Gothic (Kultur)
Die Gothic-Szene ist eine Subkultur, die aus dem Umfeld des Punk- und New Wave hervorging. Sie ist Hauptbestandteil der sogenannten Schwarzen Szene und untrennbar mit der Gothic-Musik verbunden.
Die Anhänger der Gothic-Kultur werden meist als Goths, Gothics oder auch Grufties bezeichnet. Hin und wieder wird der ursprünglich negativ konnotierte Begriff Gruftie heute als Selbstbezeichnung verwendet, konträr dazu wurde er jedoch größtenteils aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verdrängt.
Werte
Die Gothic-Szene gilt als sehr ästhetische, introvertierte und ausgesprochen friedliche Kultur mit meist sensiblen, wenn auch mitunter etwas wirklichkeitsfremden Protagonisten, die wohl vornehmlich in der Mittelschicht verankert sind.
Die Durchschnittsbevölkerung wird negativ wahrgenommen, etwa als konservativ, konsumorientiert, intolerant, egoistisch und vom Gesetz der sozialen Bewährtheit geleitet. Aus der Ablehnung dieser Werte resultiert eine demonstrative Distanzierung. Aus dem Versuch der Bewältigung der Zwänge, der emotionalen Kälte und der Vereinheitlichung des Individuums in der Leistungsgesellschaft erwachsen wiederum die zelebrierte Melancholie und die Ideale des Individualismus und der Toleranz. Die in Kontrast zum gesellschaftlichen „Jugendwahn“ stehende Akzeptanz des Todes als natürlichen Bestandteil des Lebens wird häufig nach außen getragen und ist u. a. ursächlich für die scheinbare „Todessehnsucht“ der Szene-Anhänger.
Der Drang zum Individualismus innerhalb der Gothic-Szene erschwert eine eindeutige Definition dieser, sowie die Zuordnung deren Mitglieder. Religiöse und politische Fragen werden unter Gothics durchaus thematisiert, allerdings nicht einheitlich beantwortet.
Religion
Die Zugehörigkeit zur Gothic-Kultur ist weitgehend unabhängig von Glauben oder Religionszugehörigkeit. Teile der Szene lehnen die Institution Kirche, z. B. aufgrund ihrer Kritik an deren Verfehlungen im Laufe der Geschichte, völlig ab.
Es lässt sich ein überdurchschnittliches Interesse an okkulten oder neuheidnischen Inhalten feststellen. Damit einher geht eine Tendenz zum Synkretismus (auch "Patchworkreligion").
Obwohl sich etliche Anhänger der Gothic-Bewegung ganz klar vom Satanismus distanzieren und ein völlig anderes Lebensgefühl auszudrücken versuchen, werden sie auf Grund ihrer äußeren Erscheinung oft mit diesem in Verbindung gebracht und von Außenstehenden belächelt oder gar als potentiell gefährlich eingestuft. Häufig wird mit scheinbar okkulten Symbolen, z. B. dem vorchristlichen Pentagramm oder dem Petruskreuz, zum Zwecke der Provokation gespielt. Die gesellschaftlichen Vorurteile treffen allerdings die an sich stark heterogene Szene in ihrer Gesamtheit. Sie mögen gerade bei jüngeren Personen, die in diese Subkultur hineinwachsen, den Glauben verstärken, eine Ablehnung des christlichen Glaubens oder gar eine Hinwendung zum Satanismus sei essentielle Voraussetzung, um als Szeneangehöriger anerkannt zu werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Szene honoriert eher Individualismus, als Zugehörigkeit zu einer bestimmten, dogmatisch geprägten Glaubensgemeinschaft. Insofern gehört die Gothic-Kultur zu den aufgeschlossenen und toleranten Subkulturen unserer Gesellschaft.
Ein geringer Teil ist als offensichtlich christlich wahrnehmbar, Beispiele hierfür liefert das jährlich am Vorabend des Wave-Gotik-Treffen stattfindende „spirituelle Warm-up“, die „Innenseiten“, ein christliches Internetportal für schwarze Kunst, sowie die Yahoo-Group „Dunkelchristen“.
Philosophie
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Politik
Eine eindeutige politische Ausrichtung der Gothic-Szene ist nicht feststellbar. Allerdings sind konservative oder rechtslastige Ideologien eher selten anzutreffen. Auf Grund ihrer Wurzeln im Punk interessieren sich einige Gothics für linksalternative Politikansätze, andere wiederum vertreten gänzlich unpolitische Ansichten. Dies machte sich u.a. in den frühen 90er Jahren bemerkbar. Zeitschriften wie das Bonner Szene-Magazin „Gothic Press“ wiesen 1992 auf die Gefahr von Rechts hin und sprachen sich klar gegen rechte Gewalt aus. Gleichzeitig distanzierte sich ein Großteil der Szene von jeglichen politischen Ideologien und sah Aktionen gegen Rechtsradikalismus und Rassenhass als selbstverständlich an. Man könnte die Gothickultur insofern als politisch bezeichnen, dass sie sehr stark auf Grundsätze des Humanismus baut.
Geschichtliche Entwicklung
Eine erste große Goth-Modewelle gab es schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahunderts in England in der die sogenannten Gothic Novels immer beliebter wurden in deren Rahmen die Protagonisten bei schauriger Atmosphäre auf Friedhöfen, in Spukschlössern, Ruinen und anderen Orten handelten. Der große Erfolg dieser Gothic Novels und die gleichzeitig aufkommende Romantik-Bewegung im 18. und 19. Jahundert war einerseits als Gegenreaktion auf das Zeitalter der Vernunft und Aufklärung zu sehen die immer mehr Bereiche des Lebens entmystifizierte und andererseits sicherlich auch ein Versuch die traumatischen Ereignisse wie die Revolutionen in Frankreich und Amerika sowie die vielen Kriege dieser Zeit zu verarbeiten. So überrascht es nicht, dass die heutige Gothic-Bewegung in einer Zeit entstanden ist, in der wieder zunehmend die sterile Wissenschaft und die Globalisierung das Leben der Menschen bestimmen. Insofern war Gothic schon immer eine Art kontrollierte Weltflucht.
Die Gothic-Szene wie wir sie heute kennen entstand Anfang der 80er aus den Trümmern der Punk- und New Romantic-Bewegung in Großbritannien. Gothic, anfangs nur für die düstere Spielweise des Punk verwendet, wurde ab 1982/1983 auf die Anhänger dieser Kultur übertragen.
In der Subkultur trat in der Folge eine Vermischung mit den Anhängern der New Wave Musik auf. Die dort gebildete Wave-Subkultur veränderte sich. Gothic wurde ein Stil innerhalb der sich nun bildenden schwarzen Szene. Zugleich vermischten einiges Bands Gothic Rock mit New Wave (Gothic Wave). Auch war Gothic Rock eine beliebte Musikrichtung bei vielen Wavern. Dark Wave und Gothic wurden bis in die frühen 90er beinahe synonyme Begriffe, weil sich einerseits der Begriff Wave vom New Wave ablöste, andererseits auch der Begriff Gothic wieder ursprünglicher verstanden wurde und man sich wieder auf das Mittelalter oder die Romantik mit ihren Folgeströmungen verstand.
-- (Riesenlücke) --
Mit nachkommenden Generationen erfolgte ab Mitte der 1990er eine Ära, die durch eine zunehmende Abkehr von den ursprünglichen Wurzeln und eine Öffnung hin zu anderen Szenen (vor allem Metal, Electro, Mittelalter) gekennzeichnet ist. Fremde Musikstile wurden dabei einverleibt und fusionierten mit Einflüssen der bestehenden Gothic-Musik zu neuen Subgenres. Beispielsweise entstanden so Gothic Metal oder Electro-Goth.
Seit Ende der 1990er ist eine zunehmende Kommerzialisierung der Szene zu beobachten. Ein Phänomen, das nicht zuletzt auf die relative Langlebigkeit und hohe Kontinuität der Szene zurückzuführen sein dürfte. Viele Gothics behalten ihren Lebensstil oder die damit verbundenen Vorlieben bis weit ins Erwachsenenalter bei. Im Unterschied zu klassischen Jugendkulturen entsteht so ein altersübergreifender Dialog. Dieser wiederum führt - bedingt durch die vielfältigeren Kontakte berufstätiger Gothics - dazu, dass sich Gothic im allgemein Bewusstsein zunehmend von der Subkultur zu einem Breitenphänomen wandelt und damit auch als Konsumentenzielgruppe zunehmend erfassbar und kommerziell interessant wird.
Erscheinungsbilder
In der Gothic-Kultur zeichnen sich keine einheitlichen Merkmale bezüglich Kleidung und Aussehen ab. Goths, welche ihre Lebenseinstellung auch durch ihr äußeres Erscheinungsbild ausdrücken, bevorzugen im Allgemeinen die Farbe Schwarz. In Anlehnung an die Wurzeln des Punk werden Strumpfhosen oder Netzhemden absichtlich mit Rissen oder Löchern versehen. Ebenso erinnern manche Frisuren an die Punk-Kultur. Jedoch legen Gothics sehr großen Wert auf ein sauberes, gepflegtes und stilvolles Äußeres.
Markante Merkmale können sein:
- Blasse Gesichtsfarbe (oder Schminke), häufig hervorgehoben durch dunkle Schminke an Augen und Mund sowie schwarz gefärbte Haare
- ungewöhnliche Frisuren: Irokese (seitlich ausrasierte Haare) und Undercut (zusätzlich Hinterkopf), oder toupiert, meist schwarz oder mit auffälligen Farben gefärbt. Bei Frauen teilweise eine Seite des Schädels kahl rasiert oder zu "Barock"-Frisuren frisiert.
- Piercings und Tätowierungen
- Nieten und Sicherheitsnadeln
- religiöse, okkulte oder esoterische Symbole als Schmuck, meist aus Silber
- androgyn gekleidete Männer
- Lederhosen und Netzhemden, teils zerissene Kleidung (ursprünglicher Gothic Punk- bzw. Death Rock-Look)
- Lange Kleider und Röcke (oft aus Samt) sowie Rüschenhemden, Bundfaltenhosen und Pikes (hierbei handelt es sich um ein Relikt der New Romantic-Szene)
- Korsetts und Corsagen bei Frauen
- Herrenröcke
- Lederhosen und -mäntel bei Männern (End-80er Gothic Rock-Stil)
- Lack- und Latexkleidung (seit Mitte der 90er Jahre durch Einflüsse aus der Fetisch- und SM-Szene)
- Boots bzw. Schnürstiefel
Weblinks
- Diplomarbeit: Ideologie einer Jugendkultur am Beispiel der Gothic- und Darkwave-Szene
- Infos zur Gothic Subkultur für Außenstehende
- Gothic - Grufties (Weltanschauungsfragen im Bistum Dresden-Meißen)
Siehe auch: Gothic Lolita, Mittelalter-Szene
Verwandte Szenen & Begriffe: Punk, Vampirismus
Literatur
- Klaus Farin & Kirsten Wallraff: Die Gothics. Archiv der Jugendkulturen, 2001 ISBN 3-933773-09-1
- Peter Matzke & Tobias Seeliger: "Gothic!", 2000 ISBN 3-896023-32-2
- Peter Matzke & Tobias Seeliger: "Gothic II", 2002 ISBN 3-89602-396-9
- Peter Matzke & Tobias Seeliger: "DAS GOTHIC UND DARK WAVE LEXIKON", 2003 ISBN 3-89602-522-8
- Roman Rutkowski: "Das Charisma des Grabes - Stereotyp und Vorurteile in Bezug auf jugendliche Subkulturen am Beispiel der Schwarzen Szene", 2004 ISBN 3-8334-1351-4
Es fehlen Informationen zur Philosophie, Geschichte sowie zu kleineren Splittergruppen innerhalb der Gothic-Szene, u.a. zur Batcave/Death Rock-Kultur.