Kirchenkritik

kritische Auseinandersetzung mit religiösen Institutionen
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Kirchenkritik setzt sich kritisch mit der Institution Kirche auseinander. Die Antwort auf (Kirchen-)Kritik wird als Apologetik bezeichnet.

Grundsätzliche Arten von Kirchenkritik

Kirchenkritik gibt es, solange es die Kirche gibt. Sie tritt auf sowohl von innerhalb (immanente Kritik) als auch von außerhalb der Kirche (externe Kritik).

Es gibt verschiedene Gründe für die Kritik an der christlichen Kirche. Einer liegt in dem grundsätzlichen kritischen Anspruch ihrer Botschaft (Gericht), der kritischen Widerspruch provoziert. Ein anderer in der Feststellung des Auseinanderklaffens von kirchlicher Lehre und Lebenspraxis.

Immanente Kritik entsteht, wo ein Abweichen von der für die Institution gemeinsam als verbindlich anerkannten Norm festgestellt wird. Die Kritik richtet sich gegen Repräsentanten wie auch ihre Anhänger. Bereits die den neutestamentlichen Briefen zugrundeliegenden Auseinandersetzungen zeugen von scharfer Kritik, die Repräsentanten, wie auch Anhänger untereinander üben.

So kritisiert und mahnt etwa der Apostel Paulus die christlichen Gemeinden hinsichtlich ihres Glaubens und Lebens. Umgekehrt kritisiert die Gemeinde seine Person (1. Korintherbrief 4).

Die Absicht, externe Kritik zu mildern, geht aus der Mahnung des Apostels hevor, denen, "die draußen sind", keinen Anstoß zu geben.

Schließlich wird kontroverse Kritik geübt von denen, die dezidiert unterschiedliche Normen vertreten. So gilt bereits die urkirchliche Botschaft den Juden als "Ärgernis" und den Griechen als "Torheit". Wegen der bildlosen Gottesdienste wird die Kirchenlehre als sinnloser Aberglaube angesehen und des Atheismus bezichtigt. Das Spottkruzifix vom Palatin karikiert den kirchlichen Kultus in Form der Anbetung eines eselsköpfigen Wesens. Insgesamt steht die Kirche zunächst unter dem Generalverdacht der Verschwörung und des Staatsverrats.

Geschichte

Interne Kritik ist Bestandteil der ökumenischen Konzilien der frühen Kirche, die zunehmend verbindlichere Glaubensaussagen Dogmen formulieren, ein Vorgang der mit der Kritik abweichender Meinungen einhergeht, welche jeweils in Verwerfungen von Häresien mündet. Die jeweils kritischen Häretiker nehmen ihrerseits in Anspruch, die "wahre Kirche" zu sein. Siehe die Marcioniten, Ebioniten, Novatianer, etc.

Zu scharfen externen Kritikern werden u.a. der Satiriker Lucian von Samosata, der im Roman Über den Tod des Peregrinus (ca. 170) die christliche Bruderliebe und Martyriumsbereitschaft kritisiert, der Philosoph Celsus richtet 178 seine Schrift Der wahre Logos gegen die Unsinnigkeit des christlichen Glaubens, welchen er zugleich der Ablehnung des Kaiserkultes wie auch der Kriegsdienstverweigerung anklagt. Die umfassendste Kirchenkritik verfasst der Neuplatoniker Porphyrios († 304) mit der 15bändigen Schrift Gegen die Christen.

Im 2. Jahrhundert richtet die Gnosis im Streben nach einem höhergeistigen Christentum ihre Kirchenkritik gegen den "übermäßig anthropomorphen Gottesglauben" wie auch gegen die Vorstellung einer Offenbarung Gottes in Christus als "zeitgebunden" und "überholt".

Kirchenkritik auf interreligiöser Ebene erwächst seit dem 8. Jahrhundert aus der Begegnung der östlichen (bilderverehrenden) Kirche mit dem Islam, welcher den Vorwurf erhebt, dass die Bilderdarstellung im Gegensatz zum geistigen Charakter des Kultus und zum Bilderverbot der Schrift stehe.

Ab dem 10. Jahrhundert treten die Katharer als elementare Kirchenkritiker in Wort und Tat in Erscheinung.

Zu sozialer Kirchenkritik kommt es mit Arnold von Brescia gegen die feudalistische Papstkirche verbunden mit der Forderung nach Armut und Wanderpredigt. Ähnlich verhält es sich in den mit der Reformation aus dem schwärmerischen chiliastischen Prophetentum (Thomas Müntzer) erwachsenden Forderungen, die später in kritischen Ansätzen des Puritanismus und des Pietismus Gestalt gewinnen.

Martin Luther, Ulrich Zwingli und andere Reformatoren kritisierten den Ablasshandel, mit dem Menschen ein vermeintlich besseres Leben nach dem Tod verkauft wurde, sowie die Tatsache dass die Bibel nur in unverständlichen Latein gelesen werden durfte. Der gläubige Christ konnte also die Behauptungen der Priester weder anhand der Schriften überpfüfen noch widerlegen. Im 16. Jahrhundert kommt es als Folge der von Herrschern beschützten Kritik an der Römisch-Katholischen Kirche zu mehereren Abspaltungen: der reformierten, der lutherischen und der Anglikanischen Kirche.

Viele Errungenschaften der Wissenschaft wurden als Ketzerei von der Kirche verurteilt und verfolgt. Galileo Galilei beispielsweise bestätigte astronomisch die Entdeckung von Nikolaus Kopernikus, dass die Erde um die Sonne kreist. Diese Veröffentlichung verfolgte ihn mit vielen Prozessen vor der Inquisition bis an sein Lebensende. Obwohl er Priester war und eine heutzutage selbstverständliche Behauptung verteidigte wurde er mit lebenslangen Hausarrest bestraft.

Im 19. Jahrhundert, der Zeit drastischer Zuspitzung sozialer Gegensätze geht die interne Kritik der Kirche über Ansätze nicht hinaus und leistet somit der externen Kritik Vorschub.

Das atheistische oder agnostische Humanitätsideal, das zum einen auf den Menschenrechten, zum anderen auf Aufklärung und Idealismus basiert, richtet seinen kritischen Anspruch gegen die Kirche, welcher in der Formel "Religion ist Opium des Volkes" (Karl Marx) seinen Ausdruck findet. In den Augen der Kritiker sei die Kirche zur Bewältigung der gesellschaftlichen Probleme nicht in der Lage. Demnach greife die Bevölkerung zu den Mitteln der Kirche, um sich Illusionen hinzugeben, oder um von einer Gesellschaftsschicht betrogen zu werden.

Sören Kierkegaard warf dem kirchlichen Christentum Versagen vor. Das echte Christentum sei außerhalb der Kirche anzutreffen.

Friedrich Nietzsche sah dies ähnlich und hob den fundamentalen Unterschied zwischen den Lehren Christi und denen der Kirche hervor. Im Gegensatz zu Kierkegaard schätzte er aber deswegen das "echte" Christentum nicht mehr, sondern sah es nur als eine andere Form der Dekadenz.

Die heutige Kirchenkritik steht in einer kontinuierlichen in stetigem Wandel begriffenen Tradition. Sehr stark vereinfacht lassen sich zwei Kritikmuster formulieren:

  • die fundamentalistische Kritik, die als immanente Kritik dem Häresiemuster folgt
  • die aufklärerische Kritik, die als externe Kritik in Nietzsche den konsequentesten Ausdruck findet

Gegenwärtige Kritikpunkte

Römisch-katholische Kirche

Beispielsweise wird der römisch-katholischen Kirche folgendes vorgeworfen:

  • Sie sei undemokratisch,
    • da die Gemeinden ihre Pfarrer nicht selber wählen
    • da die Pfarrer der Gemeinden nicht die Bischöfe wählen
  • Sie diskriminiere Frauen, da sie sie nicht zum Priesteramt zulasse,
  • Sie finanziere sich aus Steuermitteln, anstatt sich allein aus Spenden und Gewinnen aus wirtschaftlicher Tätigkeit finanzieren.
  • Nachdem lange Zeit vor allem die katholische Sexualmoral umstritten war, ist seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts vermehrt die durch katholische Würdenträger praktizierte Sexualität, konkret der Mißbrauch von Kindern durch katholische Priester kritisiert worden. Nach einer Studie des John Jay Centre of Criminal Justice in New York, die von der katholischen Bischofskonferenz der USA in Auftrag gegeben worden war, kam es in den letzten 50 Jahren zum sexuellen Mißbrauch an etwa 11.000 Kindern durch mehr als 4450 Priester. Offenbar handelt es sich um ein nicht auf die USA begrenztes Phänomen, da ähnliche Vorgänge, wenn auch nicht im gleichen Umfang, in Irland und Österreich bekannt wurden. Erschwerend kommt hinzu, daß zahlreiche Priester, deren Vergehen ihren Bischöfen bekannt geworden waren, nicht aus dem Priesteramt entfernt, sondern lediglich in andere Gemeinden versetzt wurden, wo sie neuerlich Kinder mißbrauchten.
  • Die Forderung an gleichgeschlechtlich liebende Menschen, auf das Ausleben ihrer Sexualität vollständig zu verzichten, stellt viele dieser Menschen vor eine schwer zu bewältigende Aufgabe. Durch Liebesbeziehungen vermittelte menschliche Nähe und Geborgenheit bleibt ihnen zwar nicht verwehrt, sexuelle Befriedigung außerhalb der Ehe ist laut amtlicher Kirchenlehre für Homosexuelle ebensowenig vorgesehen wie für die übrigen Nichtverheirateten.

Fundamentale Ablehnung

Erwartungen an die Kirche

Politische Kritik

Die enge Verbindung christlicher Kirchen mit der Regierung verschiedener Reiche (Rom, Byzanz, Russland, England, lutheranische Teile Deutschlands) führte, ebenso wie die weltliche Machtausübung der römisch-katholischen Kirche in vielen Fällen dazu, dass aus machtpolitischen Gründen wesentliche Teile der christlichen Ethik durch führende Kirchenmänner nicht beachtet wurden.

Die meisten dieser eng mit einer Regierung verbundenen Kirchen profitierten auch finanziell von den herrschenden Verhältnissen und das führte oft dazu, dass Kirchenführer soziale Reformen oft verurteilten und nicht unterstützten. Die meisten sozialen Aktivitäten im Christentum wurden nicht von oben sondern von unten initiiert, oft gegen den Wunsch der Kirchenleitungen.

Reaktion der Kirchen

Aufgrund dieser vielfältigen Kritik und der sehr unterschiedlichen Erwartungen an die Kirchen werden innerkirchlich stetig Anpassungen diskutiert. Verändern sie daraufhin ihre Strukturen, droht ihnen dadurch der Verlust von konservativen Mitgliedern, geben sie den Forderungen jedoch nicht nach, müssen sie mit Austritten von sich für progressiv haltenden Mitglieder rechnen.

Benedikt XVI. hat in "Salz der Erde" darauf hingewiesen, dass die Lutheraner bezüglich Frauenordination, Empfängnisverhütung, Zölibat und Wiederverheiratung Geschiedener alle Forderungen der Kirchenvolksbewegung erfüllt habe, aber deshalb der Lösung des Problems, in der heutigen Zeit als Kirche den christlichen Glauben zu leben, nicht näher gekommen sei.


Siehe auch: Apologetik, Religionskritik, Karlheinz Deschner Horst Herrmann

Literatur

  • Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historien, 1699; Hildesheim: Olms 1967
  • Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799); Stuttgart: Reclam 1997, Reclams UB 8313 (ISBN 3-15-008313-3); Stuttgart: Brockhaus, 8. Auflage, 2002, UTB S 1655 (ISBN 3-8252-1655-1); Berlin u.a.: de Gruyter 2001 (ISBN 3-11-017267-4)
  • Corvin, Otto von: Pfaffenspiegel (1845); Paderborn: Voltmedia 2004; ISBN 3937229701
  • Mauthner, Fritz: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendland, 4 Bände; 1920-23
  • Wolf, Hans-Jürgen: Neuer Pfaffenspiegel. Sünden der Kirche / Das Geschäft mit dem Glauben. Ein kritischer Beitrag zur Kirchengeschichte; Pawlak: 1990; ISBN 3881997342
  • Godman, Peter: Der Vatikan und Hitler - Die geheimen Archive; München: Droemer 2004; ISBN 342627308X; Rezension

Innerkirchliche Kritik

Externe Kritik

Polemik

Apologetik