Rassenhygienische Forschungsstelle

deutsche Forschungsstelle
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Die 1936 gegründete Rassenhygienische Forschungsstelle am Reichsgesundheitsamt (kurz RHF) unter der Leitung von Robert Ritter erarbeitete schwerpunktmäßig und in enger Zusammenarbeit mit der Polizei die Begutachtungen von ca. 30.000 vor allem im Altreich und in der Ostmark lebender „Zigeuner“. Die RHF lieferte so die "pseudowissenschaftliche Grundlage für die Vernichtung und Zwangssterilisation Tausender Sinti und Roma."[1]

"Zigeuner"erfassung in Polizeibegleitung. Robert Ritter bei der Feldarbeit, (Bild der RHF)
"Zigeuner"erfassung, Aufbau der Genealogien, (Bild der RHF)

Daneben wurden Häftlinge von Jugendkonzentrationslagern und in Konzentrationslagern begutachtet. Sitz der RHF war zunächst der Wohnort Ritters Tübingen, dann die Reichshauptstadt Berlin. Vor Kriegsende erfolgte die Auslagerung nach Fürstenberg/Havel rund 100 km nördlich von Berlin in unmittelbarer Nähe lagen das Jugend-KZ Uckermark und das KZ Ravensbrück.

Nach 1945 wurden in der Bundesrepublik das von der RHF geschaffene "Zigeunersippenarchiv" also die „Planungsunterlagen des Völkermordes“ (Benno Müller-Hill) weiter zur Sonderbehandlung von „Zigeunern“ durch die Polizei genutzt. Keiner der Mitarbeiter der RHF wurde für seine Tätigkeit disziplinarrechtlich, standesrechlich oder strafrechtlich belangt.

Gründung, organisatorische Zugehörigkeit, Finanzierung und Ziele

Die RHF wurde 1936 auf Veranlassung des Leiters der Abteilung Volksgesundheit im Reichsministerium des Innern um den Tübinger Arzt Robert Ritter und seine Mitarbeiterin Eva Justin als Institut des Reichsgesundheitsamtes gegründet.[2] Am 1.4.1936 wird Ritter für seine neue Aufgabe in Tübingen freigestellt.[3]

Schon die Institutsbennung als Rassenhygienische Forschungsstelle am Reichsgesundheitsamt zeigt ihre pseudowissenschaftliche[4] und rassenideologische[5] Ausrichtung. Die RHF war keine theoretisches Institut, sondern hatte die Aufgabe ihre "Forschung" in die "erbpflegerische Praxis" überzuleiten.[6]

Ritter wurde wegen seines rassenhygienischen Standpunkts, den er seit Anfang der 30er Jahre vertrat, als Leiter ausgewählt.[7] Schon 1933/34 war er auf die Idee verfallen versteckte "Zigeunerpopulationen" in Würtemberg aufzudecken.[8] Auf dem internationalen Bevölkerungskongress, der 1935 unter der Leitung Eugen Fischers in Berlin stattfand, hielt er den Vortrag "Erbbiologische Untersuchungen innerhalb eines Züchtungskreises von Zigeunermischlingen und "asozialen Psychopathen"".[9][10] Auch die praktische Seite kannte Ritter, er leitete in Tübingen seit 1934 eine Eheberatungsstelle deren Träger neben der Nervenklinik auch die Ortsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene war.[11] 1936 war er stellvertretenden Amtsarzt in Tübingen und damit zum Mitglied des Erbgesundheitsgerichtes aufgestiegen.[12][13] Ritters Habilitation:"Ein Menschenschlag. Erbärztliche und erbgeschichtle Untersuchungen über die durch 10 Geschlechterfolgen erforschten Nachkommen von 'Vagabunden, Jaunern u. Räubern'" (erschienen 1937) steht paradigmatisch für seine rassenhygienischen und erbdeterministischen Ideen. Diese wurden von den universitär orientierten Rassenhygienikern als drittklassig eingeschätzt.[14]

Die exakte Benennung der RHF und ihre organisatorische Zuordnung wandelt sich im Laufe der Zeit. 1938 berichtet Ritter im Reichs-Gesundheitsblatt aus der "Abteilung für Erb- und Rassenpflege des Reichsgesundheitsamtes" als Leiter der "Rassenhygienischen Forschungsstelle".[15] Die RHF war zu diesem Zeitpunkt der von Ferdinand von Neureiter 1937 gegründeten und geleiteten "Kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes" untergeordnet mit der sie 1940, nach der Berufung von Neureiters an die Reichsuniversität Straßburg, unter der Leitung Ritters zum "Kriminalbiologischen Institut beim Reichsgesundheitsamt" fusionierte.[16][17]

1940 verwendet Ritter als Amtsbezeichnung: "Leiter der rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamts.[18] Ab 1941 lautet die Bezeichnung "Rassenhygienische und Kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes".[19][20] Die Bezeichnung auf den von der RHF bis mindestens 1944 erstellten "Gutachterlichen Äußerungen", die als individuelle Rassegutachten für "Zigeuner" dienten, blieb weiterhin "Rassenhygienische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes" (Leiter: Dr. phil. Dr. med. habil. R. Ritter, Berlin Dahlem, Unter den Eichen 82-84). [21] Ritter wurde 1941 zusätzlich Leiter des "Kriminalbiologischen Institutes der Sicherheitspolizei und des SD" (KBI)[22] und hat damit sowohl im Reichsgesundheitsamt als auch im Reichssicherheitshauptamt eine Leitungsfunktion inne. Ritter bezeichnet die Zusammenarbeit von RHF und KBI zunächst als Arbeitsgemeinschaft,[23] ließ aber 1944 die Mitglieder der RHF in das als kriegswichtig eingestufte KBI übernehmen.[24]

Aufgrund der oft nur leicht voneinander abweichenden Bezeichnungen und der personellen Kontinuität wird in der Literatur auch die Bezeichnung Forschungsstelle Ritter ohne institutionelle Zuordnung verwendet.

Schwerpunkt der Arbeit der RHF bildete die Erfassung und Begutachtung der deutschen und österreichischen "Zigeuner" (Ritter) und "Zigeunermischlinge" (Ritter).[25] Die Erfassung fand in enger Kooperation mit verschiedenen Polizeibehörden statt.

Die Finanzierung wurde auch über "Drittmittel" gesichert. Die RHF bzw. Ritter gehörten von 1935 bis Frühjahr 1944[26] zu den bevorzugten Beihilfeempfängern der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).[27][28] Die DFG Gutachter waren Ernst Rüdin und Robert Gaupp.[29] Befürwortet wurden Ritters Förderanträge vom Präsident des Reichsgesundheitsamtes Hans Reiter.[30] Weitere Gelder schoss der Reichsforschungsrat (RFR) zu.[31]

"Zigeunerforschung"

Aufbau des "Zigeunersippenarchivs": die reichsweiten Erfassungen 1937-1940

Ab dem Winter 1937/38 durchkämmten "Fliegende Arbeitsgruppen" der RHF "Barackenlager und Armenquartiere"(Ritter)[32] und erfassten erstmalig 2400 "Zigeuner".[33] Die Arbeit beschränkte sich nicht auf solche Plätze, Betroffene wurden von der Polizei zur rassenkundlichen Untersuchung vorgeladen [34] oder in Gefängnissen aufgesucht, wie die Arbeitsberichte bzw. Tageslisten der RHF ausweisen.

Gutachtliche Äußerungen

Die "Gutachtliche Äußerungen" waren ein einseitiger Vordruck, in den "auf Grund der Unterlagen, die sich im Zigeunersippenarchiv der Forschungsstelle befinden" und der "bisher durchgeführten rassenkundlichen Sippenuntersuchungen" (Formulartext) neben Personendaten nur eine Beurteilung als "Zigeuner", "Zigeunermischling" in vielen Zwischengraden eingetragen wurden. Jeder Hinweis auf die Methode mit der diese Beurteilung erfolgte oder die Widergabe einzelner Merkmale oder Messwerte fehlt auf dem Formular. Die Zahl der Gutachten nahm im Laufe der Jahre immer mehr zu. Ritter schreibt am 4.2.1942 an die DFG von 15000 abschließend bearbeiteten "Zigeunerfällen"[35], am 23.3.1943 sind es schon 21498 Fälle[36] die Bearbeitung im Altreich und der Ostmark sei damit "im groben beendet",[37] trotzdem erhöht sich in einer Meldung Ritters an die DFG vom 30.1.1944 die Zahl auf 23822 "Zigeuner" und "Zigeunermischlinge".[38]

Hiermit korrespondieren die vermutlich fortlaufende Nummerierung auf den "Gutachterlichen Äußerungen" Nummer 2543 stammt vom 14.7.1941[39], 15061 vom 17.4.1942[40], 16468 vom 27.4.1942[41], 17691 vom 14.10.194?[42]

Auffällig ist allerdings, das bei der Maideportation 1940 (siehe unten) ja bereits 2300 Personen begutachtet wurden, 1941 aber erst Gutachtliche Äußerung 2543 erstellt wurde. Ab 1941 gab es einen erhöhten Bedarf an diesen Gutachten, das Oberkomando der Wehrmacht hatte am 11. Februar 1941 per Erlass der Ausschluss von "Zigeunern" aus Heer, Marine und Luftwaffe geregelt. Das Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) sollte dazu besondere Erfassungslisten, getrennt nach „vollblütigen Zigeunern“ und „Zigeunermischlingen“ mit Angabe des Geburtsorts sowie der Anschrift erstellen. Die Massenbegutachtung übernahm die RHF.[43]

Die individuelle Begutachtung hinkte zeitlich erheblich der Übersicht von Mitte 1940 (siehe unten) hinterher. Ritters Zahl (23822) der individuell abgeschlossenen Fälle vom 30.1.1944 liegt um 14% höher als die Zahl der aufgrund des Auschwitz-Erlass vom Dezember 1942 ab dem 26. Februar 1943 in das Zigeunerlager Auschwitz Deportierten.[44]

Die Maideportation (1940), RHF-Mitarbeiter begutachten die Deportierten

 
Deportation Mai 1940, Sinti unter Polizeibewachung in der Festung Hohenasperg, (Bild der RHF)
 
Deportation Mai 1940, Sinti werden von der Polizei durchs Dorf geführt, (Bild der RHF)
 
Deportation Mai 1940, Zug ins Generalgouvernement, (Bild der RHF)

Nach dem Überfall auf Polen fand am 21. September 1939 in Berlin eine Leiterkonferenz des RSHA über die künftige Rassenpolitik statt.[45] Bei dieser oder anderen Besprechungen des Herbstes 1939 im RSHA waren Vertreter des RHF beteiligt. Auf Anregung der RHF sei aus praktischen Erwägungen die Deportation ins Frühjahr 1940 verschoben worden.[46] Ab Oktober 1939 ordnete das Reichskriminalpolizeiamt die Zusammenstellung von Listen an, die die Deportation ermöglichen sollten.[47] Den Anlass und Vorwand zu der am 16. Mai 1940 begonnen Deportation von reichsweit ca. 2500 Sinti und Roma von der Westgrenze boten rasstisiche Vorstellungen, u.a. der Verdacht auf Spionage.[48] Der Angriff auf Frankreich begann am 10. Mai 1940. Kurz vor der Deportation hiel Ritter in Bremen vor Polizeibeamten einen Vortrag über das "Zigeunerunwesen" und deutete die bevorstehende Deportation an.[49] In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 1940 wurden 2500 "Zigeuner" in Familien mit Kindern, Neugeborenen und hochbetagten Greisenzu den drei Sammelpunkten Hamburg, Köln (Messe) und für Rheinhessen, Hessen und der Pfalz, die Festung Hohenasperg deportiert, von dort erfolgte der Weitertransport ins Generalgouvernement.[50]

An den drei Sammelpunkten wurden die Deportierten von Mitarbeietern der RHF erneut begutachtet, die sich auch gut in den polizeilichen "Zigeunerakten" und der Struktur der polizeilichen "Zigeunerstellen" auskannten, die entsprechenden Unterlagen mitbrachten.[51]

Diese RHF-Mitarbeiter entschieden durch ihre Einstufung der Deportierten als "Zigeuner", "Zigeunermischlinge" oder "Nichtzigeuner" über das weitere Schicksal der Betroffenen. Eine Einstufung als "Nichtzigeuner" bedeutete, das die betreffenden nach Hause geschickt wurden. Am Hohen Asberg stufte der Vertreter der RHF 22 der rund 500 zum Hohenasberg Deportiertenals "Nichtzigeuner" ein, sie wurden daraufhin nach Hause geschickt.[52] Nach dem Bericht der Polizei über die Deportation der Süddeutschen Sinti hatte er "anfänglich noch weitere Personen" "beanstandet" d.h. als "Nichtzigeuner" begutachtet, da aber "der Adam Müller mit einer Z. verheiratet ist und er keinesfalls in der Lage ist, seine deutschblütige Abstammung nachzuweisen, wurde er auch als Z.M. bezeichnet und evakuiert."[53]

Nach der Maideportation enstanden Berichte, die der Optimierung zukünftiger Deportationen dienen sollten, die Mitarbeiter der RHF steuerten ihre Hinweise bei.[54]

Die RHF zieht Zwischenbilanz

 
Ritter bei der Erfassung in Neumünster. (Bild der RHF)

Die RHF bilanzierte Mitte 1940 die regionale Verteilung der Sinti und Roma und zieht davon die die bereits ins "Generalgouvernement umgesiedelten", d.h. deportierten ab. Von den nach Ritters Auffassung in Altreich, Ostmark und Sudetenland lebenden 29.900 Sinti und Roma waren danach im Mai 1940 2.330 deportiert.[55]

Ort Verblieben "umgesiedelt"
Ostpreußen 2.500
Pommern 870
Mecklenburg/LübeckPommern 320
Gross-Berlin 1.930
Kurmark 200
Schlesien 530
Sachsen 220
Bayern 300
Bayern 300
Würtemberg/Hohenzollern 1.000
Baden 500 150
Saarpfalz 140 160
Hessen-Nassau
Kurhessen
1.220 180
Köln/Achen
Koblenz/Trier
400 600
Düsseldorf
Essen
1.200 330
Ost-Hannover
Süd-Hannover/Braunschweig
820 130
Weser/Ems 550 30
Schleswig-Holstein
Hamburg und nördl. Hannover
750 750
Ostmark etwa 13.000
Sudetenland etwa 900
Summe 29.900 2.330

Weitere Tätigkeiten: Die Begutachtung des Hitlerattentäter Georg Elser (1939)

Datei:Georg Elser-Briefmarke.jpg
Georg Elser wurde von Würth im Auftrag Arthur Nebes untersucht
 
Der Auftraggeber: Arthur Nebe

Ritter arbeitete schon 1936 eng mit Arthur Nebe zusammen, bei Besprechungen war Würth oft anwesend.[56] Nebe war seit 1937 der Chef des Reichskriminalpolizeiamtes (Amt V des Reichssicherheitshauptamt). Nebe benötigte Ritters kriminalbiologische Kompetenz und Ritter Nebes nationalsozialistische Protektion.[57] Auf Auftrag Nebes untersuchte das RHF Georg Elser, der am 8. November 1939 ein Attentat auf Adolf Hitler verübt hatte. Nebe hatte vermutet Elser sei ein "Zigeuner". Bearbeiter beim RHF waren Justin und Würth.

Erweiterte Aufgaben: Aufbau eines Archivs "aller asozialen und kriminellen Sippschaften" im Reich und Wirken in "Jugendschutzlagern"

Ritter wurde im Dezember 1941 zusätzlich auf Empfehlung des RSHA und des Rasse- und Siedlungshauptamt Leiter des "Kriminalbiologischen Institutes der Sicherheitspolizei und des SD" (KBI),[58] die Arbeit der RHF lief unvermindert weiter. Als eine Aufgabe des KBI wurde der Aufbau eines Archives "aller asozialen und kriminellen Sippschaften" definiert.[59] Ritter und seine Mitarbeiter versuchten hier die "bewährten" rassenhygienischen Methoden ihrer "Zigeunerforschung" auf weitere Bevölkerungsgruppen auszudehnen. Das Fehlen des Begriffes "Forschungsstelle" hatte einen taktischen Grund, "Forschung" wurde von vielen Dienststellen im Dritten Reich als nicht unmittelbar kriegswichtig angesehen, die Folge konnte etwa die Verweigerung von Zurückstellungen vom Kriegsdienst oder von Fördermitteln sein.[60] Die erhaltenen Akten des KBI besitzen nur einen geringen Umfang und lassen den Zweck des Institutes nur unzureichend erahnen. Erhalten sind 0,6 laufende Regalmeter die Material zu folgenden Bereichen enthalten: "Sippenkundliche Erhebungen über Familien einzelner Strafgefangener mit Stammbäumen, Strafregisterauszügen, Leumundaussagen 1942, Erlangung von Personalien und Wohnadressen der Strafgefangenen sowie deren Angehörigen Strafregisterauszüge, Ermittlungen von Ortspolizeibehörden, Geburtsurkunden (Karteikarten mit Anlagen) 1942, Erb- und lebensgeschichtliche Fragebogen über Insassen des Zuchthauses Rheinbach mit erbbiologischen Gutachten, Strafregisterauszügen, Anstaltsaktenauszügen 1942, Untersuchungen an Kriminellen im Zuchthaus Rheinbach 1942-1943."[61]

Die Forschungsstelle Ritter war unter anderem zuständig für die kriminalbiologische und rassenhygienische Beurteilung der Häftlinge von Jugendkonzentrationslagern die in einem nationalsozialistischen Euphemismus „Jugendschutzlager“ oder „Jugendverwahrlager“ genannt wurden.[62] Ziel der Arbeit war es: "ihre Insassen nach kriminalbiologischen Gesichtspunkten zu sichten, die noch Gemeinschaftsfähigen so zu fördern, dass sie ihren Platz in der Volksgemeinschaft ausfüllen können und die Unerziehbaren bis zu ihrer endgültigen anderweitigen Unterbringung (in Heil- und Pflegeanstalten, Bewahranstalten, Konzentrationslagern usw.) unter Ausnutzung ihrer Arbeitskraft zu verwahren."[63]

Eines dieser Lager war das im Juni 1940 für männliche Jugendliche eingerichte Jugend-KZ Moringen. Die Gedenkstätte Moringen beschreibt die Funktion des Lagers so:

"Ab 1941 war das Jugend-KZ Experimentierfeld innerhalb der NS-Rassenpolitik. Sogenannte Kriminalbiologen - unter der Führung von Dr. Dr. Robert Ritter - versuchten ihre Thesen, wonach "Kriminalität" und "Asozialität" erblich bedingt sein sollten, mit pseudowissenschaftlichen Untersuchungen an den inhaftierten Jungen zu belegen. Im Rahmen der NS-Rassenbiologie sollte auf der Basis der in Moringen geschaffenen "wissenschaftlichen" Grundlagen die rassistische Rechtfertigung für die Ausrottung oder Unfruchtbarmachung ganzer Bevölkerungsgruppen in Deutschland und den besetzten Gebieten geschaffen werden. Versuchsobjekte waren die jungen Häftlinge."[64]

So wirkte Ritter und seine Forschungsgruppe beim Aufbau des Blocksystems mit: Blöcke für "Untaugliche", "Störer", "Dauerversager", "Gelegenheitsversager", "fraglich Erziehungsfähige" oder "Erziehungsfähige" wurden gebildet.[65] Ein Teil der Häftlinge wurde sterilisiert oder kastriert.[66]

Literatur

  • Ute Brucker-Boroujerdi: Die Rassehygienische und Erbbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt. In: Bundesgesundheitsblatt 32 (Sonderheft März 1989). Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates, hrsg. von Heinz Boberach, München 1991/1995, Teil 1, S. 166.
  • Josef Henke: Quellenschicksale und Bewertungsfragen. Archivische Probleme bei der Überlieferungsbildung zur Verfolgung der Sinti und Roma im Dritten Reich. In: VfZ 1993, H1. S. 61-77 [14]
  • Mathias Winter: Kontinuitäten in der deutschen Zigeunerforschung und Zigeunerpolitik. In: Feinderklärung und Prävention. Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik 6, Berlin 1988, S. 135-152.
  • Joachim S. Hohmann: Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie. "Zigeunerforschung" im Nationalsozialismus. Frankfurt a.M. 1991
  • Joachim S. Hohmann: »Persilscheine« für den Schreibtischtäter. Das Beispiel des NS-Kriminalbiologen Dr. Dr. Robert Ritter. [15]
  • Michael Zimmermann: "Mit Weigerungen würde also nichts erreicht" Robert Ritter und die Rassenhygienische Forschungsstelle. In: Karrieren im Nationalsozialismus: Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz. Frankfurt and New York: Campus, 2004. [16]

Archivalien

  • Bundesarchiv Koblenz Bestand R 165: Rassenhygienische und Kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes, Laufzeit 1936-1941 (14 lfm)
  • Bundesarchiv Koblenz Bestand R 160: Kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes, Laufzeit: 1942-1943 (0,5 lfm)
  • Bundesarchiv Koblenz ZSg 142 Anh.: Aus der Sammlung Arnold (ZSg 142) aussortierte Unterlagen die von der Rassehygienischen und kriminalbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes bzw. aus den Nachlässen von Dr. Robert Ritter und Eva Justin stammen. Laufzeit 1830-1975 (66 Archiveinheiten)

Anmerkungen

  1. Presseerklärung des Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin: Reichsgesundheitsamt im Nationalsozialismus (2001)
  2. Bestandsbeschreibung des Bundesarchivs
  3. Hohmann 1991, S.137
  4. Henke 1993, S. 66
  5. Henke 1993, S. 66
  6. Bestandsbeschreibung des Bundesarchivs
  7. Hohmann 1991, S. 17-19
  8. Hohmann 1991, S.135
  9. Robert Ritter: Erbbiologische Untersuchungen innerhalb eines Züchtungskreises von Zigeunermischlingen und "asozialen Psychopathe". In: [[Hans Harmsen]]/ Franz Lohse [Hg.] (1936): Bevölkerungsfragen. Bericht des Internationalen Kongresses für Bevölkerungswissenschaft, Berlin 26. August – 1. September 1935, München (1936), S. 713-718. In: 1936S. 713-717.<> Hohmann 1991, S.135
  10. Hohmann 1991, S.135
  11. Hohmann 1991, S.135
  12. Hohmann 1991, S.136
  13. Zimmermann 2004, S.294
  14. Zimmermann 2004, S. 305
  15. Robert Ritter: Zur Frage der Rassenbiologie und Rassenpsychologie der Zigeuner in Deutschland. In: Reichs-Gesundheitsblatt Nr. 22/1938, dokumentiert in: Joachim S. Hohmann. Zigeuner und Zigeunerwissenschaft 1980, S. 205
  16. Bestandsbeschreibung des Bundesarchivs R 160
  17. Hohmmann S. 29, 31
  18. Robert Ritter: primitivität und Kriminalität. In: Monatshefte für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform. Heft 9/1940 S.15
  19. Bestandsbeschreibung des Bundesarchivs R 165
  20. Robert Ritter: Die Aufgeben der Kriminalbiologie und der kriminalbiologischen Bevölkerungsforschung. In: Kriminalistik 4/1941, S. 38
  21. Briefkopf Gutachterliche Äußerung 2543 vom 14.7.1941, wiedergegeben bei Gilsenbach 1993, S. 188; Briefkopf Gutachterliche Äußerung 16468 vom 27.4.1942, wiedergegeben bei Gilsenbach 1988, S. 108; Briefkopf Gutachterliche Äußerung 17691 vom 14.10.194?, wiedergegeben bei Hase-Michalik/Kreuzkamp S. 83;
  22. [1] Hohmmann 1991, S. 30. Hohmann nennt abweichend den Anfang des Jahres 1942.
  23. Robert Ritter: Das Kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei. In: Kriminalistik 11/1942, S. 117-119.
  24. Zimmermann 2004, S. 305
  25. Bestandsbeschreibung des Bundesarchivs
  26. Hohmann 1991, S. 140. 1935: 1500 RM für die erbiologische Untersuchungen an den vor Ritter als versteckte "Zigeunerpopulation" verdächtigten Würtemberger
  27. Forschergruppe zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920-1970 Bericht zur Abschlusskonferenz am 30. und 31. Januar 2008in Berlin, S.57
  28. Müller Hill 1988, S. 15, weitere Förderungen 1938; 1500 RM ebd. S. 16, 194X 15000RM ebd. S.XY, daneben wurde Ausrüstung (Fotoaparate, anthopometrische Messgeräte) an Ritter entliehen.
  29. Zimmermann 2004, S. 294
  30. Hohmann 1991, S. 140f.
  31. Bericht zur Abschlusskonferenz am 30. und 31. Januar 2008in Berlin, S. 72
  32. Robert Ritter: Zigeuner und Landfahrer. In: Der Nichtsesshafte Mensch, hrsg. Der bayrische Landesverband für Wanderdienst, nach: Fings/Sparing 1992, S. 51.
  33. Fings/Sparing 1992, S. 51.
  34. Beispiel hier belegt: Uwe Jens Wandel: Die Schorndorfer Familie Guttenberger. In: Heimatblätter. Jahrbuch für Schorndorf und Umgebung. Bd. 7, 1989 nach [2]
  35. Bericht an die DFG nach Müller-Hill 1988, S. 21
  36. Bericht an die DFG nach Müller-Hill 1988, S. 23, 62
  37. Bericht an die DFG nach Müller-Hill 1988, S. 62
  38. Bericht an die DFG nach Müller-Hill 1988, S. 23; Hohmann 1991, S.209
  39. wiedergegeben bei Gilsenbach 1993, S. 188
  40. http://www.hagalil.com/01/de/Antisemitismus.php?itemid=1192 Justin
  41. Gilsenbach 1988, S. 108
  42. Hase-Michalik/Kreuzkamp S. 83
  43. [http://www.histsem.uni-freiburg.de/DFG-Geschichte/Bericht2008.pdf Forschergruppe zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920-1970 (2008)] S. 72
  44. Müller-Hill 1988, S. 63
  45. Rose 2003, S.90; Zimmermann 1996, S. 169
  46. Interview Würth mit Müller-Hill 1988, S. 153.; Hans-Joachim Döhring (1959): Die Motive der Zigeuner-Deportation vom Mai 1940. In: VjHfZG. 1959/4 S. 428 [3] Gibt unkritisch eine Schutzbehauptung Ritters aus dem Stafverfahren gegen Ritter wider (STA Frankfurt/M. 55/3 Js 5582/48). Ritter behauptet "... er sei nie über Zigeuner betreffende Maßnahmen, Einweisungen in Konzentrationslager usw. unterrichtet worden, habe jedoch von dem Befehl zu einer Umsiedlung der Zigeuner nach Polen im Winter 1939/40 gehört und sei gegen dieses Vorhaben angegangen, was „nicht ohne Erfolg" geblieben 'sei." Die Darstellung seinens Mitarbeiters Würth widersprach hier also seinem ehemaligen Chef nicht nur, sondern sprach von einer direkten persönlichen Beteiligungen an der Planung mit Einfluss auf den Zeitpunkt der Deportation. Die von Heyderich im Protokoll der Sitzung angegebene Zahl von 30.000 "Zigeunern" im Reichsgebiet spricht ebenfalls für eine Beteiligung, die gleiche Zahl wird von Ritter erst 1941 veröffentlicht. Döhring ebd. S. 426.
  47. Hans-Joachim Döring (1962) "Die Zigeuner im Nationalsozialistischen Staat". Darin enthalten auch die Richtlinien für die Umsiedlung von Zigeunern (Erster Transport aus der westlichen und nordwestlichen Grenzzone) vom 27.4.1940 [4]
  48. Döhring 1959 diskutiert die einzelnen Gründe.
  49. Hans Hesse, Jens Schreiber (1999): Vom Schlachthof nach Auschwitz: die NS-Verfolgung der Sinti und Roma aus Bremen, Bremerhafen und Nordwestdeutschland. 1999, S.89
  50. [5]
  51. "Nach Angaben von Dr. Wirth(sic!) liegen die ortspolizeilichen Listen noch in Berlin. Ihm selbst war überhaupt nicht bekannt, daß aus dem Bereich der Leitstelle Frankfurt a.M. Zigeuner für eine Umsiedlung in Frage kamen." Er "ging sofort an die Begutachtung der von der Kripostelle Darmstadt eingelieferten Zigeuner. Zu diesem Zweck hatte er seine Kartei für die Kripostelle Darmstadt mitgebracht." Polizeibericht über die Deportation. HHStA Abt. 407/863 nach [6] Auch Zimmermann 1996, S. 45 erläutert Würths Arbeit in dem "Sammellager".
  52. [7]
  53. Polizeibericht über die Deportation. HHStA Abt. 407/863 nach [http://www.mainz1933- 1945.de/fileadmin/Rheinhessenportal/Teilnehmer/mainz1933-1945/Textbeitraege/Bohrer_Deportation_Lehmann.pdf]
  54. Interview mit Würth in Müller-Hill 1988, S. 153f.
  55. Tabelle nach dem Dokument wiedergegeben bei Arnold 1989/90. S. 32
  56. Müller-Hill, S. 153
  57. Müller-Hill, S. 153
  58. [8] Hohmmann 1991, S. 30. Hohmann nennt den Anfang des Jahres 1942.
  59. Gründungserlaß des Reichsinnenminister veröffentlicht 1942, Beschreibung der Institusaufgaben durch Ritter in der Zeitschrift Kriminalistik (1942) nach Wagner 1988, S. 93 und Fußnoten.
  60. Zimmermann 2004, S. 305
  61. Bestandsbeschreibung Bundesarchiv R 160
  62. [9]
  63. [10]
  64. [11]
  65. [12]
  66. [13]