Klassische Nationalökonomie

Theorien und Epoche der Begründer der Ökonomie als eigenständige Wissenschaftsdisziplin
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Die klassische Nationalökonomie (auch Klassik oder klassische Ökonomie) bezeichnet in der Geschichte der ökonomischen Analyse die Theorien und das Wirken der Begründer der Wirtschaftswissenschaft als eigenständige Wissenschaftsdisziplin.

Adam Smith

Die Klassische Nationalökonomie war anfangs weitgehend identisch mit dem wirtschaftlichen Liberalismus und löste die Anschauungen des Merkantilismus und des Physiokratismus ab. [1] Paradigmatische Geltung erlangte das Werk Der Wohlstand der Nationen von Adam Smith aus dem Jahre 1776.[2] Als Hauptvertreter gelten neben Smith David Ricardo, Jean-Baptiste Say, Thomas Malthus und John Stuart Mill.[3] Die Klassiker stehen für eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung und eine liberale Wirtschaftspolitik. Der Staat soll selbstverantwortliches Handeln und Verfolgung der Eigeninteressen erlauben. Gefordert werden Wettbewerb, Freihandel das Recht auf Privateigentum und Vertragsfreiheit[4][5].

Bedeutendster Kritiker der klassischen Nationalökonomie ist Karl Marx, der allerdings auf Konzepte der Klassiker zurückgriff, insbesondere die Arbeitswertlehre, auf die er seine marxistische Wirtschaftstheorie aufbaut [6]

Lehren (Überblick)

Das Erkenntnisprogramm der klassischen Ökonomie lässt sich nach Hans Albert wie folgt charakterisieren: [7]

  1. durch die Annahme von Gesetzmäßigkeiten, mit denen soziale Tatsachen erklärt werden können
  2. diese Tatsachen werden durch das Zusammenwirken von individuellen Handlungen erklärt
  3. wesentliche Handlungsbedingung ist die Knappheit der Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse
  4. das Selbstinteresse ist wichtige Orientierungsbasis für rationales Handeln
  5. das Handeln wird mitbestimmt durch das institutionelle Umfeld.

Das Gedankengebäude der klassischen Nationalökonomie weist zahlreiche Nuancen und teilweise auch Widersprüche auf, dennoch gibt es einige grundlegende Prinzipien, die die innere Einheit des Systems deutlich werden lassen. Dazu gehören das Prinzip des Eigeninteresses, die Gleichgewichtsthese, die Arbeitswerttheorie, die Problematisierung der Produktionskosten und der Einkommensverteilung sowie die Forderung nach wirtschaftlicher Freiheit.[8]

Theoriegeschichte und -entwicklung

 
David Ricardo

Die Klassische Nationalökonomie kann als Antwort auf den Merkantilismus verstanden werden. Dem absoluten Herrschaftsanspruch des Staates wird die konsequente Orientierung am liberalen Weltbild entgegengesetzt. Eine Marktwirtschaft benötige keine staatlichen Eingriffe, vielmehr entwickle sie sich durch den Preismechanismus von Angebot und Nachfrage (die so genannte Unsichtbare Hand) von alleine zum Wohl der gesamten Gesellschaft. [9]

Von der Physiokratie unterscheidet die klassische Schule vor allem die Antwort auf die Frage nach der Quelle des Wohlstandes. Während die Physiokraten die Landwirtschaft als einzige Quelle des Wohlstandes ansehen, stellt Smith an deren Stelle die Arbeitskraft als solche – unabhängig vom Sektor. Die Physiokraten hatten begonnen, ökonomische Prozesse nicht unter dem Gesichtspunkt des Reichtums des Fürsten oder seiner Staatskasse zu betrachten, wie es grundsätzlich dem Denken des Merkantilismus entsprach, sondern stattdessen unter dem der Förderung des Wohlstands eines gesamten Volkes. Klassische Ökonomen gingen fortan daran, die Marktwirtschaft als ein sich selbst regulierendes System zu betrachten, das vom Eigennutz des Individuums getrieben zum Wohle aller wirkt.[10] Die kausale Analyse der ökonomischen Beziehungen wurde dabei häufig nahtlos verknüpft mit dem wirtschaftspolitischen Leitbild des Liberalismus, wie es typischerweise den Interessen des aufkommenden Bürgertums im Zuge der Ablösung der feudalen Gesellschaftsstrukturen entsprach.[11]

Adam Smith (1723–1790)

Adam Smith versuchte zu zeigen, dass der eigennützige, auf seinen persönlichen wirtschaftlichen Vorteil bedachte Mensch mit seinem wirtschaftlichem Handeln gleichzeitig dem Wohl aller anderen dient. Große Aufmerksamkeit widmete Smith dabei der so genannten unsichtbaren Hand, d.h. dem Marktmechanismus als regulierende Kraft.

Thomas Malthus (1766–1834)

Thomas Robert Malthus untersuchte die Ursachen von Armut und entwickelte in diesem Zusammenhang das berühmte Bevölkerungsgesetz.

David Ricardo (1772–1823)

David Ricardo leistete einen bedeutenden Beitrag zur Außenhandelstheorie mit der Darstellung der komparativen Kostenvorteile sowie zum Ertragsgesetz.

John Stuart Mill (1806–1873)

 
John Stuart Mill

John Stuart Mill stellte die Theorien von Smith, Malthus und Ricardo in seinen "Prinzipien der politischen Ökonomie" systematisch dar. [12]

Jean-Baptiste Say (1767-1832)

Jean-Baptiste Say wurde insbesondere durch das nach ihm benannte Saysche Theorem bekannt, nach dem sich jedes Angebot seine Nachfrage selbst schafft. Angebot und Nachfrage in einer Volkswirtschaft tendierten deshalb immer zu einem Gleichgewichtszustand.

Klassik und Neoklassik

Um 1870 wird durch die marginalistische Revolution die klassische Ökonomie als vorherrschende Lehre von der Neoklassik abgelöst. [13], die das Klassische Wertparadoxon auflöste. An Stelle der Arbeitswertlehre, einer objektiven Wertlehre, setzten sie mit der Grenznutzentheorie eine subjektive Wertlehre. [14]

Die Erkenntnisse der neoklassischen Theorie wurden zum ersten Mal von Alfred Marshall zusammengefasst.[15] Wegen der - trotz Unterschieden in Einzelfragen- gemeinsamen Grundvorstellungen werden die Klassische Nationalökonomie und die Neoklassische Theorie auch zu einem als Klassik-Neoklassik bezeichneten Gedankengebäude zusammengefasst.[16]

Für die klassischen Ökonomen stand das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft im Mittelpunkt des theoretischen Interesses.[17] Hingegen geht es der Neoklassik um die Allokation von Ressourcen in einer gegebenen Situation. [18] Dieses Problem des optimalen Mitteleinsatzes wurde nunmehr vorwiegend auf der mikroökonomischen Ebene betrachtet, wobei eine Substitution der Produktionsfaktoren als möglich angesehen wurde.[19]

Rezeption durch die Historische Schule

Der Hauptkritikpunkt an der klassischen Lehre – insbesondere durch die Historische Schule der Nationalökonomie vorgetragen – ist der der Realitätsferne. Die Modelle und Theorien der klassischen Schule seien zwar sehr klar und lieferten oft eindeutige Ergebnisse. Diese stimmten mit den beobachtbaren Vorkommnissen aber nur selten überein. Die Kritiker fordern zumindest eine Untermauerung und Überprüfung der theoretischen Ergebnisse durch empirische Untersuchungen Wilhelm G. F. Roscher. Einige Ökonomen – insbesondere Karl Knies – gehen noch einen Schritt weiter und lehnen jede Naturgesetzlichkeiten verkündende Theorienbildung als unwissenschaftlich ab. Ihrer Meinung nach können Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich nur den Charakter von Analogien haben – realistische Prognosen sind ihrer Meinung nach kaum möglich (siehe Deduktion).

Literatur

  • Tony Aspromourgos: On the Origins of Classical Economics: Distribution and Value from William Petty to Adam Smith. Routledge, 2007, ISBN 978-0-415-12878-0.
  • Karl Brandt: Geschichte der deutschen Volkswirtschaftslehre. Band I: Von der Scholastik bis zur klassischen Nationalökonomie. Freiburg 1992. ISBN 3448026379
  • Joachim Starbatty: Die englischen Klassiker der Nationalökonomie. Lehre und Wirkung. Darmstadt 1985

Einzelnachweise

  1. Willi Albers, Anton Zottmann : Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft. Vandenhoeck & Ruprecht, 1980. ISBN 3525102569. S.41
  2. Gerhard Stavenhagen: Geschichte der Wirtschaftstheorie. Vandenhoeck & Ruprecht 1969. ISBN 3525105029. S.52
  3. John Maynard Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money. Chapter I, Fußnote 1.
  4. Jörg Beutel: Mikroökonomie. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2006. ISBN 3486581163. S.7
  5. Günter Meckenstock: Wirtschaftsethik. Walter de Gruyter 1997. ISBN 3110155591 S.22
  6. Jörg Beutel: Mikroökonomie. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2006. ISBN 3486581163. S.8
  7. Hans Albert: : Die Idee rationaler Praxis und die ökonomische Tradition S.17
  8. Gerhard Stavenhagen: Geschichte der Wirtschaftstheorie. Vandenhoeck & Ruprecht 1969. ISBN 3525105029. S.52
  9. Holger Rogall: Volkswirtschaftslehre für Sozialwissenschaftler. Springer, 2006. ISBN 353114538X S.45f
  10. Jochen Nielen: Das Leitbild des Laisser-faire in der Politischen Ökonomie von Smith bis Keynes, dargestellt anhand der Hauptwerke von Smith, Malthus, Ricardo, Mill, Marshall und Keynes. Diss. Bonn 2000. S. 163.
  11. Ronald L. Meek: Smith, Marx & after. Ten Essays in the Development of Economic Thought. Chapman & Hall : London 1977. ISBN 0-412-14360-7. S. 3.
  12. http://www1.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=NG456F
  13. Bernhard Felderer, Stefan Homburg: Makroökonomik und neue Makroökonomik. Springer, 2005. ISBN 3540250204. S.24 f.
  14. Jörg Beutel: Mikroökonomie. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2006. ISBN 3486581163. S.8
  15. Joseph A. Schumpeter: History of Economic Analysis. Oxford New York 1954. S. 833
  16. Klaus Rittenbruch: Makroökonomie. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2000. ISBN 3486254863. S.151
  17. Ernesto Screpanti, Stefano Zamagni: An Outline of the History of Economic Thought. Oxford 1993. S. 147
  18. Peter D. Groenewegen: A soaring eagle: Alfred Marshall, 1842-1924. Cheltenham Northampton 1995. S. 1
  19. Jochen Nielen: Das Leitbild des Laisser-faire in der Politischen Ökonomie von Smith bis Keynes, dargestellt anhand der Hauptwerke von Smith, Malthus, Ricardo, Mill, Marshall und Keynes. Diss. Bonn 2000. S. 163