Zen-Buddhismus oder Zen (jap.: 禅 - Zen) ist eine in China ab dem 5. Jahrhundert nach Christus entstandene Linie des Mahayana-Buddhismus, die wesentlich vom Taoismus beeinflusst wurde. Der chinesische Name 禅 (Chan) stammt von dem Sanskritwort Dhyana (ध्यान), das in das Chinesische als 禅那 (Chan'na) übertragen wurde. Ab dem 12. Jahrhundert wurde das Zen auch nach Japan übertragen. Die im Westen verwendeten Begriffe zum Zen stammen meistens aus dem Japanischen.
Was ist Zen?
Die Frage Was ist Zen? gehört zu jenen seltenen Fragen, die aus prinzipiellen Gründen nicht (sinnvoll) beantwortet werden können. Die Antwort auf diese Frage kann nur individuell-intuitiv erfaßt werden. Sie wird nur von jenen verstanden, die sie bereits kennen.
Zen bezeichnet eine besondere Erkenntnis oder Einsicht, die mit einer bestimmten grundsätzlichen Lebensweise und -haltung verbunden ist. Die Wurzeln des Zen liegen zwar im Buddhismus, nach Meinung vieler Zen-Meister ist es jedoch nicht an eine bestimmte Religion oder Weltanschauung gebunden. Der Kern des Zen übersteigt – wie es mystischen Bewegungen eigen ist – alle religiösen und philosophischen Systeme.
Zen bietet nichts: keine Lehre, kein Geheimnis, keine Antwort, keine Lösung. Zen ist das Gewöhnlichste, Alltäglichste und Normalste der Welt, nämlich: das Leben zu leben - in seiner ganzen Fülle. Doch es scheint so, als ob der freie Zugang zum Leben durch die niemals schweigende Stimme der Gedanken, durch hartnäckige Ideen und urteilende Vorstellungen vollkommen verstellt ist. Zen ist die Befreiung – zuletzt vermag man sogar essen, wenn man hungrig ist, schlafen, wenn man müde ist. Zen ist nichts Besonderes. Es gibt kein Ziel, welches zu erreichen wäre.
Auch wenn Zen immer schon Intellektuelle und Wissenschaftler in aller Welt besonders angezogen hat, ist es im Kern zutiefst wissenschaftsfeindlich und irrational. Es widersetzt sich grundsätzlich jeder begrifflichen Bestimmung. Das scheinbar Mysteriöse des Zen rührt allein aus den Paradoxa, die der Versuch des Sprechens über Zen hervorbringt.
Sinn des Zen
Jeder Mensch kennt Zen-Momente. Es sind Augenblicke wie etwa die völlige Versenkung in eine spannende Tätigkeit, das Aufgehen in einer Menschenmasse (z.B. in einer Festgemeinschaft) oder das gänzliche Aufgesogensein durch eine Wahrnehmung (z.B. durch Musikhören). Die westliche Psychologie spricht vom Flow-Erlebnis, doch fehlt in diesem Konzept noch das Moment der aufmerksamen (Selbst-)Beobachtung.
Primäre Aufgabe im Zen ist die fortgesetzte, vollständige und bewußte Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments, eine vollständige Achtsamkeit ohne eigenes Urteil (Samadhi). Diesen Zustand soll der Zen-Schüler nicht nur während des Zazen, sondern in jedem Augenblick seines Lebens beibehalten. Auf diese Weise kann er zur Erkenntnis der absoluten Realität gelangen (Satori). Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird aufgehoben; die Kontingenz der eigenen Existenz, das In-die-Welt-geworfen-Sein kann angenommen werden. Vollkommene innere Befreiung ist die Folge: es gibt nichts zu erreichen, nichts zu tun und nichts zu besitzen.
Zen-Praxis
Zen ist der weglose Weg, das torlose Tor. Zen braucht nicht gesucht zu werden, es ist immer schon da. Vermöchten die Suchenden einfach nur ihre permanenten Anstrengungen aufzugeben, die Illusion der Existenz eines „Ich“ aufrechtzuerhalten, könnte die Suche sofort eingestellt werden.
Realistisch gesehen ist das Beschreiten des Zen-Weg jedoch das Schwierigste, was in einem menschlichen Leben unternommen werden kann. Die Schüler müssen die Bereitschaft mitbringen, für ihr Ziel zu sterben. So dauert der Übungsweg gewöhnlich mehrere Jahre, bevor die ersten Schwierigkeiten überwunden sind. Der Weg ist allerdings stets zugleich auch das Ziel, im Üben ist die Erfüllung stets gegenwärtig.
Mit der Zeit haben Zen-Meister verschiedene Techniken entwickelt, die den Zen-Schülern bei ihren Bemühungen helfen sollen. Die Schulung der Aufmerksamkeit und der Selbstbeobachtung stehen dabei an erster Stelle. Gelehrt werden kann Zen nicht, nur die Voraussetzungen für spontane, intuitive Einsichten können verbessert werden.
In den folgenden Unterabschnitten werden einige verbreitet Methoden der Zen-Praxis erläutert.
Sitzmeditation
Zentrales Element dieser Zen-Praxis ist dabei das Zazen (Sitzmeditation, SitZen), welches in aufrechter Körperhaltung und in vollkommener Achtsamkeit auf das Fließen des Atems durchgeführt wird. Häufig dient dazu ein Sitzkissen (Zafu), das zusammen mit der darunter liegenden Matte (Zafuton) den Praxis-Platz in einer Meditationshalle (Zendo, Dojo) bildet. Welcher Sitz auch immer gewählt wird, die Knie sollen Bodenkontakt haben. Das gilt für den vollen Lotus-Sitz, den halben Lotus-Sitz, den Burmesischen, wie auch für den Fersensitz (Seiza). Zazen kann auf einem Stuhl praktiziert werden, wenn körperliche Bedingungen ein Sitzen auf dem Boden nicht gestatten. Aber auch in diesem Fall ist die Körperhaltung aufrecht und der Rücken frei von jeder Anlehnung. Während des Zazen wird der Körper nicht bewegt, da die äußere, körperliche Disziplin der inneren, geistigen Disziplin eine Stütze bieten soll. Das Denken ist ein wilder Affe, heißt es im Linji Lu, den Unterweisungen des großen Zen-Meisters Linj (Rinzai). Indem während des Übens die Flut der Gedanken zur Ruhe kommt, wird das Erleben von Stille und Leere möglich. Hierdurch wird die mystische Erfahrung der Erleuchtung (Satori), ein oft plötzlich eintretendes Erleben universeller Einheit, d.h. die Aufhebung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes, ermöglicht. In diesem Zusammenhang ist oft von Erwachen und Erleuchtung (pali/sanskrit: bodhi), vom Buddha-Werden, oder der Verwirklichung der eigenen Buddha-Natur die Rede. Diese Erfahrung der Nicht-Dualität ist der sprachlichen Kommunikation kaum zugänglich und kann auch einer Person ohne vergleichbare Erfahrung nicht vermittelt werden. So ist es im Zen mehr als unüblich, darüber mit einer anderen Person als dem Zen-Lehrer zu sprechen.
Gehmeditation
Ein weiteres Element der Praxis ist das achtsame Gehen (Kinhin), das zwischen zwei Zazen-Perioden geübt wird.
Rezitation
Mehrmals am Tag gibt es auch die Praxis der Rezitation, wo die Übenden gemeinsam mit voller Stimme und Konzentration Texte lesen. Die japanischen Silben weisen nicht nur den europäischen Übenden zurück auf sein eigenes Denken und Bewusstsein und erlauben ihm keine Ablenkung ins diskursive Denken des scheinbaren Verstehens von Worten. Neben kurzen Texten, wie der Dreifachen Zuflucht und Dharanis, werden zentrale Texte des Mahayana, wie Lotus-Sutra und Herz-Sutra, aber auch die gesamte Liste der Linienhalter von Buddha Shakyamuni bis zum derzeitigen Roshi der Linie rezitiert.
Arbeit
Samu ist die Bezeichnung für das meditative Arbeiten im klösterlichen Kontext, das ebenso zum vollkommenen Gewahrsein führen kann, wie die Übung des Zazen. Viele Zen-Geschichten berichten über die Verwirklichung von Wesensschau (kensho) und Erwachen (satori) beim Gemüseschälen in der Küche, oder beim Fegen des Hofes.
Koans
Als weiteres Hilfsmittel werden, besonders in der Rinzai-Schule, sogenannte Koans eingesetzt (paradoxe Rätsel historischer Zen-Meister), die nicht mit dem rationalen Denken gelöst werden können. Koan-Praxis wird zumeist in mehrtägigen, häufig einwöchigen Übungsperioden (Sesshin) durchgeführt, wobei der Schüler mehrmals täglich dem Meister seine Sicht („Lösung“) des Koans in einem kurzen formalen Austausch (Sanzen) präsentiert.
Philosophische Aspekte des Zen
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Geschichte
Von verschiedenen Zen-Meistern wird etwa ab dem Jahre 1000 n. Chr. die Zen-Lehre folgendermaßen charakterisiert (Zitat nach "Zen-Worte vom Wolkentor-Berg" von Urs App):
Eine Übermittlung außerhalb jeglicher Doktrin,
die sich weder auf Worte noch auf Schriften stützt.
Ein direktes Hinweisen auf des Menschen Herz:
Wer sein eigenes Wesen schaut, ist ein Erwachter (Buddha).
Die Übermittlung erfolgt persönlich von Lehrer zu Schüler in so genannten Dharma-Linien.
Indien und China
Nach dem Shobogenzo des Zen-Meisters Dogen beginnt die Lehrer-Schüler-Kette mit dem Buddha Vipasyin und führt dann über fünf weitere legendäre Buddhas zu dem historischen Buddha Shakyamuni. Dieser habe einst eine Blume zwischen seinen Fingern gedreht, worauf einzig sein Schüler Kashyapa diese Geste als zentralen Punkt der Lehre unmittelbar verstanden und gelächelt habe.
So soll sich die Linie fortsetzen über 26 indische Meister zu Bodhidharma, der die Lehre nach China gebracht haben soll und so zum ersten Patriarch des Chan (Zen) wurde. Historisch gesehen liegen die Anfänge des Chan in China jedoch im Dunkeln. Bodhidharma gilt zwar als historische Persönlichkeit, jedoch ist nichts über seine Art der Meditation bekannt und seine Legende liegt erst ab dem 7. Jh. u.Z. vor. Wenn auch die Reihenfolge der nachfolgenden Zen-Patriarchen unsicher ist, so wird oft folgende Liste angegeben:
- Bodhidharma (skt. बोधिधर्म, chin. Damo 達摩, jap. Daruma だるま) * um 440 - † um 528
- Hui-ke (慧可, jap. Daiso Eka) *487 - †593
- Seng-can (僧燦, jap. Konchi Sosan) * ? - †606
- Dao-xin (道信, jap. Dai'i Doshin) *580 - †651
- Hung Ren (弘忍, jap. Dai'man Konin) *601 - †674
- Hui Neng (慧能, jap. Daikan Eno) *638 - †713
Nach dem 6. Patriarchen teilt sich die Linie in verschiedene Schulen auf. Für das China der Zeit um 950 spricht man von den 5 Häusern:
- Igyo (chin. Gui Yang)
- Rinzai (chin. Lin Ji 臨済) von Eisai Zenji nach Japan gebracht
- Soto (chin. Cao Dong 曹洞) von Dogen Zenji nach Japan gebracht
- Ummon (chin. Yun Men 雲門)
- Hogen (chin. Fa Yan 法眼)
In der Folge entstanden bis in die Gegenwart weitere Schulen, darunter:
- Obaku (chin. Huang Po 黄檗)
- Sanbô Kyôdan
Japan
Die japanische Kultur wurde durch Zen stark beeinflusst. Aus dem Bemühen von Gelehrten, Künstlern und der Samurai um ein tieferes Verständnis von Zen entstanden (vorwiegend in der Rinzai-Schule) eine Reihe verschiedener Disziplinen, die auch als Wege des Zen bekannt wurden:
- Teezeremonie (Chado - der Teeweg)
- Zengarten (Gartenkunst)
- Ikebana (eigentlich: Kado - der Blumenweg)
- Kyudo (Bogenschießen)
- Shodo (der Schreibkunst-Weg)
- Suizen (Spiel der Shakuhachi-Bambusflöte)
Zen wurde zur Geisteshaltung wichtiger Familien der Kriegerkaste (Samurai) und gewann so Einfluss auf die Kriegskünste (Budo). Dadurch entstanden jedoch auch Verbindungen zum japanischen Nationalismus, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch aus Reihen des Zen selbst kritisiert wurden.
Moderne
In der Neuzeit ist die Verbreitung des Zen in Japan zurückgegangen, jedoch wächst die Zahl der Anhänger in den westlichen Ländern. Begünstigt durch fehlenden Dogmatismus gibt es auch Verbindungen zur katholischen Kirche. Wichtige Vermittler als Priester und gleichzeitig Zen-Meister sind:
- Pater Enomiya-Lasalle SJ (1898-1990) und
- Pater Willigis Jäger OSB (Ko-un Roshi).
Ein wichtiger zeitgenössischer Dharma-Lehrer ist der Vietnamese Thich Nhat Hanh, der Zen (Mahayana) mit Elementen des Theravada-Buddhismus (Vipassana) verknüpft.
Die Soto-Zen Schule wird in Deutschland aktuell vertreten durch Rev. Shoju Nakagawa und Rev. L. Tenryu Tenbreul. (s. Literaturhinweise: Weltweite Liste der Soto-Zen Tempel und Zentren)
Siehe auch
Literatur
Moderne Klassiker
- Shunryu Suzuki: Zen-Geist - Anfänger-Geist. 11. Aufl. Theseus, Berlin 2002, ISBN 3-89620-131-X
- Charlotte Joko Beck: Zen im Alltag. Droemer Knaur, München 2000, ISBN 3-426-87025-8
- Philip Kapleau: Die Drei Pfeiler des Zen. Lehre - Übung - Erleuchtung. 14. Aufl. Barth, München 2004, ISBN 3-502-61132-7
- Eugen Herrigel: Zen in der Kunst des Bogenschießens. 44. Aufl. Barth, Frankfurt a.M. 2003, ISBN 3-502-61115-7
- Daisetz T. Suzuki: Die grosse Befreiung: Einführung in den Zen-Buddhismus. 20. Aufl. Barth, München u.a. 2003, ISBN 3-502-67594-5
Alternative Einführungen
- Robert M. Pirsig: Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten. Ein Versuch über Werte. 28. Aufl. Fischer, Frankfurt a.M. 2003, ISBN 3-596-22020-3
- Janwillem van de Wetering: Der leere Spiegel: Erfahrungen in einem japanischen Zen-Kloster. 20. Aufl. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-14708-4
Zen heute
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Kritik und Probleme
- Janwillem van de Wetering: Reine Leere. Erfahrungen eines respektlosen Zen-Schülers. 4. Aufl. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2003, ISBN 3-499-22901-3
- Brian A. Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg. Eine unheimliche Allianz. Theseus, Berlin 1999, ISBN 3-896-20132-8
- Erich Fromm, Daisetz T. Suzuki, Richard de Martino (Hrsg.) Zen-Buddhismus und Psychoanalyse. Nachdr. der 1. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2004, ISBN 3-518-36537-1
Quellen
- Thomas Cleary (Hrsg.): Der Mond scheint auf alle Türen. Zen-Aphorismen grosser Meister über die Kunst des Lebens aus innerer Freiheit. Barth, Bern u.a. 1992, ISBN 3-502-64111-0
- Kôun Yamada (Hrsg.): Mumonkan. Zen-Meister Mumons Koan-Sammlung/Die torlose Schranke. 2. Aufl. Kösel, München 1997, ISBN 3-466-20308-2
- Urs App (Hrsg.) Zen-Worte vom Wolkentor-Berg. Darlegungen und Gespräche des Zen-Meisters Yunmen Wenyan (864 - 949). Barth, Bern u.a. 1994, ISBN 3-502-64640-6
- Meister Dogen: Shobogenzo. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges. 4 Bände. Kristkeitz, Heidelberg-Leimen 2001, ISBN 3-921508-90-8, -91-6, -92-4 und -93-2
- Taisen Deshimaru (Hrsg.): Hannya-shingyô. Das Sûtra der höchsten Weisheit. Kristkeitz, Leimen 1988, ISBN 3-921508-20-7
- Meister Hakuin: Authentisches Zen. Fischer, Frankfurt a.M. 1997. ISBN 3-596-13333-5
Wissenschaftliche Literatur
- Kôgaku Arifuku: Deutsche Philosophie und Zen-Buddhismus. Komparative Studien. Akademie, Berlin 1999, ISBN 3-05-003214-6
- Oliver Göbel: Das Samâdhi bei Zen-Meister Dôgen. Das Samâdhi (Geistessammlung) und seine Beziehung zum Zazen (Sitzmeditation) und zum Satori (Erleuchtung). Ars Una, Neuried 2001, ISBN 3-89391-105-7
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Weblinks
- ZenForum.de - Informationen und Zen-Forum
- Zen-Guide Deutschland (mit Zentrensuche)
- Zen.de Portal
- Zensite - Texte und Bilder
- Verzeichnis von Zen-Seiten im Netz (Open Directory)
- Östliche Philosophie bei MartialArtsForum.org
(Für weitere Links s. Soto, Rinzai und die Artikel zu den von Zen beeinflussten japanischen Disziplinen.)