Thule (Mythos)

mythische Insel
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Das antike Thule (Θούλη, auch Tuli oder Tyle) ist eine von dem antiken griechischen Entdecker Pytheas aus Massilia (Marseille) im 4. Jahrhundert v. Chr. beschriebene Insel, die später eine quasi-mythische Bedeutung erhielt.

Die Insel „Thule“ in der Carta Marina aus dem Jahre 1539. Erstellt von Olaus Magnus (1490-1557).

Ursprung: Bericht des Pytheas

Um 325 v. Chr. bereiste Pytheas die iberische Halbinsel und Nordwesteuropa. Seinen Berichten zufolge liegt Thule im äußersten Norden, sechs Tagesfahrten nördlich von Britannien. Daher stand der Name Thule seit der Antike sprichwörtlich für den äußersten Nordrand der Welt (lat. ultima Thule). Da Thule etymologisch mit idg. *telu = „Boden, Ebene“ zusammenhängen könnte (vgl. lat. tellus oder urkeltisch *telǝ-mō = „Erde“), war die Bedeutung in der keltischen Mythologie und germanischen Mythologie wahrscheinlich „letztes Land“.

Pytheas Werk „Über das Weltmeer“ ist nur noch durch kurze Zitate in den Werken anderer Autoren (u.a. Strabon, Eratosthenes oder Plinius dem Älteren) bekannt. Er meinte mit Thule wohl entweder Norwegen, Island, die Färöer oder eine der Shetlandinseln. Da einer seiner Notizen zufolge das „geronnene Meer“ (also wohl das Eismeer) in einer Tagesfahrt von Thule entfernt beginnt, dürfte Island der wahrscheinlichste Kandidat sein.

Thule in römischer Zeit

Der Historiker Tacitus berichtete in seiner Biographie des Iulius Agricola (Kap. 10 Abs. 4), dass zur Zeit des Agricola eine römische Flotte die britischen Inseln umsegelte und dabei die Inselgestalt Britanniens bewiesen habe. Während der Fahrt seien die „orcades“ (Orkney-Inseln) entdeckt und „bezwungen“ worden. Dann folgt der Satz:

Nur in Sicht kam Thule, weil der Auftrag nur so weit reichte und überdies der Winter nahte.“

Die Römer verstanden unter „Thule“ also etwas, das man von den „orcades“ aus sehen kann, und das sind die Shetland-Inseln.

Thule im Mittelalter

„Thule“ wurde in spätantiken und mittelalterlichen Schriften dann in den verschiedensten Zusammenhängen erwähnt. So berichtete etwa der spätantike Historiker Prokop (500–562) in seinem Werk „Der Gotenkrieg“:

Als die Heruler von den Langobarden geschlagen waren und ihre alten Wohnsitze aufgaben, ließ sich ein Teil derselben [...] in Illyrien nieder, der andere wollte nicht die Donau überschreiten, sondern gründete Wohnsitze am äußersten Ende der bewohnten Welt: Unter Führung vieler Mitglieder der königlichen Familien zogen sie zuerst durch alle Länder der Slawen, dann durch die Wüste, bis sie zu den Warnen kamen. Dann wanderten sie durch das Land der Danen. Und alle diese wilden Völker taten ihnen nichts. Am Ozean angelangt, gelangten sie zu Schiff und fuhren nach Thule, wo sie blieben. Thule ist eine sehr große Insel, über zehnmal größer als Britannien; es liegt von dort aus noch weiter im Norden.[1]

Allerdings ist nicht klar, ob damit tatsächlich das pytheische Thule gemeint war, da Beda und Adam von Bremen den Namen auch für einen Ort verwendeten, mit dem auch Island gemeint sein könnte. Wahrscheinlich ist, dass die durch die antiken Schriften bekannte Bezeichnung auf die verschiedensten Orte im Norden Europas übertragen wurde, ohne dass ein Zusammenhang bestehen muss.

Das mythische Thule

Die Bruchstückhaftigkeit der antiken Überlieferung bedingt auch, dass Thule schon in römischer Zeit und im Mittelalter eine mystische Bedeutung erhielt, die eher an Avalon, Atlantis oder Camelot als an die nüchterne pytheische Geografie erinnert.

In dieser Tradition wurde der Name „Thule“ in dem Lied „Der König in Thule“, das Gretchen in Goethes Faust singt, gebraucht, und auch die Comic-Figur Prinz Eisenherz wird als Sohn des Königs von Thule beschrieben.

Der Name der völkisch orientierten Thule-Gesellschaft der Weimarer Republik erinnert an ariosophische Fantasien einer vorgeschichtlichen, von Priesterkönigen geführten rassisch reinen Gesellschaft.[2] Heutige Rechtsextremisten beziehen sich ebenfalls darauf, etwa innerhalb des neuheidnisch geprägten Thule-Seminars.

Vermutliche geografische Lage

Ein Forschungsteam des Instituts für Geodäsie und Geoinformationstechnik der TU Berlin versuchte im Rahmen der Erforschung des Kartenwerks Ptolemäus' die tatsächliche geografische Lage Thules nachzuweisen.[3] In diesen Karten sei nach Ansicht des Forschungsteams die Lage „Thules“ zwar angegeben, aber bislang nicht verifizierbar gewesen, da Ptolemäus bei der Erstellung seiner Karten ältere Karten verwendete und bei der Umrechnung der Maßeinheiten einen Fehler gemacht habe. Nach der Korrektur der Fehler habe sich ergeben, dass Thule „zweifelsfrei“ der vor Trondheim befindlichen norwegischen Insel Smøla entspreche. Der einzige Hinweis auf die Lage von Thule ist die Vinland-Karte welche von Bjarni und Leif im Jahre 1434 erstellt wurde, ob dies nur im Zuge der Entdeckung von Amerika Einzug auf die Karte fand, oder schon zuvor bekannt war, ist nicht sicher.

Ultima Thule

Als „Ultima Thule“ wird von Geologen der nördlichste Landpunkt der Erde benannt. Es ist eine kleine Insel, die auf dem Festlandssockel der nördlichen grönländischen Küste liegt. Da dieses Seegebiet aber durchgehend von Eismassen durchzogen wird, tauchen immer wieder neue Inselchen auf, die jeweils mit der Jahreszahl ihrer Entdeckung bezeichnet werden. Stellenweise haben sich diese Entdeckungen oft aber nur als Schlamm- und Steinablagerungen auf dem treibenden Eis erwiesen. Als nördlichster Punkt galt 2008 die Insel Ultima Thule 2008, die von einer amerikanischen Expedition im Beisein eines Filmteams des NDR entdeckt wurde.[4]

Medien

Einzelnachweise

  1. Prokopios von Caesarea: Gotenkrieg. Teil II, S.15.
  2. Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus; Marix Verlag, Wiesbaden 22004, S. 10, 129. Erstausgabe The Occult Roots of Nazism, 1985
  3. Axel Bojanowski: Eine neue Vermessung der alten Welt. In: Süddeutsche Zeitung. München 4. Oktober 2007. ISSN 0174-4917
  4. NDR Team entdeckt Insel im arktischen Eis

Literatur

  • Monique Mund-Dopchie: Ultima Thulé: historie d'un lieu et genèse d'un mythe. Droz, Genève 2008. ISBN 978-2-600-01234-8
  • Barry Cunliffe, Marie-Geneviève l' Her: Pythéas le grec découvre l'Europe du Nord. éd. Autrement, Paris 2003. ISBN 2-7467-0361-0
  • Hugues Journès, Yvon Georgelin, Jean-Marie Gassend: Pythéas, explorateur et astronome. ed. de la Nerthe, Ollioules 2000. ISBN 2-913483-10-0
  • Thibaud Guyon, Jeanine Rey, Philippe Brochard: Pythéas l'explorateur. De Massalia au cercle polaire. éd. École des loisirs, Paris 2001. ISBN 2-211-06251-2
  • Jean Mabire: Thulé, le Soleil retrouvé des hyperboréens. éd. Pardès, Paris 1975, Lafont, Paris 1978, Éd. du Trident, Paris 1986. ISBN 2-86714-287-3
  • Samivel: L'or de l'Islande. éd. Arthaud, Paris 1963.
  • Samivel: Island. Kleinod im Nordmeer. dt. Ausgabe. Rascher, Zürich/Stuttgart 1964.
  • Ferdinand Lallemand: Journal de bord de Pytheas. éditions de Paris, Paris 1956, éditions France-Empire, Paris 1974, J.-M. Garçon, Marseille 1989. ISBN 2-9502847-6-0