Ein Institut für Marxismus-Leninismus, eine Sektion für M-L oder zumindest eine Abteilung für M-L existierten ab 1951 (bis 1989/90) an allen Universitäten und Hochschulen der DDR. Die ursprüngliche Bezeichnung war Institut für Gesellschaftswissenschaften. Die Aufgabe der Institute bestand in der marxistisch-leninistischen Aus- und Weiterbildung von Studenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern, Doktoranden und Hochschullehrern.
Geschichte der Institute für Marxismus-Leninismus
Die Anfänge
Im Oktober 1946 wurde -mit Rückendeckung der SMAD- erstmals an einer deutschen Universität in Jena ein Institut für Dialektischen Materialismus gegründet.[1] Im Dezember 1946 erging an die Universitäten Leipzig, Jena und Rostock der Befehl Nr.333 der SMAD zur Gründung Gesellschaftswissenschaftlicher Fakultäten (Gewifa) zur Ausbildung qualifizierter Kader auf diesem Gebiet.[2] Die drei Gewifa nahmen 1947/48 zusammen 400 Studenten an, vorwiegend "Arbeiterstudenten". Daraus sollten auch Lehrkräfte für ein zukünftiges gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium für alle Studenten -nach sowjetischem Vorbild- ausgebildet werden.
Institute für Gesellschaftswissenschaften
Im Rahmen der 2.Hochschulreform 1951/52 erschien die Verordnung über die Neuorganisation des Hochschulwesens vom Februar 1951. Mit zentraler Steuerung durch ein Staatssekretariat für Hochschulwesen wurden u.a. eingeführt: Ein gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium als Pflichtfach für Studenten aller Fachrichtungen in der DDR, unter anleitender Aufsicht eines Prorektors für das Gesellschaftliche Grundstudium. Der Unterrichtserfolg in Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Politischer Ökonomie und Dialektischem und Historischem Materialismus sollte kontrolliert werden durch Zwischenprüfungen am Ende jeden Studienjahres und eine Abschlußprüfung nach vier Jahren. Zur Durchführung des Grundstudiums wurden an allen Universitäten und Hochschulen Institute für Gesellschaftswissenschaften eingerichtet. Sie sollten sich gliedern in Abteilungen für Grundlagen des M-L, der Politökonomie und des Diamat. Es waren Planstellen zu schaffen für einen Institutsdirektor, weitere Professoren, Dozenten, Assistenten und Hilfsassistenten. Die Professoren und Dozenten des Gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums sollten Mitglieder des Lehrkörpers der Hochschule sein. Die SED hatte eine Grundorganisation an den Instituten. Praktisch alle Hochschulkader der Institute waren Mitglieder der SED. 1958 wurden auf Anordnung des Staatssekretariats aus den M-L-Dozenten in den verschiedenen Fakultäten "Fakultätsabteilungen" gebildet.
Institute für Marxismus-Leninismus
1960 wurden die Institute für Gesellschaftswissenschaften -unter Beibehaltung ihrer Funktion- in Institute für Marxismus-Leninismus umbenannt.
Sektionen für Marxismus-Leninismus
Die Dritte Hochschulreform der DDR mit dem Ziel des Umbaus zu sozialistischen Hochschulen erfolgte auf der Basis der Beschlüsse des 6.Parteitags der SED 1963. Sie wurde 1965 eingeleitet und 1968 begonnen. An den Universitäten und großen Hochschulen wurden die Institutsstrukturen durch Sektionen ersetzt (an kleineren Hochschulen blieben die Institute bestehen), so entstanden auch Sektionen für Marxismus-Leninismus mit einem Sektionsdirektor an der Spitze. Die Sektionen wurden im Allgemeinen dreigeteilt in Philosophische, Ökonomische und Historisch-Politikwissenschaftliche Disziplinen. Die Ordnung der Sektion M-L der Universität Jena forderte 1968: Das Grundlagenstudium als "Zentrum der Klassenerziehung" müsse den M-L in allen Bestandteilen "systematisch, parteilich, praxisverbunden und lebendig bei konsequenter Auseinandersetzung mit der modernen imperialistischen Ideologie" vermitteln.[3]
Aufgaben der Institute für Marxismus-Leninismus
Im Herbst 1951 erfolgte die Einführung eines obligatorischen gesellschaftswissenschaftlichen Grundstudiums über 3-4 Studienjahre für ausnahmslos alle Studenten an Universitäten und Hochschulen der DDR. Träger dieser Aufgabe waren die Gesellschaftswissenschaftlichen Institute/Abteilungen, später die Institute/Sektionen für M-L. Die Lehrveranstaltungen fanden in Form von präsenzkontrollierten Seminaren, Kolloquien, Konsultationen und Vorlesungen statt. Dazu kam die Pflichtlektüre von ML-Literatur. Der Lehrerfolg wurde durch Zwischen- und Hauptprüfungen kontrolliert. Definitiv nicht bestandene Prüfungen bedeuteten ebenso das Ende des Studiums, so wie bei Fachprüfungen. Inhaltlich sah das das zentrale Lehrprogramm 1968 vor: im 1.Studienjahr 60 h Geschichte der Arbeiterbewegung, im 2.St.J. 75 h Dialektischer und Historischer Materialismus, im 3.St.J. 90 h Politische Ökonomie und im 4.St.J. 45 h Wissenschaftlicher Sozialismus.[4] Die Einzelheiten wurden im Laufe der Jahre modifiziert. 1971 wurde ein Minimum von 300 h angesetzt, das galt bis 1989. Regelmäßig sollten auch die aktuellen Beschlüsse der SED dargestellt werden.
Ab 1958 mußten auf dem Weg zur Promotion (A) in den verschiedenen Fachrichtungen auch M-L-Kurse durchlaufen werden. Der Umfang sollte bei drei Stunden wöchentlich liegen, nach jedem Jahr hatte eine Leistungskontrolle zu erfolgen und am Ende mußte ein gesellschaftswissenschaftliches Examen als Teil des Promotionsverfahrens absolviert werden.[5] Darüberhinaus wurden von Mitarbeitern der IML die Dissertationsarbeiten durchgesehen und z.B. auf die obligate Auswertung sowjetischer bzw. russischsprachiger Literatur überprüft. Mitarbeiter der IML waren auch bei den Verteidigungen der Dissertationsarbeiten anwesend und stellten ihre Fragen.
Ab 1969 begann jedes Studienjahr mit einer Einführungswoche (sl: "Rote Woche"), bei der die IML die Verantwortung hatten: mit Kurzlehrgängen, Seminaren, organisiertem Selbstudium, Darstellung aktueller Beschlüsse der SED-Führung und Interpretation der Weltlage. Auch Übungen zur Zivilverteidigung wurden einbezogen.
Von der Universität Jena 1967 angeregt, fanden für die Professoren und Hochschuldozenten aller Fachdisziplinen Marxistisch-Leninistische Abendschulen (MLA) statt. Sie stellten das "Partei-Lehrjahr für Parteilose" und Angehörige der anderen Blockparteien dar. Die MLA fanden entweder monatlich oder zusammengefaßt als Klausur-Wochen mit ganztägigen Veranstaltungen statt. Dabei wurden von den führenden IML-Mitarbeitern auch Informationen mitgeteilt, die nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt waren. Die sich daraus ergebenden, teils angeregten Diskussionen erlaubten, sich ein ideologisches Bild von den Teilnehmern zu machen und entsprechende Beurteilungen zu verfassen. Diese kamen auch den Kaderabteilungen zur Kenntnis.
Laut einer Direktive des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen von 1970 sollte die M-L-Ausbildung nicht nur Aufgabe der entsprechenden Institute sein, sondern auch durch die geschulten Fachwissenschaftler als integraler Bestandteil ihrer Lehrveranstaltungen praktiziert werden.[6]
Die nicht zu den Hochschullehrern gehörenden wissenschaftlichen Mitarbeiter (der "Mittelbau") hatten ebenfalls -meist monatlich- marxistisch-leninistische Schulungen in Seminarform.
Mitarbeiter, bei denen man es für notwendig hielt, erhielten vor wissenschaftlichen Graduierungen (z.B. nach Antrag auf Facultas docendi) Auflagen zum Selbststudium von Literatur der "Klassiker" (Marx, Engels, Lenin), auch der Geschichte der Arbeiterbewegung und der KPdSU. Danach erfolgte eine Konsultation über die Inhalte und Schlußfolgerungen, die daraus zu ziehen waren.
Die M-L-Institute/Sektionen waren auch weltanschauliche Leiteinrichtungen für außeruniversitäre Lehrtätigkeiten im dazugehörenden Territorium: Schulungen und Weiterbildungsveranstaltungen in Betrieben und anderen Einrichtungen, Referententätigkeit im Parteilehrjahr der SED.
Die IML/Sektionen der Universitäten hatten auch den Aufbau entsprechender Einrichtungen in anderen Hochschulen zu initiieren und zu unterstützen: so die Universität Jena die 1954 gegründete Medizinische Akademie Erfurt, die Hochschulen für Musik und für Architektur und Bauwesen in Weimar, sowie die Hochschule für Elektrotechnik Ilmenau.[7]
Die IML hatten enge Verbindungen zu den Studien- und Kader-Abteilungen der Universitäten und Hochschulen.
Mitarbeiter der IML hatten neben der im Vordergrund stehenden Lehrtätigkeit auch Forschungsaufgaben wahrzunehmen und zu publizieren.
Die Mitarbeiter der IML
Die Hochschulkader unter den Mitarbeitern waren Diplom-Gesellschaftswissenschaftler oder hatten z.B. ein Studium der Philosophie oder Geschichte absolviert. Ihre Ausbildung hatten sie an entsprechenden Instituten der Universitäten, aber -besonders die Leitungskader- häufig auch an parteigebundenen akademischen Einrichtungen erhalten. Dazu gehörten die Parteihochschule "Karl Marx" in Berlin, das IML beim ZK der SED, die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und das "Franz-Mehring-Institut" der Karl-Marx-Universität Leipzig.[8] Nach DDR-weit schwierigen Anfängen in den ersten 15 Jahren gab es 1989 z.B. an der Universität Jena 113 akademische Mitarbeiter der Sektion M-L, davon 26 Habilitierte
Die Auflösung der Institute für Marxismus-Leninismus
Die Sektionen/Institute für ML an den Universitäten und Hochschulen der DDR erfüllten ihre Aufgaben bis zur Friedlichen Revolution 1989/90. Noch im September 1989 fanden an allen Hochschulen die "Einführungswochen" ("Rote Wochen") statt. Im Spätherbst/Winter 1989 wurde das 4-jährige ML-Grundstudium für die Studenten eingestellt. Im Bemühen um ein neues Profil kam es zu selbständigen Umbenennungen der IML oder Teilen von ihnen: Sektion/Institut für Sozialwissenschaften, Soziologie, Politikwissenschaften, Zivilisationsforschung, Friedens- und Konfliktforschung. Am 23.Mai 1990 ging ein Telegramm der neuen DDR-Regierung an alle über 50 Universitäten und Hochschulen der DDR, das diese über den Beschluß zur Abberufung aller Hochschullehrer für ML informierte[9]Schon vorher hatten die neu gewählten Gremien der meisten Hochschulen Aktivitäten in dieser Richtung unternommen. Ende 1990 ergingen die offiziellen Bescheide der Regierungen der neuen Bundesländer an ihre Hochschulen, daß die ML-Institute nicht in die neue Hochschulstruktur übernommem würden.[10] Den Abwicklungsbescheiden für die sich auflösenden Institute folgten die Abberufungsurkunden für die noch vorhandenen ML-Hochschullehrer. Das war das Ende des an den Hochschulen institutionalisierten Marxismus-Leninismus in der DDR.
In den Hochschulen der Sowjetunion und aller anderen osteuropäischen Länder hat es bis zu den politischen Umbrüchen 1989 bis 1991 Marxistisch-Leninistische Institute an deren Hochschulen gegeben. Ihren Ursprung hatten sie 1921 in Sowjetrußland gehabt, wo der Rat der Volkskommissare unter Lenin die obligatorische Vermittlung entsprechenden politischen Wissens an den Hochschulen der RSFSR dekretierte.[11] Der Begriff Marxismus-Leninismus wurde 1938 von Stalin und dem ZK der KPdSU als obligatorisch festgelegt, ebenso dessen Vermittlung an den sowjetischen Hochschulen. [12]
Literatur
- Autorenkollektiv: (Hg.) Das Hochschulwesen der DDR. Ein Überblick. Berlin 1979
- Autorenkollektiv: (Hg.) Überblick zur Geschichte des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR. Leipzig 1981
- Glemnitz, Hans-Joachim: Die Geschichte des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums und der Sektion Marxismus-Leninismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1. Fassung (Ms.), Jena 1980
- Handel, Gottfried und Roland Köhler (Hg.): Zur neuen Qualität der marxistisch-leninistischen Weiterbildung der Hochschullehrer als Bestandteil der Hochschulreform. In: Sozialismus und Universität. Walter Ulbricht zum 75. Geburtstag gewidmet. Hg. vom Rektor und der UPL der FSU Jena. Jena 1968, S. 177-219
- Institut für Hochschulbildung (Hg.): Zur Vorgeschichte des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums an den Universitäten und Hochschulen der DDR (1945/46-1951). Berlin 1979
- Michael Ploenus: ...so wichtig wie das tägliche Brot. Das Jenaer Institut für Marxismus-Leninismus 1945-1990. Schriften der Stiftung Ettersberg. Böhlau-Verlag Köln, Weimar, Wien 2007. ISBN 978-3-412-20010-7
- Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Hg.): Lehrprogramm Grundlagen des Marxismus-Leninismus an den Universitäten und Hochschulen der DDR. Berlin 1977 und 1986
Einzelnachweise
- ↑ Ulrike Seidel, Gerhard Müller, Mario Keßler: Die Entwicklung des Instituts für Dialektischen Materialismus der FSU Jena. In: Neubeginn. Die Hilfe der Sowjetunion bei der Eröffnung der FSU Jena. Hg.: Rektor der Universität Jena. Jena 1977. S.69
- ↑ Gottfried Handel, Roland Köhler (Hg.): Dokumente der SMAD zum Hoch- und Fachschulwesen. Berlin 1975. S.56
- ↑ Ordnung der Sektion M-L vom 1.9.1968: Universitätsarchiv Jena, VA, Nr. 2170
- ↑ Glemnitz, H.J.: Die Geschichte des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums und der Sektion ML an der FSU. Jena 1980. S.79
- ↑ Anweisung Nr. 112 des Staatssekretariats für Hoch- und Fachschulwesen über das Studium des Marxismus-Leninismus durch die Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses, vom 6.Juni 1958. In: Das Hochschulwesen" 7-8/1958. Beilage S.57 f
- ↑ Autorenkollektiv: Überblick zur Geschichte des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR. Leipzig 1981. S.126
- ↑ Anweisung Nr. 57 des Staatssekretariats für Hochschulwesen vom 1. Oktober 1954 in "Das Hochschulwesen" 11/1954, Beilage S.11 f
- ↑ M.Ploenus: ...so wichtig wie das tägliche Brot. Böhlau-Verlag Köln, Weimar, Wien 2007. S.49 f
- ↑ Herbert Gottwald, Michael Ploenus: Aufbruch - Umbruch - Neubeginn. Dokument Nr. 157. S.243 f
- ↑ Positivliste des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 17.Dezember 1990. Universitätsarchiv Jena, VA, Nr.67
- ↑ W.I.Lenin: Über Wissenschaft und Hochschulwesen. Berlin 1969, S.365 f
- ↑ J.W.Stalin: Über dialektischen und historischen Materialismus. In: Geschichte der KPdSU (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang. 5.Auflage, Berlin 1950