Leichenporträts (Menzel)

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Als Leichenporträts bezeichnet die kunstgeschichtliche Literatur eine Serie von Bleistiftzeichnungen, die Adolf Menzel 1873 nach der Bergung und Öffnung von Särgen aus der Gruft unter der Garnisonkirche in Berlin anfertigte.[1]

Adolph Menzel: Leiche eines Offiziers, 1873; Bleistift, 23,8 ×33,3 cm. Berlin, Kupferstichkabinett

Hintergrund

 
Adolph Menzel: Gruft unter der Garnisonkirche in Berlin, 1873; Bleistift, 23,8 ×33,2 cm. Berlin, Kupferstichkabinett

Im Jahr 1723 war unter der Garnisonkirche, unter Friedrich I. von 1701 bis 1703 erbaut von Martin Grünberg, ein Grabgewölbe angelegt worden, gedacht für die Bestattung von Offizieren und ihren Angehörigen. 1768 wurde wegen Platzmangels ein zweites unterirdisches Gewölbe gebaut. 1837 waren die Grüfte mit über neunhundert Särgen gefüllt und wurden geschlossen. Im Jahre 1873 sind auf Anregung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm 555 beschädigte Särge größtenteils auf den Garnisonfriedhof an der Müllerstraße umgebettet worden[2]. Adolph Menzel war unter der Garnisonkirche bei der Öffnung der Gruft und der Bergung der Särge zugegen. Einige der zutage gebrachten Leichname waren weitgehend mumifiziert.

Die Zeichnungen

Menzel hielt die Situation in dem Gewölbe mit den noch ungeöffneten Särgen vermutlich in einem seiner zahlreichen Zeichenbücher fest, aus dem sie später herausgelöst wurden. Dabei betonte er den Eindruck des unaufgeräumten Raums durch die wie zufällig aufgetürmten Särge. Durch den Lichteinfall verdeutlichte er die Treppe zum Ausgang, die man nur an den Toten vorbei erreichen kann. Das Blatt aus der Gruft, die Menzel in einer weiteren Zeichnung noch aus einer anderen Perspektive erfasste[3], wird als „Einführung“ in die Blattfolge der Leichenporträts angesehen.[4]

 
Leiche des Feldmarschalls Keith. Bleistift, 23,8 ×33,2 cm. Berlin, Kupferstichkabinett
 
Totenschädel und Stiefel. Bleistift, 23,8 ×33,2 cm. Berlin, Kupferstichkabinett
 
Keiths Hand und die Beine des Reichsgrafen Truchseß von Waldburg. Bleistift, 23,8×33,2 cm. Berlin, Kupferstichkabinett

Leiche des Feldmarschalls Keith

Im Jahr 1851 hatte Menzel ein Porträt des preußischen Feldmarschalls James Keith gemalt, das er nach alten, idealisierenden Bildnissen gestaltet hatte. „Das ist Keith, den erkenne ich an der Ähnlichkeit“, so Menzel bei der Öffnung des Sarges.[5] Die Zeichnung der leiblichen Überreste des Feldmarschalls, gefallen 1758 im Siebenjährigen Krieg in der Schlacht von Hochkirch, zeigt den Toten mit Haupthaar und Schwarzem Adlerorden auf der Uniform. Die Perspektive ist so gewählt, dass die Gesichtsseite mit der tödlichen Verletzung, einem Schuss in den Mund, abgewandt bleibt. 1883 berichtigte Oberst von Prittwitz, der bei der Bergung in der Gruft anwesend war, in einer Veröffentlichung die Behauptung, Keith sei an einem Schuss in seine „Heldenbrust“ gestorben.[6] Die Zeichnung ist beschriftet: Feldmarschall Keith, mumienartig, Garnison-Gruft, n. d. Sargöffnung, Sommer 1873.

Totenschädel und Stiefel

Der Tote ist nicht identifiziert. Menzel notierte links unten: Garnison-Gruft geöffn: 1873. Die Zeichnung ist auf die Erfassung des Schädels gerichtet. der Schattenwurf betont das Profil mit dem offenen Mund, ein Schal um den Hals ist angedeutet, das Übrige nur skizzenartig angelegt. Menzel notierte Farbangaben auf dem Uniformrock: roth, blau. Über den Rand des Sarges ist als aussagekräftiges Detail die Zeichnung eines Stiefels gelegt, die darin steckende Uniformhose im Ansatz festgehalten. Menzel bevorzugte in vielen Skizzen die Zusammenstellung von Einzelheiten einer Szenerie oder eines Gegenstandes; diese Technik erlaubte ihm, später die Zusammenhänge zu erinnern.[7]

Keiths Hand und die Beine des Reichsgrafen

Das Blatt zeigt Details zweier verschiedener Leichname. Links oben ist die mumifizierte Hand des Feldmarschalls Keith in einer seitlichen Ansicht festgehalten, notiert als Keiths Hand, sein Körper ist nur angedeutet in dem Ärmel, der neben der am oberen Blattrand mit einer dünnen Linie wiedergegeben Uniformjacke ruht. Die Beine des Reichsgrafen Truchseß von Waldburg sind indes in Aufsicht gezeichnet, auf dem darüber liegenden Tuch notierte Menzel Truchseß W. Das Vorgehen, nicht zusammengehörige Partien festzuhalten, findet sich in Menzels Zeichenbüchern häufig. In der vorliegenden Totenzeichnung vermitteln die in raschen, fahrigen Linien festgehaltenen Sargränder die Erinnerung an den unordentlichen Zustand, in dem man die gestapelten Särge vorgefunden hatte.

Auf einem weiteren Blatt ist die obere Hälfte der Leiche des Reichsgrafen in seinem Sarg wiedergegeben, mit einem Rosenkranz in den Händen, ebenso der Kopf. Der Offizier, der identisch ist mit dem Truchseß, dessen Beine Menzel zusammen mit der Hand Keiths auf einem Blatt festhielt, trägt in dieser Zeichnung das Eiserne Kreuz und ist damit zeitlich den Befreiungskriegen 1813 bis 1815 zuzuordnen, nicht der friderizianischen Zeit. Beine und Hand stellen einen Bezug her zwischen zwei Kriegen und ihren Toten.[8]

Provenienz

Die Zeichnungen wurden 1906 mit dem Nachlass Adolph von Menzels, der 1905 verstorben war, von den Museen zu Berlin erworben. Einige waren bereits 1905 in Berlin ausgestellt gewesen. Eine Auswahl aus der Reihe von Menzels Leichenporträts zeigten Ausstellungen in Wien und Kopenhagen 1985 sowie in Paris, Washington und Berlin 1996 und 1997.

Literatur

  • Adolph von Menzel 1815–1905. Das Labyrinth der Wirklichkeit. Köln 1996, ISBN 3-7701-3704-3
  • Jan–Arne Sohns: An der Kette der Ahnen. Geschichtsreflexion im deutschsprachigen historischen Roman 1870–1880. Berlin, New York 2004 ISBN 3-1101-8133-9 S. 1−8

Einzelnachweise

  1. Adolph von Menzel 1815–1905. Das Labyrinth der Wirklichkeit. Köln 1996, S. 265
  2. Georg Goens: Geschichte der Königlichen Berlinischen Garnisonkirche, Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Berlin 1897, S. 102
  3. Berlin, Kupferstichkabinett (SZ Menzel N 4440)
  4. Andreas Heese: Gruft unter der Garnisonskirche in Berlin. In: Menzel 1815−1905 (1996), S. 265
  5. Major von Siefart: Ein Erlebnis im Grabgewölbe der Garnisonkirche. In: Mitteilungen für die Geschichte Berlins 1, Berlin 1908; S. 134-136
  6. Jan–Arne Sohns: An der Kette der Ahnen (2004), S. 5
  7. Andreas Heese: Totenschädel und Stiefel. In: Menzel 1815−1905 (1996), S. 267
  8. Andreas Heese: Keiths Hand und die Beine des Reichsgrafen Truchseß von Waldburg. In: Menzel 1815−1905 (1996), S. 266
Commons: Menzels Leichenporträts – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien