Antonin J. Liehm

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Antonin J. Liehm (*1924 in Prag) ist ein tschechischer Autor und Publizist, Filmwissenschaftler und Literaturwissenschaftler der in Paris lebt.[1]

Liehm gründete 1984 in Paris die europäische Kulturzeitschrift Lettre International. Ein französische Ausgabe existiert seit 2000 nicht mehr, aber (2009) neben der deutschen Ausgabe noch eine italienische (seit 1984) [2], eine rumänische[3], eine spanische[4] und eine ungarische Ausgabe.[5]. Antonin Liehm leitet (2009) nach wie vor das Pariser Redaktionsbüro der Zeitschrift.

Lebensgeschichte

Antonin J. Liehm studierte politische Wissenschaften an der Karlsuniversität in Prag. Das Studium schloss er 1949 erfolgreich ab.[6]

Kulturni politika und Stalinismus

Schon 1945 im Alter von 21 Jahren gründete Liehm in Prag zusammen mit Emil František Burian, einem berühmten Theatermacher, die Wochenzeitschrift Kulturni politika (Kulturpolitik). Die Zeitung war prokommunistisch und wurde schließlich vom tschechoslowakischen Schriftstellerverband herausgegeben. Der ehemalige tschechoslowakische Außenminister Vladimír Clementis verschaffte ihm 1948 daneben eine Anstellung in der Presseabteilung des Außenministeriums. Sein Förderer wurde 1952 im stalinistischen Slansky-Prozess gehängt. Er selbst wurde in Folge entlassen und die Zeitschrift eingestellt. 1956 wurde Liehm wieder eingestellt, um vier Jahre später wieder entlassen zu werden.

Litérarní noviny und Prager Frühling

Nach dem Rauswurf 1960 konnte er in die Literaturzeitschrift Literární noviny eintreten. Die ursprünglich streng stalinistische Zeitschrift hatte sich seit dem politischen Tauwetter ab 1956 liberalisiert. 1960/61 gelang es Niehm und einer Gruppe von Mitstreitern den alten Chefredakteur abrufen zu lassen und die Redaktion zu übernehmen. Liehm beschrieb diese Zeit so: Wir machten Politik durch Kultur, durch Theater, Literatur und Philosophie. Man las uns als eine politische Zeitung im Medium der Kultur. Eine kulturpolitische Zeitschrift, in der Tradition jener an die Intelligenz gerichteten Zeitungen der 1920er Jahre. Die Auflage stieg auf 130.000 Exemplare. Die Zeitschrift gehörte zu den Wegbereitern des Prager Frühlings 1968 in dem führende tschechoslowakische Kommunisten eine Reform des politischen Systems anstrebten. Einige Zeit nach der Abschaffung der Zensur im Frühjahr 1968 überließ man Liehm und einer Gruppe seiner Mitstreiter ein Gebäude für die Redaktion der Literární noviny. Dort sollte die Gruppe mit Liehm als Chefredakteur die Litérarní noviny als Tageszeitung ausbauen. Der Start der Arbeit war auf den 15. September 1968 terminiert, der Neustart der Zeitung auf den Nationalfeiertag am 28. Oktober 1968.

Niederschlagung des Prager Frühlings und Emmigration

Jedoch stoppte der Einmarsch der Panzer der Roten Armee in Prag am 21. August 1968 den Prager Frühling.

1969 flüchtete Liehm zunächst nach Paris. Schon damals hegte Liehm den Wunsch ein europäisches Forum für intellektuelle Debatten nach dem Vorbild der Literarny noviny schaffen.

Universitätslehrer in USA und Frankreich

Da er aber weder eine feste Anstellung finden noch genug Geld auftreiben konnte, ging er in die USA, wo er als Dozent Film und „europäische Kultur" lehrte.

Erst dreizehn Jahre später erhielt er eine Anstellung bei der Universität Paris VII und später bei der École des Hautes Études en Sciences Sociales.

Sommerlektiiri und 150.000 Worte

Mit Freunden brachte Antonin Liehm jährlich einen ca. 800 Maschinenseiten starken Almanach heraus für tschechische und slowakische in der Tschechoslowakei nicht verlegten Literatur ohne Rücksicht darauf, ob die Werke im In- oder Ausland erschienen waren und auch ungeachtet dessen, ob es sich bei den Autoren um Dissidenten handelte oder nicht. Diesen Almanach nannte er Sommerlektiiri.

Daneben gab Antonin Liehm die Zeitschrift »150 000 Worte« heraus. Der Titel erinnert an Ludvík Vaculíks Text 2000 Worte aus dem Jahre 1968. Die Zeitschrift beinhaltete eine Auswahl der nach Liehms Ansicht interessantesten publizistischen und journalistischen konfrontativen Texte aus der ganzen Welt. Das später dreimal im Jahr erscheinende Werk wurde systematisch auch über den Eisernen Vorhang geschmuggelt.

1977 organisierte Antonin Liehm in Venedig die Biennale der Widerstandskultur (Biennale del Disseno).[7]

L76 und weitere Gründungsversuche

Um 1977 boten ihm die deutschen Schriftsteller Grass und Böll an, eine Ost-West-Zeitschrift zu machen. Liehm war das zu eng, er wollte eine internationale Zeitschrift. Zunächst einigte man sich darauf und Liehm stellte einen internationalen Beirat zusammen. Dann aber teilte der Verleger Liehm die Ansicht von Grass mit, dass Ganze geriete zu international und nicht deutsch genug und luden ihn unter Zahlung von 100 Dollar wieder aus. Der von Liehm vorgeschlagene Titel L76 wurde aber beibehalten. Die Zeitschrift ging später ein.

In Folge startete er mehrere Gründungsversuche, darunter einer in Österreich mit Martin Pollack, dem späteren Mitteleuropakorrespondenten des Spiegel, der nach Liehms Aussage beinahe geklappt hätte.

1984: Liehm gründet Lettre International

Letztendlich erfolgte die Gründung von Lettre International aber in Paris mit seinem Freund Paul Noirot, der in einem Einzimmerbüro mit Küche die geldlose Zeitschrift Politique aujourd'hui betrieb.

Die französische Lettre schaffte es nie Geld genug zu verdienen um Honorare an die Autoren und Künstler zu bezahlen. Liehm arbeitete tagsüber als Dozent und die Zeitschrift beschäftigte gerade eine Studentin als Redaktionssekretärin. Das Geld wurde im wesentlichen für gute Übersetzungen der internationalen Artikel ausgegeben. Auf die französische Ausgabe folgte noch im Jahr 1984 die italienische Ausgabe.

Das Konzept beschreibt Liehm so: Hatten wir einen guten Text, sei er deutsch, amerikanisch, russisch, dann suchten wir für ihn eine Umgebung. Andere Texte, die ihn umkreisen, kommentieren, obwohl sie gar nicht eigens dafür verfasst wurden. Ich will nicht leugnen, dass dies auch aus der Not geboren war, denn wir konnten ja keine Texte bestellen. Wir waren darauf angewiesen, eine Collage zu machen, ausgehend von einem wunderbaren Text. Waren die Artikel einer Ausgabe fertiggestellt, so suchten wir nach Poesie, gingen in Museen auf die Suche nach passenden Bildern. Unser Ziel war, ein play of mirrors um einen Text herum zu erzeugen.[8]

Näheres siehe im Artikel Lettre International.

Werke

  • Gespräch an der Moldau. Das Ringen um die Freiheit der Tschechoslowakei, DEA. Molden, München 1968.
  • Gespräche an der Moldau. Über humanen Sozialismus. Mit dem Essay von Jean-Paul Sartre "Der Sozialismus, der aus der Kälte kam". Aus dem Tschechischen von Erich Bertleff, Kindler, München 1970
  • Robert Buchar, Antonin J. Liehm: Czech New Wave Filmmakers in Interviews, Mcfarland & Co Inc 2003, ISBN: 978-0786417209

Ehrungen

Quelle

  1. http://www.sens-public.org/spip.php?article492
  2. http://www.letterainternazionale.it/
  3. http://www.ceeol.com/aspx/publicationdetails.aspx?publicationId=87b4d851-1e4d-41eb-9c6e-206366d9581a
  4. http://www.revistasculturales.com/revistas/90/letra-internacional/
  5. http://lettre.c3.hu/
  6. http://www.pwf.cz/en/authors-archive/antonin-liehm/
  7. Quelle für diesen Abschnitt: http://www.leipzig.de/imperia/md/content/41_kulturamt/literatur/1997_a_antonin_j._liehm.pdf
  8. Hauptquelle für den ganzen Abschnitt: http://www.sens-public.org/spip.php?article492
  9. http://www.leipzig.de/de/buerger/kultur/literatur/lbev/preistr/11013.shtml