Karl Kautsky

österreichisch-tschechischer Philosoph, marxistischer Theoretiker und sozialdemokratischer Politiker (1854-1938)
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Karl Johann Kautsky (* 16. Oktober 1854 in Prag; † 17. Oktober 1938 in Amsterdam) war ein deutsch-tschechischer Philosoph und sozialdemokratischer Politiker.

Karl Johann Kautsky

Leben und Schaffen

Jugend und Politisierung (1854–1879)

Karl Kautsky wurde 1854 in Österreich als Sohn einer deutschen Mutter und eines tschechischen Vaters geboren. Seine Mutter Minna, geborene Jaich, arbeitete als Schauspielerin und Schriftstellerin; sein Vater, Jan Kautsky, war Theatermaler.

1863 zog die Familie in die Hauptstadt Wien um, wo er in der Schule als „Mischling“ gebrandmarkt und sowohl von seinen Mitschülern, als auch vom Lehrpersonal rassisch diskriminiert wurde – in der politischen Mitte Österreichs war in der damaligen Zeit die Vorstellung verbreitet, dass die Slawen eine minderwertige „Rasse“ seien. Dies weckte in ihm, wie er später über sich selbst schreiben wird, tiefen Hass auf die Habsburgermonarchie. In der Folge, wurde die Unabhängigkeit Tschechiens und die Ausrufung der „böhmischen Republik“ das politische Ideal seiner Jugendzeit.

Während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/1871 sympathisierte er entsprechend mit Frankreich, das er als Verbündeten der tschechischen Unabhängigkeitsbewegung ansah. - Jedoch wechselte seine Sympathie mit dem Aufstand der Pariser Kommune: Kautsky war begeistert von den Einrichtungen der Kommune, vom Ideal der direkten Demokratie, vom Volkseigentum. Entsprechend wandte sich sein Interesse dem Sozialismus zu.

In einem autobiografischen Zeitungsartikel gibt er an, dass sich er neben der einschlägig sozialistischen Literatur auch intensiv mit Heinrich Heine, Henry Thomas Buckle, John Stuart Mill, Charles Darwin, Ernst Haeckel und Max Buchner auseinandersetzte.[1]

Bereits vor dem Beginn seines Studiums an der Universität Wien, trat er 1874 in die SDAP ein. Seine Studienfächer, Philosophie, Geschichte und Volkswirtschaftslehre, waren bereits im Hinblick auf seine politischen Interessen hin ausgewählt worden. Unter anderem deshalb gelang es ihm bereits während seiner Studienzeit mit anonym verfassten Artikeln zu einem der einflussreichsten Journalisten der sozialdemokratischen Presse zu werden.

Marxismus und Sozialdemokratie (1880–1899)

Zwischen 1880 und 1882 war Kautsky Mitarbeiter des Privatgelehrten Karl Höchberg in Zürich. Dort freundete er sich mit dem Sozialdemokraten Eduard Bernstein an und begann sich mit dem Marxismus zu beschäftigen. 1881 lernt er bei einer Reise nach London Karl Marx und Friedrich Engels kennen. 1883 gründete er die Zeitschrift Die Neue Zeit, deren Herausgeber und leitender Redakteur er bis 1917 blieb. Er schrieb politische und historische Studien, wurde zu einer Autorität auf dem Gebiet der Marx’schen Theorie.

Von 1885 bis 1890 lebte er in London und war eng mit Friedrich Engels befreundet. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 kehrte er nach Deutschland zurück, von 1890 bis 1897 lebte er in Stuttgart, wo Die Neue Zeit erschien. 1891 bereitete er zusammen mit August Bebel und Eduard Bernstein das Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) vor. Auf der Grundlage der marxistischen Theorie strebte es eine sozialistische Gesellschaft in Deutschland an. Nach dem Tode von Friedrich Engels wurde Kautsky der wichtigste und einflussreichste Theoretiker der SPD und stand als Wortführer eines „orthodoxen Marxismus“ an der Seite von August Bebel im „marxistischen Zentrum der Partei.

Revisionismusdebatte und Imperialismuskritik (1900–1914)

1903 profilierte sich Kautsky in der Partei als Kritiker des Bernsteinschen Revisionismus, vermittelte zwischen der reformorientierten Parteiführung und der radikalen Linken. 1909 veröffentlichte er das Buch Der Weg zur Macht. In der Massenstreikdebatte 1910 wandte sich Kautsky gegen Rosa Luxemburgs Revolutionskonzept, das stärker auf spontane revolutionäre Strömungen in der Arbeiterschaft setzte. Im Spätsommer 1914 brach die Parteilinke um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Clara Zetkin endgültig mit Kautsky, da dieser beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs dem Kriegskurs der SPD-Führung und der Ideologie des Burgfriedens ihrer Ansicht nach nicht entschieden genug entgegentrat.

Wie Rudolf Hilferding, Hugo Haase, Karl Liebknecht und andere entwickelte Kautsky ab ca. 1900 kritische Positionen zum Gesamtphänomen des Imperialismus, der nur durch den Sozialismus aufgehoben werden könnte. 1912 jedoch schwenkte er um und vertrat die These eines möglichen Ultra-Imperialismus, in dem ein Staatenkartell an die Stelle der imperialistischen Konkurrenz treten und somit das Wettrüsten und die Kriegsgefahr beseitigen könnte. Lenin kritisierte diese Auffassung ab 1915/17 scharf und warf Kautsky Revisionismus vor.

Erster Weltkrieg, Novemberrevolution und USPD (1914–1919)

Im Frühjahr 1916 trat Kautsky gemeinsam mit seinem Freund Hugo Haase und mit seinem früheren Gegner Eduard Bernstein mutig gegen die aggressive deutsche Kriegspolitik auf. Darauf wurden alle drei von der Parteiführung isoliert. 1917 gründeten Haase, Wilhelm Dittmann, Kautsky, Bernstein und andere die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), die den Kriegskurs der Reichsregierung und dessen Unterstützung durch die Mehrheitssozialdemokratie bekämpfte. Durch die Novemberrevolution 1918 wurde Kautsky als Vertreter des Rates der Volksbeauftragten Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt. In monatelanger Arbeit studierte er die Dokumente des Amtes aus dem Jahr 1914 und legte im Februar 1919 eine Denkschrift über den großen Anteil der deutschen Regierung Bethmann Hollweg an der Kriegsschuld vor. Reichskanzler Philipp Scheidemann verhinderte jedoch eine Veröffentlichung der Denkschrift, weil er glaubte, sie würde der deutschen Position bei den Friedensverhandlungen von Versailles schaden.[2]

1918 wandte sich Kautsky scharf gegen die Oktoberrevolution in Russland und begründete dies in der Schrift Die Diktatur des Proletariats. Als die USPD 1919/20 nach links rückte, war er dort bald isoliert, verließ die Partei 1919 und kehrte 1922 in die SPD zurück.

Weimarer Republik, Wien, Emigration (1920–1938)

1924 ging Kautsky wieder zurück nach Wien. 1925 war er Mitautor des Heidelberger Programms der SPD, das wieder stärker die prinzipielle Gegnerschaft der SPD zum Kapitalismus betonte, nachdem das Görlitzer Programm von 1921 den Schwerpunkt auf eine Reformpolitik gelegt hatte.

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 emigrierte Kautsky in die Niederlande und lebte bis zu seinem Tod im Oktober desselben Jahres in Amsterdam.

Persönliches und Andenken

 
Gedenktafel in der Berliner Saarstraße 14

Kautsky war seit 1890 mit Luise Kautsky verheiratet. Einer seiner drei Söhne war Benedikt Kautsky. Er lebte zwei Jahre in der Berliner Saarstraße 14 in der damals noch eigenständigen Landhauskolonie Friedenau, wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. Rosa Luxemburg, die in der nahen Cranachstraße 58 in Schöneberg wohnte, verband eine enge Freundschaft mit Luise Kautsky.

Werke

Karl Kautskys Nachlass wird vom Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis in Amsterdam verwaltet.

  • Der Einfluß der Volksvermehrung auf den Fortschritt der Gesellschaft. 1880.
  • Karl Marx´ ökonomische Lehren. 1887.
  • Thomas More und seine Utopie. 1888.
  • Friedrich Engels. 1887.
  • Die Klassengegensätze von 1789: Zum hundertjährigen Gedenktag der großen Revolution. 1889.
  • Das Erfurter Programm in seinem grundsätzlichen Teil erläutert. 1892.
  • Die Vorläufer des neueren Sozialismus. 1895. (2 Bände)
  • Die Agrarfrage: Eine Uebersicht über die Tendenzen der modernen Landwirthschaft und die Agrarpolitik der Sozialdemokratie. 1899.
  • Bernstein und das Sozialdemokratische Programm: Eine Antikritik. 1899.
  • Die Soziale Revolution. 1902.
  • Ethik und materialistische Geschichtsauffassung. 1906.
  • Der Ursprung des Christentums. 1908.
  • Der Weg zur Macht. 1909.
  • Der Imperialismus. 1914. In: Die Neue Zeit, 1914/2.
  • Nationalstaat, imperialistischer Staat und Staatenbund. 1915.
  • Elsaß-Lothringen. Eine historische Studie. Dietz, Stuttgart 1917.
  • Die Diktatur des Proletariats. 1918.
  • Terrorismus und Kommunismus. Ein Beitrag zur Naturgeschichte der Revolution. 1919.
  • Die Internationale. 1920.
  • Die proletarische Revolution und ihr Programm. 1922.
  • Die materialistische Geschichtsauffassung. 1927. (2 Bände)
  • Krieg und Demokratie. 1932. (3 Bände)
  • Erinnerungen und Erörterungen. 1960.

Literatur

  • Wolfgang Abendroth: Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie. 1964
  • Georg Fülberth: Karl Kautskys Schrift ‚Der Weg zur Macht‘ und seine Kontroverse mit dem Parteivorstand der SPD 1909. In: Karl Kautsky: Der Weg zur Macht. Anhang: Kautskys Kontroverse mit dem Parteivorstand, Hrg. und eingeleitet von Georg Fülberth. Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1972. ISBN 3-434-45012-2
  • Erich Matthias: Kautsky und der Kautskyanismus. Die Funktion der Ideologie in der deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkrieg. In: Marxismusstudien, 2. Folge, Hrg. von Iring Fetscher, Tübingen 1956, S. 151–197
  • Matthias Lemke: Republikanischer Sozialismus. Positionen von Bernstein, Kautsky, Jaurès und Blum. Frankfurt/New York: Campus Verlag 2008 (ISBN 978-3-593-38600-3)
  • W. I. Lenin: Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky. In: Lenin: Werke, Berlin 1955–1962, Bd. 28, S. 225–327
  • Carl E. Schorske: Die große Spaltung. Die deutsche Sozialdemokratie 1905–1917. Berlin 1981, ISBN 3-88395-407-1

Texte

Allgemeines

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Einzelnachweise

  1. Kautsky, Karl Johann: „Autobiographical Scetch“, The Social Democrat 1902
  2. Heinrich Ströbel: Falsche Züge. Die Weltbühne Nr. 26, 19. Juni 1919