Singuläre Homologie

eine Methode der algebraischen Topologie, die einem beliebigen topologischen Raum eine Folge abelscher Gruppen zuordnet
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Singuläre Homologie ist eine Methode der algebraischen Topologie, die einem beliebigen topologischen Raum eine Folge von abelschen Gruppen zuordnet. Anschaulich gesprochen zählt sie die verschieden-dimensionalen Löcher eines Raumes. Gegenüber den ähnlich gearteten Homotopiegruppen hat die singuläre Homologie den Vorteil, dass sie wesentlich einfacher zu berechnen ist und somit für viele Anwendungen die effektivste algebraische Invariante darstellt.

Simpliziale Homologie

Die historischen Wurzeln der singulären Homologie liegen in der simplizialen Homologie. Sei hierzu X ein simplizialer Komplex, d. h. eine Menge von Simplizes, so dass jede Seitenfläche eines der Simplizes wieder in dieser Menge liegt. Einfache Beispiele sind Polygone und Polyeder. Nach einem Satz der Topologie kann man jede differenzierbare Mannigfaltigkeit triangulieren, also als einen simplizialen Komplex auffassen.

Das Ziel ist nun, aus diesem simplizialen Komplex einen Kettenkomplex zu machen, von dem man dann die Homologie nimmt. Hierzu sei   die freie abelsche Gruppe über der Menge der Simplizes des simplizialen Komplexes. Die Randabbildung   bildet jeden Simplex auf die alternierende Summe seiner Seitenflächen ab, d. h.

 

Die Homologie dieses Kettenkomplexes heißt dann die simpliziale Homologie von  .

Singuläre Homologie

Die Definition der simplizialen Homologie hat zwei wesentliche Probleme. Das eine ist, dass nicht jeder topologische Raum eine Darstellung als simplizialer Komplex hat. Das zweite und gewichtigere ist, dass der gleiche Raum zwei verschiedene Darstellungen als simplizialer Komplex haben kann und damit a priori die simpliziale Homologie keine topologische Invariante des Raumes darstellt. Historisch war der erste Lösungsversuch zu diesem Problem die sogenannte Hauptvermutung, die Steinitz und Tietze zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufstellten. Diese besagt, dass zwei Triangulierungen eines Raums immer eine gemeinsame Verfeinerung besitzen. Die Hauptvermutung wurde jedoch 1961 von Milnor widerlegt.

Die Lösung des Problems nahm jedoch schon in den Dreißigern und Vierzigern durch die Arbeiten von Lefschetz und Eilenberg Gestalt an. Sie definierten die sogenannte singuläre Homologie. Diese ist im Grundgedanken ähnlich wie die simpliziale Homologie, nimmt jedoch als ihren Kettenkomplex (den sogenannten singulären Kettenkomplex) zu dem topologischen Raum X die freie abelsche Gruppe über der Menge aller stetigen Abbildung des n-Simplex nach X. Die Randabbildung   ist für eine Abbildung   (auch singulärer Simplex genannt) definiert als

 

Die Homologie dieses Kettenkomplexes nennt man singuläre Homologie von X oder auch schlicht die Homologie von X und man bezeichnet die Homologiegruppen mit  . Für jeden simplizialen Komplex ist sie isomorph zur simplizialen Homologie.

Relative Homologie und Abbildungen

Man kann singuläre Homologie nicht nur von einem Raum X, sondern auch von einem Raumpaar (X,A), d. h. von einem Raum X und einem in ihm enthaltenen Raum  , bilden. Hierzu setzt man den Kettenkomplex   gleich der Faktorgruppe  , die Definition der Randabbildung d bleibt. Die Homologie dieses Kettenkomplexes bezeichnet man als die relative Homologiegruppe  . Anschaulich gesprochen will man das Innere von A ignorieren, wie es im nächsten Abschnitt noch in der Ausschneidungseigenschaft präzisiert wird. Es gilt  .

Jede Abbildung zwischen zwei Raumpaaren induziert auch einen Gruppenhomomorphismus der entsprechenden Homologiegruppen. Sei dazu   eine stetige Abbildung zwischen zwei Raumpaaren, d. h. eine stetige Abbildung von X nach Y, so dass  . Dieses f definiert eine Kettenabbildung von   nach  , indem sie jeden singulären Simplex   auf den singulären Simplex   schickt. Dadurch bekommt man eine Abbildung  . So erhält man, dass jedes   ein kovarianter Funktor von der Kategorie der Raumpaare in die Kategorie der abelschen Gruppen ist.

Eigenschaften

Mit Mitteln der homologischen Algebra kann man zeigen, dass stets eine lange exakte Sequenz von Homologiegruppen existiert:

 

Die Abbildungen   und   sind dabei von der Inklusion bzw. der Projektion induziert. Die Abbildung   ist ein über das Schlangenlemma definierter Randoperator  .

Eine weitere wichtige Eigenschaft von   ist seine Homotopieinvarianz. Seien dazu   zwei stetige Abbildung, die homotop sind. Dann sind die beiden induzierten Gruppenhomomorphismen   identisch. So sind insbesondere die Homologiegruppen von zwei homotopieäquivalenten Räumen isomorph.

Für relative Homologiegruppen gilt die Ausschneidungseigenschaft. Sei hierzu (X,A) ein Raumpaar und  , so dass der Abschluss von B enthalten ist im Inneren von A. Dann ist die von der Inklusion induzierte Abbildung   ein Isomorphismus.

Damit sind die sogenannten Eilenberg-Steenrod-Axiome erfüllt und gezeigt, dass die singuläre Homologie eine Homologietheorie ist. Damit gelten für die singuläre Homologie auch alle Eigenschaften, die ganz allgemein für alle Homologietheorien gelten. Das sind insbesondere die Mayer-Vietoris-Sequenz und der Einhängungsisomorphismus, der besagt, dass  . Hierbei bezeichnet   die Einhängung von X.

Für eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit M gilt, dass   für m > n. Allgemeiner gilt dies auch für einen CW-Komplex, der keine Zellen der Dimension größer als n hat.

Beispiele und Berechnung

Das einfachste Beispiel ist die Homologie eines Punktes. Es gibt für jeden Simplex   nur eine Abbildung in den Raum, womit der Kettenkomplex die folgende Gestalt annimmt:

 

Hierbei sind die Randabbildung immer abwechselnd die 0 und die Identität, so dass der vorletzte Pfeil die Nullabbildung ist. Es gilt somit   für jedes n > 0 und  . Wegen der Homotopieinvarianz gilt selbiges für jeden zusammenziehbaren Raum.

Im Allgemeinen nützt eine direkte Betrachtung des singulären Kettenkomplexes allerdings wenig, da dieser im Normalfall in jeder positiven Dimension unendlich-dimensional ist. Eine Methode der Berechnung beruht auf den oben erwähnten Eigenschaften der singulären Homologie. So kann man beispielsweise mit Hilfe des Einhängungsisomorphismus und der langen exakten Sequenz des Raumpaares   berechnen, dass für     für m = 0 oder m = n,   für m = 0 und   sonst.

Ein weiteres Beispiel, das man mit Methoden der zellulären Homologie berechnen kann, ist die Homologie des reell projektiven Raums. Für n gerade:


 

Und für n ungerade:

 

Anwendungen

Eine klassische Anwendung ist der Brouwersche Fixpunktsatz. Dieser besagt, dass jede stetige Abbildung der n-dimensionalen Kugel Dn in sich selbst einen Fixpunkt besitzt. Der Beweis läuft per Widerspruch.

 
Illustration von F in D2

Angenommen, es existierte eine Abbildung  , die keinen Fixpunkt hat. Dann kann man für jeden Punkt   den Strahl von f(x) nach x zeichnen, der den Rand der Kugel in dem Punkt F(x) trifft (wie im Bild angedeutet). Die Funktion   ist stetig und hat die Eigenschaft, dass jeder Punkt auf dem Rand auf sich selbst abgebildet wird. Damit ist

 

gleich der Identität, wobei   die Inklusion des Randes in die Vollkugel ist. Damit ist auch die induzierte Abbildung

 

gleich der Identität. Nun ist aber laut des vorherigen Abschnittes  , allerdings  . Damit haben wir den Widerspruch.

Weitere Anwendungen sind der Satz von Borsuk-Ulam und der Jordan-Brouwer-Zerlegungssatz, eine Verallgemeinerung des Jordanschen Kurvensatzes.

Koeffizienten und Bettizahlen

Bei der Konstruktion des singulären Kettenkomplexes wurde die freie abelsche Gruppe, also der freie  -Modul, über alle singulären Simplizes gebildet. Die daraus entstehende Homologie bezeichnet man auch als Homologie mit Koeffizienten in  . Es ist allerdings auch möglich, eine beliebige andere abelsche Koeffizientengruppe G zu wählen. Dies erreicht man, indem man den Kettenkomplex C(X,A) mit G tensoriert. Die daraus entstehende Homologie H(X,A;G) bezeichnet man als die Homologie des Raumpaares (X,A) mit Koeffizienten in G.

Die Umrechnung von Homologie mit verschiedenen Koeffizientengruppen ineinander erfolgt üblicherweise mittels Universellen Koeffiziententheoremen.

Eine besondere Rolle spielen Körper als Koeffizienten. Hier ist der Kettenkomplex in jeder Dimension ein Vektorraum und somit auch die entstehende Homologie. Auf diese Weise kann man auch die sogenannten Bettizahlen definieren:

 

Siehe auch

Algebraische Topologie - Euler-Charakteristik - Homologietheorie - Singuläre Kohomologie

Literatur

Man wird in jedem modernen Lehrbuch der algebraischen Topologie auch eine ausführliche Behandlung der singulären Homologie finden. Das Folgende kann deshalb nur eine kleine Auswahl sein.