Revolutionäre Zellen (Deutschland)

militantes linksextremes Netzwerk bestehend aus autonomen Gruppen in Deutschland
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 20. Juni 2005 um 21:26 Uhr durch Zahnstein (Diskussion | Beiträge) (kat). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Revolutionären Zellen (RZ) sind eine militante linksgerichtete und gleichzeitig autonom operierende Organisation in Deutschland von den 1970er Jahren bis in die 1990er Jahre.

Ihre dezentrale Organisationsform bezeichnet man als guerilla diffusa. Hauptsächlich waren ihre Anschläge mit Sachschaden verbunden, aber es gab auch Tote.

"Krieg dem System" - das galt in den 1970er und 80er Jahren für die Revolutionären Zellen (RZ) genauso wie für die Rote Armee Fraktion. Doch nicht aus dem Untergrund wollen die RZ kämpfen, legal leben und arbeiten war ihr Ziel. Im Gegensatz zur RAF waren die RZ nicht straff organisiert und ohne Führung. Bei ihren Anschlägen blieben sie anonym, da sie gleichzeitig auch legal politisch aktiv sein und öffentlichen Diskussion innerhalb der Linken und in der Gesellschaft teilnehmen wollten.

Gelegentlich wurden die RZ als Feierabendterroristen belächelt. Ihre Herangehensweise schützte sie jedoch lange Zeit vor dem Zugriff durch den Staat. Bis 1999 gab es kaum verwertbare Erkenntnisse über die RZ und nur wenige Verurteilungen.

Erst durch Verhaftung des OPEC-Attentäters und RZ-Mitglieds Hans-Joachim Klein erfuhren die Ermittler 1999 etwas über deren interne Strukturen. 1999 wurde deshalb Rudolf Schindler festgenommen. Ab 2001 standen er und andere in Berlin wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht; der Urteilsspruch erfolgte 2004. Schindler wurde gemeinsam mit seiner Frau Sabine Eckle zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Erste Anschläge

Die RZ kamen aus dem militanten autonomen Spektrum. Sie handelten als lose organisierte und unabhängig voneinander agierende Zellen. Seit 1976 fungierten sie unter dem Namen Revolutionäre Zellen. Es gab Kontakte zur RAF, zur Bewegung 2. Juni und auch zu palästinensischen Gruppen und dem weltweit gesuchten Terroristen Ilich Ramírez Sánchez ("Carlos").

Die ersten Anschläge verüben die RZ im November 1973 gegen den Konzern ITT in Berlin und Nürnberg. Ab 1975 gab es eine Zeitschrift, den Revolutionären Zorn. Im Jahr 1975 verübten die Frauen der Revolutionären Zellen einen Bombenanschlag auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Rote Zora, wie sie sich kurz danach nannte, trat als eigenständige Gruppe neben den RZ auf. Bis in die 1980er Jahre gab es gemeinsame Aktionen beider Gruppen.

An zwei internationalen Anschlägen waren Mitglieder der RZ beteiligt: An dem Überfall auf die Opec-Konferenz 1975 und der Entführung einer Air-France-Maschine von Tel Aviv nach Entebbe (Uganda) im Jahr 1976. Mit dabei waren Kader der palästinensischen Terrorgruppe Waddi Hadad, einem Ableger der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP). Bei der Erstürmung der Maschine starben zwei Gründer der RZ, Wilfried Boese und Brigitte Kuhlmann. Dies führte zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der RZ; Auslandseinsätze gab es danach nicht mehr.

Laut Generalbundesanwalt bekannten sich die Revolutionären Zellen/Rote Zora zu insgesamt 186 Anschlägen, 40 davon in Berlin. Sie wollten gegen staatlichen Rassismus, Sexismus und das Patriarchat kämpfen. Mitte der 1980er Jahre richteten sich die Anschläge vorrangig gegen die Ausländer- und Asylpolitik der Bundesrepublik.

Mitteilung der "Revolutionären Zellen" 1977 zur Ermordung von Siegfried Buback

Öffentliche Bekantmachung der Revolutionären Zellen in der Propagandazeitschrift "Revolutionärer Zorn" vom Mai 1977 zur Ermordung von Siegfried Buback:

Es traf Buback genau im richtigen Augenblick. Damit ist der Mythos von der Unverletzlichkeit des Polizeistaates ins Wanken gekommen. Europas Spezialist Nr. 1 im Weiterentwickeln der Counter Insurgency gegen alle, die sich zur Wehr setzen gegen das System der Unmenschlichkeit, wurde unschädlich gemacht. Counter Insurgency made in Germany ist mittlerweile zum begehrten Exportartikel für Unterdrücker in aller Welt geworden. Pinochet schickt KZ-Leiter Kraushaar in die BRD zur Weiterbildung, Uruguays Militärgorillas rühmen die "deutsche Methode" als die erfolgreichste und gründlichste, in den Ausbildungsakademien des deutschen Staatsschutzes geben sich die Faschisten aller Welt die Hand um sich auf den neusten Stand der konterrevolutionären Techniken zu bringen. Gleichzeitig versuchte Buback die politische Verteidigung mit allen Mitteln seiner psychologischen Kriegsführung auszuschalten: Verteidiger werden verhaftet, Kronzeugen präpariert, in den Knästen jedes Wort abgehört ... Und die ersten "Erfolge" zeichnen sich bereits ab: Einige Verteidiger biedern sich in widerlichen Schreiben dem "Rechtsstaat" an, denunzieren damit die anderen als Komplizen und die Guerilla als durchgeknallte Irre. Und das gerade während des Hungerstreiks, in dem die Gefangenen Revolutionäre mit der letzten Waffe, die ihnen gebliben ist, gegen ihre Vernichtung kämpfen. Deswegen finden wir die Hinrichtung des obersten Staatsschützers zu diesem Zeitpunkt richtig - besonders für die in den Knästen kämpfenden Genossen. Wir freuen uns zusammen mit vielen legalen und illegalen Genossen über diese gelungen Aktion!


Rückhalt verloren

Obwohl die RZ gezielte Angriffe auf Menschen eigentlich ablehnten, gab es in den 1980er Jahren mehrere so genannte Knieschuss-Aktionen: Der hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry wurde 1981 bei einer solchen Aktion ermordet - aus Versehen, so die RZ. Dem Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, wurde 1986 in die Beine geschossen und ein Jahr später dem Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher.

Nach der Wende verloren die RZ an Bedeutung und Rückhalt in der Szene. Ihr starres Feindbild und ihre Aktionen wurden kritisiert, vor allem auch von den Mitgliedern. Im Dezember 1991 veröffentlichten die RZ ein Papier[1], das die Auseinandersetzungen nach der Entebbe-Entführung beschreibt und von der zunehmenden Spaltung der Gruppen spricht.

Im Oktober 1993 gab es einen letzten Anschlag der RZ: Ein Trafohäuschen des Bundesgrenzschutzes in Frankfurt am Main flog in die Luft, als Protest gegen das neue Asylrecht. Die Rote Zora zündete im Juli 1995 eine Bombe in der Lüssen-Werft in Lernwerder.

Literatur

  • ID-Archiv im IISG/Amsterdam: Früchte des Zorns. Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora. Berlin und Amsterdam 1993. ISBN 389408023X
  • autonome L.U.P.U.S.-Gruppe (Hg.) : Die Hunde bellen ... Von A - RZ. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre. ISBN 3-89771-408-6