Golo Mann

deutsch-schweizerischer Historiker und Schriftsteller (1909-1994)
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Golo Mann (* 27. März 1909 in München; † 7. April 1994 in Leverkusen; eigentlich Angelus Gottfried Thomas Mann) war ein deutscher Historiker, Publizist und Schriftsteller.

Golo Mann 1978 bei einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Golo Mann war ein Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. Nach der so genannten Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte er über Frankreich und die Schweiz in die USA. Mitte der 1950-er Jahre kehrte er nach Deutschland zurück und übersiedelte später in die Schweiz. Nach einer Tätigkeit als Professor für Politikwissenschaft in Stuttgart arbeitete er als freier Publizist und Kommentator des Zeitgeschehens. Golo Mann setzte sich zunächst als Berater für Willy Brandt ein, lehnte die Studentenbewegung jedoch ab und engagierte sich später für Franz Josef Strauß. Zu seinen bekanntesten Schriften gehören die 1958 erschienene Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie seine 1971 veröffentlichte Wallenstein-Biographie.

Leben

Kindheit und Jugend

Angelus Gottfried Thomas Mann, der als Kleinkind seinen verkürzten Vornamen „Gelus“ nicht aussprechen konnte und sich Golo nannte, wurde als drittes Kind des Schriftstellers Thomas Mann und dessen Frau Katia, geborene Pringsheim in München geboren. Dieser Kindername sollte ihn sein Leben lang begleiten. Er hatte zwei ältere Geschwister, Erika und Klaus, und drei jüngere, Monika, Elisabeth und Michael.

 
Rekonstruktion des in der Poschingerstraße 1 gelegenen Elternhauses am Herzogpark in München, das im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und später abgerissen wurde. Die Villa wurde auf dem Bavaria-Filmgelände für Dreharbeiten nachgebildet.

Die Mutter beschrieb Golo im Tagebuch als sensibel, nervös und schreckhaft.[1] Der Vater verhehlte seine Enttäuschung kaum und erwähnte den Sohn in seinem Tagebuch nur selten. Golo Mann beschrieb ihn rückblickend: „Wohl konnte er noch Güte ausstrahlen, überwiegend aber Schweigen, Strenge, Nervosität oder Zorn“.[2] Unter den Geschwistern fühlte er sich besonders nah seinem Bruder Klaus verbunden, während er zeitlebens Schwierigkeiten mit den radikalen Ansichten seiner Schwester Erika hatte.[3] So beschrieb Klaus Mann seinen Bruder als Kind in seiner ersten Biografie Kind dieser Zeit wie folgt: „Golo aber repräsentierte unter uns das groteske Element. Von skurriler Ernsthaftigkeit, konnte er sowohl tückisch als auch unterwürfig sein. Er war diensteifrig und heimlich aggressiv; dabei würdevoll wie ein Gnomenkönig. Ich vertrug mich ausgezeichnet mit ihm, während er sich mit Erika viel zankte.“[4]

Er besuchte ab September 1918 das humanistische Wilhelmsgymnasium in München mit mittelmäßigen Leistungen, wobei seine Stärken in Geschichte, Latein und insbesondere der Rezitation von Gedichten lagen, letzteres eine lebenslange Leidenschaft.[5] Golo war Mitglied des von den Geschwistern Klaus und Erika sowie Ricki Hallgarten im Jahr 1919 gegründeten „Laienbunds Deutscher Mimiker“. Weitere Mitspieler waren neben Monika Mann befreundete Nachbarskinder. Die Gruppe existierte drei Jahre lang und inszenierte acht Vorstellungen in Privatwohnungen.

Da er das Elternhaus schon früh als Belastung empfand, trat er in einer Art Ausbruchsversuch im Frühjahr 1921 der Pfadfinder-Vereinigung Jungbayern bei, mit der er mehrtägige Übungen und ausgedehnte Fahrten in den Sommerferien nach Franken und Tirol unternahm. Hier kam es zu einem homoerotischen Erlebnis mit einem Fähnleinführer, das der Junge missbilligte.[6]

 
Schloss Salem (Südansicht)

Neue Horizonte taten sich 1923 auf, als Golo Mann an die Internatsschule Schloss Salem wechselte, die er als Befreiung und lebenslange Bereicherung ansah. Der Leiter der Schule, Kurt Hahn, wurde eine prägende Persönlichkeit in seiner Jugend. In der Bodenseelandschaft bildete sich zudem eine ebenso dauerhafte Leidenschaft für Bergwanderungen aus, obgleich ihn eine beim Hochsprung erlittene Knieverletzung für den Rest seines Lebens plagen sollte.

Anfang 1925 wurde Golo Mann von einer schweren Sinnkrise gepeinigt, die ihn fürs Leben zeichnen sollte: „Damals trat der Zweifel ein oder richtiger, brach mit unerhörter Gewalt ein […] Ich wurde von der schwärzesten Melancholie ergriffen.“[7]

Im März 1927 bestand er als „Externer“ wie seine Salemer Mitschüler das Abitur an einem Gymnasium in Konstanz mit der Gesamtwertung „Ziemlich gut“. Die Leistungen in Deutsch und Geschichte waren dagegen hervorragend. Im April 1927 spielte Golo Mann bei einer Theateraufführung in Salem die Rolle des Wallenstein in Schillers Wallensteins Tod, eine Thematik, die ihn sein Leben lang beschäftigen sollte.[8]

Studium und Beruf

Nach der Reifeprüfung begann er im Sommersemester 1927 nur halbherzig ein Jura-Studium in München, worauf er seine Studien noch im selben Jahr in Berlin in den Fächern Geschichte und Philosophie fortsetzte. Den Sommer 1928 nutzte er zu einem Sprachaufenthalt in Paris und sechs Wochen „echter“ Arbeit im Braunkohlebergwerk Schipkau in der Niederlausitz, die aufgrund neuer Kniebeschwerden ein abruptes Ende fand.[9]

 
Karl Jaspers

Schließlich wechselte Golo Mann im Frühjahr 1929 an die Universität Heidelberg, wo er dem Rat seines akademischen Lehrers Karl Jaspers folgte, in Philosophie zu promovieren und parallel Geschichte und Latein auf Lehramt zu studieren. Ab Herbst 1930 engagierte er sich zudem politisch in der sozialistischen Studentengruppe. Im Mai 1932 kam es zur Vorlage der Dissertation mit dem Thema Zum Begriff des Einzelnen, des Ich und des Individuellen bei Hegel, die von Jaspers mit dem Prädikat cum laude bewertet wurde.[10]

Im Jahr 1933 kam Adolf Hitler an die Macht. Für Thomas Mann, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen den Nationalsozialismus gemacht hatte, und insbesondere für seine Kinder Klaus und Erika Mann war dies der Zeitpunkt zur Emigration. Während die Eltern sich auf einer Vortragsreise im Ausland aufhielten, von der sie nicht zurückkehren sollten, kümmerte sich Golo Mann im April 1933 um das Münchner Haus, organisierte die Ausreise der drei jüngeren Geschwister und brachte das Bankguthaben der Eltern in Sicherheit.[11] Er veranlasste den Versand der Tagebücher seines Vaters in die Schweiz, da Thomas Mann deren Auswertung durch die Nationalsozialisten fürchtete. Der Koffer wurde zwar nach dem Hinweis eines Denunzianten im Hause Mann in Konstanz vom Zoll abgefangen, aber letztlich dennoch weitergeleitet. Thomas Mann verbrannte Jahre später einen Teil dieser Tagebücher.

 
Gedenktafel für die deutschen und österreichischen Flüchtlinge in Sanary, unter ihnen Familie Mann

Die Arbeit für das Staatsexamen in Geschichte mit einem Wallenstein-Thema war bereits eingereicht, doch zur Prüfung kam es nicht mehr, denn Golo Mann verließ am 31. Mai 1933 Deutschland in Richtung Bandol, wo sich seine Eltern kurzzeitig aufhielten. Für die Sommermonate kam er nach einem Aufenthalt in einer Pension als Untermieter in der Villa des US-Schriftstellers William Seabrook bei Sanary-sur-Mer unter, weitere sechs Wochen lebte er in der neuen elterlichen Wohnung in Küsnacht bei Zürich. Schließlich kehrte er in sein Gastland Frankreich zurück. Ab November begannen für ihn zwei intensive, lehrreiche Jahre[12] als Lektor für deutsche Sprache an der École Normale Supérieure in Saint-Cloud bei Paris. Gleichzeitig arbeitete er an der Exilzeitschrift Die Sammlung seines Bruders Klaus mit.

 
Thomas Mann im Jahr 1937, Foto von Carl van Vechten

Im November 1935 übernahm Golo Mann ein halbjähriges Lektorat für deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Rennes. Häufige Aufenthalte in der Schweiz sind ein Indiz dafür, dass sich das schwierige Verhältnis zum Vater entspannt hatte, der den politischen Sachverstand des Sohnes zunehmend zu schätzen gelernt hatte. Dass der Sohn in den Augen des Vaters an Wertschätzung gewonnen hatte, wurde ihm aber erst in vollem Umfang bewusst, als er im Alter an der Herausgabe von dessen Tagebüchern mitwirkte und sich freundlich dargestellt fand.[13] In einem vertraulichen Brief schrieb er Marcel Reich-Ranicki einmal: „Unvermeidlich musste ich seinen Tod wünschen; war aber während seines Sterbens und danach völlig gebrochen.“[14]

Die kollektive Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft sorgte 1936 für zusätzliche Probleme in der Literatenfamilie. Rettung kam in Gestalt des tschechischen Textilfabrikanten Rudolf Fleischmann, eines Bewunderers von Thomas Mann, der ihm und dessen Familie – mit Ausnahme von Klaus und Erika Mann, die durch die Ehe mit W. H. Auden britische Staatsbürgerin geworden war – die Einbürgerung in seine böhmische Gemeinde Proseč und damit die Verleihung der tschechischen Staatsbürgerschaft ermöglichte. Golo Mann wollte diese Gelegenheit nutzen, seine Studien in Prag fortzusetzen, gab das Experiment aber bald ernüchtert auf.[15]

Emigration

Anfang 1939 reiste der Emigrant nach Princeton, New Jersey, wo der Vater eine Gastprofessur übernommen hatte. Nach einigem Zögern kehrte er trotz des sich anbahnenden Kriegsausbruches im August des Jahres nach Zürich zurück, um nach zahlreichen Beiträgen auf Wunsch seines Vaters die Redaktion der Exilzeitschrift Maß und Wert, herausgegeben von Thomas Mann und Konrad Falke, zu übernehmen. Maß und Wert. Zweimonatsschrift für freie deutsche Kultur erschien von Herbst 1937 bis September 1940.

 
Lagergebäude Les Milles

Adolf Hitlers Feldzug gegen Frankreich im Mai 1940 bewirkte in Golo Mann den Entschluss, sich als Kriegsfreiwilliger einer in Frankreich weilenden tschechischen Einheit anzuschließen und gegen die deutschen Invasoren zu kämpfen. Doch unmittelbar nach Grenzübertritt wurde er bei Annecy festgenommen und Anfang Juni ins Internierungslager Les Milles bei Aix-en-Provence überführt. Erst Anfang August kam er auf Intervention einer US-Hilfsorganisation frei. Am 13. September unternahm er mit seinem Onkel Heinrich Mann, dessen Ehefrau Nelly sowie Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel die waghalsige Flucht von Perpignan über die Pyrenäen nach Spanien, die in Heinrich Manns Memoiren Ein Zeitalter wird besichtigt beschrieben wird. Nach der Überfahrt von Lissabon aus kamen sie mit vielen anderen Exilanten, unter ihnen auch Alfred Polgar, an Bord des griechischen Dampfers Nea Hellas am 13. Oktober in New York an. Thomas und Katia Mann waren in den Hafen von Hoboken gekommen, um die Familienmitglieder zu begrüßen.

 
Klaus Mann als US-Sergeant in Italien, 1944

In der Neuen Welt war Golo Mann zunächst zur Untätigkeit verdammt. Er wohnte im elterlichen Haus in Princeton, dann im ungeliebten New York, bevor er im Juli 1941 mit den Eltern in das kalifornische Pacific Palisades umzog. Ab Herbst 1942 ergab sich eine zehnmonatige Lehrtätigkeit für Geschichte am Olivet College in Olivet, Michigan.

Seinem Bruder Klaus nacheifernd, trat Golo Mann 1943 in die US-Armee ein. Ab August unterzog er sich der Grundausbildung in Fort McClellan, Alabama, im Dezember übernahm er als frischgebackener US-Staatsbürger eine nachrichtendienstliche Tätigkeit im Office of Strategic Services in Washington D.C.. Es war seine Aufgabe, militärisch wertvolle Informationen zu sammeln und zu übersetzen.

Im April 1944 wurde er nach London entsandt, wo er Radio-Kommentare bei der deutschen Abteilung der „American Broadcasting Station“ sprach. Für die letzten Kriegsmonate wechselte er in gleicher Funktion zum militärischen Propaganda-Sender Luxemburg, bevor er im Spätherbst 1945 nach Bad Nauheim versetzt wurde, um beim Aufbau von Radio Frankfurt mitzuwirken. Bei seinen Reisen durch Deutschland zeigte er sich entsetzt über das Ausmaß der Zerstörung, die insbesondere das alliierte Bombardement hervorgerufen hatte.

Nachkriegsjahre und Rückkehr

Aus Abscheu gegen „die Taten dieses Siegergesindels“[16] verließ er 1946 auf eigenen Wunsch die US-Armee. Er behielt jedoch seine zivile Tätigkeit als Kontrolloffizier bei, in der er auch am Nürnberger Kriegsverbrecherprozess teilnahm. Im selben Jahr erschien sein erstes größeres Werk, die englischsprachige Biografie Secretary of Europe. The Life of Friedrich Gentz, die 1947 auch auf Deutsch unter dem Titel Friedrich v. Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes veröffentlicht wurde.

Von 1947 bis zum Jahr 1958 übernahm Golo Mann eine Assistenzprofessur für Geschichte am Men‘s College in Claremont, Kalifornien. Im Nachhinein zählte er diese Lehrtätigkeit „zu den glücklichsten meines Lebens“, andererseits klagte er: „Auch sind meine Studenten so höhnisch, unfreundlich und saudumm, wie sie noch nie waren“.[17]

1954 veröffentlichte er sein zweites Buch, Vom Geist Amerikas. Zum Schreiben dieses Buches unterbrach er seinen Aufenthalt in Kalifornien und hielt sich in der Schweiz und in Österreich auf.

In den Jahren 1956 und 1957 verbrachte er viele Wochen im Gasthaus Zur Krone in Altnau am Bodensee, um dort seine Deutsche Geschichte des IXX. und XX. Jahrhunderts niederzuschreiben. Sie erschien im Juli 1958 und wurde sofort ein Bestseller. Damit verband sich die endgültige Rückkehr nach Europa, denn für zwei Wintersemester wurde Golo Mann Gastprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Im Herbst 1960 wechselte Golo Mann als ordentlicher Professor für Politische Wissenschaften an die Technische Hochschule Stuttgart, aus der die Universität Stuttgart hervorgegangen ist. Die Tätigkeit im Universitätsbetrieb empfand er als unbefriedigend: „Selber hatte ich in jenen Jahren das Gefühl sehr beträchtlicher, aber vergeblicher Anstrengung und nahezu völliger Echolosigkeit. Das führte zu einer Depression, aus der heraus ich anno 1963 den Lehrstuhl aufgab.“[18] Zusätzliche Arbeitsbelastung brachte in jenen Jahren die Tätigkeit als Mitherausgeber der vielbeachteten Neufassung der Propyläen Weltgeschichte. 1961 ließ er sich ein Ferienhaus in Berzona im Tessin bauen, wohin er sich oft zum Schreiben und Wandern zurückzog; er war dort Nachbar von Alfred Andersch und Max Frisch.

 
Max Horkheimer (links), Theodor Adorno (rechts) und Jürgen Habermas (im Hintergrund rechts) im Jahr 1965 in Heidelberg

1963 und ein zweites Mal einige Jahre später wurde Golo Manns geplante Berufung als ordentlicher Professor an die sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Frankfurt am Main durch die Professorenkollegen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno verhindert. In einem Fernsehinterview, das anlässlich seines 80. Geburtstages im Jahr 1989 geführt wurde, bezeichnete Golo Mann beide als „Lumpen“. Daraufhin protestierten viele deutsche Soziologen, Philosophen und Historiker öffentlich. Golo Mann begründete seine Attacke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung damit, Adorno und Horkheimer hätten ihn als „heimlichen Antisemiten“[19] beim damaligen hessischen Kultusminister angeschwärzt, nachdem er sich um den Lehrstuhl an der Universität Frankfurt am Main beworben hatte. Eine Schilderung der Vorgänge gab der Historiker Joachim Fest in seiner Publikation Begegnungen, in der er außer dem schon genannten Antisemitismusverdacht zudem den angeblichen, allerdings gerichtlich nicht bewiesenen Hinweis Horkheimers auf Golo Manns Homosexualität und der angeblich darauf beruhenden Gefährdung der akademischen Jugend erwähnt.[20] Tilman Lahme hat die Kontroverse und deren Vorgeschichte, die bereits im amerikanischen Exil begonnen hatte, für seine 2009 erschienenen Biografie ausführlich recherchiert: Unter anderem schrieb er, Golo Mann habe im Juni 1960 in Düsseldorf einen Vortrag „Über Antisemitismus“ gehalten. Der Soziologe Clemens Albrecht habe Golo Manns Vortrag eingehend untersucht und die sachlichen Differenzen hinsichtlich der „Vergangenheitsbewältigung“ zwischen Mann und der neomarxistischen Frankfurter Schule, vertreten durch Adorno und Horkheimer, herausgestellt. Die gegensätzlichen Auffassungen lägen im Ansatz einer pessimistischen Anthropologie sowie in einer aufklärerischen Systemtheorie.[21]

In den Jahren 1963 bis 1979 war Golo Mann Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Neue Rundschau.

Freier Historiker und Publizist

 
Kilchberg

1965 legte Golo Mann die Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule in Stuttgart nieder, um als freischaffender Historiker und Publizist zu arbeiten. In beiden Tätigkeiten litt er bis zuletzt an chronischer Arbeitsüberlastung, die die Qualität seiner publizistischen Leistung und zuletzt die psychische und geistige Gesundheit in Mitleidenschaft zog. Seinen festen Wohnsitz nahm er im Elternhaus in Kilchberg in der Alten Landstrasse 39 am Zürichsee, wo er bis 1993 lebte – zunächst noch gemeinsam mit der im Alter dement gewordenen Mutter und seiner Schwester Erika Mann. 1968 nahm er die Schweizer Staatsbürgerschaft an. Die charakterlichen und politischen Unterschiede zu Erika waren beträchtlich; sie wurden gemildert durch zahlreiche Reisen, die die Geschwister unternahmen, sodass das Elternhaus mehr als Stutzpunkt diente. Ein naher Freund, Hanno Helbling, resümierte nach dem Tod der Schwester, die 1969 gestorben war: „Man sah ihn leiden in Kilchberg, woran nicht die Ortschaft schuld war.“ Das kahl wirkende Arbeitszimmer entspräche in Teilen noch dem des Vaters und sei von Golo Mann halb übernommen worden, während der Salon von Katia Mann in seiner Bürgerlichkeit erhalten werde. [22]

In Konrad Adenauers Ferienort Cadenabbia kam es im April 1966 zur Begegnung mit dem Altbundeskanzler, dessen Kurs der Westintegration und der Aussöhnung mit Israel er immer wieder lobte. Zugleich warf er Adenauer in der Frage der Wiedervereinigung Unaufrichtigkeit vor, so dass er sich insbesondere für Willy Brandt und dessen neue Ost- und Entspannungspolitik engagierte. Er betätigte sich ebenfalls gelegentlich als Ghostwriter für Brandt.

Das Aufkommen und Erstarken der Studentenbewegung empfand er hingegen trotz punktueller Übereinstimmungen als schwerwiegende Bedrohung der Demokratie: „Hört auf, Lenin zu spielen!“[23] überschrieb er im April 1968 einen Artikel in der Zeit. In diesem Sinne wandte er sich 1973 allmählich von Willy Brandt ab, dem er Passivität gegenüber einer angeblich kommunistischen Infiltration seiner Partei vorwarf.

 
Feldmarschall Wallenstein

Die bereits fünfzig Jahre lang währende Passion für den böhmischen Feldmarschall Wallenstein mündete 1971 in das Erscheinen der monumentalen Biografie – über 1000 Seiten – Wallenstein. Sein Leben erzählt von Golo Mann. Sie gilt wegen ihrer bildhaften Sprache und ihrer literarischen Qualität als Meisterwerk der erzählenden Geschichtsschreibung.

Im Jahr 1974 leitete er als Nachfolger von Günter Gaus seine eigene Fernsehsendung mit dem Titel Golo Mann im Gespräch mit …. 1976 nahm er zusätzlich zur schweizerischen die deutsche Staatsangehörigkeit an, die ihm unter der nationalsozialistischen Herrschaft aberkannt worden war.

Nicht zuletzt um der Befehlsgewalt und dem Altersstarrsinn der demenzkranken Mutter zu entgehen,[24] erwarb Golo Mann 1979 ein Haus in Icking bei München. Er beendete den Heimatversuch allerdings schon zwei Jahre später, um nach dem Tod der Mutter nach Kilchberg zurückzukehren.

Im Jahr 1980 fand sein Engagement als Wahlhelfer für Unions-Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß statt, von dem er sich eine entschlossene Bekämpfung linksradikaler Umtriebe erhoffte. Liberal gesinnte Bürger und Historikerkollegen reagierten auf dieses Engagement mit Befremden, und Golo Mann selbst ahnte die für ihn negativen Folgen. Im Tagebuch notierte er: „Das Ganze wird mir bekommen wie die ‚Daily-Telegraph-Affäre‘ dem Kaiser Wilhelm“.[25] Die satirische Zeitschrift Titanic erklärte ihn umgehend zur „Pfeife des Jahres“,[26] nachdem er im Jahr davor zum Pfeifenraucher des Jahres gewählt worden war.

Unvollendet blieb eine Biografie über Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, mit der ihn das Krupp‘sche Familienkuratorium 1976 beauftragt hatte. Er reagierte erleichtert, als er nach vierjähriger Arbeit von der Aufgabe entbunden wurde. Die genauen Gründe dafür sind unklar; möglicherweise störte man sich im Hause Krupp am Duktus der Arbeit und der Offenlegung der Familiengeschichte. Die Biografie wurde nur zu zwei Dritteln fertig und nur in einem Auszug veröffentlicht.

Im Jahr 1986 starb der 1972 adoptierte Hans Beck-Mann, ein Apotheker bei der Bayer AG in Leverkusen, den er 1955 kennengelernt und finanziell beim Studium unterstützt hatte, an Porphyrie, einer schweren Stoffwechselerkrankung, an der dieser jahrelang gelitten hatte.[27] Im Jahr 1964, so berichtet sein Biograf Tilmann Lahme, „erklärte ihm Hans Beck, er werde Vater und wolle seine Freundin heiraten … Ein schwerer Schock für Golo Mann“. Mit der Adoption wurde ein Arrangement geschlossen, mit dem Golo Mann sich eine Familie schuf.[28]

Unterdessen hob die DDR Anfang 1989 den jahrelangen Bannfluch über Golo Mann auf, den er sich insbesondere mit Bemerkungen in seiner Deutschen Geschichte eingehandelt haben dürfte. Aus Anlass der DDR-Veröffentlichung des Wallenstein hielt er im April auf Einladung des SED-Kulturministers erste Lesungen. Als die Zeichen der Zeit nur ein Jahr später auf Wiedervereinigung standen, reagierte er distanziert: „Keine Freude an der deutschen Einheit. Sie werden wieder Unsinn machen, wenngleich ich es nicht erlebe.“[29]

Letzte Jahre

 
Die Grabstätte Golo Manns auf dem Friedhof in Kilchberg

Im März 1990 erlitt Golo Mann nach einem Vortrag einen Herzinfarkt und bekam einen Schrittmacher eingesetzt. Im selben Jahr diagnostizierten die Ärzte bei ihm Prostatakrebs. Aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit übersiedelte er 1992 nach Leverkusen, wo er von seiner Schwiegertochter Ingrid Beck-Mann (einer ausgebildeten Krankenschwester) betreut und gepflegt wurde. Wenige Tage vor seinem Tod bekannte er sich in einem Interview gegenüber dem Reporter Wolfgang Korruhn zu seiner Homosexualität, die er jedoch aus Angst vor Repressalien nie nennenswert ausgelebt habe.

„Ich hab' mich nicht oft verliebt. Ich hab' es sehr oft für mich behalten, das war vielleicht ein Fehler. Es war ja auch verboten, selbst in Amerika, und man musste schon ein bisschen achtgeben.“[30]

Golo Mann starb kurz nach seinem 85. Geburtstag am 7. April 1994 in Leverkusen. Die Urnenbeisetzung fand zwar auf dem Friedhof in Kilchberg statt, auf Wunsch des Verstorbenen jedoch abseits des Familiengrabes. An der Trauerfeier nahmen gegen den Willen des Verstorbenen, der keine Beteiligung von Blutsverwandten an seiner Beisetzung gewünscht hatte, seine Schwester Elisabeth Mann Borgese sowie seine Neffen Frido und Antony Mann teil. [31]

Verkauf des Kilchberger Hauses

Golo Manns im Jahr 1992 verstorbene Schwester Monika hatte ebenfalls ihr letztes Jahr in Leverkusen, im Haus von Golo Manns Schwiegertochter, Ingrid Beck-Mann, verlebt, der Frau seines verstorbenen Liebhabers und Adoptivsohns Hans Beck-Mann. Ingrid Beck-Mann wurde Erbin des Besitzes ihres Adoptiv-Schwiegervaters und durch eine testamentarische Verfügung auch des Vermögens von Monika Mann. Sie verkaufte das Haus in Kilchberg, das 40 Jahre im Besitz der Familie gewesen war, mitsamt dem Inventar, ohne Rücksprache mit den Familienangehörigen gehalten zu haben.[32]

Zum Inventar gehörten drei Gemälde Franz von Lenbachs: Porträts von Katia Pringsheim, die spätere Mutter Golo Manns, ihrer 1942 in Zürich verstorbene Mutter Hedwig Pringsheim sowie ihrer Großmutter, der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm. Die Gemälde wurden im Jahr 2006 vom Thomas-Mann-Archiv der ETH, Zürich, erworben.[33]

Golo Manns Nachlass

Golo Manns Nachlass wird im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern aufbewahrt. Er umfasst unter anderem Manuskripte, Briefe, Beiträge in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen und Vorträge sowie Objekte wie beispielsweise Gemälde, Schreibmaschine und Koffer.[34]

Werke (Auswahl)

Golo Manns Erstlingswerk als Buchautor war das historische Werk Secretary of Europe. The Life of Friedrich Gentz, das im Jahr 1946 in den USA veröffentlicht wurde. Es wurde Deutsch geschrieben und ins Englische übersetzt. Ein Jahr später folgte die deutsche Ausgabe im Europa Verlag von Emil Oprecht in Zürich unter dem Titel Friedrich v. Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes. Golo Mann lässt in seinem ersten Buch über den Berater Metternichs Grundzüge einer pessimistischen Geschichtsphilosophie erkennen, die an eine Evolution im Verlauf der Geschichte nicht glaubt. Menschliche Unzulänglichkeit wiederhole sich in der Politik immer wieder, der Einfluss des Einzelnen auf die Macht sei begrenzt.[35]

Als zweites Buch erschien im Jahr 1954 Vom Geist Amerikas im Urban Verlag, das eine Schilderung der Vereinigten Staaten aus europäischer Sicht bringt. Die „Einführung in amerikanisches Denken und Handeln im zwanzigsten Jahrhundert“ bringt in essayistischer Form einen geschichtlichen Abriss der Innen- und Außenpolitik sowie eine Auseinandersetzung mit der Philosophie des Landes, die sich kritisch mit der McCarthy-Ära auseinandersetzt. Golo Mann schildert in seinem Buch die USA als ein Land voller Widersprüche. Er resümiert: „Noch immer sehe ich Amerika mit den Augen des Europäers. Umgekehrt aber sehe ich Europa mit amerikanischen Augen und vieles, was mir hier ehedem natürlich erschien, erscheint mir heute eng, künstlich und unerträglich.“. Er führt aus, dass er sich an gewisse Seiten seiner deutschen Kindheit und Jugend „nur mit Grausen“ erinnert.[36]

Golo Manns bekanntestes Werk ist die von der Büchergilde Gutenberg 1953 in Auftrag gegebene Deutsche Geschichte des IXX. und XX. Jahrhunderts, an der er in den Jahren 1956/57 arbeitete und die als zweibändige Buchausgabe mit fast 1000 Seiten im Jahr 1958 erstmalig veröffentlicht wurde. Es enthält eine in zwölf Kapitel gegliederte Übersicht über die Geschichte Deutschlands, beginnend mit der Französischen Revolution und knüpft an Ricarda Huchs dreibändiges Werk zur deutschen Geschichte an, das in den Jahren zwischen 1934 und 1949 erschienen war. Golo Mann stellte die Geschichte Deutschlands in den Zusammenhang der europäischen Geschichte bis hin zur Gegenwart und unterbrach damit die damalige Historikertradition, die aufgrund der „mangelnden Distanz“ der Zeitgeschichte auszuweichen pflegte. Das Buch entwickelte sich zum historischen Standardwerk und erscheint bis in die Gegenwart in Neuausgaben.[37]

In den Jahren 1960 bis 1964 war Golo Mann Mitherausgeber der Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte von den Anfängen bis zur Nachkriegszeit zusammen mit Alfred Heuß und August Nitschke. In dieser Zeit erschienen zehn Bände im Propyläen Verlag. Er betreute neben der Geschichte des Mittelalters hauptsächlich die Geschichte der Neuzeit.

Die Veröffentlichung der historischen Biografie Wallenstein. Sein Leben erzählt von Golo Mann im Jahr 1971 geriet zu einem großen Erfolg. Das umfangreiche Werk wurde als „Meisterwerk der Geschichtsschreibung“ gefeiert, während Golo Mann eine Anerkennung als Schriftsteller wünschte und es als „nur allzu wahren Roman“ verstanden wissen wollte. Begonnen hatte seine Beschäftigung mit dem Protagonisten bereits als Schüler; als Abiturient verkörperte er die Hauptrolle in Schillers Wallensteins Tod, und seine Staatsexamensarbeit beschäftigte sich ebenfalls mit diesem Thema. Neben Schillers Drama lieferte Ricarda Huchs Wallenstein – Eine Charakterstudie Anregungen für dieses Hauptwerk. Golo Mann arbeitete fünf Jahre daran.[38]

Im November 1986 erschienen die Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland. Golo Mann schildert das vom Vater bestimmte Elternhaus, das Leben mit den Geschwistern, kulturelle Einflüsse wie Literatur, Musik, Theaterspiel, die Schul- und Studienzeit. Das Buch endet mit dem Beginn des „Dritten Reiches“ im Jahr 1933. Es wurde ein großen Erfolg, auch wenn sich einige Kritiker über den Titel wunderten, der wie ein Plagiat von Bismarcks Autobiografie Gedanken und Erinnerungen klang. Gleich nach der Veröffentlichung nahm er die Fortsetzung Erinnerungen und Gedanken. Lehrjahre in Frankreich, die die Zeit des französischen Exils von 1933 bis 1940 umfasst, in Angriff. Drei Jahre vor seinem Tod brach Golo Mann die Arbeit daran ab; diese Biografie wurde im Jahr 1999 als Fragment postum veröffentlicht.[39]

Rezeption

Golo Manns Persönlichkeit

Golo Mann was born as a ‚son‘; did not like it; could not help it.“

Golo Mann wurde als ‚Sohn‘ geboren; er mochte es nicht; er konnte es nicht ändern.“

Golo Mann im Exil zu Beginn der Niederschrift seines Lebenslaufs[40]

Der Herausgeber des Werkes Die Kinder der Familie Mann, Uwe Naumann, beschreibt in seinem Vorwort, dass Golo Manns Wesen von seinen Mitmenschen als düster und melancholisch empfunden wurde, seine Haltung als konservativ und pessimistisch. Er habe sich nicht wie seine Geschwister Erika und Klaus am Widerstand gegen Hitler aktiv beteiligt, obgleich er unter dem Zeitgeschehen wie sie gelitten habe. Golo Mann habe betont, wie er von den Ereignissen des 20. Jahrhunderts geprägt worden sei: „Wer die dreißiger und vierziger Jahre als Deutscher durchlebt hat, der kann seiner Nation nie mehr völlig trauen […] Der wird, wie sehr er sich auch Mühe geben mag und soll, in tiefster Seele traurig bleiben, bis er stirbt.“ [41]

Tilmann Lahmes Biografie thematisiert unter anderem Golo Manns Leiden am übermächtigen, steril-kalten Vater und an der maskulin-herrischen Mutter sowie die Ängste, Phobien und Depressionen, die ihn periodisch lähmten und die er zeitweise durch Alkohol und Tabletten einzudämmen versuchte. Weiterhin beschreibt Lahme den „homo politicus“ und engagierten Zeitgenossen Golo Mann. Schon als Schüler in Salem sei er an Politik und gesellschaftlichen Fragen interessiert gewesen und habe sich später als eigenständiger politischer Kopf vor allem in der Auseinandersetzung mit Hitler und dem Nationalsozialismus um ein eigenes Urteil bemüht. Als junger Mann sei er weit nach links gedriftet und habe sich einer linksradikalen Studentengruppe angeschlossen; die demokratische Läuterung, die nach 1933 einsetzte, habe jedoch rasch zum vollständigen Bruch mit Marx geführt. Golo Mann habe sich früh für eine neue Ostpolitik und eine Aussöhnung mit Polen eingesetzt und sich nicht gescheut, unbequeme Forderungen zu erheben. Doch habe er sich auch von Ressentiments und Stimmungen leiten lassen. Als Beispiele seien seine wohlwollenden Urteile über Francos Spanien, sein Eintreten für Hans Filbinger im Marinerichterskandal und sein stark kritisiertes Engagement für Franz Josef Strauß im Wahlkampf genannt.[42]

Der Historiker – Erfolg und Kritik

Golo Manns Deutsche Geschichte des IXX. und XX. Jahrhunderts aus dem Jahr 1958 machte ihn als Historiker bekannt. Er erhielt viele Preise, beispielsweise 1968 den Georg-Büchner-Preis. Als Autor und Publizist verkehrte er mit Politikern wie Konrad Adenauer und Willy Brandt.

Viele Historikerkollegen teilten die Euphorie nicht, da Mann seine Werke essayistisch formulierte und auf einen Anmerkungsapparat verzichtete, so auch im 1971 erschienenen umfangreichen Werk Wallenstein, in das er sogar einen fiktiven inneren Monolog des Feldherrn einfügte. Die Fakten im Wallenstein waren nachprüfbar, doch versah ihn die Fachwelt mit dem Spott-Titel Lotte in Eger, der auf Thomas Manns Roman Lotte in Weimar anspielte, und der Historiker Hans-Ulrich Wehler nannte Golo Mann in den 1980-er Jahren einen „Goldrähmchen-Historiker“.[43][44]

Briefwechsel Rolf Hochhuth – Golo Mann

 
Rolf Hochhuth (rechts) und David Irving, 1966

Das Schweizerische Literaturarchiv (SLA) in Bern betreut den Nachlass Golo Manns und das Archiv Rolf Hochhuths, sodass dieser umfangreiche Briefwechsel vollständig erhalten ist. Er umfasst den ersten Dankesbrief Hochhuths an Golo Mann im Zusammenhang mit der Stellvertreter-Kontroverse 1963 bis zum letzten Brief im Jahr 1988.[45] Nachdem Golo Mann den Dramatiker Rolf Hochhuth nach der Uraufführung des Stellvertreters neben den Professoren Karl Jaspers, Karl Barth und Walter Muschg stark unterstützt und ihn bewundert hatte, entwickelte sich ein langjähriger Briefkontakt. Die nächsten Stücke Hochhuths, Soldaten, Guerillas und Die Hebamme fanden jedoch nicht die ungeteilte Zustimmung Golo Manns. Hochhuths Freundschaft mit dem Holocaustleugner David Irving verschlechterte die Beziehung zunehmend. Im Fall Hans Filbinger, der Hochhuth zu dem Drama Juristen (1980) inspiriert hatte, nahm Golo Mann nach dem Erscheinen von Filbingers Verteidigungsbuch Die geschmähte Generation in der Welt am Sonntag 1987 für diesen Stellung, indem er für eine Versöhnung mit der Generation eintrat, die den Krieg überlebt habe. Hochhuth warf ihm daraufhin vor, er verstiesse damit gegen seine eigene Geschichtsbetrachtung und spielte auf den Historikerstreit an. Dabei sei er, Golo Mann, der Lehrer seiner Generation gewesen. Golo Mann entgegnete, er sei am Historikerstreit nie beteiligt gewesen, und Hochhuth möge sich, anstatt ihn als Neonazi zu verleumden, mit der Darstellung Filbingers intensiv auseinandersetzen. Den letzten Brief Hochhuths ließ Golo Mann ungeöffnet zurückgehen.[46]

Kontroverse Hannah Arendt – Golo Mann

Eine weitere Kontroverse zur Thematik des Nationalsozialismus entstand anlässlich der Veröffentlichung von Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem über den Prozess, der 1961 in Jerusalem stattfand. Ihre Einschätzung der Persönlichkeit Eichmanns, die These von der Mitschuld der Juden am eigenen Untergang sowie die Beurteilung des Widerstands gegen Hitler lösten bei Golo Mann Empörung aus. Die Kontroverse führte zur endgültigen Entfremdung von seinem Doktorvater Karl Jaspers, der mit Arendt befreundet war. Auch Arendt hatte bei Jaspers promoviert[47]

Ausstellungen zum 100. Geburtstag

Datei:DPAG 2009 Golo Mann.jpg
Briefmarke der Deutschen Bundespost zum 100. Geburtstag 2009

Der Geschichtserzähler. Golo Mann zum 100. Geburtstag, unter diesem Titel findet eine Ausstellung im Buddenbrookhaus, Lübeck vom 6. September bis zum 22. November 2009 statt. Der Leiter des Buddenbrookhauses, Holger Pils, erklärte zum Ansatz der Ausstellung, dass für Golo Mann die biografische Erzählung eine bevorzugte Form gewesen sei. Daher solle auch die Ausstellung biografisch erzählen und zugleich ein Stück erlebter Geschichte aufzeigen. Pils hat die Ausstellung gemeinsam mit dem Golo-Mann-Biografen Tilmann Lahme konzipiert.[48]

Eine weitere Ausstellung fand 2009 anlässlich des Geburtstags im Tessin statt, wo Golo Mann in Berzona ein Ferienhaus besaß. Das „Museo Onsernonese“ in Loco erinnerte an den Historiker und Schriftsteller.[49]

Zwischen allen Stühlen – wie es sich gehört war das Motto der Ausstellung im Schwulen Museum Berlin zum 100. Geburtstag im März 2009. Gezeigt wurde das Kinderzimmer der Münchner Mann-Villa in der Poschingerstraße 1 mit Golos Laufstall und seinem Schulschreibtisch. Eine Wand war mit Thomas-Mann-Bildern und seinen Tagebuchauszügen bestückt. Weiterer Bestandteil der Ausstellung waren eine Klaus-Mann-Vitrine und eine Heinrich-Mann-Büste.[50]

Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

Sekundärliteratur

Interview

  • „Ich hasse alles Extreme“ (4. März 1965) Günter Gaus im Interview mit Golo Mann. In: Günter Gaus: „Was bleibt, sind Fragen.“ Die klassischen Interviews. Das Neue Berlin, Berlin 2000

Siehe auch

Wikiquote: Golo Mann – Zitate

Einzelnachweise

  1. Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken, S. 10 f
  2. Golo MannErinnerungen und Gedanken, S. 41
  3. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 620
  4. Klaus Mann: Kind dieser Zeit, S. 19
  5. Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken, S. 25
  6. Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken, S. 113 f
  7. Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken, S.193–197
  8. Uwe Naumann: Die Kinder der Manns, S. 62 f
  9. Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken, S. 265–278
  10. Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken, S.430, 462 ff
  11. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 39 f
  12. Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken, S. 129
  13. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 436
  14. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 437
  15. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 55 f
  16. Brief an Manuel Gasser, zitiert nach Bitterli: Golo Mann, S. 137
  17. Urs Bitterli:Golo Mann, S. 140 f
  18. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 204
  19. Clemens Albrecht: „Warum Horkheimer Golo Mann einen ‚heimlichen Antisemiten‘ nannte: der Streit um die richtige Vergangenheitsbewältigung“, in: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule
  20. Joachim Fest: Begegnungen, S. 226 f
  21. Siehe Weblink zur Kontroverse
  22. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 493 f, 499
  23. Uwe Naumann: Die Kinder der Manns, S. 270
  24. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 625
  25. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 427
  26. Uwe Naumann: Die Kinder der Manns, S. 292
  27. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 512
  28. Hans Georg Lützenkirchen: Mit eigenwilliger Beharrlichkeit. literaturkritik.de, 5. Mai 2009, abgerufen am 6. September 2009.
  29. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 695
  30. Axel Schock & Karen-Susan Fessel: OUT! — 800 berühmte Lesben, Schwule und Bisexuelle, Querverlag, Berlin 2004, ISBN 3-89656-111-1
  31. Frido Mann: Achterbahn. S. 315 f
  32. Marianne Krüll: Die Frauen im Schatten von Thomas und Heinrich Mann. Abgerufen am 3. September 2009.
  33. Heimkehr. nzz.ch, 6. November 2006, abgerufen am 3. September 2009.
  34. Golo Mann: Inventar seines Nachlasses. Schweizerisches Literaturarchiv, Bern, abgerufen am 4. September 2009.
  35. Uwe Naumann (Hrsg.): Die Kinder der Manns, S. 204 f
  36. Uwe Naumann (Hrsg.): Die Kinder der Manns, S. 226
  37. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 168 ff
  38. Uwe Naumann: Die Kinder der Manns, S. 278
  39. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 530
  40. Golo Mannn zum 100. br-online, 20. März 2009, abgerufen am 18. September 2009.
  41. Uwe Naumann (Hrsg.): Die Kinder der Manns, S. 18
  42. Hans Woller: Tilmann Lahme: Golo Mann. Biographie, Frankfurt a. M.: S. Fischer 2009. sehepunkte 9 (2009), Nr. 5, 15. Mai 2009, abgerufen am 18. September 2009.
  43. Später Ruhm. br-onine, 16. September 2008, abgerufen am 7. September 2009.
  44. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 474
  45. Siehe Weblink Briefwechsel Rolf Hochhuth – Golo Mann
  46. Urs Bitterl: Golo Mann, S.211–216
  47. Urs Bitterli: Golo Mann, S. 216 ff
  48. Golo Mann zum 100. Geburtstag. www.luebeck.de, abgerufen am 5. September 2009.
  49. Mit Wallenstein-Literatur im Rucksack. swissinfo.ch, abgerufen am 7. September 2009.
  50. Außenseiter, Spitzenreiter. tagesspiegel.de, 27. März 2009, abgerufen am 7. September 2009.