Finanzmathematik ist eine Disziplin der angewandten Mathematik, die sich mit Themen aus dem Bereich von Finanzdienstleistern, wie etwa Banken oder Versicherungen, beschäftigt. Im engeren Sinne beschäftigt sich die Finanzmathematik mit der Preisfindung an den Finanzmärkten und der Ermittlung theoretischer Barwerte von Finanzprodukten. Sowohl von der Art der betrachteten Geschäfte als auch der methodischen Grundlagen ist die Finanzmathematik von der Versicherungsmathematik zu unterscheiden. Letztere befasst sich mit der Bewertung von Versicherungsdienstleistungen.
Ziel der Finanzmathematik ist es, den Barwert eines Finanzprodukts zu ermitteln. Betrachtet werden alle Arten von Finanzgeschäften, wobei in der Regel vorausgesetzt wird, dass der Basiswert (z.B. eine Aktie) des Produkts aktiv und liquide gehandelt werden kann. Typische Produkte, die mit Methoden der Finanzmathematik bewertet werden, sind Terminkontrakte, Optionen, Zinsderivate (z.B. kündbare Zinsswaps) und andere derivative Finanzprodukte.
Das wichtigste Axiom der Finanzmathematik ist das der Arbitragefreiheit, also dem Fehlen jeder Möglichkeit zur Arbitrage. Als Folge der Arbitragefreiheit wird der theoretische Barwert eines Finanzgeschäftes derart ermittelt, dass jede sich selbst finanzierende Strategie, die die Zahlungsströme des Finanzgeschäfts exakt repliziert, eine Anfangsinvestition in Höhe des Barwerts erfordert.
Methodisch fußt die Finanzmathematik auf der Stochastik, der Theorie stochastischer Prozesse und im engeren Sinne der Theorie der Martingale.
Als Geburtsstunde der modernen Finanzmathematik gilt heute das Jahr 1900, in dem der Franzose Louis Bachelier seine Dissertation Théorie de la spéculation veröffentlichte. Viele der heute üblichen Techniken wurden hier zum ersten Mal beschrieben, und zu Ehren Bacheliers trägt die internationale finanzmathematische Gesellschaft heute den Namen Bachelier Society.
Das bekannteste Ergebnis der Finanzmathematik ist das Anfang der 70er Jahre aufgestellte Black-Scholes-Modell. Es wurde sehr schnell das Standardmodell für die Bewertung von Optionen auf Aktien und wurde später unter dem Namen Black'76 auf weitere Klassen von Grundgeschäften erweitert. Das Modell geht davon aus, dass die die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Aktien für einen Zeitpunkt in der Zukunft einer Lognormalverteilung entspricht und legt den Schwankungen des Aktienkurses einen Wiener-Prozess zugrunde.
Bis heute hat sich das Gebiet der Finanzmathematik stark ausgeweitet. Dies betrifft sowohl die Zahl der Assetklassen (also der Art der Grundgeschäfte) als auch die Zahl der Modelle. Zu den behandelten Assetklassen gehören Aktien, Wechselkurse, Zinsen, Kreditausfallrisiken (die je nach Modell anders modelliert werden), aber auch Preise von Rohwaren (z.B. Erdöl), Strom oder wetterabhängige Kenngrößen (z.B. Anzahl der Sonnenstunden über einen gewissen Zeitraum einer bestimmten Wetterstation). Auch Kombinationen verschiedener Assetklassen (hybride Produkte) und Portfolien von Assets werden behandeln. Zu den wichtigsten Modellen gehören Jump Diffusion Prozesse, Stochastische Volatilität und Local Vola Modelle, sowie die Gruppe der Zinsstrukturmodelle.
Literatur
- Volker Oppitz/Volker Nollau: Taschenbuch Wirtschaftlichkeitsrechnung, Carl Hanser Verlag 2003, 400 S., ISBN 3446224637
- John C. Hull: Options, Futures, and Other Derivatives (5th Edition), Pearson US Imports & PHIPEs 2002, 700 S., ISBN 0130465925.
- Volker Oppitz: Gabler Lexikon Wirtschaftlichkeitsberechnung, Gabler-Verlag 1995, 629 S., ISBN 3409199519