Volksentscheid

Instrument der direkten Demokratie in Deutschland
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Ein Volksentscheid ist ein Instrument der Direkten Demokratie in Deutschland. Er ermöglicht es den wahlberechtigten Bürgern über ein Gesetz oder eine Vorlage unmittelbar abzustimmen. In aller Regel sind Volksentscheide in Deutschland verbindlich, es gibt jedoch einige wenige Ausnahmefälle hierzu. Volksentscheide gibt es in Deutschland in allen gesetzgebenden Gebietskörperschaften (also: Bundesländer und Bundesrepublik) allerdings in teils stark unterschiedlicher Ausgestaltung. Zumeist ist der Volksentscheid ein Instrument dass Volk oder gewählte Vertretung freiwillig ergreifen können, in einigen Bundesländern und auf Bundesebene sogar ausschließlich, existiert aber auch der obligatorische Volksentscheid, bei dem eine Beschlussfassung durch das Volk über bestimmte Vorlagen zwingend vorgesehen ist.

Begrifflichkeit

In der Politikwissenschaft wird der Begriff Volksentscheid stets verwendet, um eine aus dem Volk heraus angestrebte Abstimmung über einen politischen Gegenstand zu bezeichnen. Diese Verwendung grenzt den Begriff Volksentscheid vom Ausdruck Referendum ab, mit dem zumeist eine von der gewählten Vertretung angestrebte Entscheidung des Volkes bezeichnet wird.

Im Grundgesetz wiederum wird diese Unterscheidung nicht gemacht, und der Begriff Volksentscheid wird für alle Entscheide – also auch solche mit Referendumscharakter – verwendet.

Die sprachliche Verwirrung wird noch dadurch gesteigert, dass es in vielen anderen Sprachen lediglich den Ausdruck Referendum gibt, der unterschiedslos für alle Entscheide durch das Volk angewandt wird, also unabhängig davon ob die zur Abstimmung stehende Vorlage vom Volk, oder von der gewählten Vertretung dem Entscheid zugeführt wurde.

Umgangssprachlich wird in Deutschland zudem oftmals der Begriff Volksabstimmung fälschlich synonym zum Volksentscheid verwendet. Die Tatsache, dass die Volksabstimmung in der Schweiz ein politisches Instrument ist, dass dem deutschen Volksentscheid stark ähnelt, steigert diese sprachliche Unklarheit noch.

Ein korrektes Synonym für Volksentscheid ist Plebiszit.

Siehe auch: Referendum und Volksabstimmung

Volksentscheide in Deutschland

Deutsches Reich

Nach dem 1. Weltkrieg fanden aufgrund des Versailler Vertrages in mehreren Grenzgebieten des Deutschen Reiches Volksabstimmungen über Abtretung oder Verbleib bei Deutschland statt, siehe Volksabstimmungen im Gefolge des Versailler Vertrags‎. Von größerer politischer Bedeutung war auch der im Wege eines Volksbegehrens der Linken initiierte und 1926 durchgeführte Volksentscheid über die entschädigungslose Fürstenenteignung. Da aufgrund der Verfassungslage ein Präsenzquorum von 50 Prozent der Wahlberechtigten vorgeschrieben war, wählten die Gegner der Vorlage die Boykottstrategie, die in solchen Fällen de facto auf eine Aufhebung des geheimen Wahlrechts hinausläuft. (Wer wählen geht, hat sich als Befürworter der Vorlage deklariert). Sie waren damit auch erfolgreich. Die gleiche Strategie wählte zwei Jahre später die politische Linke, um im Dezember 1929 das Volksbegehren der Rechten gegen den Young-Plan zu Fall zu bringen. Entgegen der lange herrschenden Meinung waren es weniger die "unguter Weimaerer Erfahrungen" mit der direkten Demokratie, sondern eher situative Faktoren wie der heraufziehende Kalte Krieg, der die Väter (und wenigen Mütter) des Grundgesetzes dazu bewog, 1949 lediglich "Abstimmungen" in den Art. 20, 2 GG hineinzuschreiben, auf eine Ausformung der Verfahren dabei aber zu verzichten.

Bundesrepublik Deutschland

In Deutschland ist der Volksentscheid auf Bundesebene, außer bei einer Neugliederung des Bundesgebietes (Art. 29 (2) GG), zur Zeit nicht vorgesehen. Auf Landesebene gibt es ihn jedoch in allen Bundesländern. Im kommunalen Bereich sind direkte Bürgerentscheide in allen Bundesländern, dank einer Volksabstimmung auf Landesebene, auch in Berlin und Bayern, möglich. Besonders weitgehende direktdemokratische Elemente finden sich im Land Bayern. Dort ist unter anderem die Abwahl des Parlaments durch einen Volksentscheid möglich. (Art. 18 Abs. 3 Bayerische Verfassung) (siehe auch: Bürgerbegehren)

In Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes heißt es, die Staatsgewalt werde vom Volke „in Wahlen und Abstimmungen“ ausgeübt. Volksabstimmungen auf Landes- und Bundesebene werden damit grundsätzlich auf die gleiche Stufe wie Wahlen gestellt. Für die tatsächliche Durchführung von Volksentscheiden auf Bundesebene müsste das Grundgesetz jedoch erneut geändert werden, da als Gesetzgeber bisher nur der Bundestag (zusammen mit dem Bundesrat) in Artikel 76 Abs. 1 GG aufgeführt ist. Einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes hat die FDP am 25. Januar 2006 in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 16/474). Darin schlägt sie vor, das Grundgesetz durch die Einführung der unmittelbaren Bürgerbeteiligung in Form von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene zu ändern bzw. zu ergänzen. Auch die SPD, Die Linke und die Grünen plädieren seit langem für die Ergänzung der Gesetzgebung auf Bundesebene durch Volksentscheide und direktdemokratische Elemente. Die Linke und die Grünen haben ebenfalls dahingehende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksachen 16/1411 bzw. 16/680). CDU/CSU lehnen hingegen direktdemokratische Elemente auf Bundesebene ab. In der Großen Koalition waren sie daher nicht durchsetzbar. Verfassungsrechtlich mindestens problematisch ist die Beteiligung der Länder an einer derartigen Volksgesetzgebung. Nach Art. 79 (3) sind diese an der Gesetzgebung zu beteiligen. Zwar - so die Lesart der meisten Verfassungsrechtler - muss dies nicht zwangsläufig über den Bundesrat geschehen, jedoch stellt sich die Frage nach der Alternative. Eine Lösungsmöglichkeit wäre die Einführung von Länderquoten, analog zur Schweizer Kantonsstimme. Doch auch diese Möglichkeit wirft erhebliche verfassungsrechtliche und praktische Probleme auf. Aus diesem Grund wird in der politischen Wissenschaft neuerdings der Vorschlag gemacht, auf die Volksinitiative zu verzichten und stattdessen direktdemokratische Elemente nach dem parlamentarischen Prozess einzubauen. Denkbar sind hier zwei Möglichkeiten: Zum einen könnte die Möglichkeit der Vetoinitiative geschaffen werden. Das Volk könnte damit über ein bereits verabschiedetes Gesetz eine Abstimmung durchführen und dieses Gesetz bei Erfolg zu Fall bringen. Daneben wäre eine zweite Alternative ein von der Regierung ausgelöstes Referendum - das Volk könnte so ein Gesetz, das der Bundesrat gestoppt hat, in Gang setzen.

Partei Person Pro Contra
CDU Wähler[1] 68 % ?
CDU Merkel[1] - "Ich bin ganz entschieden der Auffassung, dass plebiszitäre Elemente auf der Bundesebene nicht der richtige Weg sind."
CDU Jürgen Rüttgers[1] "Die CDU hat keine Angst vor den Menschen, und das muss sie auch zeigen."
CDU Partei - Kontra
SPD Partei Pro -
FDP Partei Pro -
Bündnis 90 / Die Grünen Partei Pro -
Die Linke Partei Pro -

Volksentscheide in den einzelnen Bundesländern

Bayern

s. bayerisches Landeswahlgesetz, besonders dritter Teil.

Dortiger § 79 lautet: " Ergebnis des Volksentscheids

(1) Ein Gesetzentwurf erreicht die erforderliche Zustimmung durch Volksentscheid, wenn

  1. er mehr gültige Ja-Stimmen als Nein-Stimmen erhält und
  2. im Fall, dass der Gesetzentwurf eine Verfassungsänderung beinhaltet, diese Ja-Stimmen mindestens 25 v. H. der Stimmberechtigten entsprechen (Quorum); beinhaltet der Gesetzentwurf sowohl eine Verfassungsänderung als auch die Schaffung oder die Änderung einfachen Rechts, so unterliegt er insgesamt dem Quorum.

(2) Steht ein einziger Gesetzentwurf zur Abstimmung, so ist er durch Volksentscheid angenommen, wenn er die erforderliche Zustimmung (Absatz 1) erreicht.

(3) 1 Hat von mehreren nach Art. 76 Abs. 4 zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfen nur ein Gesetzentwurf die erforderliche Zustimmung (Absatz 1) erreicht, so ist dieser Gesetzentwurf angenommen. 2 Haben zwei oder mehr Gesetzentwürfe die erforderliche Zustimmung (Absatz 1) erreicht, so ist von diesen der Gesetzentwurf angenommen, der bei der Stichfrage (Art. 76 Abs. 4 Satz 2) die Mehrheit der gültigen Stimmen erhält. 3 Ergibt sich bei der Stichfrage Stimmengleichheit, so ist der Gesetzentwurf angenommen, der die meisten gültigen Ja-Stimmen (Art. 76 Abs. 4 Satz 1) erhalten hat. 4 Haben dabei zwei oder mehr Gesetzentwürfe die gleiche Zahl an gültigen Ja-Stimmen erhalten, so ist derjenige angenommen, der nach Abzug der auf ihn entfallenden Nein-Stimmen die größte Zahl an Ja-Stimmen auf sich vereinigt. 5 Ergibt sich auch danach Stimmengleichheit zwischen zwei oder mehr Gesetzentwürfen, so wird über diese Gesetzentwürfe erneut abgestimmt." [2] [3]

[4] Es hat in Bayern bereits zahlreiche Versuche gegeben, einen Gesetzesentwurf bis zum Volksentscheid zu bringen, davon sind viele an den verschiedenen Hürden des dreistufigen Volksgesetzgebungsverfahrens gescheitert; bei einigen Initiativen kam es jedoch bis zum Volksentscheid. So wurde unter anderem der bayerische Senat per Volksentscheid abgeschafft. Zur Zeit (19. November 2009 bis 2. Dezember 2009) läuft die Eintragungsfrist zum Volksbegehren für echten Nichtraucherschutz in Bayern.

Berlin

Das "Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid"[5] für das Land Berlin, zuletzt geändert im Februar 2008, kennt drei Abstimmungsformen:

  1. Volksinitiative: Sie hat zum Ziel, ein Thema auf die Tagesordnung des Abgeordnetenhauses (Landesparlament) zu setzen. Hierfür reichen 20.000 gültige Unterschriften.
  2. Volksbegehren: Es zielt auf den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Gesetzes oder eines anderen Beschlusses des Abgeordnetenhauses. Möglich ist auch ein Volksbegehren für eine vorzeitige Neuwahl. Der Antrag auf ein Volksbegehren benötigt ebenfalls 20.000 Unterstützungs-Unterschriften (falls es um eine Neuwahl geht, 50.000). Das Volksbegehren hat Erfolg, wenn mindestens 7 % der Stimmberechtigten zustimmen (bei Verfassungsänderungen 20 %). In diesem Fall muss innerhalb von vier Monaten (bei Neuwahl innerhalb von zwei Monaten) ein Volksentscheid über die Abstimmungsfrage durchgeführt werden.
  3. Volksentscheid: Er wirkt wie ein Beschluss des Abgeordnetenhauses. Ein Volksentscheid ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden und zugleich das Quorum eines Viertels der Stimmberechtigten (also 25 % aller Stimmberechtigten) zustimmt. Falls es um eine Neuwahl des Abgeordnetenhauses geht, muss zudem mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten teilgenommen haben.

Am 27. April 2008 fand in Berlin ein Volksentscheid für den Weiterbetrieb des innerstädtischen Flughafens Tempelhof statt. Es stimmten zwar über 60 % der rund 880.000 Teilnehmer für den Antrag. Da dies aber nur 21,7 % der Stimmberechtigten entspricht, war das Quorum von 25 % nicht erreicht und der Volksentscheid damit gescheitert.

Hamburg

Im Oktober bzw. November 2007 wurde ein Volksentscheid über eine verfassungsrechtlich stärkere Verbindlichkeit von Volksentscheiden in Hamburg durchgeführt. Dieser hatte keinen Erfolg. Im Dezember 2008, nach einem zweiten Anlauf, haben sich die Volksinitiative 'Faire und Verbindliche Volksentscheide' und die Hamburger Bürgerschaft zu einem Kompromiss einigen können und den Artikel 50 der Hamburger Verfassung leicht geändert, so dass Volksinitiativen nun zu Volksbegehren führen können, die, falls nicht von der Bürgerschaft direkt umgesetzt, durch eine Wahl der Bürger am nächsten Wahltermin direkt vom Volk entschieden wird. Damit ist eine deutliche Stärkung der Volksinitiativen und Volksentscheide in Hamburg beschlossen worden. Grundsätzlich bleibt die Macht der Legislative jedoch im Hamburger Parlament.

Rheinland-Pfalz

Gemäß Artikel 107 der Landesverfassung (LV) wird die Gesetzgebung durch den Landtag und „durch das Volk im Wege des Volksentscheids“ ausgeübt [1]. Voraussetzung ist ein wirksames Volksbegehren. Entspricht der Landtag einem solchen Volksbegehren nicht innerhalb von drei Monaten, so findet innerhalb von weiteren drei Monaten ein V. statt (vgl. Art. 109 Abs. 4 LV). Das Nähere bestimmt das rheinland-pfälzische Wahlgesetz (LWG)[2].

Die Landesregierung hat einen V. einzuleiten wenn (1) der Landtag einem Volksbegehren nicht fristgerecht entspricht oder (2) 150.000 Stimmberechtigte dies mit einem Volksbegehren verlangen, weil zuvor ein Gesetz vom Landtag ausgesetzt worden war. Der V. in der Variante (1) muss innerhalb von weiteren drei Monaten stattfinden (vgl. §77 LWG).

Ein Gesetz ist im Wege des V. angenommen, wenn eine doppelte Mehrheit vorliegt, d. h. die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen hat dem Gesetzentwurf zugestimmt und mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten hat sich an der Abstimmung beteiligt (vgl. § 81 LWG).

Pro und contra Volksentscheid

Siehe auch

Literatur

  • Hermann K. Heußner; Otmar Jung (Hrsg.): Mehr Demokratie wagen. Volksbegehren und Volksentscheid: Geschichte – Praxis – Vorschläge, Mit einem Vorwort von Hans-Jochen Vogel. Im Auftrag des Kuratoriums für mehr Demokratie. München: Olzog Verlag, 1999, 380 S., ISBN 3-7892-8017-8
  • Peter M. Huber: Die Vorgaben des Grundgesetzes für kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, in: AöR 126 (2001), S. 146 ff.
  • Otmar Jung: Direkte Demokratie in der Weimarer Republik. Die Fälle "Aufwertung", "Fürstenenteignung", "Panzerkreuzerverbot" und "Youngplan". Frankfürt/Main u. a. 1989
  • Otmar Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, Westdeutschjer Verlag, Opladen 1994, ISBN 3-531-12638-5
  • Reinhard Schiffers: Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem. Düsseldorf 1971, zugleich phil. Diss. Mannheim 1971
  • Theo Schiller; Volker Mittendorf (Hrsg.): Direkte Demokratie, Forschung und Perspektiven, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag
  • Christopher A. Schmidt: Unmittelbare Gemeindedemokratie im mittel- und süddeutschen Raum der Weimarer Republik. Eine Untersuchung von Verfahren und Praxis. Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2607-6, zugleich jur. Diss. Hannover 2006
  • Jan H. Witte: Unmittelbare Gemeindedemokratie der Weimarer Republik. Verfahren und Anwendungsausmaß in den norddeutschen Ländern. Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1997, ISBN 3-7890-4809-7, zugleich jur. Diss. Hannover 1996
  • Fabian Wittreck: Direkte Demokratie und Verfassungsgerichtsbarkeit. Eine kritische Übersicht zur deutschen Verfassungsrechtsprechung in Fragen der unmittelbaren Demokratie von 2000 bis 2002, in: JöR 53 (2005), S. 111-185.

Einzelnachweise

  1. a b c http://www.mehr-demokratie.de/parteien-zum-volksentscheid.html Bundesweiter Volksentscheid - Die Parteien
  2. http://www.servicestelle.bayern.de/bayern_recht/recht_db.html?
  3. http://by.juris.de/by/gesamt/WahlG_BY_2002.htm#WahlG_BY_2002_rahmen
  4. http://by.juris.de/by/gesamt/Verf_BY_1998.htm#Verf_BY_1998_rahmen
  5. Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid für das Land Berlin, pdf-Format