Anime (japanische Schreibweise アニメ, Betonung auf der ersten Silbe) ist eine Abkürzung des englischen Wortes animation und bezeichnet außerhalb von Japan, speziell in den westlichen Ländern, in Japan produzierte Zeichentrickfilme. In Japan selbst steht Anime für alle Arten von Zeichentrickfilmen, für die im eigenen Land produzierten genauso wie für die importierten.
Geschichtliches
Seit 1913 experimentierten japanische Hobbyfilmer, die sich an den ersten amerikanischen Trickfilmen orientierten, mit der Produktion von Animationsfilmen. 1917 entstanden die ersten japanischen Trickfilme - schwarz-weiß, stumm und mit einer Laufzeit von wenigen Minuten. In diesem Zusammenhang werden am häufigsten erwähnt:
- Imokawa Mukuzo Genkanban no Maki (Mukuzo Imokawa der Portier; Kreidezeichnungen auf Tafeln) von Oten Shimokawa (1892-1973)
- Hanahekonai's New Sword von Jun'ichi Kouchi (1886-1970)
- Saru Kani Kassen (Die Krabbe rächt sich am Affen; Tintenzeichnungen auf Papier, Erstaufführung am 20. Mai 1917) von Seitaro Kitayama. Auch der erste außerhalb Japans gezeigte japanische Trickfilm stammte von Kitayama: Momotarō (Pfirsichjunge) aus dem Jahr 1918.
Die meisten Trickfilme der 1920er-Jahre waren in traditionellem japanischem Stil gezeichnet und schilderten klassische asiatische Märchen. Vereinzelt gab es aber auch Adaptationen ausländischer Cartoons (z. B. von der US-Serie Fritz the Cat). Der älteste heute noch existierende japanische Trickfilm dürfte Obasuteyama (姥捨山, Der Berg, an dem alte Frauen zurückgelassen werden) von Sanae Yamamoto aus dem Jahr 1924 sein.
Der erste abendfüllende farbige Anime-Kinofilm war Hakujaden (白蛇伝) von Studio Toei aus dem Jahr 1958 [1]. Er kam drei Jahre später unter dem Titel Panda and the Magic Serpent als erster Anime in die US-Kinos.
Inhalt moderner Anime
Während bei europäischen und amerikanischen Zeichentrickfilmen hauptsächlich kindgerechte Inhalte und Comedy im Vordergrund stehen und andere Genres eher Randerscheinungen darstellen, besitzen Anime ein breit gefächertes Themenspektrum. Von Literaturverfilmungen (z.B. Das Tagebuch der Anne Frank) über Horror bis hin zu Science-Fiction werden nahezu alle Bereiche und Altersklassen abgedeckt. Ein Schwerpunkt der Produktionen liegt allerdings auch in Japan bei TV-Serien für Kinder, denen aber oft etwas mehr "zugemutet" wird als in westlichen Kinderfilmen üblich.
Pornographische Anime (sog. Hentai) machen nur einen kleinen Teil des japanischen Kaufvideo-Marktes aus, im Kino werden sie in Japan überhaupt nicht gezeigt. Im Gegensatz zu weit verbreiteten Vorurteilen liegt der Anteil von Hentai bei Anime nur bei ca. 5 % der Gesamtproduktion (im Gegensatz zu Manga, bei denen der Hentai-Anteil in Japan geschätzte 25 % beträgt).
Bedeutung von Anime in Japan
Die Bedeutung der Anime in Japan kann man an der Tatsache erkennen, dass die beiden (bis 2003) erfolgreichsten Kinofilme in Japan Anime sind: Mononoke Hime (engl.: Princess Mononoke, dt.: Prinzessin Mononoke) und Sen to Chihiro no Kamikakushi (engl.: Spirited Away, dt.: Chihiros Reise ins Zauberland).
Anime-Industrie in Japan
Veröffentlichungsarten
Neben TV-Serien und Kinofilmen gibt es noch ein weiteres Format für Anime: OVA oder auch OAV. Dies steht für "Original Video Animation" bzw. "Original Anime Video" und bezeichnet Anime, die speziell für den Kaufvideo-Markt gemacht wurden. Die Zielgruppe sind junge Erwachsene, daher sind auch die Inhalte in der Regel mit mehr Fanservice versehen.
Zusammenarbeit mit anderen Medien
Die meisten Anime und Anime-Serien beruhen auf erfolgreichen und in Japan etablierten Manga (z. B. Akira, Ghost in the Shell u.v.a.).
Bekannte Anime-Studios
Das bekannteste Anime-Studio in Japan ist Studio Ghibli, in dem seit 1985 unter der Leitung von Hayao Miyazaki ein Blockbuster nach dem anderen entsteht (z. B. Mononoke Hime). Seinen bisher größten weltweiten Erfolg feierte Studio Ghibli mit Sen to Chihiro no Kamikakushi (dt.: Chihiros Reise ins Zauberland): Der Film erhielt neben zahlreichen internationalen Zuschauer- und Kritikerpreisen im Jahr 2002 den Goldenen Bären auf der Berlinale und im Jahr 2003 den Oscar als bester Animationsfilm, was ihn zum höchstdekorierten Zeichentrickfilm aller Zeiten macht.
Anime in Deutschland
Anime im deutschen Kino
Der erste Anime in Deutschland überhaupt war der Kinofilm Der Zauberer und die Banditen (jap. Originaltitel: 少年猿飛佐助 Shōnen Sarutobi Sasuke, engl. Magic Boy) von Studio Toei aus dem Jahr 1959 [2]. Er hatte seinen deutschen Kinostart am 16. März 1961.
Seither sind im deutschen Kino insgesamt ca. 25 bis 30 Anime-Filme gezeigt worden, u.a. Akira (1991), Ghost in the Shell (1997), Prinzessin Mononoke (2001) und Chihiros Reise ins Zauberland (2003). Die bisher höchsten Zuschauerzahlen hatten die drei im Kino gezeigten Filme zur Pokémon-Serie.
Anime im deutschen Fernsehen
Die erste Anime-Serie im deutschen Fernsehen war die Serie Speed Racer (jap. Originaltitel: マッハGoGoGo Mach Go Go Go, Tatsunoko Productions 1967) [3]. Im November und Dezember 1971 wurden drei Folgen in der ARD gezeigt (die vierte Folge war bereits angekündigt, ihre Ausstrahlung ist jedoch fraglich), bevor die Serie überraschend wieder abgesetzt wurde. Am 31. Januar 1974 startete mit Wickie und die starken Männer der nächste Anime im Fernsehen, dieses Mal im ZDF. Weitere Starttermine bekannter und inzwischen zum Kult gewordener Anime-Serien:
- 5. November 1974: Barbapapa (ZDF) (japanisch-französische Koproduktion)
- 9. September 1976: Die Biene Maja (ZDF)
- 8. September 1977: Pinocchio (ZDF)
- 18. September 1977: Heidi (ZDF)
- 21. September 1978: Sindbad (ZDF)
- 6. September 1980: Marco (ARD)
- 27. September 1980: Captain Future (ZDF) [4]
Mit Ausnahme von Captain Future, gegen das es zahlreiche Proteste von Eltern gab und vor dem in den 1980er-Jahren sogar in einigen Schulbüchern gewarnt wurde, waren die übrigen Anime im deutschen Fernsehen lange Zeit Serien für Kindergarten- und Grundschulkinder. (Zum Vergleich: Das Altersspektrum z. B. der in Frankreich, Spanien und Italien ausgestrahlten Anime reichte schon Ende der 1970er-Jahre bis zu älteren Jugendlichen.)
Am 11. Januar 1988 ging aus dem Musikvideo-Abspielprogramm musicbox der Privatsender Tele 5 hervor. In seinem Nachmittagsprogramm Bim Bam Bino wurden ca. ab 1989 zum ersten Mal in Deutschland auch Anime für ältere Kinder und Jugendliche ausgestrahlt. Serien wie Miyuki, Mila Superstar (jap. Attack No. 1) [5], Die Königin der 1000 Jahre (jap. Shin Taketori Monogatari Sennen Jōo) und Saber Rider und die Starsheriffs (jap. Seijūshi Bismark) [6] führten zur Gründung von ersten Anime-Fanclubs in Deutschland, die sich aber oft auf die jeweilige Serie beschränkten. Nach der Umwandlung von Tele 5 in das Deutsche Sportfernsehen (DSF) am 1. Januar 1993 wurden einige dieser Anime von anderen Privatsendern übernommen, andere wurden jedoch nie wieder gezeigt.
Einen entscheidenden Schub erlebte die deutsche Anime-Fanszene durch die fünf Staffeln bzw. 200 Folgen lange Serie Sailor Moon (jap. Bishōjo Senshi Sailor Moon) [7]. Beim Zeigen der ersten TV-Staffel von Oktober 1995 bis September 1996 im ZDF wurde die Serie allerdings wegen ihrer Ausstrahlung inmitten eines Zeichentrick-Programmblocks von den meisten TV-Zeitschriften nicht gesondert erwähnt. Erst durch die erneute Ausstrahlung ab Mai 1997 bei RTL II wurde Sailor Moon, dessen primäre Zielgruppe in Japan eigentlich Mädchen in der Pubertät waren, zum Kultfaktor einer neuen Fanbewegung.
Anime auf deutschen Kaufmedien
Die ersten deutschen Kauf-Anime gab es im Jahr 1975 auf so genannten TED-Bildplatten (Television Discs), analogen Vinyl-Bildplatten, die eine Spieldauer von ca. 10 Minuten pro Seite hatten und nur von einem einzigen Abspielgerät der Firma Telefunken gelesen werden konnten [8]. Sie verschwanden bereits im folgenden Jahr wieder vom Markt. Bei den darauf angebotenen Anime handelte es sich um einzelne Folgen der Serien Speed Racer, Hotte Hummel, Judo Boy und Calimero (japanisch-italienische Koproduktion).
Der erste vollständige Anime-Spielfilm in deutschen Läden war der Film Perix der Kater und die drei Mausketiere (jap. Originaltitel: 長靴をはいた猫 Nagagutsu wo Haita Neko) von Studio Toei aus dem Jahr 1969 [9], der Ende der 1970er-Jahre von der Firma "piccolo film" auf Super-8-mm-Film angeboten wurde (Ton/farbig, 2 Rollen à 120 m Lauflänge, Spielzeit ca. 90 Min.).
Insgesamt wurden Anime in Deutschland bisher auf folgenden Medien verkauft (in der ungefähren zeitlichen Reihenfolge des Erscheinens; die Jahreszahlen beziehen sich auf die Veröffentlichung von Anime auf dem jeweiligen Medium, nicht auf die Erscheinungszeit des Mediums an sich):
- TED-Bildplatte (1975-1976)
- Super-8-mm-Film (1978-1979)
- Dux-Kinofilm (Endlosfilmschleifen auf 4 mm für Kinder-Filmprojektoren, Ende der 1970er-Jahre)
- VHS (1981 bis heute)
- Video 2000 (1981-1985?)
- Betamax (1981-1985?)
- Video-CD (1996)
- Laserdisk (1997?-1998)
- DVD (1999 bis heute)
Klischees
Das eigenständige Genre "Anime" ist nach wie vor mit Vorurteilen behaftet. Immer wieder wird in Berichten und Artikeln auf die "großen Kulleraugen" und das "Kindchenschema" aller Anime-Figuren hingewiesen (was tatsächlich aber nur bei einem Teil der Produktionen vorkommt), und die Serien und Filme werden wahlweise entweder als "billiger Kinderkram" belächelt oder wegen "Sex und Gewalt" abgelehnt (wobei man sich in den meisten Fällen auf Einzelbeispiele beruft). Zitat aus einem Medienbericht aus dem Jahr 1993 über Serien im deutschen Fernsehen:
- (...) Japanische Billigproduktionen sind in den 70er und 80er Jahren von ARD und ZDF in der BRD marktfähig gemacht worden, weil sie erheblich billiger produziert und vertrieben werden als z.B. die amerikanischen Hanna Barbera Produktionen ("Yogi Bär", "Familie Feuerstein"). Die Japaner reduzieren die Anzahl der pro Sekunde gezeigten Einzelbilder (...) auf 12 oder 8 Einzelbilder in der Sekunde, was zu ruckhaften Figurenbewegungen führt. Sie verzichten zudem auf die Animation von mehren Teilen der Einzelbilder, bewegen nur einen Körperteil (beim Sprechen Austausch einer Kinnladenschablone), verschieben nur den Hintergrund, um so Figurenanimation vorzutäuschen.† (...) Sparsam ausgeführt, auf Klischees, gute Wiedererkennbarkeit reduziert sind auch die Charaktere japanischer Trickserien, wobei die Hauptfiguren oft nach dem 'Kindchenschema' gestaltet sind, um Sympathie zu binden: relativ kleiner Körper, Übergroßer Kopf, große Augen (meist rund, damit die Serie in Asien wie Europa von Kindern angenommen werden kann).†† Die Figuren können von Mythen oder bekannten literarischen Vorlagen angeregt sein ("Biene Maja", "Sindbad", "Nils Holgersson"), nehmen vom Ausgangsmaterial aber nur den absatzfördernden Namen oder die Grundidee, um beliebig austauschbare Geschichten zu variieren. (...) Die Zeichentrickserien tragen vermutlich zur Reduzierung des ästhetischen Anspruchsniveaus von Kindern bei, sind gleichwohl bei diesen beliebt, weil ihre Dramaturgie nur geringe Anforderungen stellt (...). ([10], S. 10-11)
- † (Anmerkung zur Schablonenanimation: Auch bei früheren Hanna-Barbera-Serien wie etwa Familie Feuerstein wurden Hintergrundverschiebungen und Körperteilanimationen sehr häufig eingesetzt.)
- †† (Anmerkung zum Kindchenschema: Z. B. die Serie Biene Maja, die oft als Prototyp für "typische" Anime-Figuren betrachtet wird, war eine deutsch-japanische Koproduktion, und das Figuren-Design stammte nicht von Japanern, sondern vom US-Zeichner Marty Murphy, Mitarbeiter der Hanna-Barbera-Trickstudios und beteiligt an Zeichentrickserien wie Mr. Magoo und Hong Kong Pfui.)
Weiterführende Informationen
- Siehe auch: Liste der Anime-Titel, Anime Music Video, Manga, Sciencefiction-Film
Literatur
- Antonia Levi (1996): Samurai from Outer Space: Understanding Japanese Animation. Open Court Publishing Company. ISBN 0-812-69332-9 (englisch)
- Gilles Poitras (1998): The Anime Companion: What's Japanese in Japanese Animation? Stone Bridge Press. ISBN 1-880-65632-9 (englisch)
- Jonathan Clements, Helen McCarthy (2001): The Anime Encyclopedia: A Guide to Japanese Animation Since 1917. Stone Bridge Press. ISBN 1-880-65664-7 (englisch)
- Patrick Drazen (2002): Anime Explosion! - The What? Why? & Wow! of Japanese Animation. Stone Bridge Press. ISBN 1-880-65672-8 (englisch)
Weblinks
- Datenbank mit Anime von 1917 bis heute (englisch)
- Aniki - Anime Wiki
- Anime im deutschen Fernsehen
- Anipike - internationale Anime-Linksammlung (englisch)
- Anime no Tomodachi - Verein zur Förderung japanischer Populärkultur in Deutschland
- Animexx e.V. - größter deutscher Anime- und Manga-Verein
- AnimaniA - deutsche Fachzeitschrift für Anime, Manga und J-Rock/J-Pop