Eberhard-Finckh-Kaserne

Bauwerk in Deutschland
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Die Eberhard-Finckh-Kaserne war ein Bundeswehrstandort etwa fünf Kilometer südlich von Großengstingen auf der Hochfläche der mittleren Schwäbischen Alb.

Die Kaserne bestand von 1958 bis 1993. Benannt war sie nach Eberhard Finckh (1899-1944), einem an der Operation Walküre beteiligten deutschen Wehrmachts-Oberst und Widerstandskämpfer aus dem Umfeld des Kreisauer Kreises, der nach dem erfolglosen Attentat Stauffenbergs auf Hitler in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.

Die Bundeswehr-Kaserne und das daran angeschlossene knapp ein Kilometer entfernte, von einer US-amerikanischen Einheit bewachte Atomwaffenlager Golf rückte in den frühen 1980er Jahren aufgrund verschiedener Aktionen der Friedensbewegung gegen die militärische Präsenz vor Ort zeitweilig ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit.

Vorgeschichte

Die militärische Nutzung des Geländes begann schon 1938, als hier während des NS-Regimes von der deutschen Wehrmacht die Munitionsanstalt (Muna) Haid eingerichtet wurde. Während des Zweiten Weltkriegs war an die Muna ein kleines Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager angeschlossen, in das zwischen 200 und 300 Männer und Frauen hauptsächlich aus Frankreich, Russland und Polen deportiert worden waren. Ein Teil von ihnen wurde direkt in der Muna eingesetzt, ein anderer Teil − vor allem die französischen Kriegsgefangenen − zu landwirtschaftlichen Arbeiten in den umliegenden Gehöften herangezogen.[1]. Im Jahr 1945, kurz vor Kriegsende, wurde die Munitionsanstalt von alliierten Luftwaffenverbänden mehrmals bombardiert und schwer beschädigt. Am 23. April 1945, einen Tag vor dem Einmarsch französischer Truppen, wurden die Reste der Muna gesprengt. Nach einer notdürftigen Instandsetzung der Gebäude nach dem Krieg befand sich auf dem Areal zeitweilig eine Lungenheilanstalt, die bereits 1953 wieder geschlossen wurde, um Platz für ein Durchgangslager für Vertriebene zu schaffen.

Im Jahr 1956, sieben Jahre nach Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland, und wenige Monate, nachdem mit der Bundeswehr eine neue westdeutsche Armee gegründet worden war, wurde mit dem Bau der Kasernengebäude begonnen.

1958 bis 1993

Im Februar 1958 rückten die ersten Soldaten der Bundeswehr in die Eberhard-Finckh-Kaserne ein. Es waren zunächst häufig wechselnde Einheiten stationiert. Ab Mai 1963 war Engstingen dann Standort des Raketenartilleriebataillons 250. Seit 1967 befand sich hier außerdem das 84th US-Army Field Artillery Detachment (84th USFAD). Die Aufgabe dieser Einheit bestand in der Bewachung und Wartung der Atomsprengköpfe. Sie sollten im Falle eines Atomkriegs im Rahmen der nuklearen Teilhabe mit deutschen Raketen verschossen werden. Hierfür waren anfangs Sergeant-Kurzstreckenraketen vorgesehen. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden diese dann durch Lance-Kurzstreckenraketen ersetzt. In Engstingen waren sechs solche Systeme stationiert. Als Atomwaffenstandort war die Kaserne vor allem in den frühen 1980er Jahren Ort von Protestkundgebungen der Friedensbewegung. Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurde das Raketenartilleriebataillon 250 am 19. März 1993 aufgelöst und die Eberhard-Finckh-Kaserne geschlossen.

Sondermunitionslager Golf

Die Atomsprengköpfe wurden im etwa ein Kilometer von der Eberhard-Finckh-Kaserne entfernten, ab 1967 eingerichteten Sondermunitionslager "Golf" auf den Gemarkungen der Gemeinden Hohenstein und Trochtelfingen gelagert. Bewacht wurden sie von amerikanischen Soldaten der 84th USFAD und deutschen Soldaten der 5./RakArtBtl 250. Es bestand aus zwei Bunkern für die Sprengköpfe, war mit dreifacher Umzäunung, Panzersperren und drei Wachtürmen befestigt und lag sichtgeschützt in einem Wald. Das Sondermunitionslager Golf befand sich bei 48° 21′ 2″ N, 9° 16′ 53″ O.

Friedensbewegung

Nach dem NATO-Doppelbeschluss Ende des Jahres 1979 trat die Existenz von Atomwaffen in Deutschland wieder stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung. Die Friedensbewegung, die seit dem Abflauen der Proteste gegen die Atomwaffen und die "Wiederbewaffnung" Ende der 1950er Jahre stagnierte und die Bevölkerung kaum mehr erreicht hatte, wuchs nach dem Beschluss innerhalb weniger Monate zu einer Massenbewegung an. Auch Engstingen rückte ins Blickfeld der Atomwaffengegner.

An Ostern 1981 war die Eberhard-Finckh-Kaserne zum ersten Mal Ziel eines Ostermarsches mit etwa 2.000 Teilnehmern. Im Sommer des gleichen Jahres ketteten sich 13 Demonstranten an das Haupttor und blockierten es für 24 Stunden. Auch in den folgenden Jahren machten sich immer wieder Ostermarschierer auf den Weg nach Engstingen. Im Sommer 1982 wurde das Sondermunitionslager Golf vom 1. August bis zum 8. August für eine ganze Woche von bis zu 800 Menschen in einer Art Schichteinsatz verschiedener Bezugsgruppen blockiert. Diese erste große Sitzblockade eines Atomwaffenlagers in der Bundesrepublik gab der Friedensbewegung insgesamt wichtige Impulse im Hinblick auf die Strategie der von kleinen antimilitaristischen Basisgruppen ausgehenden gewaltfreien Aktion. Sie stellte den Auftakt für eine Reihe weiterer, ähnlicher und umfangreicherer, über bloße Protestdemonstrationen hinausgehenden Aktionen des Zivilen Ungehorsams in Westdeutschland dar, so auch bei anderen militärischen Einrichtungen wie beispielsweise Mutlangen als bekanntestem Stationierungsort von Pershing II-Mittelstreckenraketen.

In den folgenden Jahren fanden immer wieder kleinere Demonstrationen im Umfeld der Eberhard Fickh-Kaserne statt.

1989 war Engstingen dann mit etwa 6.000 Teilnehmern zentraler Veranstaltungsort für die Ostermärsche in Baden-Württemberg.

Nach 1993

Nachdem die Eberhard-Finckh-Kaserne im Dezember 1993 geschlossen worden war, kaufte der Zweckverband Gewerbepark Engstingen-Haid das Gelände im November 1995 für neun Millionen Euro. Der Zweckverband wird von den umliegenden Gemeinden Engstingen, Hohenstein und Trochtelfingen getragen. Ab 2001 wurden dann die meisten Gebäude der ehemaligen Kaserne abgerissen. Inzwischen haben sich viele Betriebe angesiedelt. Das ehemalige Sondermunitionslager Golf wird mittlerweile von einer zivilen Firma zur Lagerung von Sprengstoff genutzt.

Literatur

  • Jan R. Friedrichs: Die Muna Haid in Engstingen, Verlag Oertel & Spörer, ISBN 3886272788
  • Joachim Lenk: Soldaten, Sprengköpfe und scharfe Munition, Wiedemann-Verlag Münsingen 2006, ISBN 3-9810687-2-6

Anmerkungen / Einzelnachweise

  1. Ein großes Stillschweigen“ - Artikel über eine Forschungsarbeit zu Erinnerungen der Engstinger Bevölkerung an die Zwangsarbeiter in der Muna Haid (Reutlinger General-Anzeiger, 2. Januar 2010, Seite 22)

Koordinaten: 48° 21′ 43,6″ N, 9° 16′ 22,2″ O