Stockholmer Appell

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Der Stockholmer Appell vom 19. März 1950 war ein Aufruf zur Ächtung der Atombombe und speziell zur Verurteilung des Ersteinsatzes von Atomwaffen. Er ging aus vom Ständigen Komitee des Weltkongresses der Kämpfer für den Frieden (dem späteren Weltfriedensrat), einer Organisation von kommunistischen und pazifistischen Intellektuellen, die von der Sowjetunion und den großen kommunistischen Parteien unterstützt wurde. Frédéric Joliot-Curie, Nobelpreisträger für Chemie 1935, erster Hochkommissar der französischen Atomenergiekommission und Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs, stellte den Aufruf bei der Stockholmer Tagung dieses Komitees vor und unterschrieb ihn als Erster.

Dies war der Startschuss zu einer weltweiten, sehr intensiv betriebenen Unterschriftenkampagne in den folgenden Monaten. Nach Angaben des Weltfriedensrats signierten den Stockholmer Appell über 500 Millionen Menschen; vier Fünftel der Unterschriften stammten allerdings aus der Sowjetunion, der Volksrepublik China und von diesen abhängigen Staaten. Doch auch in einigen westlichen Ländern kam es zu einer erheblichen Mobilisierung, insbesondere in Frankreich und Italien. Die kaum überprüfbaren Zahlenangaben des Weltfriedensrats sind vielfach relativiert worden, doch besteht Einigkeit, dass der Appell eine sehr große weltweite Öffentlichkeitswirkung erzielte und weit über die Anhängerschaft der kommunistischen Parteien hinaus unterstützt wurde. Zugleich hatten Unterstützer und Unterzeichner des Appells in vielen Ländern mit Pressionen von Seiten staatlicher, kirchlicher und anderer Akteure zu rechnen. Im Zeichen des Kalten Krieges galt der Aufruf vielen als kommunistischer Infiltrationsversuch unter dem Deckmantel des populären Friedensthemas.

Der Text des Aufrufs: Inhalt, Träger- und Autorschaft, Entstehung

Der Aufruf wurde am letzten Tag der Stockholmer Tagung des „Ständigen Komitees“, dem 19. März 1950, von Joliot-Curie in französischer Sprache vorgetragen.[1] In der offiziellen deutschen Übersetzung[2] lautet er:

Wir fordern das absolute Verbot der Atomwaffe als einer Waffe des Schreckens und der Massenvernichtung der Bevölkerung.
Wir fordern die Errichtung einer strengen internationalen Kontrolle, um die Durchführung des Verbotes zu sichern.
Wir sind der Ansicht, daß die Regierung, die als erste die Atomwaffen gegen irgendein Land benutzt, ein Verbrechen gegen die Menschheit begeht und als Kriegsverbrecher zu behandeln ist.
Wir rufen alle Menschen der Welt, die guten Willens sind, auf, diesen Appell zu unterzeichnen.

Stand der Forschung

Die einzige umfassende Darstellung des Stockholmer Appells und der anschließenden weltweiten Unterschriftenkampagne findet sich im ersten Band von Lawrence S. Wittners großer englischsprachiger Trilogie über die Geschichte der Friedensbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg (The Struggle Against the Bomb, Band 1: One World or None, dort vor allem die Kapitel 11 bis 13 über „the communist-led campaign“). Spezialstudien exklusiv zum Stockholmer Appell gibt es aus neuerer Zeit nicht. Freilich bieten diverse Studien zu den nationalen Friedensbewegungen der vierziger und fünfziger Jahre einige Erkenntnisse zu diesem Thema, wenn auch häufig eher am Rande. Sie sind vor allem im Umkreis des Arbeitskreises Historische Friedensforschung sowie der Peace History Society durchgeführt und publiziert worden. Bemerkenswert ist ferner eine organisationsgeschichtliche Darstellung des Weltfriedensrats von Rüdiger Schlaga, die in einem Kapitel näher auf die politischen Motive für den Stockholmer Appell eingeht. Auch Studien zur Nachkriegsgeschichte der nationalen kommunistischen Parteien und der pazifistischen, speziell der links-christlichen Organisationen sowie biografische Literatur zu Protagonisten des Appells (Frédéric Joliot-Curie, W. E. B. Du Bois) bieten weiteres Material. Die Entstehungsgeschichte des Textes ist näher beleuchtet in einer Kontroverse zwischen Michel Pinault, dem Biografen von Joliot-Curie, und dem französischen Kommunismusforscher Yves Santamaria.

Literatur

  • Lawrence S. Wittner: One World or None. A history of the world nuclear disarmament movement through 1953. Stanford: Stanford University Press, 1993. ISBN 0-8047-2141-6
  • Rüdiger Schlaga: Die Kommunisten in der Friedensbewegung – erfolglos? Die Politik des Weltfriedensrates im Verhältnis zur Außenpolitik der Sowjetunion und zu unabhängigen Friedensbewegungen im Westen (1950-1975). Münster: Lit, 1991. ISBN 3-89473-084-6
  • Günter Wernicke: The Communist-Led World Peace Council and the Western Peace Movements: The Fetters of Bipolarity and Some Attempts to Break Them in the Fifties and Early Sixties. In: Peace and Change, vol. 23 (1998), no. 3, pp. 265-311.
  • Robbie Lieberman: „Does that make peace a bad word?“ American Responses to the Communist Peace Offensive, 1949-1950. In: Peace and Change, vol. 17 (1992), no. 2, pp. 198-228.
  • Sabine Rousseau: Les Mouvements de Paix en France depuis 1945. Un Objet de Recherche en Construction. In: Benjamin Ziemann (Hrsg.): Peace Movements in Western Europe, Japan and the USA since 1945: Historical Reviews and Theoretical Perspectives. Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen. Forschungen und Forschungsberichte Nr. 32/2004. S. 49-66.
  • Dimitrios Tsakiris: State Repression against Peace Movements in Greece, 1950-1967. In: Benjamin Ziemann (Hrsg.): Peace Movements in Western Europe, Japan and the USA during the Cold War. Essen: Klartext, 2007, S. 147-164.

Quellentexte

  • Deutscher Friedensrat (Hrsg.): Weltfriedensbewegung. Entschließungen und Dokumente 1949-1955. Berlin, ohne Jahr (1955).

Einzelnachweise

  1. Wittner 1993, S. 384 (Fußnote 34).
  2. Nach dem 1955 erschienenen Quellenband des Deutschen Friedensrats in der DDR, der zur Zeit des Appells noch als „Deutsches Komitee der Kämpfer für den Frieden“ firmierte, hier zitiert nach Schlaga 1991, S. 66.