Ostmitteleuropa ist eine europäische Großregion, die nach allgemeinem Verständnis eine Reihe von Staaten östlich von Deutschland und westlich der ehemaligen Sowjetunion umfasst. Klare naturräumliche, geographische und politische Grenzen Ostmitteleuropas lassen sich nicht ziehen. Der Begriff ist ein geschichtswissenschaftliches Konstrukt, das erstmals 1952 von dem polnischen Historiker Oskar Halecki verwendet wurde. Vereinzelt tauchte der Begriff allerdings schon vor dem Zweiten Weltkrieg in deutscher Sprache auf, ohne dass seine bedeutung klar umrissen worden war.

Halecki definierte eine Reihe von gemeinsamen Strukturmerkmalen, die die Zugehörigkeit zu Ostmitteleuropa konstituieren. Die Region ist geprägt von Multiethnizität. Sie zeichnete sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit durch ständische Libertät aus. Gleichzeitig war ihre soziale Entwicklung durch die Entstehung der zweiten Leibeigenschaft gekennzeichnet. Ostmitteleuropa wurde durch die Herrschaft der beiden großen Dynastien der Jagiellonen und Habsburger wesentlich geprägt. Im 19. Jahrhundert wurde Ostmitteleuropa von außen durch drei Imperien beherrscht: das preußische-deutsche Kaiserreich, das zaristische Russland und Österreich-Ungarn. In Opposition zur Herrschaft dieser Staaten entwickelte sich unter den Völkern Ostmitteleuropas ein ausgeprägter ethnischer und sprachlicher Nationalismus. Nicht wenige dieser Nationalbewegungen konnten nach dem Ersten Weltkrieg ihren eigenen Nationalstaat gründen. In der Zwischenkriegszeit war Ostmitteleuropa daher durch die Existenz zahlreicher relativ machtloser Staaten gekennzeichnet, die dann ab 1939 zunächst der deutschen nationalsozialistischen Expansion zum Opfer fielen, um nach 1945 mit veränderten Grenzen unter die sowjetische Dominanz zu fallen. Nach 1990 machten die neuen Demokratien Ostmitteleuropas den größten Teil der Länder aus, die 2004 in die EU aufgenommen worden sind.
Zur aktuellen Charakterisierung des Raumes östlich von Deutschland und Österreich ist der Begriff Ostmitteleuropa ungeeignet, weil sich Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien usw. sich strukturell, politisch und kulturell nicht mehr als Gruppe von den anderen EU-Mitgliedern abheben lassen. (Hat z.B. Deutschland mehr Gemeinsamkeiten mit Portugal oder mit der viel näheren Slowakei? Und welche sind dies? Das lässt sich nicht seriös definieren.) Im übrigen empfinden nicht wenige Völker die Zuordnung zu OST-Mitteleuropa herabwürdigend. Sie wollen einfach als Europäer angesehen werden. Für die historische Forschung bleibt der Ostmitteleuropa-Begriff jedoch weiterhin von großer Bedeutung.
Zu Ostmitteleuropa gehören aufgrund ihrer Strukturmerkmale folgende Länder und Regionen: (Allerdings haben sich die Grenzen in den verschiedenen Epochen verschoben. Und an den Rändern gibt es Überschneidungen mit anderen historisch konstruierten Regionen.)
- Polen, historisch: das polnisch-litauische Reich
- Tschechien, historisch die Lännder der böhmischen Krone
- Slowakei, historisch: Oberungarn
- Ungarn (auch zu Südosteuropa)
- Slowenien
- Kroatien
- Rumänien (häufig wird nur Siebenbürgen zu Ostmitteleuropa gerechnet.
- die westliche Ukraine (war Teil von Polen-Litauen und der Habsburgermonarchie)
- das Baltikum
Aufgrund ihrer Strukturmerkmale werden auch die deutschen Regionen Mecklenburg, Pommern, Brandenburg sowie die Lausitzen gelegentlich als ostmitteleuropäisch angesehen. Dasselbe gilt für die östlichen Bundesländer Österreichs: Ober- und Niederösterreich, Steiermark, Kärnten und Burgenland.
Forschungsinstitute mit Schwerpunkt Ostmitteleuropa
- Herder-Institut in Marburg [1]
- Geisteswissenschaftliches Zentrum f. Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig [2]
Literatur
Zeitschriften
- Kultur- und geistesgeschichtliche Ostmitteleuropa-Studien. Bd. 1(1982) ff.
- Studien der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund. Bd. 1(1986) ff.
- Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung, hrsg. vom Herder-Institut in Marburg. Bd. 1(1997) ff.
- Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung. Titel seit Bd. 44(1995), bis 43(1994) Zeitschrift für Ostforschung
Monographien und Sammelbände:
- Halecki, Oskar: Europa, Grenzen und Gliederung seiner Geschichte. Darmstadt 1957. (engl. Originaltitel: The Limits and divisions of European history)
- Halecki, Oskar: Grenzraum des Abendlandes. Eine Geschichte Ostmitteleuropas. ((engl. Originaltitel: Borderlands of western civilization. 1952)
- Auerbach, Inge: Stände in Ostmitteleuropa. Alternativen zum monarchischen Prinzip in der frühen Neuzeit, Litauen und Böhmen. München 1997.
- Bahlcke, Joachim & Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. (= Zeitschrift für historische Forschung - Beiheft 29) Berlin 2002. ISBN 3-428-10795-0
- Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16. - 18. Jahrhundert. Leipzig 1996.
- Bock, Ivo ; Burchardi, Kristiane (Hrsg.): Recht und Kultur in Ostmitteleuropa. (= Analysen zur Kultur und Gesellschaft im östlichen Europa. 8). Bremen 1999 ISBN 3-86108-331-0
- Born, Robert (Hrsg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs Berlin 2004. ISBN 3-7861-2491-4
- Brachmann, Hansjürgen (Hrsg.): Burg - Burgstadt - Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa. Berlin 1995.
- Conze, Werner: Ostmitteleuropa von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert. München 1993 (2. Auflage). ISBN 3-406-35985-X
- Foitzik, Jan (Hrsg.): Entstalinisierungskrise in Ostmitteleuropa 1953 - 1956. Vom 17. Juni bis zum ungarischen Volksaufstand, politische, militärische, soziale und nationale Dimensionen. Paderborn u.a. 2001 ISBN 3-506-72590-4
- Glatz, Ferenc: Minderheiten in Ost-Mitteleuropa. Historische Analyse und ein politischer Verhaltenskodex. Budapest 1993.
- Haslinger, Peter (Hrsg.): Grenze im Kopf. Beiträge zur Geschichte der Grenze in Ostmitteleuropa. (= Wiener Osteuropa-Studien. 11). Frankfurt am Main u.a. 1999. ISBN 3-631-34830-4
- Hofmann, Andreas R. & Wendland, Anno Veronika: Stadt und Öffentlichkeit in Ostmitteleuropa 1900 - 1939. Beiträge zur Entstehung moderner Urbanität zwischen Berlin, Charkiv, Tallinn und Triest. (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa. 14) Stuttgart 2002. ISBN 3-515-07937-8
- Jaworski, Rudolf & Luft, Robert 1848/49 - Revolutionen in Ostmitteleuropa. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee {...] 1990. (= Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum. 18). München 1996
- Kloczowski, Jerzy: East Central Europe in the historiography of the countries of the region. Lublin 1995.
- Lemberg, Hans (Hrsg.): Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle Forschungsprobleme. (= Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung. 10) Marburg 2000. ISBN 3-87969-275-0
- Lemberg, Hans (Hrsg.): Ostmitteleuropa zwischen den beiden Weltkriegen (1918 - 1939). Stärke und Schwäche der neuen Staaten, nationale Minderheiten. (= Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung, 3) Marburg 1997.
- Löwe, Heinz-Dietrich (Hrsg.): Minderheiten, Regionalbewusstsein und Zentralismus in Ostmitteleuropa. (= Siebenbürgisches Archiv. Folge 3, Bd. 35) Köln u.a. 2000. ISBN 3-412-12799-X
- Magocsi, Paul R. (Hrsg.): Historical atlas of East Central Europe. Washington 1998.
- Prinzing, Günter & Salamon, Maciej (Hrsg.): Byzanz und Ostmitteleuropa 950 - 1453. Beiträge zu einer table-ronde des XIX. International Congress of Byzantine Studies, Copenhagen 1996. (= Mainzer Veröffentlichungen zur Byzantinistik. 3) Wiesbaden 1999 ISBN 3-447-04146-3
- Rothschild, Joseph: East Central Europe between the two World Wars. Washington 1998
- Weczerka, Hugo (Hrsg.): Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit. (= Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien. 16). Marburg 1995.
Weblinks
Siehe auch: