Jussuf Ibrahim

deutscher Arzt, Kinderarzt
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Jussuf Murad Bey Ibrahim (* 27. Mai 1877 in Kairo; † 3. Februar 1953 in Jena) war ein hochangesehener und zugleich wegen Beteiligung am Euthanasie-Programm während der Zeit des Nationalsozialismus umstrittener Kinderarzt.

Jussuf Ibrahim, Januar 1953

Ibrahim, Sohn eines ägyptischen Arztes und einer deutschen Mutter,[1] studierte Medizin an der Universität München, an der er im Jahr 1900 auch promovierte und 1912 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde.[2] Nachdem er 1915 zunächst an die Universität Würzburg gewechselt war, wurde er am 1. April 1917 als Professor auf den durch das finanzielle Engagement der Carl-Zeiss-Stiftung neu geschaffenen Lehrstuhl für Kinderheilkunde berufen und blieb bis zu seinem Tode 1953 dessen Direktor. Sein Nachfolger auf diesem Lehrstuhl wurde Erich Häßler.

In der Zeit des Nationalsozialismus zeigte er sich von der NS-Ideologie angezogen, wurde aber als „Halbaraber“ nicht in die NSDAP aufgenommen.[1] Als Leiter der Jenaer Universitäts-Kinderklinik war er in die Euthanasie-Morde an Kindern verwickelt, da er schwerstgeschädigte Patienten seiner Klinik an die für die Euthanasie zuständige Kinderfachabteilung in Stadtroda überwies beziehungsweise trotz des ihm bekannten Schicksals der Kinder in Stadtroda ihre Überweisung zur Kenntnis nahm.[3] Im Januar 1943 wurde er mit dem Kriegsverdienstkreuz Zweiter Klasse ausgezeichnet, aber bereits im Juli desselben Jahres vom Reichsinnenministerium gerügt, da er nach den Krankenblättern der Kinderklinik die von seinen Untergebenen erstellten Anträge auf Euthanasie verzögert bearbeitet oder nicht bewilligt hatte.[1]

Ibrahim erhielt 1947 den Ehrendoktortitel der Sozialpädagogischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.[1] Der aufgrund seiner Verdienste um die Ausbildung von Krankenschwestern, um die Sozialpädiatrie und um die Senkung der Säuglingssterblichkeit[2] hoch angesehene Mediziner wurde 1947 auch zum Ehrenbürger der Stadt Jena ernannt, 1949 erhielt er die Auszeichnung Verdienter Arzt des Volkes, 1952 den Nationalpreis der DDR erster Klasse.

Die Universitätskinderklinik, zwei Kindergärten und eine Straße in Jena trugen bis 2000 seinen Namen, sie wurden nach öffentlicher Kritik umbenannt. Nachdem seine spätestens seit 1985 durch Publikationen bekannte Beteiligung an der Euthanasie zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ während der NS-Zeit nicht länger zu verschweigen war, wurde 2000 sein Name aus dem Erscheinungsbild der Stadt (Straße, Kindergarten, Klinik) gelöscht. Seit dem gleichen Jahr betrachtet die Stadt Jena Ibrahim nicht mehr als Ehrenbürger.

Seine Grabstätte befindet sich auf dem Nordfriedhof in Jena.

Literatur

  • Wolfgang Schneider: Arzt der Kinder. Aus dem Leben Jussuf Ibrahims. 4., veränderte Auflage, Greifenverlag, Rudolstadt 1986, ISBN 3-7352-0035-4
  • Wissenschaftliche Beiträge (poster session) zum Festsymposium 75 Jahre Universitäts-Kinderklinik „Jussuf Ibrahim“ Jena. Herausgegeben von der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 1992, ISBN 3-92-597815-1
  • Peter Reif-Spirek: Später Abschied von einem Mythos. Jussuf Ibrahim und die Stadt Jena. In: Peter Reif-Spirek und Annette Leo: Vielstimmiges Schweigen. Neue Studien zum DDR-Antifaschismus. Berlin 2001
  • Sandra Liebe: Prof. Dr. med. Jussuf Ibrahim (1877−1953): Leben und Werk. Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 2006

Einzelnachweise

  1. a b c d Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 277.
  2. a b Ibrahim, Jussuf. In: Werner E. Gerabek: Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, Berlin und New York 2004, ISBN 3-11-015714-4, S. 658
  3. Ibrahim, Jusuff. In: Rolf Castell: Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland in den Jahren 1937 bis 1961. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 3-52-546174-7, S. 519/520