Tschechoslowakei

historischer Staat in Mitteleuropa (1918–1992)
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Die Tschechoslowakei war ein mitteleuropäischer Staat auf dem Gebiet Tschechiens und der Slowakei sowie bis zum Zweiten Weltkrieg eines kleinen Teils der heutigen Ukraine. Nach 1948 gehörte sie zu den RGW-Staaten Osteuropas, ab 1955 zum Warschauer Pakt und somit zum so genannten Ostblock.

Die Tschechoslowakei bestand aus den Ländern Böhmen, Mähren und Mährisch-Schlesien (das ehemalige Österreichisch-Schlesien mit dem vorher preußischen Gebiet um Hultschin, aber ohne einen Gebietsstreifen östlich von Teschen, der an Polen fiel), der Slowakei und – bis 1939 – Karpatenrussland (Podkarpatská Rus, Karpatoukraine, heute Karpatenukraine). 1993 entstanden die Nachfolgestaaten Tschechien und Slowakei.

Landesname

Der verwendete und offizielle Landesname hat eine wechselvolle Geschichte. Folgende Bezeichnungen waren außer Tschechoslowakei im Gebrauch:

  • 1918–1920, 1938–1939 und 1990–1992 auch Tschecho-Slowakei
  • amtlich 1918–1938 und 1945–1960: Tschechoslowakische Republik (ČSR); tschechisch und slowakisch Československá republika
  • 1938–1939 Tschecho-Slowakische Republik (Č-SR); tschechisch und slowakisch Česko-Slovenská republika
  • 1960–1990 Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR); tschechisch und slowakisch Československá socialistická republika
  • 1990–1992 Tschechische und Slowakische Föderative Republik (ČSFR); tschechisch Česká a Slovenská Federativní Republika; slowakisch Česká a Slovenská Federatívna Republika)

Geographie

 
Tschechoslowakei 1920–1938

Der Staat hatte Grenzen zu Österreich, Ungarn, der Ukraine (ab 1991, davor 1945–1991 der Sowjetunion), Rumänien (bis 1939), Polen und Deutschland (beziehungsweise 1949–1990 der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland).

Bevölkerung

 
Sprachenkarte der Tschechoslowakei nach der Volkszählung von 1930

In dem 1918 entstandenen Staat bildeten die Tschechen und Slowaken nicht die gesamte Bevölkerung – etwa ein Drittel gehörten anderen Nationalitäten an. Der Vielvölkerstaat umfasste bei einer Volkszählung 1921 mit 8,761 Mio. Tschechen und Slowaken, 3,1 Mio. Deutschen (23 %), die damit die Anzahl der Slowaken überstiegen, sowie große Minderheiten von Magyaren, Russinen, Ukrainern, Juden und Polen. Das Sudetenland war bis 1945 mehrheitlich deutsch (0,7 % Polen) besiedelt.

Durch die so genannten Beneš-Dekrete kam es nach 1945 zur Vertreibung der Deutschen und zum tschechoslowakisch-ungarischen Bevölkerungsaustausch. Die Tschechoslowakei wurde als Tschechoslowakische Republik nach dem Zweiten Weltkrieg und den Jahren der deutschen Besatzung als Staat der slawischen Völker der Tschechen und Slowaken wieder gegründet. Die Amtssprachen waren dementsprechend Tschechisch und Slowakisch.


Nationalitäten der Tschechoslowakei 1921[1]


Gesamteinwohnerzahl 13,613 Mio.
Tschechoslowaken1 8,761 Mio. 64,35 %
Deutsche 3,123 Mio. 22,94 %
Ungarn 0,745 Mio. 5,47 %
Russen (Großrussen, Ukrainer, Karpatorussen)2 0,461 Mio. 3,38 %
Juden 0,180 Mio. 1,32 %
Ausländer3 0,238 Mio. 1,74 %
Polen und andere 0,102 Mio. 0,01 %

1 davon 1,967 Mio. Angehörige des „slowakischen Zweigs der tschechoslowakischen Nationalität“, d. h. Slowaken (davon 1,942 Mio. in der Slowakei); diese Angabe wurde von den Behörden erst anlässlich der Volkszählung von 1930 nachträglich veröffentlicht
2 d. h. in heutiger Terminologie Russen, Ukrainer und Russinen
3davon 94.400 Deutsche, 34.200 Polen, 16.400 Ungarn und 58.700 Tschechoslowaken (zurückgekehrte Emigranten sowie Kinder und Frauen von Ausländern)

Geschichte

Hauptartikel: Geschichte der Tschechoslowakei

Erste Republik

 
Die Tschechoslowakei 1928

Der Staat Tschechoslowakei entstand durch den Zerfall Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurden die Bestrebungen der Tschechen und Slowaken nach nationaler Selbstbestimmung auch durch die Alliierten unterstützt. Am 28. Oktober 1918 wurde in Prag der neue Staat proklamiert. Durch die Verträge von Saint-Germain und Trianon von 1919 war das Ende der Donaumonarchie und damit die Anerkennung der ČSR fixiert.

Durch den Aufstieg des Nationalsozialismus, der Machtübernahme Adolf Hitlers und die damit wachsende Kriegsgefahr stellte die ethnische Inhomogenität des Vielvölkerstaates ein wachsendes Problem dar. Im Glauben, die Gebietsinteressen Hitlers zu befriedigen und damit die drohende Kriegsgefahr bannen zu können, wurde unter Führung Großbritanniens das Münchner Abkommen vom 29. September 1938 ausgehandelt. Darin wurden die Gebiete mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung (Sudetenland) dem Deutschen Reich zugesprochen. Der südliche Teil der Slowakei und die Karpatoukraine fielen mit den Wiener Schiedssprüchen an Ungarn. Das Teschener Gebiet wurde von Polen besetzt.

Der verbliebene tschechische und slowakische Teil der Tschechoslowakei bestand nur kurz. Im März 1939 besetzten deutsche Truppen die sogenannte Rest-Tschechei und stellten sie als Protektorat Böhmen und Mähren unter deutsche Verwaltung. Im slowakischen Landesteil wurde die Slowakische Republik, ein Staat unter deutschem „Schutz“, gebildet, die Karpatenukraine wurde von Ungarn annektiert. Teile der tschechoslowakischen Regierung hatten sich ins Ausland abgesetzt und bildeten unter Edvard Beneš ab 1940 in London eine Exilregierung. An der Seite der Westalliierten und der Roten Armee kämpften Tschechen und Slowaken für die Befreiung ihres Landes.

Wiederherstellung der ČSR

 
Lage der Tschechoslowakei in Europa zwischen 1949 und 1990
 
Flagge der Tschechischen Republik innerhalb der Föderation 1990–1992 (Hauptstadt: Prag)
 
Flagge der Slowakischen Republik innerhalb der Föderation 1990–1992 (Hauptstadt: Bratislava)

Nach Kriegsende 1945 wurde die Tschechoslowakische Republik wiederhergestellt, in den Grenzen aus der Zeit vor dem Münchner Abkommen. Bis auf die Karpatoukraine, welche an die Sowjetunion fiel. Als kommunistischer Satellitenstaat der UdSSR wurde das Land Teil des Ostblocks und Mitglied des Warschauer Paktes, außerdem des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe.

Der 1948 kommunistisch gewordene Staat musste sich der stalinistischen Politik der Sowjetunion anfügen. Beneš trat zurück, weil er die neue Verfassung von Mai 1948 nicht unterschreiben wollte. Der moskautreue Klement Gottwald wurde Präsident.

Tschechoslowakische Sozialistische Republik (1960–1990)

Durch die Verfassung von 1960 wurde der Staat in die Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR) umbenannt und der kommunistische Führungsanspruch festgeschrieben.

1968 kam es unter dem Parteichef der Kommunistischen Partei Alexander Dubček zum Versuch einer „Vermenschlichung“ des kommunistischen Staates. Der Prager Frühling sollte einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ schaffen, wurde aber von der Sowjetunion und den anderen kommunistischen Staaten mit Waffengewalt niedergeschlagen. Als einzigen Punkt des allgemein untergegangenen Reformprogrammes konnte die Föderalisierung der ČSSR umgesetzt werden. Diese wurde am 28. Oktober 1968, dem 50. Jahrestag der tschechoslowakischen Unabhängigkeit, ausgerufen. Fortan bildeten zwei Teilrepubliken, die Tschechische Sozialistische Republik und die Slowakische Sozialistische Republik, die ČSSR. Allerdings gab es auch bei dieser Reform von sowjetischer Seite eine starke Einschränkung: Es gab zwar eine slowakische, nicht aber eine tschechische Kommunistische Partei. Für die alles entscheidende Parteilinie blieb weiterhin das Zentralkomitee der KPČ in Prag und dessen Präsidium zuständig.

Die Bevölkerung der Tschechoslowakei verfiel nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ von 1968 in Resignation. Doch entstand 1977 mit der Charta 77 unter dem Schriftsteller Václav Havel eine mutige Bürgerrechtsbewegung, die seit 1988 zu politischen Aktionen aufrief.

Im November 1989 kam es unter dem Eindruck des Reformprogramms von Michail Gorbatschow in der Sowjetunion zu mehrtägigen Demonstrationen in Prag und anderen Städten. Nach tagelangen Protesten trat die kommunistische Führung zurück. Nach dieser „Samtenen Revolution“, einer verhältnismäßig friedlichen und gewaltlosen Erhebung des Volkes, endete das Regime der Kommunistischen Partei. Anfang Dezember wurde unter dem Reformkommunisten Marián Čalfa eine mehrheitlich nichtkommunistische Regierung gebildet. Ende Dezember wurde der Bürgerrechtler Havel zum Staatspräsidenten gewählt. Im Juni 1990 fanden die ersten freien Parlamentswahlen seit 1945 statt. Es siegte das Bürgerforum und die slowakische Öffentlichkeit gegen Gewalt, die zusammen die Regierung bildeten.

Tschechische und Slowakische Föderative Republik (1990–1992)

Es zeichnete sich bald ab, dass der föderative Staat „Tschechoslowakei“ auf Dauer keinen Bestand mehr haben werde. Zu den ersten Zerwürfnissen kam es während des sogenannten Gedankenstrich-Krieges um die Landesbezeichnung. Von April 1990 bis Ende 1992 hieß das Land Die Tschechische und Slowakische Föderative Republik (ČSFR) mit den Kurzformen Tschechoslowakei in Tschechien beziehungsweise Tschecho-Slowakei in der Slowakei. Aufkommende Interessenskonflikte zwischen den beiden Landesteilen führten 1992 zum Ende der Tschechoslowakei. Ohne Referendum wurde vom Parlament die Auflösung des Staates und damit die Bildung der Staaten Tschechien und Slowakei zum 31. Dezember 1992 beschlossen.

Literatur

  • Rüdiger Kipke: Abschied von der Tschechoslowakei, Köln 1993.

Einzelnachweise

  1. Quellen der Volkszählungsergebnisse: Československá republika – obyvatelstvo, in: Ottův slovník naučný nové doby (Anfang der 1930er Jahre) und infostat.sk

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