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Verhalten (Biologie)

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Verhalten ist ein Zentralbegriff der Verhaltensbiologie. Er bezieht sich auf alle äußerlich wahrnehmbaren und auch mit technischen Hilfsmitteln erfassbaren, aktiven Veränderungen, Bewegungen, Stellungen, Körperhaltungen (Gestik) und Lautäußerungen eines Menschen oder Tieres sowie auf jene mehr oder weniger kurzfristigen, umkehrbaren Farb- und Formänderungen oder Absonderungen von Substanzen, die in irgend einer Form der Verständigung dienen (zum Beispiel Pheromone). Verhalten wird von der Verhaltensbiologie verstanden als Anpassungsleistung eines intakten Organismus an seine natürliche Umwelt. Mit dem Tod eines Individuums endet daher auch sein Verhalten.

Verhalten ist demzufolge zum einen eine Reaktion auf Umweltänderungen und wird durch Umweltreize ausgelöst. Zum anderen kann Verhalten auch durch endogene (innere) Reize (Instinktverhalten) erzeugt werden (Beispiel: Nahrungssuche bei Hunger).

Weitere Definitionen und Einschränkungen

Auch wenn diese unter Verhaltensforschern übliche Definition von Verhalten einleuchtend erscheint, bedarf sie doch zusätzlicher Erläuterungen und Einschränkungen. Denn „Verhalten“ ist ein aus der Alltagssprache entlehnter Begriff, der selbst bei sorgfältiger wissenschaftlicher Definition nicht alle durch die Evolution hervorgebrachten Lebensweisen zwanglos ummantelt.

Verhalten heißt: aktiv sein

Verhalten ist stets an lebende Individuen oder Gruppen gebunden – auch Steine können von einer Klippe abbrechen und sich so abwärts bewegen; diese Bewegung wurde aber vollständig von äußeren Einflüssen verursacht. Sie ist keine „Eigenleistung“ eines aktiv agierenden oder reagierenden Subjekts, für das die als Verhalten bezeichnete Veränderung, Bewegung, Haltung oder Äußerung eine bestimmte Funktion (einen Zweck, eine Bedeutung) hat. Für eine Zecke, die sich von einem Strauch auf ein warmblütiges Tier fallen lässt, hat das Fallen hingegen zweifelsfrei eine Funktion. Der Begriff Verhalten wird daher in aller Regel nur auf Lebewesen mit einem Nervensystem angewandt, die zur aktiven Fortbewegung (zumindest zeitweise) fähig sind. Allerdings können auch die Bewegungen von fest sitzenden Nesseltieren als Verhalten eingeordnet werden.

Auch Angststarre ist „Verhalten“

Verhalten ist nicht nur an sichtbare Bewegungen oder Veränderungen eines Organismus gebunden. Verhalten äußert sich auch in Erscheinungen wie Ruhe, Schlaf, Lauerstellung und Angststarre, die über eine bestimmte Zeitspanne hinweg stationäre Zustände sind. Ein still sitzendes Schmetterlingsweibchen, das Duftstoffe aussendet oder ein bewegungslos ins Leere starrender Mensch (ein „Denker“) verhalten sich auch ohne erkennbare Bewegung.

Man kann sich nicht nicht-verhalten

Man kann in einem Gedankenexperiment versuchen, Situationen zu finden, in denen man sich nicht verhält – selbst extrem passive Zustände wie tiefer Schlaf wird man dieser Kategorie des „Nicht-Verhaltens“ kaum zurechnen mögen. Unter Verhaltensbiologen gibt es daher die Regel: Man kann sich nicht nicht-verhalten. Einzig Extremsituation wie der Prozess des Geborenwerdens, des Sterbens und auch tiefe Bewusstlosigkeit (Situationen also, die die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Individuums vollständig in Frage stellen) kann man als Ausnahme von der erwähnten Regel auffassen.

Sind Darmbewegungen „Verhalten“?

Eine Einschränkung der Definition von Verhalten bezieht sich schließlich auf sichtbare und für das Individuum bedeutungsvolle Bewegungen, die gleichwohl als rein passiv gedeutet werden können: Die Bewegungen des Darms oder die bloße Absonderung von Schweiß aus den Hautdrüsen bei Hitze wird man im allgemeinen nicht als „Verhalten“ bezeichnen. Hingegen fallen Tätigkeiten wie das Absetzen von Kot und Urin eindeutig unter diese Kategorie.

Pflanzen: ein Sonderfall

Auch Pflanzen, Pilze, Protisten und Bakterien reagieren auf Reize der Umwelt, und diese Reaktionen können ähnliche Formen wie bei Tieren annehmen:

Dennoch sprechen die Verhaltensforscher (und auch die Botaniker) hier traditionell nicht von Verhalten, sondern allgemein von Reaktion. Mit diesen Reaktionsformen beschäftigen sich u.a. die Physiologie und die Ökologie.

Die Ursachen von Verhalten

Der Suche nach den Ursachen von Verhalten widmet sich nahezu jede heute entstehende Studie auf dem Gebiet der Verhaltensbiologie; nur noch sehr selten sind rein beschreibende Studien, wie sie die klassische vergleichende Verhaltensforschung auszeichneten, obwohl eine klare Beschreibung von Verhaltensweisen stets die Voraussetzung von eine weitergehende Analyse ist.

Generell lassen sich drei Arten von Ursachen gegeneinander abgrenzen:

  • die unmittelbaren Ursachen: Welche inneren (physiologischen, neurologischen, hormonellen) und äußeren (von der Umwelt verursachten) Faktoren erzeugen ein gerade beobachtbares Verhalten?
  • die Einflüsse früher gezeigter Verhaltensweisen: Welche individuellen Erfahrungen (Lernen, Prägung) beeinflussen den Ablauf des beobachtbaren Verhaltens?
  • die im Verlauf der Stammesgeschichte entstandenen Eigenschaften: Auf der Grundlage welcher Gene und welcher ererbten Verhaltensprogramme vollzieht sich das beobachtbare Verhalten?

Beispiele für komplexe Verhaltensweisen