Determinismus

Auffassung, dass alles im Universum aufgrund der Naturgesetze vorbestimmt ist
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Determinismus (lat. determinare „abgrenzen“, „bestimmen“) bezeichnet die Auffassung, dass zukünftige Ereignisse durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt sind. Die Gegenthese (Indeterminismus) vertritt, dass es überhaupt oder in einem bestimmten Bereich der Realität Ereignisse gibt, die auch hätten anders eintreten können.

In der heutigen Philosophie der Natur wird üblicherweise „Determinismus“ spezifischer auf Ereignisse der Natur - oder einem bestimmten Bereichen derselben - bezogen. Gestützt wird ein solcher allgemeiner Determinismus zumeist durch die Annahme, dass strikte, nicht-probabilistische Naturgesetze über sämtliche natürlichen Prozesse regieren. Ob wiederum die besten physikalischen Theorien diese Annahme stützen, ist umstritten. Wenn geistige Zustände ebenfalls natürliche Zustände sind, scheint ein Determinismus Probleme für die Realität eines freien Willens zu erzeugen. Ob dieser Gegensatz besteht ist ebenso umstritten wie die jeweiligen Konsequenzen.

Neben dem Vorherbestimmtsein durch Naturgesetze wird über „Determinismus“ u.a. auch im Zusammenhang eines Vorherbestimmtseins durch Gott, durch psychologische oder geschichtliche Gesetzmäßigkeiten gesprochen. In einer unspezifischen oder alltagssprachlichen Wortverwendung können die Ausdrücke „Determinismus“ und „Fatalismus“ weitgehend gleichsinnig gebraucht werden.

Gründe und Gegengründe für einen physikalischer Determinismus

Es ist in der Philosophie der Physik nach wie vor umstritten, ob die Unmöglichkeit exakter Berechnung zukünftiger Ereignisse nur einem Mangel unserer Theorien oder Perspektive geschuldet ist, oder dadurch zu erklären ist, dass die Wirklichkeit selbst nicht deterministisch ist.

Die klassische Physik, insb. die Newtonsche Partikelmechanik (Klassische Mechanik) verwendet nach ihrer üblichen Interpretatio[1] strikte, nicht-probabilistische physikalische Gesetze. Die von diesen Theorien beschriebenen physikalischen Systeme sind daher deterministisch. Bei vollständiger Kenntnis des Anfangszustandes ist der Zustand eines geschlossenen physikalischen Systems zu jeder beliebigen, insb. zukünftigen Zeit berechenbar. Die Thermodynamik hingegen verwendet auch probabilistische Gesetze. Thermodynamische Prozesse sind aber Prozesse, die durch kleinste Teilchen realisiert werden, für welche auch die Gesetze der klassischen Partikelmechanik gelten. Das Verhältnis beider Theorien ist nach wie vor umstritten. Der Formalismus der Quantenmechanik ermöglicht nur propabilistische Aussagen über zukünftige Beobachtungen. Viele Interpreten, darunter insb. die klassische Kopenhagener Interpretation, hat dies damit erklärt, dass die Wirklichkeit fundamental nicht deterministisch sei. Daneben werden aber auch deterministische Deutungen oder Modifikationen verteidigt, darunter die Viele-Welten-Theorie, die de-Broglie-Bohm-Theorie und die Bohmsche Mechanik.

Theologischer Determinismus und religionsphilosophische Probleme

Sowohl ein mögliches Vorherbestimmtsein der Wirklichkeit durch die Naturordnung, wie auch durch göttliche Vorherbestimmung, erzeugen zahlreiche Probleme in verschiedenen religionsphilosophischen und dogmatischen Bereichen.

Viele Religionen und deren Interpreten vertreten einen Freien Willen des Menschen; die theistischen Religionen lehren, ihren üblichsten Interpretationen zufolge, zudem die Existenz eines allwissenden und allmächtigen Gottes. Einigen Philosophen und Theologen zufolge ist es erklärungsbedürftig, ob und wie diese drei Thesen kompatibel sind. Darüberhinaus wird diskutiert, ob und wie Gottes Allmacht mit einem vollständigen Determinismus des Naturablaufs kompatibel ist, wenn Allmacht auch die Fähigkeit zu einem Eingreifen Gottes nach der Schöpfung meint. Eine klassische Lösung besteht darin, dass Gott nicht selbst der Zeit unterliegt, sondern Welt und Zeit selbst in Ewigkeit hervorbringt und dabei insbesondere auch diejenigen Ereignisse, welche Menschen als Wunder oder als Ausnahme von Naturgesetzen erscheinen, selbst hervorbringt bzw. vorbestimmt hat.

Nelson Pike meint, dass Vorherwissen und Vorherbestimmung im Falle eines allwissenden Wesens, das sich nicht irren kann, enger zusammen hängen.[2] Anthony Kenny weist darauf hin[3], dass Gleichzeitigkeit eine transitive Relation sei. Wenn Gottes mit jedem Augenblick gleichzeitig ist, dann sind alle Ereignisse gleichzeitig. Ersteres lehrt ihm zufolge Thomas von Aquin. Da letzteres absurd sei, müsse ein solcher Gottesbegriff aufgegeben werden.

In monotheistischen Theologien wurden unterschiedlich starke Thesen über die objektive oder menschlich einsichtige Planmäßigkeit göttlichen Wirkens und über das Ausmaß des Bewirktwerden des Einzelnen durch Gott vertreten. Eine Extremform ist die These, dass überhaupt nur einzelne Atome für je nur zu einzelne Zeitmomente von Gott geschaffen werden und es weder eine fortdauernde Substanz noch stabile Naturgesetze gibt - ein sog. Okkasionalismus, der u.a. in einigen Schulen des arabischen Kalam vertreten wurde und mit einer starken Betonung des göttlichen Willens (sog. Voluntarismus) einhergeht, welchem gegenüber die menschliche Rationalität und die von ihr unterstellten Stabilitäten und Gesetzmäßigkeiten haltlos werden. Dieser Okkasionalismus ist offensichtlich inkompatibel mit einem physikalischen Determinismus.

Je stärker Gottes Wirken als Hervorbringung bzw. Vorherbestimmung von Einzelereignissen verstanden wird, desto erklärungsbedürftiger wird die Vereinbarkeit des Übels mit dem Verständnis der Güte Gottes.

Weitere theologische Problembereiche sind die Diskussion über eine Vorherbestimmung (Prädestination) einzelner Individuen zu ihrem jeweiligen endzeitlichen Heil bzw. zur Möglichkeit, überhaupt religiös zu glauben oder Gnadengaben zu erwerben. (Siehe hierzu den Hauptartikel Prädestination).

Probleme in der Philosophie des Geistes

Die Vereinbarkeit von Determinismus und Willensfreiheit wird in der Philosophie des Geistes nach wie vor kontrovers debattiert.

Zahlreiche Philosophen vertreten: wenn die Wirklichkeit deterministisch ist, dann ist Willensfreiheit eine Illusion. (sog. Inkompatabilismus) Die Gegenthese lautet, dass auch dann, wenn die Wirklichkeit deterministisch ist, Willensfreiheit real sein kann. (sog. Kompatibilismus) Ein Inkompatibilist muss also, wenn er die Willensfreiheit für real hält, den Determinismus für falsch halten. Alle vier möglichen Positionen wurden und werden vertreten. Eine inkompatibilistische Position wird zumeist begründet durch die Verteidigung einer Reduzierbarkeit mentaler Zustände auf natürliche bzw. physikalische Zustände. Denn wenn ein mentaler Zustand identisch ist mit einem Zustand, der mit Termini deterministischer physikalischer Theorien beschrieben wird, dann sind auch mentale Zustände und insb. willentliche Entscheidungen determiniert. Einen solchen Reduktionismus oder eine Nichtexistenz des Geistigen (Eliminativismus) vertreten insbesondere Theoretiker, die grundsätzlich verteidigen, dass es überhaupt nur natürliche Objekte, sog. Naturalisten.

Die Zufälligkeit thermodynamischer oder quantenmechanischer Prozesse wird für die Möglichkeit von Willensfreiheit vielfach für irrelevant gehalten mit einem Argument dergestalt, dass unser Freiheitsbegriff eine durch Gründe selbstbestimmte Entscheidung meint und kein natürliches Zufallsexperiment.

Auch die theologische Annahme eines Vorherbestimmtseins aller Ereignisse durch Gott (theologischer Determinismus) wirft für einige Theoretiker Probleme für die Realität eines freien Willens auf. (s.o.)

Probleme der Ethik, der politischen Philosophie und Rechtsphilosophie

Siehe die ausführlichere Darstellung rechtswissenschaftlicher und ethischer Probleme im Hauptartikel Freier Wille.

Falls die gesamte Wirklichkeit inklusive unserer Entscheidungen unausweichlich vorherbestimmt ist, scheinen unsere Begriffe von Verantwortung bis hin zu Begriffen vom Sinn des Lebens schwer aufrechtzuerhalten, ebenso wie die übliche Praxis von Rechtssprechung und Sanktionierung.

Geschichtsphilosophischer Determinismus

Mehrere Philosophen und Historiker haben vertreten oder bestritten, dass es Gesetze gibt, die über historische Prozesse regieren und Vorhersagen ermöglichen.[4]

Sonstige Wortverwendungen

Außerhalb des naturphilosophischen Kontextes wird auch unspezifischer von Determinismus gesprochen, um ein Bestimmtsein von etwas durch etwas anderes zu bezeichnen. Beispiele sind das Bestimmtwerden des Menschen durch die Technik und nicht umgekehrt oder ein Bestimmtwerden individueller Handlungen durch gesetzliche Vorgaben.

Vertreter

Einzelnachweise

  1. Für abweichende Diagnosen vgl. z.B. Earman, a.a.O.
  2. In God and Timelessness 1970, ein entsprechendes Argument des spätantiken Philosophen Boëthius aufgreifend.
  3. in Aquinas, a Collection of Critical Essays
  4. Vgl. Dray; Nagel; Donagal; jeweils a.a.O.

Literatur

Philosophie des Geistes und praktische Philosophie
Für Literatur zum Problem des Freien Willens siehe dort.
Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie
Religionsphilosophie
Ideengeschichte
Sozialwissenschaften, Kultur- und Geschichtsphilosophie
Wiktionary: Determinismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen