Astronomische Navigation

Oberbegriff für alle Verfahren der Positionsbestimmung, die auf der Messung von Winkeln zu Gestirnen beruhen
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Die astronomische Navigation bestimmt die Position durch Beobachtung von Gestirnen (Sonne, Mond, Planeten oder ausgewählte Fixsterne).

Positionsbestimmung mit Sextant und Almanach

Mit einem Sextant misst man die scheinbare Höhe der Sonne (oder eines anderen Gestirns) über dem Horizont. Gleichzeitig erfasst man sekundengenau den Zeitpunkt der Messung.

In einem nautischen Almanach kann man nachschlagen, über welchem Punkt der Erde die Sonne zum Messzeitpunkt senkrecht stand. Aus der gemessenen Sonnenhöhe ergibt sich ein Kreis um diesen Punkt, man befindet sich irgendwo auf diesem Kreis.

Einige Stunden später wiederholt man die Messung. Die Sonne ist inzwischen weitergewandert, so ergibt sich ein zweiter Kreis. Die beiden Kreise haben zwei Schnittpunkte, einer davon ist die eigene Position.

Für die tatsächlichen Bestimmung auf hoher See zeichnet man auf einer Seekarte zunächst eine vermutete Schätzposition ein. Für jeden der Punkte "unter der Sonne" zeichnet man weiter eine Richtungslinie ein, die von der Schätzposition in die Richtung dieses Punktes weist. Gleichzeitig berechnet man die Entfernung zwischen Sonnenpunkt und Schätzposition. Für die Berechnung des Winkels der Richtungslinie und der Entfernung zum Sonnenpunkt benötigt man die Lehrsätze der sphärischen Trigonometrie.

Da die Position nur geschätzt war, wird die so berechnete Entfernung etwas abweichen von der tatsächlichen Entfernung, wie sie aus der gemessenen Sonnenhöhe bestimmbar ist. Mit Hilfe der Differenz der beiden Entfernungen findet man die Stelle auf der Richtungslinie, die die "richtige" (gemessene) Entfernung zum Sonnenpunkt hat. Durch diese Stelle zeichnet man eine zur Richtungslinie senkrechte Gerade. Sie approximiert den Positionskreis. Der zweite Positionskreis wird genauso als Gerade eingezeichnet. Der Schnittpunkt der beiden Geraden ergibt die tatsächliche Position.

Mit Hilfe einer sekundengenauen Uhr, eines aktuellen Almanachs und eines handelsüblichen Sextanten sind mit diesem Verfahren Genauigkeiten im Bereich von etwa 5 Kilometern durchaus möglich. Um diese Genauigkeit zu erreichen, sind allerdings Korrekturen für die Beugung der Lichtstrahlen auf dem Weg durch die Atmosphäre und auch für die Höhe der Beobachtungsposition über der Wasseroberfläche anzubringen. Die für diese Korrekturen nötigen Informationen finden sich ebenfalls im nautischen Almanach.

 
Bestimmung der geographischen Breite aus der Höhe des Polarsterns über dem Horizont; Bestimmung der Länge aus der Orientierung des Großen Wagens zu einer bestimmten Uhrzeit.

Bestimmung des Breitengrads

Die geografische Breite lässt sich durch Messung von Vertikalwinkeln zwischen der Sonne (oder einem markanten Fixstern) zum Zweitpunkt des Höchststandes (Kulmination) und dem Horizont mittels Jakobsstab oder Sextant bestimmen. Bei ruhiger See und deutlich erkennbarem Horizont ist mit Sextantenmessung eine Genauigkeit ca. einer Bogenminute (1/60 Grad), d.h. einer Seemeile (1,8520 km) erreichbar (siehe Sextant, Navigation, Astrogeodäsie).

Aus der Höhe des Polarsterns lässt sich der Breitengrad unmittelbar ablesen.

Beispiele: Am Nordpol steht der Polarstern ziemlich genau (der Fehler beträgt maximal ca. ½ Grad) senkrecht über dem Beobachter, die geographische Breite beträgt 90°. Am Äquator steht er am Horizont, Breite 0°. Auf dem Bild rechts steht er in einer Höhe von ca. 60° über dem Horizont, Breite 60°.
Als Anhaltspunkt zum Abschätzen von Winkeln: Der Abstand vom Polarstern zum Großen Wagen beträgt ca. 28°, der Abstand zwischen den beiden Seitensternen des Großen Wagens ca. 5,5°. Unterhalb einer Breite von ca. 30° gehört auch der Große Wagen zu den Sternbildern, die am Horizont untergehen können.

Bestimmung des Längengrads

Mittelalterliche Navigation

Die Methoden im Mittelalter waren kompliziert und ungenau. Regiomontanus (1436-1476) etwa erkannte eine Lösung in der Messung von Winkelabständen des Mondes zu anderen Gestirnen (Monddistanzen), die jedoch mangels genauer Beobachtungsreihen noch lange nicht vorausberechenbar sein sollten. Das Längenproblem war für die Seefahrt jahrhundertelang so gravierend, dass Spaniens König 1600 einen Preis aussetzte, und Englands Parlament 1714 einen anderen, da immer noch keine Lösung in Sicht war.

Bestimmung des Längengrades mit Hilfe genauer Zeitmessung

Die Orientierung der Sterne hängt ab vom Tag, der Uhrzeit und dem Längengrad. Sind Datum und Uhrzeit bekannt, erhält man den Längengrad aus der Sternposition.

Beispiel 1: Am Ausgangspunkt ist um 2:00 Uhr Ortszeit der Große Wagen so orientiert ist wie im Bild oben. An anderen Längengrad-Positionen erscheint er entsprechend dem Längenwinkel gedreht; bei einer um 30° östlicheren Position steht er an der Position 4, bei 30° westlich an Position 0.

Beispiel 2: Entlang eines Breitengrads wird dieselbe Position des Großen Wagen oben zu anderen Zeiten erreicht. Ein Unterschied von einem Längengrad verursacht eine Zeitverschiebung von 24h/360°. Erreicht beispielsweise der Große Wagen die Position erst um 3:00 Uhr, befindet man sich 15° westlicher vom Ausgangspunkt.

Die Erde rotiert in 24h um 360°. Eine Schiffsreise dauert ca. 100 Tage. Um die Länge mit gleicher Genauigkeit wie die Breite zu bestimmen (1/60°), ist eine Genauigkeit der Zeitmessung von ca. einer Sekunde/Tag erforderlich:

360°/24h · x == 1/60° / 100 Tage    in Grad/Tag
x = 1/(60·100) · 24/360             in Tagen/Tag
x = 1/(60·100) · 24/360 · 24·60·60  in Sekunden/Tag
x = 1 Sekunde/Tag

Ein Tischler und autodidaktischer Uhrmacher aus England, John Harrison (1693-1762) war der erste, dem auf See einsetzbare Präzisionsuhren gelangen.

Bestimmung des Längengrades mit Hilfe der Mondposition

Wenige Jahre nach Harrisons erstem funktionsfähigen Modell einer Schiffsuhr schuf der deutsche Mathematiker und Astronom Tobias Mayer vorausberechnete Tabellen, die eine astronomische Methode zur Lösung des Problems erlaubten. Die Ergebnisse waren zwar weniger genau als nach Harrisons Methode, kamen aber ohne die früher immens teuren Chronometer aus, weshalb die Monddistanzen noch Anfang des 20. Jahrhunderts genutzt wurden. Mayer bekam daher ebenfalls zu Recht einen Betrag zugesprochen, allerdings posthum: Er wurde seiner Witwe übergeben.

Weitere Entwicklung und moderne Positionsbestimmung

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren hochpräzise, robuste Uhren so billig geworden, dass sich jeder Kapitän eine solche leisten konnte, und das Prinzip der Zeitmessung setzte sich endgültig gegen Mayers Methode durch.

Mit Einführung des Kurzwellenfunks konnten sekundengenaue Zeitinformationen (Zeitzeichen) auf hoher See mit einfachen Radiogeräten empfangen werden, wodurch sich die Positionsbestimmung weiter verbesserte.

Heutzutage verwenden Schiffe zur Navigation GPS (Global Positioning System), doch sind Mittel für die Positionsbestimmung mit astronomischen Methoden (also Tabellen und Geräte) weiterhin vorgeschrieben.

Sonstiges

An 4 Tagen im Jahr (siehe Zeitgleichung) lässt sich die Länge mit Hilfe des Lokalen Nachmittags ohne zusätzliche Tabellen näherungsweise bestimmen. An diesen Tagen ist es möglich mit Hilfe der koordinierten Weltzeit UTC und der Messung des Zeitpunktes, an dem die Sonne exakt im Süden steht, den Längengrad abzuschätzen.

Siehe auch:

Literatur

Dava Sobel, Längengrad, btb Taschenbuch, 1998. ISBN 3-442-72318-3. (Engl. Orig.: "Longitude", 1995)

Tutorial Astronomische Navigation