Schweizer Minarettstreit

eidgenössische Volksinitiative
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Als Schweizer Minarettstreit wird eine gesamtgesellschaftliche Kontroverse um den Bau von Minaretten bezeichnet, der vor allem seit 2006 in den Schweizer Gemeinden Wangen bei Olten (Kanton Solothurn), Langenthal (Kanton Bern) und Wil (Kanton St. Gallen) geführt wird.

Die eidgenössische Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» wurde am 29. November 2009 in einer Volksabstimmung angenommen.

Einführung

 
Winterthur: Eines der bestehenden Minarette in der Schweiz

Die Baugesuche für Minarette in Wangen, Langenthal und Wil SG im Jahre 2007 lösten in Teilen der lokalen Bevölkerung Protest und politische Debatten darüber aus, wie Bauanträge von islamischen Gemeinden gehandhabt werden sollen. Der Bau oder Umbau eines islamischen Gebetsraumes führte bis dahin nie zu Kontroversen.

Von den rund 310'000[1] Muslimen in der Schweiz werden ungefähr 160 Räumlichkeiten als Moscheen genutzt; dabei handelt es sich meist um sogenannte Hinterhofmoscheen. Zurzeit existieren drei Moscheen und ein Gemeinschaftszentrum mit angrenzendem Minarett in der Schweiz: die Mahmud-Moschee in Zürich (1963), die Genfer Moschee (1978), die Moschee der Islamisch-Albanischen Gemeinschaft in Winterthur (2005)[2] und das Zentrum des türkischen Kulturvereins in Wangen (2009).[3]

Die öffentliche Ablehnung von Minaretten ist in der Schweiz ein relativ neues Phänomen. Als Anfang der 1960er-Jahre die Mahmud-Moschee der Ahmadiyya gebaut wurde, gab es kaum Kritik.[4]

Kontroversen um den Bau von Moscheen mit Minaretten gibt es heute in anderen Ländern Europas, wo über islamische Symbole im öffentlichen Raum debattiert wird.[5]

Chronologie

Der Minarettstreit begann Anfang 2006 mit dem Widerstand gegen Baugesuche von Minaretten auf bestehenden muslimischen Gebetsräumlichkeiten in drei Schweizer Gemeinden (Wangen bei Olten, Langenthal und Wil SG), und mit dem Plan für den Bau des Islamischen Zentrums in Bern, das zum grössten Zentrum für die Muslime in Europa werden soll.[6] Der «Streit» spitzte sich zu bis hin zur Lancierung einer Initiative «gegen den Bau von Minaretten» durch konservative politische Kreise. Die Baugesuche sind teilweise bis heute hängig. Viele Politiker aller Parteien haben sich seither über den Minarettstreit geäussert.

Baugesuche für Minarettbauten

Wangen bei Olten

 
Moschee des Türkischen Kulturvereins Olten mit Minarett

Der Fall in Wangen bei Olten (Kanton Solothurn) erregte als erster Aufmerksamkeit. Nach Bekanntgabe des Minarettbauvorhabens durch den türkischen Kulturverein («Olten Türk Kültür Ocağı») in Wangen wurde von konservativen Lokalpolitikern eine Unterschriftensammlung gegen den Minarettbau lanciert.[7] Für zusätzliche Kontroversen sorgte dort, dass der türkische Kulturverein in Wangen, der das Minarett-Baugesuch für seine Moschee eingereicht hatte, über dem Gebäude neben den Flaggen der Schweiz und der Türkei die Flagge mit dem Symbol eines grauen Wolfes hisste; dies weckte die Befürchtung, der Kulturverein habe Verbindungen mit der rechtsextremen Gruppierung Graue Wölfe.[8] Das Gesuch wurde schliesslich aus baurechtlichen Gründen abgelehnt, worauf der Türkisch-kulturelle Verein Olten Rekurs gegen den Entscheid einlegte.[9] Der Rekurs des türkischen Vereins wurde vom kantonalen Bau- und Justizdepartement am 13. Juli 2006 gutgeheissen.[10] Das Bau- und Justizdepartement stellte fest, dass dem Verein die Baubewilligung zur Errichtung eines sechs Meter hohen symbolischen Minaretts auf dem Dach seines Vereinslokals in der Gewerbezone der Gemeinde zu erteilen sei.[11] Die Einwohnergemeinde Wangen und zwei Einwohner Wangens erhoben Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht; dieses wies am 23. November 2006 die Beschwerde ab.[12] Daraufhin haben Wangener Anwohner Beschwerde beim Schweizer Bundesgericht eingereicht,[13] die am 4. Juli 2007 abgewiesen wurde.[14][15]

Anfang September 2007 bestätigten Vorstandsmitglieder des türkischkulturellen Vereins gegenüber der Fernsehsendung Schweiz aktuell, dass das Minarett gebaut werde.[16] Im Januar 2009 wurde es auf das Dach montiert.

Langenthal

In Langenthal (Kanton Bern) wollte die islamische Gemeinschaft Xhamia e Langenthalit (IGGL) ihre Moschee erweitern. Sie reichte deshalb ein Baugesuch für die Vergrösserung des bestehenden Vereins- und Gebetsraumes, d. h. für den Bau eines nicht begehbaren und nicht beschallbaren Minaretts sowie der Bau einer Dachkuppe, ein. Wie in Wangen reichte die Lokalbevölkerung eine Petition mit 3'500 Unterschriften gegen den Minarettbau ein.[17] Gegen das Baugesuch sind bis Ablauf der Einsprachefrist Ende Juli 2006 jedoch nur 76 Einsprachen beim Stadtbauamt eingegangen.[18] Die Stadt bewilligte den Bau im Dezember 2006, nachdem sich die muslimische Glaubensgemeinschaft vertraglich verpflichtet hatte, auf Gebetsrufe vom geplanten Minarett zu verzichten.

20 Einsprecher gelangten mit ihrer Beschwerde an den Kanton Bern.[19] Im April 2007 hat die Energiedirektion des Kantons Bern die Beschwerden gegen den Umbau des Islamischen Kultuszentrums in Langenthal gutgeheissen und die Baubewilligung der Stadt wieder aufgehoben. Der Kanton gab folgende Gründe bekannt: Fehlen eines Betriebs- und Nutzungskonzeptes (um zu beurteilen, ob das Bauvorhaben, zu dem ein Minarett gehört, in der Wohnzone zonenkonform sei); Fehlen jeder Abklärung, ob für das Führen des Vereinslokals eine gastgewerbliche Bewilligung nötig sei; Unklarheit, ob bei grossen Veranstaltungen genügend Parkplätze zur Verfügung stünden. Die Akten gingen zurück an die Stadt Langenthal, welche den Sachverhalt noch einmal abklären und danach erneut über die Baubewilligung entscheiden muss. Dieser Entscheid wäre wiederum beschwerdefähig.[20]

Zu bemerken ist, dass quasi zur gleichen Zeit, als in Langenthal der Minarettstreit begann, im gleichen Ort der baulich auffälligere Sikh-Tempel Gurdwara Sahib fertiggestellt wurde.

Wil SG

In Wil (Kanton St. Gallen) möchte die lokale islamisch-albanische Gemeinde seit Mitte 2006 ein Minarett errichten. Konkret soll ein Quader mit einem Halbmond entstehen; der Imam der Religionsgemeinde, Bekim Alimi, wurde mit seinen Plänen schon in Bern vorstellig. Als Standort für die Moschee steht ein Gebiet neben der Autobahn A1 bei Wil zur Diskussion. Dagegen wurde von der SVP im September 2006 in einer Motion gefordert, dass im Baugesetz das Verbot von Minaretten aufgenommen werden soll.[21] Anfangs November 2006 lehnte die St. Galler Regierung die Motion ab mit dem Argument, diese verstosse gegen die Glaubensfreiheit und das Rechtsgleichheitsgebot. Zudem begründete sie, es gebe keine sachlichen Gründe, religiöse Bauten bei der Bewilligung anders zu behandeln als die übrigen Kategorien von Gebäuden. Die Regierung beantragte dem Kantonsrat Nichteintreten auf die Motion.[22]

Der Thurgauer Arzt und Präsident der Dachorganisation islamischer Gemeinden der Ostschweiz und des Fürstentums Liechtenstein (Digo), Hizham Maizar, sagte, Bekim Alimi habe mit seinem sozialen und kulturellen Engagement in Wil den Tatbeweis erbracht, dass er nicht ausserhalb in einer islamischen Parallelstruktur, sondern mit der hiesigen Gesellschaft leben wolle.[23]

Bern-Wankdorf

Auf eine erste, unverbindliche Anfrage für ein 60 bis 80 Millionen Franken teures Islamzentrum mit Geschäften, einem Viersternehotel, Museum und Moschee in der Stadt Bern ist der Berner Gemeinderat am 1. Juni 2007 nicht weiter eingetreten. Die Umma, der Dachverband bernischer Muslime, plante auf dem ehemaligen Schlachthofareal in Bern-Wankdorf einen Gebäudekomplex mit einer Bruttogeschossfläche von 23'000 Quadratmetern bei einer Grundfläche von 8'400 Quadratmetern. Die klaren Vorgaben an den Nutzungsmix auf dem Wankdorf-Areal würden nach Ansicht des Gemeinderates keinen Raum für das Vorhaben lassen und anderswo in der Stadt Bern bestehe keine Möglichkeit für einen Bau dieser Art.[24]

Der Berner Gemeinderat unterstützte den interreligiösen Dialog, beispielsweise mit dem geplanten Bau eines Hauses der Religionen. Dafür hatte die Stadt im April 2007 die Baubewilligung erteilt.[25] Der Initiant des Kulturzentrums, der aus einer iranischen Adelsfamilie stammende Schweizer Soziologe Farhad Afshar, hat laut Israel-Network schon bei früheren Projekten betont, die Muslime könnten nur mitmachen, wenn bei den Projekten eine repräsentative Moschee mit Minarett entsteht.[26]

Initiativen gegen Minarette

Als die erwähnten Baugesuche eingereicht wurden, hatte die Kontroverse längst die nationale Politik und Medien erreicht. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) teilte schon früh ihre Ablehnung gegenüber Minaretten in der Schweiz mit.

Parlamentarische Initiative gegen Minarette im Kanton Zürich

Im Zürcher Kantonsrat wurde im September 2006 eine Parlamentarische Initiative der SVP debattiert, die ein Bauverbot für Minarette im Kanton Zürich zum Ziel hatte (Wortlaut dieses vorgeschlagenen «§ 294 Planungs-und Baugesetz ZH»: «Baubewilligungen für Gebäude mit Minaretten werden auf dem Gebiet des Kantons Zürich nicht erteilt»).[27] Die Initiative wurde von den Schweizer Demokraten (SD) und der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) unterstützt; die Parteien planten die Minarettverbots-Initiative schon im April 2006. Die Initiative wurde im Kantonsparlament knapp mit 62 Stimmen vorläufig unterstützt (nötig dazu waren 60 Stimmen).[28] Bei der definitiven Beratung der Initiative Ende Juni 2008 entfielen jedoch nur noch 50 Stimmen auf die Initiative, 112 Ratsmitglieder sprachen sich dagegen aus. Damit ist ein Minarettverbot auf kantonaler Ebene vorläufig vom Tisch.

Eidgenössische Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten»

Am 1. Mai 2007 wurde eine eidgenössische Volksinitiative mit dem Titel «Gegen den Bau von Minaretten» (kurz: Minarett-Initiative), welche den Bau von Minaretten in der Schweiz untersagen will, offiziell gestartet. Lanciert wurde sie von Politikern der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU). Am 8. Juli 2008 reichten Vertreterinnen und Vertreter des Initiativ-Komitees 113'540 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein.[29] Diese stellte am 29. Juli 2008 das formelle Zustandekommen der Initiative fest.[30] Die Vorlage kam am 29. November 2009 zur Abstimmung und wurde – entgegen auf Umfragen beruhenden Voraussagen – von 57,5 % der Abstimmenden und 19,5 Ständen angenommen.[31] 53,4 % der stimmberechtigten Schweizer nahmen an der Abstimmung teil.[32] Die Initiative verlangte, folgenden Wortlaut in die Bundesverfassung aufzunehmen: «Der Bau von Minaretten ist verboten». Die Bestimmung soll als Ziffer 3 zu Artikel 72 Bundesverfassung, der das Verhältnis zwischen Kirche und Staat regelt, hinzugefügt werden.

Ursprünglich hatte das Initiativkomitee andere Aspekte in die Initiative einbeziehen wollen; so wurde im November 2006 mitgeteilt, «das Begehren solle sicherstellen, dass Zwangsehen, Anpassungen persönlicher Rachejustiz, Nicht-Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols sowie geschlechtsungleiche Auslegung der Schulpflicht von allem Anfang an unterbunden würden».[33]

Das Initiativkomitee stand unter der Führung der Nationalräte Ulrich Schlüer (SVP), Walter Wobmann (SVP) und Christian Waber (EDU) und umfasst 16 Personen. 14 Mitglieder des Initiativkomitees gehörten der SVP an (unter ihnen Oskar Freysinger, Thomas Fuchs, Jasmin Hutter und Lukas Reimann), 2 Mitglieder der EDU.[34]

Argumente für die Minarett-Initiative

Die Initianten der Minarett-Initiative vertraten die Meinung, ein Minarett gehöre nicht notwendigerweise zu einer Moschee.[35] Der Berner SVP-Grossrat Thomas Fuchs, Mitglied des Initiativkomitees, erklärte, die eigentlichen Gotteshäuser – die Moscheen – seien von der Initiative nicht tangiert, sondern nur die Minarett-Türme: «Für die Ausübung des Glaubens braucht es kein Minarett».[36]

Argumente gegen die Minarett-Initiative

Islamwissenschaftler Reinhard Schulze, Professor an der Universität Bern, betont, das Minarett gehöre «zur Moschee wie der Kirchturm zur Kirche.» Die ersten Minarette entstanden bereits rund 60 Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed vor 1500 Jahren; sie seien damit fester Bestandteil der historischen Tradition des Islam.[36] Die Existenz der 160 so genannten «Hinterhofmoscheen» ohne Minarette, die es in der Schweiz gibt, seien eher der Beweis dafür, dass der islamische Glaube bislang ein Schattendasein in der Schweiz führte; der Bau von Minaretten sei ein Beitrag der Muslime, aus dem Schattendasein herauszutreten und sich in der Schweiz heimischer zu fühlen.

Im Vorfeld der Parlamentswahlen am 21. Oktober 2007 wurde von Initiativgegnern die Meinung geäussert, die Initiative sei eine populistische Wahlkampftaktik. Es wurde in Frage gestellt, ob das generelle Bauverbot von Minaretten in der Schweiz die Verbreitung islamistischer Ideologien, die der westlichen Gesellschaft gegenüber feindlich gesinnt sind, verhindern könne: «Es nütze wenig, gegen den Bau eines Minaretts zu kämpfen, ohne zu wissen, welche Aktivitäten in der Moschee angeboten würden. Wichtiger als das Minarett sei darum die Kontrolle der Aktivitäten in einer Moschee.»[37] Ein generelles Bauverbot von Minaretten wurde von Initiativ-Gegnern zudem als dialogverhindernd erachtet: Ein Minarett sei für die Muslime ein Zeichen der Identität, wie religiöse Bauten für andere Religionsgemeinden, und es liege im Interesse der Religionsfreiheit (und des Landesfriedens), Muslimen Moscheen mit Minaretten zuzugestehen. (Argument unter anderem von Kurt Koch, dem Bischof des Bistums Basel und gegenwärtigen Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz.)[38]

Die fünf bedeutendsten deutschsprachigen muslimischen Organisationen haben sich am 15. Mai 2007 in einem offenen Brief geäussert: «Wir sind davon überzeugt, dass die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung solche Initiativen nicht mitträgt, werden dadurch doch erstmalig die fundamentalen Grundwerte der Religionsfreiheit ausgehöhlt. Dadurch wird dem Ansehen der liberalen und neutralen Schweiz, sowohl in Europa als auch in der ganzen Welt, geschadet.»[39]

SVP-Plakat zur Minarett-Initiative

Eine Kontroverse über die Meinungsfreiheit wurde mit dem Pro-Plakat der SVP ausgelöst. Dieses zeigte eine Frau mit schwarzer Burka vor einem liegenden Schweizer Kreuz, auf dem schwarze Minarette aufragen. Die SVP wurde für das Plakat kritisiert, weil es Minarette wie Raketen darstelle. Auf Anfrage einzelner Kantone und Städte gab die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus eine Analyse zum Plakat heraus, und bezeichnete es als «Verunglimpfung und Diffarmierung der friedlichen Schweizer Bevölkerung», da es den «öffentlichen Frieden stören» kann. Darauf hin wurde das Aufhängen der Plakate in einigen Städten und Kantonen verboten. Dies wurde vor allem aus rechten Kreisen aber auch von einzelnen Vertretern der Linken kritisiert, was zu einer Debatte über Meinungsfreiheit und Zensur führte.

Reaktion des Bundesrates und Parlaments auf die eidgenössische Volksinitiative

Die schweizerische Regierung (Bundesrat) und die beiden Kammern des Parlaments lehnten die Initiative ab und empfahlen den Stimmberechtigten, ein Nein in die Urne zu legen.[40]

Die beiden Kammern des Parlaments behandelten die Initiative zwischen März und Juni 2009.[41] In den Schlussabstimmungen empfahl der Nationalrat die Initiative mit 132 zu 51 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) zur Ablehnung, der Ständerat mit 39 zu 3 Stimmen (bei 2 Enthaltungen). In der offiziellen Pressekonferenz des Bundesrates vom 15. Oktober 2009 betonte der Bundesrat seine Meinung, dass die Initiative die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Rechtsgleichheit verletze und den Religionsfrieden in der Schweiz gefährde.[42] Er ist der Meinung, dass ein Verbot für den Bau von Minaretten die Muslime in unzulässiger Weise einschränke, ihren Glauben öffentlich zu bekunden. Für die Regierung und das Parlament der Schweiz ist ein Verbot des Baus von Minaretten nicht vereinbar mit den Werten einer freien Gesellschaft und der direkten Demokratie.

Die Volksinitiative gegen den Bau von Minaretten hat den Sicherheitsausschuss des Schweizer Bundesrats (dem Ex-Verteidigungsminister Samuel Schmid, Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und Ex-Justizminister Christoph Blocher angehören) auf den Plan gerufen und bewirkt, dass die Schweizer Geheimdienste die Reaktion islamistischer Kreise auf die Minarett-Initiative verfolgen. Calmy-Rey äusserte sich im Mai 2007 zur Minarett-Initiative: «Eine solche Initiative gefährdet Schweizer Interessen und die Sicherheit von Schweizerinnen und Schweizern».[43] Die Minarett-Kontroverse wurde in der arabischen Welt bekannter, als im Juni 2007 der damalige SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer vom arabischen Sender al Jazeera interviewt wurde. Manche befürchten, dass es wie beim Karikaturenstreit in muslimischen Kreisen zu heftigen Reaktionen, die sich gegen die Schweiz richten, kommen könnte.[44] Auf bundesrätlicher Stufe wurde deshalb eine Art Sprachregelung erlassen, die für die Bundesräte, die Departementssprecher und die Schweizer Botschafter im Ausland, die von ausländischen Medien mit Fragen zur Initiative konfrontiert werden, gelten, um «Missverständnissen vorzubeugen, indem sie sachlich über die demokratiepolitischen Gepflogenheiten in der Schweiz, über den Inhalt und den Stand der Initiative aufklärt». Die erste offizielle Stellungnahme unter dieser Regelung war vom Juni 2007:

„Es gibt kein Minarett-Verbot in der Schweiz. Hingegen werden zurzeit Unterschriften für eine Volksinitiative gesammelt, die ein solches Verbot als Ergänzung des Artikels 72 der Bundesverfassung vorschlägt. (…) Falls die Initiative zustande kommt, richtet der Bundesrat (Regierung) eine Empfehlung auf Annahme oder Ablehnung an die Bundesversammlung (Parlament). Diese prüft die Rechtmässigkeit der Initiative und empfiehlt sie, falls die Prüfung positiv ausfällt, den Stimmberechtigten (Bürgerinnen und Bürgern) zur Annahme oder zur Ablehnung. Die Initiative ist angenommen, wenn sie in der Abstimmung eine Mehrheit von Volk und Kantonen auf sich vereinigt. Die «Minarettverbots-Initiative» könnte frühestens im Jahr 2010 zur Abstimmung gelangen.“

Erhöhte Alarmbereitschaft wegen Minarett-Initiative, NZZ am 1. Juli 2007

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk (DLF)[45] hat Nationalrat und Europaratsmitglied Andreas Gross konstatiert, dass das eigentliche Problem darin bestehe, dass die Verfassung des Landes, indem sie das jahrhundertealte Prinzip der direkten Demokratie, nicht aber in gleicher Stärke das der Menschenrechte betone, in gewissem Gegensatz zur Mitgliedschaft im Europarat stehe. Dadurch werde es nun über kurz oder lang zu einem Konflikt kommen, der vielleicht das Problem lösen könne.

Ergebnis der Volksinitiative
 
Nur in den vier Kantonen Waadt, Genf, Neuenburg und Basel-Stadt wurde die Initiative abgelehnt.

Vorläufige amtliche Endergebnisse[46] zur Volksabstimmung am 29. November 2009 über die Aufnahme des Wortlautes «Der Bau von Minaretten ist verboten.» in die Bundesverfassung:

  • Ja (19 ½ Stände)
  • Nein (3 ½ Stände)
  • Kanton Ja (%) Nein (%) Beteiligung (%)
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    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Appenzell Ausserrhoden 63,7 36,3 57,3
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Appenzell Innerrhoden 71,4 28,6 49,7
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Basel-Landschaft 59,9 40,1 50,5
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Basel-Stadt 48,4 51,6 57,2
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Bern 60,7 39,3 51,4
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Freiburg 55,9 44,1 51,5
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Genf 40,3 59,7 57,8
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Glarus 68,8 31,2 46,9
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Graubünden 58,6 41,4 45,6
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Jura 51,2 48,8 50,0
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Luzern 61,2 38,8 53,7
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Neuenburg 49,2 50,8 53,9
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Nidwalden 62,8 37,2 56,9
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Obwalden 62,4 37,6 61,0
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Schaffhausen 63,5 36,5 69,6
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Schwyz 66,3 33,7 51,6
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Solothurn 64,0 36,0 55,0
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   St. Gallen 65,9 34,1 53,8
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Tessin 68,1 31,9 49,2
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Thurgau 67,7 32,3 53,3
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Uri 63,8 36,2 52,0
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Waadt 46,9 53,1 52,8
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Wallis 58,0 42,0 61,1
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Zug 56,7 43,3 61,9
    Vorlage:SortKey ist veraltet; bitte verwende Alternativen gemäß Hilfe:Tabellen/Sortierung #Veraltet.   Zürich 51,8 48,2 54,9
      Schweizerische Eidgenossenschaft 57,5 42,5 53,4
    Differenzen auf Gemeindeebene
     
    Karton-Minarett in Bussigny-près-Lausanne als Protest gegen die Volksinitiative

    Eine genauere Auswertung der Abstimmungsresultate auf Gemeindeebene zeigt eine grosses Gefälle zwischen Stadt- und Landbevölkerung. In den grösseren Städten wurde die Initiative mehrheitlich abgelehnt.

    Unter anderem wurde die Initiative an der Genfer wie auch an der Zürcher Goldküste verworfen.

    Prozentzahlen der Ja-Stimmen (Pro Initiative) in den jeweiligen Zonen:[47]

    • Grosszentren: 38,6 %
    • Einkommensstarke Gemeinden: 48,3 %
    • Agglomerationsgemeinden metropolitaner Regionen: 56,2 %
    • Agglomerationsgemeinden nicht-metropolitaner Regionen: 64,6 %

    Eine weitere Tatsache ist, dass die Initiative in den vier Gemeinden, wo bereits Minarette stehen (Zürich, Winterthur, Genf und Wangen bei Olten), nur in einer die Mehrheit fand (Wangen bei Olten).

    In den Medien wurde vom Stadt-Land-Graben gesprochen, welcher den sogenannten Röstigraben überwog.[48] Mit Stadt-Land-Graben oder Stadt-Land-Gefälle ist die Differenz in den Abstimmungsresultaten zwischen Stadt- und Landbevölkerung bei der Anti-Minarett-Initiative gemeint. Üblicherweise ist eher der Röstigraben zu spüren, wo sich die Meinungsdifferenzen zwischen französisch- und deutschsprachiger Schweiz zeigen (in den Abstimmungsresultaten).

    Rechtliche Bedenken gegenüber der Minarettverbots-Initiative
    Das Völkerrecht aus der Perspektive der Gegner der Minarettverbots-Initiative

    Politische Minarettverbots-Initiativen, sei es auf kantonaler oder auf nationaler Ebene, sprechen das Thema der Grundrechte in der Schweiz an. Bei Total- wie Teilrevisionen der Schweizerischen Bundesverfassung, wie es die eidgenössische Volksinitiative anstrebt, dürfen die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts nicht verletzt werden (Art. 193 BV[49] und Art. 194 BV[50]); dieselbe Vorschrift gilt bei entsprechenden Volksinitiativen auf Revision (Art. 139 BV[49]).

    Debatte über Ungültigkeit der Initiative:
    Debattiert wurde nach Lancierung der Initiative im Mai 2007, ob die Volksinitiative nach ihrem Zustandekommen aus rechtlichen Gründen von der Bundesversammlung für unzulässig erklärt werden könnte (und damit dem Volk und den Kantonen niemals zur Abstimmung vorgelegt würde):

    Gemäss Art. 139 Abs. 2 BV[49] erklärt die Bundesversammlung Initiativen, welche gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) verstossen, für ganz oder teilweise ungültig. Einige Juristen sind der Ansicht, die Minarett-Initiative widerspreche Grundprinzipien der schweizerischen Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und plädieren für eine weite Auslegung des Begriff des zwingenden Völkerrechts.[51][52]

    Gefährdung von Religionsfreiheit:
    Die Minarettverbots-Initiative könnte womöglich die Religionsfreiheit, und somit die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzen (Argument von Giusep Nay, ehemaliger Bundesgerichtspräsident der Schweiz, in einem Interview mit der Schweizer Mittelland-Zeitung) und sei eventuell ein Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm.[53] Entsprechend würde der Zusatz «Minarett-Verbot in der Schweizer Bundesverfassung» der Praxis der europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarates widersprechen, in welcher der Schweizer Völkerrechtsprofessor Daniel Thürer als Schweizer Delegierter Einsitz nimmt.[54]

    Für Marcel Stüssi, Rechtswissenschaftler der Universität Luzern, resultiert eine Pattsituation, wonach die Minarettverbotsinitiative unter Beachtung des Völkerrechts sowohl für gültig wie auch für ungültig erklärt werden könne, und es der Bundesversammlung frei stünde, sich für das eine oder andere zu entscheiden. «Die Bundesversammlung, als ‹Wächterin über das gute und gerechte Recht›, ist kraft ihrer öffentlichen Autorität und Verantwortung geradezu verpflichtet, die rechtlichen und politischen Konsequenzen eines möglichen Minarettverbotes abzuschätzen und ihre Entscheide entsprechend sorgfältig und umsichtig auszurichten».[55]

    Fehlende Verhältnismässigkeit der Verfassungsänderung:
    Schliesslich wird juristisch argumentiert, zwar könne die Ausübung des Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit eingeschränkt werden, wenn nebst einer gesetzlichen Grundlage ein öffentliches Interesse und die Verhältnismässigkeit gegeben seien. «Ein generelles Verbot des Minarettbaus ist nicht verhältnismässig, denn es gibt kein ersichtliches überwiegendes öffentliches Interesse», wie Europa- und Völkerrechtsexpertin Astrid Epiney sagte.[54]

    Das Völkerrecht aus der Perspektive der Befürworter der Minarettverbots-Initiative

    Es gibt Juristen, die in einem Minarettverbot keinen Verstoss gegen die Religionsfreiheit und gegen das Völkerrecht sehen. Sie argumentieren, die Religionsfreiheit garantiere in erster Linie die freie Religionsausübung, diese würde durch ein Minarettverbot nicht tangiert, denn nicht Moscheen, sondern Minarette wurden verboten. Die Bundesverfassung schreibe nur vor, dass Initiativen das zwingende Völkerrecht nicht verletzen dürfen, die Religionsfreiheit gehöre nach der aktuellen internationalen Auslegung nicht zum zwingenden Völkerrecht (Ius cogens). Die Religionsfreiheit stelle somit keine anerkannte Kategorie des zwingenden Völkerrechts dar; dazu gehören hingegen Folterverbot, Genozidverbot, Sklavereiverbot, Recht auf Leben (in den Schranken von Art. 2 EMRK[56]) und Non-Refoulement-Prinzip (Verbot der Rückschaffung von Flüchtlingen in ihre Heimatstaaten, wenn diese dort konkret gefährdet sind).

    Völkerrecht versus Staatsrecht:
    Einige argumentieren, die Debatte um die völkerrechtlichen Bedenken nehme einseitig die Meinung von einigen Völkerrechtsexperten auf (z. B. die von Professor Daniel Thürer[57]). Es mache jedoch einen Unterschied, ob die völkerrechtlichen Bedenken der Minarett-Initiative aus völkerrechtlicher oder aus staatsrechtlicher Perspektive betrachtet werden. Die Völkerrechtler scheinen dazu zu tendieren, den Geltungsbereich des Völkerrechts auszudehnen.[58] Dieser Ansatz erscheint nachvollziehbar, da das Völkerrecht tatsächlich oft mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet und sich auf relativ offen formulierte Rechtsnormen und internationale Verträge abstützen muss, die sich vielfach kaum oder nur mangelhaft konkretisieren und gerichtlich durchsetzen lassen.

    Aus staatsrechtlicher Perspektive jedoch sieht die schweizerische verfassungsrechtliche Realität so aus, dass zwar einige Bestimmungen der EMRK und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (CCPR) (auch UNO-Pakt II genannt) zum ius cogens gehören – aber eben nicht die Verträge als Ganzes. Man könnte sich bei der Durchsicht der Bestimmungen von UNO-Pakt II fragen, ob vielleicht Art. 18 CCPR[59] in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 CCPR[60] eine Handhabe gegen die Minarett-Initiative bieten könnte. Die innerstaatliche Regelung bei Konflikten zwischen Verfassung und Völkerrecht ist unklar. Im Zweifelsfall müssten kündbare völkerrechtliche Verträge (hier der UNO-Pakt und die EMRK (Art. 9 EMRK[61]) bei Annahme einer dagegen verstossenden Volksinitiative wohl gekündigt werden. Die EMRK ist nach Art. 58 EMRK[61] kündbar; beim UNO-Pakt ist die Kündbarkeit unklar, müsste aber wegen des Vertragscharakters eigentlich möglich sein. Solche essentiellen Verträge sind allerdings faktisch unkündbar, woraus von einigen Professoren die Forderung abgeleitet wird, auch die EMRK und andere elementare Völkerrechtsverträge und Konventionen zum ius cogens zu zählen. Dies ist allerdings – und hier muss Recht und rechtspolitische Forderungen voneinander getrennt werden – nur eine Forderung und nicht eine Analyse des geltenden Rechts.

    Man könnte nun die Meinung vertreten (analog zu Thürer und anderen), dass der Katalog der zwingenden Normen des Völkerrechts auszudehnen sei, nach einem schweizerisch geprägten Verständnis des ius cogens. Es fragt sich aber, nach welchen Kriterien dies geschehen soll. Denn wenn jeder «technische» Völkerrechtsvertrag der Verfassung übergeordnet werden soll, ergibt sich dadurch eine Schwächung des Selbstbestimmungsrechts der Schweiz und indirekt eine empfindliche Schwächung der Volksrechte. Dies könnte zu einer faktischen weitgehenden Ausserkraftsetzung des politischen Rechts auf Total- und Teilrevision der Bundesverfassung führen, was problematisch erscheint. Deshalb könnte man für eine zurückhaltende Ausweitung des ius cogens plädieren, was natürlich bedeutet, dass Situationen wie die der Minarett-Initiative auch in Zukunft auftreten können.

    Weitere Argumente gegen eventuelle Ungültigkeit der Initiative:

    Man könnte sich fragen, ob das Minarettverbot nicht gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV[62]) verstösst. Dem Verfassungsgeber kann es allerdings nicht verwehrt sein, «Widersprüche» zu schaffen bzw. von einer generellen Regel (in casu der Regel der Religionsfreiheit) Ausnahmen zu statuieren (in casu das Verbot des Baus von Minaretten) (in den Schranken von BV 193 Abs. 4; vgl. dazu auch deutsches Grundgesetz Art. 97 Abs. 3) Die Frage der Zulässigkeit eines solchen Verbots im Lichte übergeordneten Rechts (insbesondere der EMRK und anderen Völkerrechts) ist damit aber natürlich noch nicht beantwortet.

    Die weiteren Voraussetzungen für eine Ungültigerklärung durch die Bundesversammlung (Einheit der Materie, Einheit der Form, faktische Durchführbarkeit) seien deshalb, soweit ersichtlich, nicht gegeben. Insofern sehen die Befürworter der Initiative keine brauchbare rechtliche Handhabe gegen die Minarett-Initiative, die, sollte sie zustande kommen und von Volk und Ständen angenommen werden, wohl wegen der faktisch unkündbaren EMRK kaum eins zu eins umzusetzen sein wird. Es ist allerdings unklar, ob die Schweiz dann einen Vorbehalt zur EMRK anbringen könnte, wie sie dies schon bei etlichen EMRK-Artikeln getan hat.

    Weiterbestehendes Dilemma der völkerrechtlichen Bedenken

    Auf jeden Fall droht mit der Debatte allgemein jeder Minarettverbots-Initiative, sei sie auf kantonaler oder aber auch auf nationaler Ebene, ein ähnliches Dilemma wie bei der vom Volk angenommenen eidgenössischen Verwahrungsinitiative, die nicht konform der Europäischen Menschenrechtskonvention umgesetzt werden könnte. Das Parlament hatte sie für gültig erklärt, weil kein «zwingendes Völkerrecht» wie das Sklaverei- oder das Folterverbot verletzt würde. Das könnte theoretisch auch bei der eidgenössischen Minarett-Initiative der Fall sein. Einzelne Politiker forderten deshalb, anders als bei der Verwahrungsinitiative vorzugehen: Bei offensichtlicher «Undurchführbarkeit» einer Initiative müsse das Parlament seine Verantwortung wahrnehmen und die Initiative nicht vors Volk bringen. «Alles andere ist den Bürgern Sand in die Augen gestreut.»[63]

    Was ist ein Minarett?

    In der Vorlage ist nicht genau definiert, was ein Minarett ist; oder ab wann ein Turmaufbau ein Minarett ist.[64][65] Auch im Koran sucht man vergeblich nach einer Definition (das Argument, dass die Minarette nicht im Koran Erwähnung finden, wurde von Befürwortern auch als Proargument aufgeführt, da Minarette nicht benötigt würden, um den Glauben auszuführen). Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sagte betreffend Abstimmungsvorlage: «Das Bauverbot ist direkt anwendbar und bedarf keiner weiteren Konkretisierung».[66]

    Auch von der Initiative abgesehen gibt nirgends eine klar fassbare Definition des Begriffs Minarett.[67] Allerdings kann in der Verfassung auch nicht jede Feinheit ausformuliert werden.[68]

    Nach Artikel Minarett ist ein Minarett «ein erhöhter Standplatz oder Turm für den Gebetsrufer (Muezzin) bei oder an einer Moschee […] Von hier aus werden die Muslime fünfmal am Tag zum Gebet gerufen.»

    Mit dieser allgemein anerkannten Definition sind aber noch keine baurechtlichen Fragen geklärt. Folgend einige aufgeworfene Fragen: Wann unterscheidet man zwischen Standplatz und Turm? Inwieweit ist das Kriterium «Gebetsrufer» miteinzubeziehen (bei den vier Schweizer Minaretten kommt dieser nicht zum Einsatz; z. B. herrscht in Langenthal ein Beschallungsverbot und das Minarett ist zudem nicht begehbar[69])? Wo ist «bei oder an einer Moschee»?[70] Denkbar wäre daher auch der Bau eines «Minaretts» im privaten Garten, je nachdem wie das Kriterium «Ort» gewichtet wird oder der Garten nicht gerade neben einer Moschee liegt.[71] Wie verhält es sich mit sogenannten Hinterhofmoscheen (ungenutzte, zur Moschee umgestaltete Gewerberäume)?

    Diese und weitere Unklarheiten veranlassen Bauherren zu behaupten ein Minarett sei ein Turm, als Argument, Bauverbote anfechten zu können. Die Frage, wann ein Minarett ein Minarett ist, müssen die Kantone und Gerichte in Einzelfällen beantworten.[71]

    Minarettverbot als Wort des Jahres

    Das Wort «Minarettverbot» wurde nach der Annahme der Initiative «Gegen den Bau von Minaretten» zum Wort des Jahres in der Deutschschweiz erkoren.[72]

    Literatur

    Bürgerinitiativen
    Fernsehbeiträge
    Artikel
    Weitere

    Einzelnachweise

    1. Bundesamt für Statistik, Volkszählung 2000
    2. Katholische Internationale Presseagentur, «Seit wir ein Minarett haben, kommen uns Schweizer besuchen», 14. Juli 2006.
    3. NZZ: Umstrittenes Minarett in Wangen eingeweiht, 27. Juli 2009
    4. Neue Zürcher Zeitung: Keine Probleme trotz Minarett. Der Bau der Mahmud-Moschee in Zürich vor 43 Jahren löste kaum Kritik aus., 23. September 2006
    5. Stefano Allievi: Konflikte um islamische Symbole in Europa, Journal für Konflikt- und Gewaltforschung, ISSN 1438-9444, Vol. 5, 2/2003.
    6. Swissinfo, Pläne für Islamisches Zentrum in Bern
    7. Schweizer Fernsehen, Beitrag der Nachrichtensendung 10vor10 über den Minarettstreit, 7. Februar 2006.
    8. Inforel.ch, Minarett und „Graue Wölfe“ in Wangen
    9. NZZ, Keine Erlaubnis für ein Minarett, 8. Februar 2006.
    10. Ref.ch, Reformierte Nachrichten: Minarett in Wangen darf doch gebaut werden, 14. Juli 2006.
    11. Kanton Solothurn, Medienmitteilung Wangen bei Olten - Minarett bewilligt, 13. Juli 2006
    12. [1] Urteil des Verwaltungsgerichts Solothurn vom 24. November 2006
    13. Tages-Anzeiger, Minarett kommt vor Bundesgericht, 8. Januar 2007
    14. Urteil des Bundesgerichtes vom 4. Juli 2007, Aktenzeichen 1P.26/2007
    15. NZZ Online, Minarett in Wangen kann gebaut werden, 11. Juli 2007.
    16. News.ch, Minarett in Wangen b. Olten wird gebaut, 13. September 2007.
    17. Swissinfo, Petition gegen Minarett in Langenthal eingereicht
    18. Livenet, Langenthal: Viele Einsprachen gegen Baugesuch für Minarett
    19. Factum-Magazin, Minarett Langenthal abgelehnt
    20. Islam.ch, Langenthal muss Bauprojekt für Minarett neu beurteilen
    21. Katholische Kirche Schweiz, St.Gallen: Widerstand gegen Minarett in Wil
    22. Nachrichten.ch, Minarett-Bauten im Kanton St.Gallen nicht vors Volk, 10. November 2006.
    23. St. Galler Tagblatt, Angst vor einer Parallelgesellschaft; Minarett-Streit in Wil – SVP opponiert, Imam Bekim Alimi erklärt sich, 23. September 2006.
    24. NZZ, Islam-Zentrum in der Stadt Bern, 29. April 2007.
    25. Basler Zeitung, Stadt Bern: Kein Islam-Zentrum im Wankdorf, 1. Juni 2007.
    26. Israel-network, Das Islam-Zentrum ist ein Projekt Afshar – der Tagi vom 2. Mai 2007 zum Berner Bauprojekt, 2. Mai 2007.
    27. SVP bläst zum Sturm auf Minarette, Tages-Anzeiger, 5. September 2006.
    28. Der Bürger-Herold, Ein Zürcher Minarett-Verbot?
    29. Bundesamt für Justiz, Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten»
    30. Schweizerische Bundeskanzlei, Eidgenössische Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» zu Stande gekommen
    31. NZZ Online, Die Schweiz verbietet den Bau von Minaretten, 29. November 2009.
    32. NZZ Online, Klares, aber vieldeutiges Nein zu Minaretten, 29. November 2009.
    33. Basler Zeitung, Sammelfrist für Initiative «Gegen Bau von Minaretten» läuft
    34. Initiativkommittee «Gegen den Bau von Minaretten»
    35. Kath.net, Pierre Bürcher, Weihbischof von Lausanne, Genf und Freiburg und Präsident der „Arbeitsgruppe Islam“ der Schweizer Bischofskonferenz, 3. Mai 2007.
    36. a b Der Bund, Im Wahljahr gegen Minarette, 2. Mai 2007 (pdf).
    37. Swissinfo, Volksinitiative für ein Minarettverbot, 3.Mai 2007.
    38. Radio Vatikan, Schweiz: Bischöfe gegen generelles Minarett-Verbot, 3. Mai 2007.
    39. Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich, Stellungnahme zur Minarettverbots-Initiative
    40. Medienmitteilung Bundesrat gegen Bauverbot für Minarette vom 27. August 2008
    41. Beratungen zur Volksinitiative im Parlament
    42. http://www.tv.admin.ch/de/archiv?video_id=184
    43. Schweizer Fernsehen, Calmy-Rey wehrt sich gegen Minarett-Initiative, 15. Mai 2007.
    44. NZZ, Erhöhte Alarmbereitschaft wegen Minarett-Initiative, 1. Juli 2007.
    45. Schweizer Minarett-Entscheidung verstößt gegen EU-Menschenrechtskonvention, Interview des Deutschlandfunks mit dem Schweizer Nationalrat und Europarat Andreas Gross, 3. Dezember 2009
    46. Schweizerische Bundeskanzlei: Vorlage Nr. 547, vorläufige amtliche Endergebnisse, 29. November 2009
    47. [2]Bundesamt für Statistik
    48. Der Bund vom 30.11.2009
    49. a b c Bundesverfassung, Art. 193 BV
    50. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Art. 194 BV
    51. NZZ, Kein Grund für die Ungültigerklärung, Kasten zu Artikel aus der Ausgabe vom 4. Mai 2007
    52. 20 Minuten, Minarett-Initiative verletzt Religionsfreiheit, 3. Mai 2007.
    53. NZZ, Gegen das Minarett als Machtsymbol
    54. a b 20 Minuten, Minarett-Initiative verletzt Religionsfreiheit, 3. Mai 2007
    55. Universität Luzern, Muss das Parlament die Minarettverbotsinitiative für ungültig erklären?, 22. Juli 2008.
    56. EMRK, Art.2 EMRK
    57. Thomas Hasler: Minarett-Initiative wohl ungültig, Tages-Anzeiger, 20. Mai 2007.
    58. Thomas Hasler: Warum «zwingendes Völkerrecht» unausweichlich ist, Tages-Anzeiger, 20. Mai 2007.
    59. ICCPR, Art. 18 CCPR
    60. ICCPR, Art. 4 Abs. 2 CCPR
    61. a b EMRK, Art. 9 EMRK
    62. Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Art. 15 BV
    63. Der Bund, Im Wahljahr gegen Minarette, 2. Mai 2007.
    64. Tagesschau.sf.tvArtikel "Minarettverbot - Pro und Kontra"
    65. Beobachter.ch Abschnitt "Wenn das Volk Ja stimmt - was passiert dann?"
    66. ejpd.admin.ch Referat von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf vom 29. November 2009
    67. Blick.ch Aussage vom Anwalt der Langenthaler Muslime, Daniel Kettiger; Artikel "Langenthaler Muslime: Das ist gar kein Minarett!"
    68. Blick.ch Aussage von Politologie-Professor Silvano Möckli; Artikel "Langenthaler Muslime: Das ist gar kein Minarett!"
    69. Blick.ch Artikel "Langenthaler Muslime: Das ist gar kein Minarett!"
    70. Augenreiberei.ch Artikel "Definiere: Minarett" (mit Bildern von «Extrembeispielen»)
    71. a b 20min.ch Artikel "Wann ist ein Minarett ein Minarett?"
    72. SF Tagesschau: Und das Wort des Jahres ist: «Minarettverbot»