Orakel von Siwa
Das Orakel von Siwa war eine bekannte antike Orakelstätte in der Oase Siwa (heute Ägypten).
Geschichte der Orakelstätte
Der Tempel (Ammonion) war dem ägyptischen Gott Amun geweiht. Das Orakel war neben Delphi (Apollo) und Dodona (Zeus) das bekannteste in der Antike. Der Tempel wurde im 6. Jahrhundert v. Chr. gebaut, jedoch sind sich Archäologen einig, dass Siwa bereits vorher als Orakelort bekannt war. Ferdinand Tönnies vermutete 1876 ein ursprüngliches Heiligtum des Apollon Karneios.[1]
Seit wann und wie Siwa zur Orakelstätte wurde, ist unbekannt. Herodot schrieb im 5. Jh. v. Chr. zwei Entstehungslegenden: „Die Priesterinnen erzählten mir folgendes: Zwei schwarze Tauben sind einst von Theben aufgeflogen. Eine Taube flog zu ihnen nach Dodona, wo sie sich auf einer Eiche niederließ und mit menschl. Stimme rief, es müsse hier ein Orakel des Zeus gestiftet werden! Die andere Taube ist nach Libyen geflogen und forderte die Libyer auf, ein Orakel des Amon zu gründen.“ In der zweiten Entstehungsgeschichte entführten Phönizier zwei Priesterinnen aus Theben. Eine wurde nach Libyen verkauft und die andere nach Griechenland.
Rommels Afrikakorps besetzten die Oase dreimal. Soldaten badeten nackt im Brunnen [2], was den Einheimischen als Sakrileg und böses Omen galt.
Ablauf eines Orakels
Anders als in Delphi oder Dodona gab es in Siwa keine Orakelsprüche. Es gab nur Ja- und Nein-Antworten: Bewegte sich die Amun-Figur zum Fragensteller, so lautete die Antwort „Ja“. Bewegte sich die Figur vom Fragesteller weg, so lautete die Antwort „Nein“. Die Amun-Figur wurde von den Priestern bewegt.
Königsorakel hatten jedoch einen anderen Ablauf: Könige oder Priester stellten ihre Fragen alleine im Allerheiligsten des Tempels. Anschließend erhielten sie ein göttliches Orakelschreiben vom Oberpriester oder der Oberpriester verkündete Amuns Antwort auf die Fragen, die vorgeblich ja keinem Menschen außer dem Fragesteller bekannt sein konnten. Es wurde aber archäologisch eine Geheimkammer über dem Allerheiligsten nachgewiesen, in dem ein versteckter Priester die Fragen hören konnte.[3]
Bekannte Orakelsprüche
Kambyses II., 523 v. Chr.
Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet, dass der persische König Kambyses II., der Sohn von Kyros dem Großen, 523 v. Chr. das heilige Orakel von Siwa mit 50.000 Mann plündern wollte, da es den Niedergang des Königs prophezeit hatte. Bevor er und seine Männer jedoch ihr Ziel erreicht hatten, wurden sie von einem Sandsturm überrascht.
Kimon, 449 v. Chr.
Kimon, der Sohn von Miltiades dem Jüngeren, schickte seine Boten nach Siwa um „bestimmte geheime Angelegenheiten“ zu klären. Das Orakel gab den Boten keine Antwort. Es schickte sie zurück, da Kimon bereits bei Amun war. Als sie ihre Heimat wieder erreichten, erkannten die Boten den Sinn der Forderung: Kimon starb an dem Tag, als sie die Frage gestellt hatten.
Alexander der Große, 331 v. Chr.
Nachdem Alexander der Große Ägypten erobert und die Rolle des Pharaos übernommen hatte, indem er in Heliopolis dem Re und in Memphis im Tempel des Ptah dem Apis geopfert hatte, reiste er mit seinem Gefolge durch die Wüste nach Siwa. Begleitet wurde Alexander u.a. von Kallisthenes von Olynth, dessen Überlieferung[4] später als Quelle für die drei Geschichtsschreiber - Strabon,[5] Diodor[6] (beide im 1. Jh. v. Chr.) und Plutarch[7] (1. Jh.) diente. Er wollte das Orakel sowohl über die Zukunft als auch über die eigene Herkunft befragen, denn:
- er führte einen Teil seiner Entstehung auf Ammon zurück, ähnlich wie die Mythen Herakles und Perseus von Zeus abstammen lassen.[8]
In Siwa angekommen musste Alexanders Gefolge entsprechend dem Ablauf eines Königsorakels außerhalb des auf dem Hügel von Aghurmi gelegenen Tempels warten und Alexander betrat allein das Allerheiligste, wo er vor dem Kultbild seine Fragen stellte. Diodor schreibt, dass der Oberpriester ihn fragte, ob er sich als Sohn Amuns fügen möchte. Alexander bejahte dies und fragte ihn, ob sein Vater (Amun) ihm die Herrschaft über die Welt genehmigt. Dieser rief, dass Amun ihm den Wunsch mit absoluter Gewissheit gewährt. Nach Plutarch fragte Alexander erst nach dem Mörder seines Vaters.
Als Alexander aus dem Tempel kam, sagte er zu seinen Begleitern, er habe gehört, was er hören gewollt habe. Die Anerkennung Alexanders als Sohn Amuns durch das Orakel verschafft der Legitimation seiner Herrschaft über Ägypten zweifellos eine noch festere Basis.
Anschließend erfolgte das öffentliche Prozessionsorakel für das Gefolge Alexanders. Achtzig Priester trugen das Kultbild des Amun auf einer Barke von Aghurmi auf der geraden Straße zum gegenüberliegenden Amuntempel von Umm Ubayda. Dabei beantwortete die Barke Fragen der Zuschauer durch entsprechende Neigung. Das Bild wird als einem „Nabelstein“ (Omphalos) ähnlich beschrieben.[9] Möglicherweise handelte es sich um das bis auf den Kopf verhüllte Bildnis des Min-Amun.[10]
Die Griechen identifizierten Amun mit Zeus-Ammon, der als libyscher Ammon auch in Griechenland verehrt wurde. Seit dem späten 5. Jahrhundert v. Chr. ist eine bedeutende Kultstätte im makedonischen Aphytis auf der Halbinsel Chalkidike belegt.[11] Alexander konnte sich also dem Gott des Orakels besonders verbunden fühlen.
Literatur
- Günther Hölbl: Geschichte des Ptolemäerreiches. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, ISBN 3-534-10422-6, S. 10f
Einzelnachweise
- ↑ De Iove Ammone questionum specimen, Tübingen 1877; vgl. Uwe Carstens, Ferdinand Tönnies, Norderstedt 2005, S. 67 + 70.
- ↑ http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/25/0,1872,2011481,00.html
- ↑ Hölbl: Geschichte des Ptolemäerreiches. 1994, S. 11
- ↑ FrGrHist. 124 F 14
- ↑ Strabon Geographika 17.1.43
- ↑ Diodor Bibliotheca historica 17.51
- ↑ Plutarch Alexander 27
- ↑ Arrian Anabásis Aléxandrou 3.2
- ↑ Diodor Bibliotheca historica 17.50.6; Curtius Rufus Historiae Alexandri Magni Macedonis 4.7.23
- ↑ Hölbl: Geschichte des Ptolemäerreiches. 1994, Anm. 9 S. 282
- ↑ Hölbl: Geschichte des Ptolemäerreiches. 1994, S. 10