Dora inhaftiert, mindestens 20.000 überlebten die inhumanen Arbeits- und Lebensbedingungen im Lager nicht. [2] Allein im April 1945 verstarben 6000 Häftlinge des KZ Mittelbau-Lagerkomplexes. Zuvor waren noch zwischen Januar und März 1945 etwa 16.000 entkräftete Häftlinge aus dem KZ Auschwitz und dem KZ Groß-Rosen aufgrund der sich abzeichnenden Niederlage des Deutschen Reiches gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ins KZ Mittelbau „evakuiert“ worden. In den Waggons der ankommenden Eisenbahntransporte befanden sich teils nur noch tote oder sterbende Häftlinge.[3]
Deutsche und österreichische Häftlinge, deren Anzahl in Relation zu den Häftlingen anderer Nationalitäten eher unbedeutend war, erhielten bevorzugt Posten als Funktionshäftlinge.[4]
Nach Kriegsende erstellte die Polnische Kommission zur Ermittlung von Kriegsverbrechen im Sommer 1945 eine Liste nach Anzahl und Nationalität der Häftlinge für das Stammlager des KZ Mittelbau sowie der größten Außenlager:[5]
Nationalität | Stammlager Mittelbau Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 |
Außenlager Ellrich-Juliushütte Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 |
Außenlager Harzungen Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 |
Außenlager Boelcke-Kaserne Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 |
SS-Baubrigaden Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 |
Sonstige Außenlager und -kommandos Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 |
Insgesamt Stand 1. November 1944/ 1. April 1945 |
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Sowjetische | 4051/4192 | 2419/2135 | 956/1533 | 0/1067 | 1550/1273 | 505/734 | 9481/10934 |
Polen | 3883/5387 | 1786/1495 | 796/1471 | 0/2168 | 1166/1254 | 716/1188 | 8347/12963 |
Franzosen | 2373/2406 | 1389/676 | 558/440 | 0/816 | 503/340 | 291/412 | 5114/5092 |
Deutsche | 1165/1180 | 203/294 | 129/215 | 0/463 | 419/544 | 178/531 | 2114/3227 |
Belgier | 217/281 | 670/490 | 755/306 | 0/401 | 15/51 | 390/382 | 2047/1911 |
Sonstige[6] | 2107/2287 | 1535/1462 | 807/742 | 0/796 | 674/378 | 241/405 | 5373/6070 |
Gesamt | 13796/15733 | 8002/6552 | 4001/4707 | 0/5711 | 4327/3840 | 2321/3652 | 32475/40202 |
Bekannte Häftlinge
SS-Personal
→ Hauptartikel: Personal im KZ Mittelbau-Dora
Das Lagerpersonal bestand im Juni 1944 aus etwa 1.000 Personen. Nachdem das KZ Mittelbau im Oktober 1944 eigenständiges Konzentrationslager wurde, waren mit Gründung des SS-Totenkopfsturmbanns Mittelbau dort ab Ende 1944 etwa 3.300 SS-Männer im Einsatz.[7] Über die Hälfte der Wachmannschaften waren ursprünglich Angehörige der Luftwaffe und wurden erst am 1. September 1944, einige Wochen vor der Gründung des SS-Totenkopfsturmbanns zur Waffen-SS überstellt.[8]
Lagerkommandant des KZ Mittelbau-Dora war von September 1943 bis Anfang Februar 1945 Otto Förschner, dem der von Juli 1944 bis Anfang Februar 1945 eingesetzte Schutzhaftlagerführer Hans Möser unterstand. Wilhelm Simon übernahm den Posten des Arbeitseinsatzführers von Oktober 1943 bis zum Frühjahr 1945.[9]
Nach der Evakuierung des KZ Auschwitz kamen mit Häftlingstransporten weitere SS-Männer ins KZ Mittelbau, was zu einem Anstieg des Lagerpersonals führte.[7] Als neuer Lagerkommandant wurde am 1. Februar 1945 Richard Baer eingesetzt, der zuvor Lagerkommandant des KZ Auschwitz war. Baer tauschte Anfang Februar 1945 fast alle Leiter der Standortabteilungen des KZ Mittelbau durch Angehörige des Personals der Auschwitzer Lager-SS aus. So wurde Franz Hößler Schutzhaftlagerführer, Maximilian Sell Arbeitseinsatzführer, Eduard Wirths SS-Standortarzt und Hans Schurz Leiter der Politischen Abteilung.[10]
Befreiung des Lagers
Das Lager wurde schließlich am 11. April 1945 durch die 1. US-Armee befreit. Allerdings kam für die Mehrheit der Häftlinge die Hilfe zu spät, da sie bereits auf Evakuierungstransporte und sogenannte Todesmärsche geschickt worden waren. Lediglich die Kranken und Sterbenden wurden zurückgelassen. Diese Todesmärsche führten zu den Konzentrationslagern Bergen-Belsen, Sachsenhausen und auch in die Lübecker Bucht (siehe Cap Arcona), wo zahlreiche Lagerinsassen bei der Versenkung der dortigen Schiffe durch alliierte Bombardierungen ums Leben kamen. 1.016 Häftlinge wurden in der Isenschnibber Feldscheune bei Gardelegen bei lebendigem Leib verbrannt.
Nutzung nach dem Krieg
Nach der Räumung des Inventars durch US- und Sowjet-Kräfte und der kurzzeitigen Nutzung als Flüchtlingsunterkunft und Lazarett blieb Mittelbau-Dora lange Jahre unbeachtet.
Nachdem die Sowjets die Demontage der Anlagen beendet hatten, versuchten sie, das komplette Stollensystem von Mittelbau-Dora mit 196 Waggonladungen Altmunition und Sprengstoff zu sprengen. Dies scheiterte zum Teil, da der Explosionsdruck durch die Lüftungsschächte entwich und nur die Stollenauskleidungen einstürzten, in denen die Sprengladungen gezündet wurden. Daraufhin wurden nur die vier Nord- und Südeingänge der Hauptstollen A und B sowie die Nordstollen C, C1, D und D1 gesprengt. Die C- und D-Bereiche wurden in den 1970er-Jahren wieder aufgefahren, die C-Stollen dienten als belüftetes, später drei Räume als zwangsgekühltes Gemüselager. Die Bergtemperatur: 8 °C, die rel. Luftfeuchte: 60 % erlaubte Getreidelagerung und Lagerung von Schrauben und ähnlichem für das Fernmeldewerk. Der Bereich des D-Stollens diente als Kartoffelllager. Vom C-Bereich über den Lüftungsschacht waren der A- und der B-Bereich völlig trocken und begehbar. Die 160 Meter langen ehemaligen Produktionskammern waren teils eingestürzt (von neun Metern Firsthöhe war etliches herabgestürzt – die Schwärzung durch Pulverdampf war in großen Teilen durch helles Anhydritgestein beseitigt). Nach den Demontagen waren nur Luftkanäle, Werkbänke und z. B. ein Glühofen auffällig.
Nachkriegsprozesse
→ Hauptartikel: Nordhausen-Hauptprozess
Vom 7. August 1947 bis zum 30. Dezember 1947 wurde im Rahmen der Dachauer Prozesse vor einem amerikanischen Militärgericht beim Nordhausen-Hauptprozess gegen 14 SS-Angehörige des KZ Mittelbau, vier Funktionshäftlinge und den Generaldirektor der Mittelwerk GmbH verhandelt. Neben dem Todesurteil gegen den ehemaligen Schutzhaftlager Möser, ergingen vier Freisprüche sowie 13 Haftstrafen. Zuvor war bereits im Bergen-Belsen-Prozess unter anderem gegen zwölf SS-Angehörige und Funktionshäftlinge aus dem KZ Mittelbau verhandelt worden, die im Rahmen der Evakuierung des KZ Mittelbau ins KZ Bergen-Belsen gelangten. In diesem Prozess wurden drei ehemalige SS-Angehörige des KZ Mittelbau zum Tode verurteilt und hingerichtet, so auch der ehemalige Schutzhaftlagerführer Hößler.[11] Der ehemalige Lagerkommandant Förschner wurde im Dachau-Hauptprozess zum Tode verurteilt und Ende Mai 1946 hingerichtet, sein Nachfolger Baer tauchte bei Kriegsende unter und verstarb noch vor Beginn des ersten Frankfurter Auschwitzprozesses in der Untersuchungshaft.[12]
Weitere Einzelverfahren gegen ehemaliges Lagerpersonal des KZ Mittelbau wurden bis in die 1980er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR durchgeführt.[11] Das bekannteste Verfahren war der Essener Dora-Prozess, der am 17. November 1967 begann und am 8. Mai 1970 endete. Der ehemalige Kommandoführer Erwin Busta wurde im Essener Dora-Prozess gemeinsam mit Helmut Bischoff dem ehemaligen KDS des Sperrgebiets Mittelbau sowie dessen früheren Mitarbeiter Ernst Sander aufgrund von Verbrechen im KZ Mittelbau-Dora angeklagt.[13] Alle drei Angeklagten erhielten Haftstrafen, die sie jedoch nicht antreten mussten.[11]
Mahn- und Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Am 11. April 1946 wurde am Krematorium von der sowjetischen Besatzungsmacht ein Mahnmal errichtet sowie 1954 das Krematorium selbst als Ehrenmal eingeweiht.
Erst 1966 wurde die „Mahn- und Gedenkstätte Mittelbau-Dora” eröffnet. Die Ausstellungen im zum Museum umgebauten Krematorium fokussierten sich jedoch auf das Thema des 'antifaschistischen Widerstand' und überdeckten damit andere, nicht-politische Schicksale. Zum 50. Jahrestag 1995 wurde die Gedenkstätte mit einem neuen Konzept, das allerdings bewusst auch weiter Elemente aus der DDR-Zeit enthält, wieder eröffnet. Durch einen neu angelegten Zugang, mit dessen Bau bereits 1988 begonnen worden war, ist seitdem auch ein sehr kleiner Teil des Stollensystems mit Schlaf- und Produktionsräumen wieder für die Öffentlichkeit im Rahmen von Führungen zugänglich.
Im Frühjahr 2005 wurde das neue Hauptgebäude eingeweiht, in dem im September 2006 eine neue Dauerausstellung eröffnet wurde.
Von den oberirdischen Gebäuden sind mit Ausnahme des Krematoriums, eines Feuerwehrhauses und einer Baracke nichts oder nur noch die Grundmauern zu sehen. Die Stollenanlage selbst ist in weiten Bereichen vom Grundwasser geflutet und möglicherweise in Folge des industriellen Bergbaus der näheren Umgebung eingestürzt.
Die heute sichtbare Baracke wurde aus Teilen mehrerer Originalgebäude wiedererrichtet. In den 1950er-Jahren wurden zwei Baracken auf dem ehemaligen KZ-Gelände abgebaut und auf dem Gelände einer nahegelegenen Zigarettenfabrik wieder aufgebaut, wo sie lange Zeit als Betriebskindergarten bzw. Kegelbahn dienten. Erst Anfang der 1990er-Jahre wurden die Baracken wieder an ihren Ursprungsort zurückgebracht, wo dann aus beiden eine möglichst originalgetreue Baracke zusammengebaut wurde.
Das Tunnel-System war nach der Wiedervereinigung Deutschlands Schauplatz zahlreicher Plünderungen durch Schatzsucher und Trophäensammler, die sich Einlass über den ungesicherten Zugang des Bergwerkes im nördlichen Teil des Kohnstein verschafften. Willi Kramer, ein deutscher Archäologe, der 1992 und 1998 Tauchgänge im Tunnelsystem absolvierte, schätzt, dass bisher etwa 70 Tonnen Material gestohlen wurden. Erst 2004, als der Betreiber des Bergwerkes Konkurs anmeldete, konnte auch der Hintereingang versperrt werden.[14]
Das Dora-Komitee
Im Sommer 1990 gründeten ehemalige Dora-Häftlinge aus Frankreich, Belgien und Tschechien auf Initiative von Jacques Brun (* 20. November 1921 in Paris, † 8. Juli 2007 ebenda) das europäische Komitee Dora, Ellrich, Harzungen et Kommandos „Pour la Mémoire“ als Häftlingsvereinigung. Bis 1996 stand Brun als Generalsekretär an der Spitze des Komitees, das gegründet wurde, um die Erinnerung an die im KZ Mittelbau-Dora begangenen Verbrechen international wach zu halten. 1995 initiierte Jacques Brun die Gründung des Vereins „Jugend für Dora“ und rief die Jugendlichen dazu auf, die Erinnerungsarbeit gegen das Vergessen der nationalsozialistischen Verbrechen fortzusetzen. Jacques Brun war als junger Mann von den Nationalsozialisten festgenommen und im August 1944 in das KZ Buchenwald eingeliefert worden. Von dort hatte ihn die SS im September 1944 in das KZ Mittelbau-Dora überstellt. Später war er in das KZ-Außenlager Ellrich verlegt worden, von wo ihn die SS Anfang April 1945 auf einen Todesmarsch schickte, den er überlebte. [15]
Filmische Rezeption
- Eberhard Görner: KZ Mittelbau-Dora – Erinnerung an die Hölle (Doku)
- 2006: The Good German – In den Ruinen von Berlin. Der US-amerikanische Film thematisiert u.a. die Kenntnisse über die unmenschlichen Zustände im Dora-Mittelbau seitens der beteiligten Wissenschaftler des Raketenprojekts.
- National Geographic: Hitlers Raketentunnel, Dokumentation, 42 Min. (Bilder aus der KZ-Zeit, Bilder eines Tauchgangs in die überfluteten unteren Produktions-Stollen, Bilder von V-Raketen, Bilder von Wernher von Braun und Bilder von US-Weltraumraketen)
Siehe auch
Literatur
- Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945 Begleitband zur ständigen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Wallstein, Göttingen, 2008.[16] ISBN 978-3-8353-0118-4. Der Autor ist Historiker und Leiter der Gedankstätte.
- Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora. Wallstein, Göttingen 2001. ISBN 978-3-89244-439-8
- Bruno Arich-Gerz: Mittelbau-Dora. American and German Representations of a Nazi Concentration Camp. Literature, Visual Media and the Culture of Memory from 1945 to the Present. Bielefeld 2009: transcript Verlag, ISBN 978-3-8376-1357-5
- Frank Baranowski: Die verdrängte Vergangenheit. Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in Nordthüringen. Mecke, Duderstadt, 2000
- Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 9 Bände (bis 2008 erschienen: 8 Bände). C. H. Beck, München 2005– . ISBN 978-3-406-52960-3 (i. Dr.; Inhaltsregister)
- Bd. 7: Wewelsburg, Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora, ISBN 978-3-406-52967-2
- Yves Béon: Planet Dora: Als Gefangener im Schatten der V2-Rakete. Karl-Udo Bigott (Übersetzg.), Bleicher Verlag, Gerlingen, 1999, 298 Seiten. ISBN 3-88350-045-3
- Manfred Bornemann: Geheimprojekt Mittelbau. Bernard & Graefe Verlag, Bonn, 1994, 238 Seiten
- Udo Breger, Der Raketenberg. Kohnstein, Dora und die V2, Peter Engstler, Oberwaldbehrungen i. Ostheim/Rhön, 1992
- Rainer Eisfeld: Mondsüchtig. Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei. Rowohlt, Reinbek, 2000
- Angela Fiedermann, Torsten Hess, Markus Jäger: Das Konzentrationslager Mittelbau Dora. Ein historischer Abriss. Westkreuz-Verlag, Bad Münstereifel 1993, 112 Seiten
- Hans Frankenthal: Verweigerte Rückkehr Fischer Taschenbuch, Frankfurt, 1999. ISBN 3-596-14493-0
- Alvin Gilens: Discovery and despair: Dimensions of Dora. Aufbruch und Verzweiflung: Dimensionen von Dora. Westkreuz-Verlag, Bad Münstereifel 1995
- Joachim Neander: „Hat in Europa kein annäherndes Beispiel” Metropol, Berlin 2000
- André Sellier: Zwangsarbeit im Raketentunnel. Geschichte des Lagers Dora Zu Klampen, Lüneburg 2000 ISBN 3-924245-95-9 (Sellier war selbst Häftling in D-M.) Aus dem Franz.(1998)- Engl. A History of the Dora Camp Dee, Chicago, 2003. ISBN 1-56663-511-X
- André Sellier, Yves le Maner: Bilder aus Dora: Zwangsarbeit im Raketentunnel 1943-1945 Hrsg. Deutsches Museum, München, Übers. Waltraud Gros; Bad Münstereifel: Westkreuz, 2001 (Images de Dora, dt.) ISBN 3-929592-59-2
- Adam Tooze, Yvonne Badal (Übers.): Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im NS Siedler, München 2007 (zuerst engl. 2006) ISBN 978-3-88680-857-1, passim, insbes. S. 634ff. im Kap. Speer (siehe dieser im Namensverz.) Neuaufl. Bundeszentrale für politische Bildung BpB (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 663) ISBN 978-3-89331-822-3. Neuaufl. Pantheon, München 2008. ISBN 3-570-55056-7 (Bild: V2-Raketen, im Bildteil S. XVI)
- Thomas Pynchon: Die Enden der Parabel. Rowohlt, Reinbek 1981, ISBN 3-499-25112-4) – Der amerikanische Protagonist besucht auf den Spuren der V2-Rakete das befreite Lager Dora-Mittelbau. Obwohl Fiktion, findet man hier eine beklemmend realistisch anmutende Schilderung der Anlage.
- Götz Dieckmann: Existenzbedingungen und Widerstand im Konzentrationslager Dora-Mittelbau unter dem Aspekt der funktionellen Einbeziehung der SS in das System der faschistischen Kriegswirtschaft, Berlin 1968
Weblinks
- Stiftung Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora
- KZ Dora-Mittelbau U.A. Pläne der Anlage
- zur Helmetalbahn
- zum KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeit in Nordthüringen
- Ostwallinfo.de Fotos der Anlage
- Jugend für Dora e.V.
- Mittelwerk kurz nach der Wende
- Gefangen im Kohnstein - Wie KZ-Häftlinge die V2-Rakete serienreif machten.
Einzelnachweise
- ↑ Jens Christian Wagner: Mittelbau-Dora Stammlager, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 7, München 2008, 248
- ↑ Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen, 2007., S. 7
- ↑ Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen, 2007., S. 127f.
- ↑ Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen, 2007., S. 67f.
- ↑ Angaben nach Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen, 2007., S. 68 - Die jüdischen Häftlinge werden nicht gesondert aufgeführt, sondern sind unter den einzelnen Nationalitäten subsumiert. Die österreichischen Häftlinge sind gemeinsam mit den deutschen Häftlingen unter der Nationalität Deutsche zusammengefasst.
- ↑ hauptsächlich Roma, Sinti, Ungarn, Tschechen, Italiener, Jugoslawen, Niederländer, Quelle: Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen, 2007., S. 68
- ↑ a b Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen, 2007, S. 103f
- ↑ Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes: Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2001, S.329f
- ↑ Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes: Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2001, S.651f
- ↑ Jens-Christian Wagner: "Inferno und Befreiung - Auschwitz im Harz, in: Die Zeit, Nr.4, 2005
- ↑ a b c Jens-Christian Wagner (Hg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945, Göttingen, 2007, S. 155
- ↑ Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945., Frankfurt am Main 2007, S. 24, S. 158
- ↑ Andrè Sellier: Zwangsarbeit im Raketentunnel – Geschichte des Lagers Dora, Lüneburg 2000, S. 518
- ↑ Sebastian Christ: Überreste eines Mordregimes Spiegel Special, 03/2006
- ↑ www.dora.de Pressemitteilung der Gedenkstätte Mittelbau-Dora vom 8. Juli 2007
- ↑ Bernhard M. Hoppe: Rezension der Ausstellung bei hsozkult.geschichte.hu-berlin.de
Koordinaten: 51° 32′ 7″ N, 10° 44′ 55″ O